Padmasana, der Lotussitz in der Hatha Yoga Pradipika. Die Ausführung und subtile Wirkung dieser Asana.
- - 49. Vers
- Vers
अथ पद्मासनम्
वामोरूपरि दक्षिणं च चरणं संस्थाप्य वामं तथा
दक्षोरूपरि पश्चिमेन विधिना धृत्वा कराभ्यां दृढम् ।
अङ्गुष्ठौ हृदये निधाय चिबुकं नासाग्रमालोकयेत्
एतद्व्याधिविनाशकारि यमिनां पद्मासनं प्रोच्यते ॥४६
atha padmāsanam-
vāmorūpari dakṣiṇaṁ ca caraṇaṁ saṁsthāpya vāmaṁ tathā
dakṣorūpari paścimena vidhinā dhṛtvā karābhyāṁ dṛḍham… aṅguṣṭhau hṛdaye nidhāya cibukaṁ nāsāgram ālokayet
etad vyādhi-vināśa-kāri yamināṁ padmāsanaṁ procyate
atha : nun; padma-āsanam : (die) Lotusstellung; vāma : (den) linken; ūru : Oberschenkel; upari : auf; dakṣiṇaṁ : (den) rechten; ca : und; caraṇaṁ : Fuß; saṁsthāpya : legend; vāmaṁ : (den) linken (Fuß); tathā : und, ebenso; dakṣa : (den) rechten; ūru : Oberschenkel; upari : auf; paścimena : auf die hintere; vidhinā : Art und Weise; dhṛtvā : haltend, ergreifend; karābhyāṁ : mit beiden Händen; dṛḍham : fest; aṅguṣṭhau : beide großen Zehen; hṛdaye : an die Brust; nidhāya : legend; cibukaṁ : (das) Kinn; nāsā : (der) Nase; agram : (auf die) Spitze; ālokayet : schaue man; etad : das, diese; vyādhi : (von) Krankheit; vināśa : (die) Vertreibung, Zerstörung; kāri : (die) bewirkt, verschafft; yamināṁ : (den sich selbst) zügelnden, beherrschenden; padma-āsanaṁ : (die) Lotusstellung; procyate : wird genannt
Nun wird die Lotus-Position (Padmasana) erklärt: Der rechte Fuß wird auf dem linken Oberschenkel platziert, analog der linke Fuß auf dem rechten Oberschenkel; Die Hände werden [nun] weit hinter dem Rücken überkreuzt, bis [sie] zu den großen Zehen [fassen]. Das Kinn wird auf dem Herzen platziert. Man soll [ferner] zur Nasenspitze blicken. Dies bewirkt die Auflösung aller Krankheiten und ist bei den Yogis bekannt.
Svatmarama schreibt: „ Atapamasanam. Jetzt wird die Lotusstellung erläutert. Lege die rechte Ferse an den Beginn des linken Oberschenkels und die linke Ferse an den Beginn des rechten. Kreuze die Hände hinter dem Rücken und greife die Zehen. Die rechte Zehe mit der rechten Hand und die linke Zehe mit der linken. Setze das Kinn kräftig an die Brust und richte den blick auf die Spitze der Nase. Das wird Padmasana genannt und zerstört alle Leiden.“
Normalerweise ist Padmasana einfach der Lotussitz. Einen Fuß auf einen Oberschenkel, den anderen Fuß auf den anderen Oberschenkel. Svatmarama gibt noch zusätzliche Anweisungen. Eigentlich ist es Badha Padmasana, der gebundene Lotus. In dieser Position schaust du auf die Spitze der Nase. Der gebundene Lotus ist eine sehr machtvolle Asana, um das Prana nach oben zu bringen.
Bei Siddhasana war die Beschreibung eine ähnliche. Jalandhara Bandha kommt ebenfalls zum Einsatz. Die Konzentration bei Siddhasana liegt allerdings auf dem Punkt zwischen den Augenbrauen. Bei Padmasana wird die Nasenspitze in den Vordergrund gerückt, wo sich der Konzentrationspunkt befindet.
Er sagt: „Das wird Padmasana genannt und zerstört alle Leiden.“ In einer anderen Übersetzung heißt es: „Das bewirkt die Auflösung aller Krankheiten und ist bei den Yogis wohl bekannt.“
- Vers
उत्तानौ चरणौ कृत्वा ऊरुसंस्थौ प्रयत्नतः ।
ऊरुमध्ये तथोत्तानौ पाणी कृत्वा ततो दृशौ ॥४७॥
uttānau caraṇau kṛtvā ūru-saṁsthau prayatnataḥ.. ūru-madhye tathottānau pāṇī kṛtvā tato dṛśau
uttānau : (mit den Fußsohlen) nach oben schauend; caraṇau : beide Füße; kṛtvā : bringend, veranlassend; ūru : (auf dem gegenüberliegenden) Oberschenkel; saṁsthau : zu liegen; prayatnataḥ : sorgfältig, nach Kräften; ūru : (der) Oberschenkel; madhye : auf die Mitte; tathā : und, ebenso, desgleichen; uttānau : (mit den Handflächen) nach oben geöffnet; pāṇī : beide Hände; kṛtvā : legend („machend“); tataḥ : dann, danach; dṛśau : beide Augen
Die Fußsohlen werden achtsam nach oben zeigend auf die Oberschenkel gelegt, die Hände ebenso dazwischen nach oben gerichtet. Dorthin wird der Blick gelenkt.
Anmerkung: Die Verse 47 – 49 gehören zusammen, Vers 48 setzt den begonnenen Satz im letzten Versviertel von Vers 47 fort. Die Augen (Vers 47) werden auf die Nasenspitze (Vers 48) gerichtet. Die hier beschriebene Variante von Padmasana wurde laut dem Kommentator Brahmananda von Matsyendra Natha gelehrt (Abhimata): matsyendra-nāthābhimataṃ padmāsanam.
Ein anderer Ansatz: „Bringe die Füße fest, die Sohlen nach oben auf die gegenüberliegenden Oberschenkel und lege die Hände, Handteller nach oben, übereinander in die Mitte. Lenke deine Augen auf die Spitze der Nase und bringe die Zunge an die Hälse der Vorderzähne. Bringe dann das Kinn auf die Brust und hole das Prana langsam aufwärts durch das Zusammenziehen des Anus im Mula Bandha“.
- Vers
नासाग्रे विन्यसेद्राजदन्तमूले तु जिह्वया ।
उत्तम्भ्य चिबुकं वक्षस्युत्थाप्य पवनं शनैः ॥४८॥
nāsāgre vinyased rāja-danta-mūle tu jihvayā… uttambhya cibukaṁ vakṣasy utthāpya pavanaṁ śanai
nāsā : (der) Nase; agre : auf die Spitze; vinyaset : man richte (beide Augen*); rāja-danta : (der oberen) Schneidezähne; mūle : an den Ursprung, den Ansatz; tu : aber, jedoch; jihvayā** : mit der Zunge; uttambhya : drückend; cibukaṁ : (das) Kinn; vakṣasi : auf die Brust; utthāpya: (aufwärts) lenkend; pavanaṁ*** : (den) Atem, (die Lebensenergie) Prana; śanaiḥ : langsam
Den Blick auf die Nasenspitze gerichtet, dann die Zunge an die Wurzel der Schneidezähne nach oben gerollt, das Kinn auf der Brust [gesenkt], [so] kann die Lebensenergie langsam nach Oben gezogen werden.
Anmerkung: Die Verse 47 – 49 gehören zusammen, Vers 48 setzt den begonnenen Satz im letzten Versviertel von Vers 47 fort. Die Augen (Vers 47) werden auf die Nasenspitze (Vers 48) gerichtet. Die hier beschriebene Variante von Padmasana wurde laut dem Kommentator Brahmananda von Matsyendra Natha gelehrt (Abhimata): matsyendra-nāthābhimataṃ padmāsanam.
Das ist eine etwas einfachere Variation. Du legst die Füße auf die gegenüberliegenden Oberschenkel, das ist der volle Lotus. Dann legst du die Hände übereinander in die Mitte. Die Handteller sind nach oben gerichtet. Du lenkst die Augen auf die Spitze der Nase, schaust auf die Nasenspitze. Die Spitze der Zunge wird an die Hälse der Vorderzähne gegeben. Die Zungenspitze ist am Gaumen und zwar da, wo die Vorderzähne, die Schneidezähne, übergehen in den Gaumen. Das aktiviert sowohl Ajna Chakra wie auch das Nasenchakra, nasika chakra. Dann bringst du das Kinn auf die Brust und du ziehst das Prana mit Mula Bandha nach oben.
Wenn du willst, kannst du diese Asana selbst ausprobieren:
Du richtest dich auf. Eventuell füllst du die Lungen vollständig. Dann gibst du das Kinn zur Brust und übst Mula Bandha. Das Ganze ist wie eine Form von Maha Bandha. Nun gibst du die Zungenspitze in die Nähe der Schneidezähne an den Gaumen und schaust zur Nasenspitze. Dabei stellst du dir vor, du ziehst das Prana durch die Sushumna nach oben.
Svatmarama sagt hier: „Das ist Padmasana, die alle Beschwerden zerstört. Sie kann nicht von gewöhnlichen Sterblichen erlangt werden, sondern nur einige aufnahmefähigen Personen können sie erlangen.“
Warum ist das so schwierig?
Weil es nicht nur darum geht, sie physisch zu machen, sondern wirklich das Prana durch die Sushumna nach oben gelenkt wird. Der Blick ist auf die Nasenspitze gerichtet, die Zunge an der Wurzel der Schneidezähne, Kinn ist zur Brust geneigt. Die Lebensenergie kann nun mit Mula Bandha nach oben ziehen.
- Vers
इदं पद्मासनं प्रोक्तं सर्वव्याधिविनाशनम् ।
दुर्लभं येन केनापि धीमता लभ्यते भुवि ॥४९॥
idaṁ padmāsanaṁ proktaṁ sarva-vyādhi-vināśanam… dur-labhaṁ yena kenāpi dhīmatā labhyate bhuv
idaṁ : das, diese (Sitzposition); padma-āsanaṁ : Lotussitz; proktaṁ : wird genannt; sarva : alle; vyādhi : Krankheit(en); vināśanam : (sie) vertreibt; dur-labhaṁ : (sie ist) schwer zu erlangen, zu erreichen; yena kena api : durch welchen (gewöhnlichen Menschen) auch immer; dhīmatā : (nur) von einem Weisen, Verständigen; labhyate : (sie) wird erlangt; bhuvi : auf Erden
Dies wird Padmasana genannt. [Diese Position] zerstört alle Krankheiten. Sie ist von den meisten Menschen und sogar den Weisen auf dieser Welt schwer zu bewerkstelligen.
Anmerkung: Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 81 behandelt.
„Sitzt der Yogi in der Padmasana Stellung, wird er durch die Beherrschung des in die Nadis gezogenen Pranas befreit. Darüber gibt es keinen Zweifel.“
Übe Padmasana und ziehe das Prana in die Susuhmna Nadi und dann nach oben. Das führt zum Befreien. Wenn du willst, kannst du eine einfache Variation davon zum Abschluss gleich üben.
- Vers
कृत्वा सम्पुटितौ करौ दृढतरं बद्ध्वा तु पद्मासनं
गाढं वक्षसि सन्निधाय चिबुकं ध्यायंश्च तच्चेतसि ।
वारं वारमपानमूर्ध्वमनिलं प्रोत्सारयन्पूरितं
न्यञ्चन्प्राणमुपैति बोधमतुलं शक्तिप्रभावान्नरः ॥५०॥
kṛtvā sampuṭitau karau dṛḍhataraṁ baddhvā tu padmāsanaṁ
gāḍhaṁ vakṣasi sannidhāya cibukaṁ dhyāyaṁś ca tac cetasi… vāraṁ vāram apānam ūrdhvam anilaṁ protsārayan pūritaṁ
nyañcan prāṇam upaiti bodham atulaṁ śakti-prabhāvān nara
kṛtvā : legend („machend“); sampuṭitau : (in Form einer halbkugelförmigen Schale) ineinander („zusammengefügt“); karau : beide Hände; dṛḍhataraṁ : sehr fest, stabil; baddhvā : eingenommen habend („gebunden, aufgebaut habend“); tu : aber, jedoch, wiederum; padma-āsanaṁ : (den) Lotussitz; gāḍhaṁ : fest, kräftig (drückend); vakṣasi : auf die Brust; sannidhāya : legend; cibukaṁ : (das) Kinn; dhyāyan : nachsinnend, meditierend; ca : und; tad* : (über) jenes (Brahman); cetasi : im Geist; vāraṁ vāram : immer wieder, wiederholt; apānam : die nach unten fließende Lebensenergie (bedeutet auf den Atmungsprozess bezogen auch das Ausatmen); ūrdhvam : aufwärts; anilaṁ : Atem, Lebenshauch (“Wind”); protsārayan : lenkend („wegtreibend“); pūritaṁ : (nach der Einatmung den) eingeatmenten („gefüllten“); nyañcan : nach unten lenkend; prāṇam : die nach oben fließende Lebensenergie (bedeutet auf den Atmungsprozess bezogen, auch das Einatmen); upaiti : erlangt, erreicht; bodham : Erkenntnis, Einsicht, Wachheit; atulaṁ : unvergleichliche; śakti : (der) Energie; prabhāvāt : durch die Macht, Wirkung; naraḥ : (ein) Mensch
Die Hände wie eine Schale ruhig formen, Padmasana einnehmen [und] das Kinn fest auf die Brust senken. [Nun] atmet [der Yogi] mit seiner Vorstellung immer wieder Apana (nach unten strömende Energie) nach oben aus und Prana (nach oben strömende Energie) nach unten ein. So wird im Menschen die Basis für Weisheit und unvergleichbare Energie [geschaffen].
*Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass sich „jenes“ (Tad), worüber man meditieren soll, entweder auf die Form (Rupa) der jeweiligen eigenen (Sva–Sva) Gottheit (Ishtadevata) oder (vā) das Brahman bezieht: tat sva-sveṣṭa-devatā-rūpaṃ brahma vā.
Die Übungsanleitung von Padmasana
Wenn du den Lotussitz kannst, dann geh jetzt in den Lotus, ansonsten wähle irgendeine andere kreuzbeinige oder sitzende Stellung. Gib die Hände übereinander, Handteller sind nach oben liegend. Richte deine Wirbelsäule auf. Senke das Kinn mindestens leicht. Dann gib die Zunge in die Nähe der Schneidezähne an den Gaumen. Schaue zur Nasenspitze, übe Mula Bandha und dann übe Kevala Kumbhaka. Atme nur wenig Luft ein und aus.
Spüre, wie das Prana nach oben steigt. Verharre in dieser Stellung. Du kannst aus dieser Stellung weitergehen in die normale Meditation oder gehe in deinen Tagesablauf. Die Handflächen nach oben, Wirbelsäule gerade, Kopf gesenkt, die Zunge ist in der Nähe der Schneidezähne. Schaue zum Punkt zwischen den Augenbrauen. Setze Mula Bandha und sei in Bewusstheit. Ziehe das Prana nach oben während du Kevala Kumbhaka übst.
- Vers
पद्मासने स्थितो योगी नाडीद्वारेण पूरितम् ।
मारुतं धारयेद्यस्तु स मुक्तो नात्र संशयः ॥५१॥
padmāsane sthito yogī nāḍī-dvāreṇa pūritam… mārutaṁ dhārayed yas tu sa mukto nātra saṁśayaḥ
padma-āsane : im Lotussitz; sthitaḥ : (der) sich befindet, sitzt; yogī : (ein) Yogin; nāḍī* : (des feinstofflichen Energie-)Kanals); dvāreṇa* : vermittels, durch („durch das Tor“); pūritam : (den) eingeatmeten („gefüllten“); mārutaṁ : Atem („Wind, Luft“); dhārayet : (an)halten, zurückhalten kann; yaḥ : welcher, der; tu : aber; saḥ : dieser, der; muktaḥ : (ist) befreit, erlöst; na : nicht (besteht); atra : hier(über); saṁśayaḥ : (ein) Zweifel
Der Yogi, der in Padmasana sitzend die Lebensenergie durch die Öffnung der Nadis einatmen und halten kann, der ist ist sicherlich ein befreites Wesen. Diesbezüglich besteht kein Zweifel.
*Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda erkärt, dass mit nāḍī-dvāreṇa („durch den Kanal“) hier der „Weg“ (Marga) der Sushumna gemeint ist, über den der „Wind“ (Maruta) zum Kopf bzw. Scheitel (Murdhan) geleitet wird (nītvā): mārutaṃ … suṣumnā-mārgeṇa mūrdhānaṃ nītvā.
______
Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.
Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.