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Welche Arten von Krafttraining gibt es? Was ist der optimale Trainingsreiz?

Zunächst einmal kann man zwei Arten von Muskelübungen unterscheiden, dynamische und statische (isometrische) Übungen. Dynamisches Training heißt eine Bewegung gegen einen Widerstand auszuführen, z.B. eine Hantel nach oben und unten bewegen. Statisches Training heißt einen Widerstand, z.B. die Hantel zu halten, ohne dass der Arm sich dabei bewegt, also, ohne dass die Muskellänge sich verändert. Liegestütze mit senken und heben des Brustkorbes ist ein dynamisches Training, wenn man die Arme dagegen in einer Position hält, ist es statisches Training.

 

Auf welche Art trainiere ich beim Yoga?

Beim Hatha Yoga trainiert man sicherlich mehr statisch als dynamisch. Vorteile des statischen Trainings zeigen sich in einer kürzeren Regenerationszeit und in weniger Trainingsaufwand um die Muskelkraft zu stärken. Ein weiterer Vorteil ist die anschließende Muskelentspannung, wie nach dem Muskelentspannungsgesetz: „Ein Muskel der mindestens fünf Sekunden angespannt wurde kann anschließend gut entspannen.“ .

Das dynamische Training hingegen verbessert deine Koordination, Flexibilität und wirkt sich effektiver auf deine Leistungen aus. Für den Freizeitbereich gilt, dass beide Trainingsarten okay sind. Da es im Yoga eigenständige Dehn- und Koordinationsübungen gibt, können wir uns auf das statische Training konzentrieren.

 

Was ist der optimale Trainingsreiz im Krafttraining?

Ob statisches oder dynamisches Training, allgemein gilt: ein intensiver, kurzer Trainingsreiz ist besonders effektiv. Beim dynamischen Training sollte man ein Gewicht so wählen, dass man 8-12 Wiederholungen bis zum Muskelversagen ausführen kann. Im Fitness Studio wird Muskelversagen manchmal so definiert, dass du, selbst wenn dir jemand 1Millionen Euro bietet,  das Gewicht kein weiteres Mal heben kannst. Um schnell an Kraft zu gewinnen, solltest du das Gewicht also so wählen, dass die Wiederholungen bis zum Muskelversagen oder bis zu einer Wiederholung vor dem Muskelversagen führen.

Beim statischen Training hingegen wird schon nach 5-6 Sekunden eine Trainingswirkung erzeugt, als optimal gelten 20 – 30 Sekunden.

 

(Fortsetzung folgt)

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

 

 

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Warum ist Yoga Muskelkrafttraining und wie kannst du deine Yogapraxis so optimieren, dass du wirklich alle deine Muskeln in ihrer Kraft stärkst?

Dies ist ein Vortrag aus der Reihe „Yoga als optimaler Gesundheitssport“. Sport- im Sinne von Gesundheitssport- will vier Fähigkeiten des Menschen trainieren: Ausdauer, Kraft, Flexibilität und Koordination.

In einem anderen Vortrag habe ich erklärt, warum Yoga als Ausdauersport gut ist und wie eine Yogapraxis beschaffen sein sollte, um ein Herz-Kreislauf Training zu bewirken, was das Charakteristikum des Ausdauersportes ist.

Heute geht es um Muskelkrafttraining. Dazu möchte ich folgende Fragen besprechen:

  • Was ist Muskelkraft?
  • Wozu ist es gut Muskelkraft zu entwickeln?
  • Was ist ein optimaler Trainingsreiz für Muskelkraft?
  • Wie lange dauert die Regenerationszeit?
  • Welche Anpassungsleistungen werden dadurch erzielt?
  • Was heißt das für die Übungen des Yogas?

 

Was ist Muskelkraft?

Definition: „Die Fähigkeit des Muskels sich gegen einen Widerstand zusammen zuziehen“. Z.B.: Der M. Bizeps brachii beschreibt welches Gewicht ich mit meinem Arm aus der Ellenbeuge heben und senken könnte. Physiologisch bedeutet das, der Muskel hat Ursprung und Ansatz an zwei verschiedenen Knochen und geht über ein Gelenk hinweg. Er setzt über Sehnen am Knochen an. Eine Bindegewebshülle, Faszie genannt, umgibt den ganzen Muskel, sowie die kleineren Muskelfaserbündel.

Die Kraft eines Muskels wird von den Muskelzellen, insbesondere der Muskelfasern bestimmt. Die Muskelfasern sind einzelne längliche Zellen, ob diese sich im Laufe des Lebens bzw. im Erwachsenenalter in der Anzahl vermehren können wird diskutiert. Entscheidend ist die Dicke der Muskelfaser, da dann mehr Myofibrillen in der Muskelfaser eingelagert sind. Ein zweiter Bestandteil der Muskelkraft ist bedingt durch die Nervenfasern. Ein Muskel wird durch einen Nerv innerviert. Dieser überträgt den Impuls des Gehirns über den Rückenmarkskanal an den Muskel. Dieser zieht sich daraufhin zusammen oder entspannt sich. Eine verbesserte Innervierung des Muskels führt dazu, dass mehr Muskelfasern gleichzeitig angespannt werden und dadurch mehr Muskelkraft entsteht. Nicht alle Muskelfasern werden gleichmäßig von Nervenfasern durchdrungen, dadurch bekommen manche Muskelfasern den Primärimpuls und die benachbarten Muskelfasern ziehen sich dann auch zusammen (Sekundärimpuls). Wenn mehr Muskelfasern gleichzeitig den Impuls zur Kontraktion (Zusammenziehen) bekommen ist die Kraft stärker. Der dritte, die Muskelkraft beeinflussende Faktor ist die Kapillarisierung des Muskels, d.h. je mehr Blutgefäße den Muskel versorgen, desto besser kann er seine Kraft und vor allem seine Ausdauer entwickeln. Die Muskelkraft wird also von der Anzahl der Muskelzellen (ab dem Teenageralter evtl. nicht mehr beeinflussbar), der Anzahl der Myofibrillen der Muskelfaser             (dies kann man durch Training beeinflussen), die Innervierung des Muskels (ebenfalls beeinflussbar) und die Kapillarisierung des Muskels beeinflusst.

 

Wozu ist es gut Muskelkraft zu entwickeln?

In erster Linie braucht man Muskelkraft im Alltag (Töpfe heben, Möbel tragen, sich bewegen...), daneben tragen starke Muskeln zu einem starken Selbstbewusstsein bei, Muskelkrafttraining ist also auch gut für die Psyche. Menschen mit psychischen Problemen, wie Depressivität, Burn-out, Angststörungen oder mangelndes Selbstbewusstsein profitieren vom Krafttraining. Man könnte also sagen, stärkere Muskeln bilden eine stärkere Psyche. Starke Muskeln halten auch die Gelenke gesund. Viele Gelenkerkrankungen treten eher auf, wenn die Muskulatur koordinativ schwach ist und somit das Gelenk nicht ausreichend stabilisieren kann. Menschen mit koordiniert trainierten Muskeln leiden scheinbar weniger unter Rheuma, Arthritis und Arthrose. So ist eine der wichtigsten Präventionsmaßnahmen gegen Rückenschmerzen starke Bauchmuskeln, Rücken- und Gesäßmuskeln. Zur Vorbeugung von Knieproblemen sind starke Oberschenkelmuskeln wichtig, für die Handgelenke starke Unterarme, bei Schulterproblemen eine ausgeglichene Brust- und Schultergürtel- bzw. Rückenmuskulatur usw. Um also Beschwerden der Gelenke vorzubeugen bzw. zu verbessern sind starke und koordinativ trainierte Muskeln wichtig. Ausreichend starke Muskeln sind ebenfalls wichtig für die Blutwerte. Vorbeugend helfen sie wohl auch gegen Diabetes mellitus, Arteriosklerose und Fettleibigkeit. Muskulatur verbrennt im Ruhezustand mehr Energie als Fett und hilft so gegen Fettleibigkeit. Zudem muss Fettleibigkeit bei gleichzeitiger ausreichender Muskelkraft und gutem Herz-Kreislauf-System (Ausdauer) nicht unbedingt schädlich sein. Oftmals machen sich Menschen zu viel Sorgen um ihr Gewicht und zu wenig Sorgen, ob sie Muskelkraft und Herz-Kreislauf trainieren. Durch Muskelkrafttraining gelangen Nährstoffe in das Zwischenzellgewebe. Muskelkrafttraining verbraucht und erneuert die Nährstoffe im Zwischenzellgewebe. So gesunden Menschen mit einem Bandscheibenvorfall z.B. schneller, wenn sie Rückentraining machen. Ebenso heilen Verletzungen in Knie- oder Sprunggelenken besser, wenn man Krafttraining macht, da über dieses Training Nährstoffe ins Zwischenzellgewebe kommt, sodass auch die Strukturen, die nicht direkt durchblutet werden, besser heilen können.

In den 80ern/ 90ern hieß es, dass Ausdauersport am wichtigsten sei, in den 2000ern wurde das Krafttraining für wichtiger befunden, momentan geht man davon aus, dass alle vier Trainingsformen wichtig sind.

 

(Fortsetzung folgt)

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

 

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Wie wirkt Yoga noch als Ausdauertraining?

Neben dem Sonnengruß, der im engeren Sinne als Herz-Kreislauf-Training gilt, gibt es im Yoga eine Reihe weiterer Übungen, die auch gut sind, um deine Ausdauer zu trainieren – auch wenn sie der sportmedizinischen Definition von Herz-Kreislauf-Training nicht entsprechen.

Zunächst gibt es die sogenannten Umkehrstellungen. Umkehrstellungen sind insbesondere Kopfstand und Schulterstand, Skorpion und Handstand und in einem beschränkteren Sinne auch Pflug und Hund. Diese Übungen sind Herz-Kreislauf-Training, weil die Beine dabei höher sind als der Bauch und der Bauch höher ist als das Herz. Normalerweise ist, wenn du stehst oder sitzt, der größte Teil deines Blutes unterhalb des Herzens. Man kann sogar sagen: Meistens ist 60 % deines Blutes im Bauchbereich, in den und um die Bauchorgane herum. Gehst du nun in eine Umkehrstellung, wird das venöse Blut durch die Schwerkraft schneller zum Herzen transportiert. Dies führt dazu, dass der Herzmuskel sich weiter ausdehnt. Das Starlingsche Gesetz des Herzens besagt, wenn mehr Blut zum Herzen zurückfließt, dann dehnt sich das Herz weiter aus und pumpt stärker. In den Umkehrstellungen wird die Herzmuskeln also dafür sorgen, dass das Herz weiter wird und besser pumpt.

Insgesamt wird in Umkehrstellungen die Fließgeschwindigkeit des Blutes steigen. Daher sind sie ein gutes Training für das Herz, die Arterien und sogar für die Venen. Zusätzlich sorgen entspannte Umkehrstellungen auch dafür, dass alle Organe und Gewebe des Körpers besser durchblutet sind. Umkehrstellungen haben somit eine regenerierende Wirkung auf alle Organe und auf die Psyche.

Weiterhin als Ausdauertraining zu verstehen sind Übungen, die den Brustraum denen. Denn durch sie können unsere Lungen leichter die Anpassungsleistungen vollziehen, die durch ein klassisches Ausdauertraining bewirkt werden sollen. In dem man sich zum Beispiel nach hinten beugt, werden die Rippen gedehnt, der Knorpel zwischen den Rippen und dem Sternum wird flexibler und es entsteht Raum, damit die Lungen vergrößert werden können. Auch das Herz hat dann mehr Platz. Hierfür hilfreich sind das Nachhintenbeugen als auch das Nachlinks- oder Nachrechtsbeugen (wie im Dreieck), die Drehungen und sogar die Vorwärtsbeugen. Durch diese Übungen können Lungen und Herz sich gut entwickeln. Des Weiteren helfen dehnende Asanas unseren Arterien. Dadurch werden die Arterien flexibler, beginnende Probleme wie Arteriosklerose kann rückläufig werden.

 

Pranayama als Ausdauertraining

Auch praktizieren wir im Yoga Pranayama, Atemübungen. Sie bestehen aus zwei Teilen: atmen und Luft anhalten. Beides ist effektiv auch als Herz-Kreislauf-Training bzw. im engeren Sinne als Lungentraining. Indem man beispielsweise mit vollständigem Yoga-Atem übt, nutzt man das volle Lungenvolumen. Man könnte sagen: Das vollständige Ein- und Ausatmen bis an die Grenzen der Möglichkeiten ist ein Trainingsreiz. Und der Trainingsreiz, so tief einzuatmen, wie man kann, führt dazu, dass der Körper die Lungenkapazität erhöhen wird. Vollständig auszuatmen, ist auch wieder ein Trainingsreiz, der dazu führt, dass der Körper die Lungen effektiver leeren kann. Ein solches Lungentraining trägt auch dazu bei, die Arbeit des Herzens zu erleichtern und unterstützt somit die Entwicklung des Herz-Kreislauf-Systems. 

Noch wichtiger ist, vom Standpunkt des Herz-Kreislauf-Trainings, das Anhalten des Atems. Wenn man den Atem anhält, entsteht nach einer Weile im Blut ein Sauerstoffmangel. Ähnlich wie beim klassischen Ausdauertraining, bei dem Sauerstoff aus dem Blut in die Muskeln kommt und dort verbrannt wird, wodurch Bewegung entstehen. Ein Herz-Kreislauf-Training verbraucht mehr Sauerstoff und reduziert daher zunächst die Sauerstoffrate im Kreislaufsystem. Das ist ein Trainingsreiz, der dazu führt, dass die Herzeffizienz, der Gasaustausch und die Kapillarisierung verbessert werden.

Auf eine gewisse Weise ist das Luftanhalten ein ähnlicher Trainingsreiz wie Ausdauertraining im engeren Sinne. Wenn Sportler, die wegen einer Verletzung kein Ausdauertraining machen können, Pranayama üben, wird sich ihre Ausdauer nicht wesentlich reduzieren. Ohne körperliches Training kann man die Ausdauer erhalten, wenn man am Tag eine halbe bis dreiviertel Stunde Pranayama übt. Genauso gibt es einige Menschen, die kein Ausdauertraining im engeren Sinne gemacht haben, aber täglich eine halbe Stunde Pranayama geübt haben. Wenn sie nun plötzlich auf die Idee kommen, einen Marathon zu laufen, werden sie dies in relativ kurzer Zeit tun können, selbst wenn sie es vorher noch nie gemacht haben. Eine ausreichende Menge Pranayama ist ein Herz-Kreislauf-Training, das den Lungen und dem Herzen eine gute Effizienz ermöglicht. Es braucht dann nur noch ein wenig Muskeltraining, um gut auf einen Marathonlauf oder längere Fahrradtouren vorbereitet zu sein.

 

Yoga als optimales Herz-Kreislauf-Training

Machst du außerhalb von Yoga auch Sport, Ausdauertraining? Wenn ja, dann musst du jetzt nicht unbedingt zusätzlich im Yoga für Ausdauertraining sorgen. Wenn nein, übe zwei bis dreimal pro Woche mehr Sonnengrüße. Und in jeden Fall: übe die Asanas und Pranayama und sei dir bewusst, dass sie auch für die Gesundheit von Herz-Kreislauf und Lungen helfen.

Yoga ist ein effizientes Ausdauertraining und kann ebenso andere Ausdauersportarten sinnvoll ergänzen.

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

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Was ist ein optimaler Trainingsreiz für Ausdauertraining?

Die Definition von Ausdauertraining enthält

  • gleichförmige Bewegungen
  • eine Beteiligung von mind. 40 % der Skelettmuskulatur
  • Puls in einer bestimmten Zielzone
  • 6-12 Minuten Training

Als gleichförmige Bewegungen, die mindestens 40 Prozent der Skelettmuskulatur nutzen, qualifizieren sich beispielsweise die primären Sportarten wie Laufen, Jogging, Walken, Fahrradfahren und Schwimmen. Darüber hinaus gibt es bestimmte Formen des Tanzens, bestimmte Ballspielarten usw., die dies erreichen.

Seit Ende der 1980er Jahre hat sich in der Sporttrainingslehre einiges geändert. Trotzdem kann man sagen, dass es beispielsweise für einen 40-Jährigen eine Pulszielzone von 125 bis 145 Schlägen gibt. Um einen optimalen Trainingsreiz für Herz-Kreislauf-Training zu setzen, muss sich der Puls mindestens 6-12 Minuten in dieser Zone bewegen.

 

Die Regenerationszeit für Ausdauertraining liegt bei einem bis zwei Tagen. Das heißt, wenn du ein Ausdauertraining absolviert hast, ist es klug, ein bis zwei Tage zu warten, bis du das nächste Mal trainierst. Zweimal am Tag Ausdauertraining zu machen, ist nicht effektiver als ein Mal am Tag. Angenommen, du läufst morgens eine Stunde und nachmittags eine weitere, wird sich deine Ausdauerleistungsfähigkeit nicht verbessern gegenüber nur einem Mal pro Tag.

Es ist sogar anzunehmen, dass du in den Überlastungsbereich kommst, müder wirst und vielleicht sogar weniger positive Auswirkungen hast. Die meisten Menschen können durchaus einmal am Tag Ausdauertraining machen und ein bis zweimal pro Woche aussetzen. Man sagt sogar, dass nur einmal pro Woche Ausdauertraining ausreicht, um die Ausdauer etwas zu verbessern. Optimal sind jedoch mindestens viermal pro Woche. Sechs bis siebenmal pro Woche funktioniert gut für die meisten Menschen.

Wenn du allerdings heute Ausdauertraining machst, und morgen müde und weniger leistungsfähig bist, wäre es klug, nur zweimal pro Woche zu trainieren. Das heißt jetzt nicht, dass du nur einmal am Tag Fahrradfahren darfst, wenn du beispielsweise mit dem Fahrrad zu Arbeit fährst. Aber du könntest morgens so schnell fahren, dass du in der Pulszielzone bist, und abends so langsam, dass du darunter liegst. Das ist dann vielleicht kein Herz-Kreislauf-Training mehr, aber wenigstens bist du nicht in der Überlastung, sondern regenerierst dich gut.

 

Welche Aspekte von Yoga qualifizieren als Ausdauertraining?

Im engeren Sinne gibt es nur eine Übung im Yoga, die sich als Herz-Kreislauf-Training qualifizieren würde: der Sonnengruß. Der Sonnengruß ist eine Übung, bei der du gleichförmige Bewegungen ausführst, die mindestens 40 % der Skelettmuskulatur beanspruchen (tatsächlich sogar 100 % der Skelettmuskulatur). Du kannst den Sonnengruß mindestens sechs Minuten lang machen und deinen Puls damit in eine bestimmte Zielzone bringen.

Für Anfänger sind 12 Runden Sonnengruß meistens fünf bis sechs Minuten Training. Für Fortgeschrittene sind das in der gleichen Zeit vielleicht 20-30 Runden Sonnengruß, wenn jede Seite als eine Runde bezeichnet. Man könnte auch sagen: mindestens sechs Doppelrunden (beide Seiten) sind gut. Und es kann hilfreich sein, zwei bis dreimal pro Woche flotte Sonnengrüße mindestens sechs, besser noch 12 Minuten lang, durchzuführen – dann ist ein optimales Herz-Kreislauf-Training im Yoga mit eingebaut.

Es ist durchaus gut, auch mal den eigenen Puls zu messen, nach dem du den Sonnengruß gemacht hast. So kannst du feststellen, ob du in der Zielzone bist. In Deutschland neigen viele Yoga-Übende dazu, den Sonnengruß sehr langsam zu machen. Damit ist man unter der Zielzone für den Puls und der Sonnengruß ist kein effektives Herz-Kreislauf-Training. Das ist so lange unproblematisch, wenn du zusätzlich joggst, Fahrrad fährst oder schwimmst. Aber wenn du nicht drei bis viermal pro Woche zusätzlich dies machst und das sportliche Training aufs Yoga konzentrierst, dann solltest du schon zwei bis dreimal pro Woche mindestens sechs Minuten lang flotte Sonnengrüße üben – besser noch zehn Minuten lang.

 

(Fortsetzung folgt)

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

 

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Ausdauertraining ist – neben Muskelkrafttraining, Flexibilitätstraining und Koordinationstraining – eine von vier Trainingsarten, die jede Sportart mehr oder weniger beinhaltet. Ein ganzheitliches sportliches Training, insbesondere der Gesundheitssport, will alle vier Trainingsarten aktivieren.

Ausdauertraining ist die wichtigste der vier Trainingsformen. Es wird auch als Herz-Kreislauf-Training bezeichnet, womit bereits gesagt ist, was es bewirkt. Der gesamte Organismus des Menschen ist darauf ausgerichtet, dass er in Bewegung ist. Damit wir gut funktionieren können, brauchen wir Ausdauertraining.

 

Was bewirkt Ausdauer bzw. Herz-Kreislauf-Training?

Ausdauertraining bewirkt eine Verbesserung der Lungenkapazität, indem es die Lungenzellen wachsen lässt und die Größe der Lunge ausdehnt. Wer Ausdauertraining macht, verbessert den Austausch der Gase in den Alveolen (Lungenbläschen), in den Lungen und damit auch in den Kapillargefäßen des Blutes zur Lunge hin. Der Sauerstoff kommt dann besser ins Blut hinein. Das steigert auch die Effizienz der Lungen. Ausdauertraining ist also gut für die Gesundheit der Lungen.

Wer Ausdauertraining hat, steigert nicht nur die Effizienz der Lungen, sondern regt den Körper auch an, etwaige kleine Probleme in den Lungen besser zu regenerieren. Man weiß sogar, dass sanftes Ausdauertraining die Wahrscheinlichkeit von Erkältungen reduziert und die Geschwindigkeit des Heilungsprozesses bei einer Erkältung erhöht. Aber auch chronische Bronchitis und weitere Lungenprobleme werden durch Ausdauertraining positiv beeinflusst. Man kann zwar nicht sagen, dass wir keine Lungenprobleme bekommen, wenn wir Ausdauertraining machen, aber die Wahrscheinlichkeit dafür reduziert sich. Und man weiß heute, dass bei fast allen Lungenproblemen Ausdauertraining positiv wirkt, wenn man es richtig macht.

Eine weitere Auswirkung des Herz-Kreislauf-Trainings betrifft auf das Herz selbst. Jemand, der regelmäßig Ausdauertraining macht, trainiert sein Herz. Die Herzeffizienz steigt und die Wahrscheinlichkeit vieler Herzprobleme reduziert sich.

 

Ausdauertraining verbessert auch die Effizienz der Arterien. Menschen, die Ausdauertraining machen, leiden weniger unter Arteriosklerose, haben bessere Blutfettwerte, insgesamt bessere Blutwerte und eine gesunkene Wahrscheinlichkeit von Krampfadern.

Doch nicht nur diese primären Systeme werden gefördert, sondern es steigt auch die Sauerstoffaufnahmefähigkeit in den Muskeln. Die Effizienz des Gasaustausches und des Nährstoffaustausches in den Kapillargefäßen verbessert sich. Weil beispielsweise auch Glukose verbrennt oder Triglyceride verwendet werden, hat Ausdauertraining auch positive Auswirkungen auf den Blutzucker, den Fettwert, usw. Ausdauertraining kann die Wahrscheinlichkeit für Diabetes senken und eine beginnende Diabetes sogar rückläufig machen.

Ausdauertraining hat auch eine Auswirkung auf den Gesamtorganismus, weil es den Puls steigert, die Fließgeschwindigkeit des Blutes erhöht und damit den Organismus besser mit Nährstoffen versorgt.

Außerdem weiß man inzwischen, dass regelmäßiges Ausdauertraining eine positive Auswirkung auf die Psyche hat und zum Beispiel gegen Depressivität, Angststörungen und Selbstzweifel hilft. Es gibt sogar Psychotherapeuten, die ihren Klienten raten, zunächst Sport und Ausdauertraining zu machen, bevor eine Psychotherapie wirklich gut wirken kann. In modernen psychosomatischen Kliniken gehört sportliches Training immer auch zur Behandlung.

Selbst Magen-Darm-Probleme, Rheuma, Weichteilrheuma, Fibromyalgie und verschiedene Autoimmunerkrankungen können durch Ausdauertraining reduziert werden, wie eine Fülle von Studien zeigt.

 

(Fortsetzung folgt)

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Leistungssport und Gesundheitssport

Yoga als optimales sportliches Training kultiviert die Fertigkeiten, die es braucht, um gesund zu sein. Yoga ist somit kein Leistungssport – da gibt es andere Sportarten, die unsere körperliche Leistungsfähigkeit stärker entwickeln können – sondern ein Gesundheitssport: Yoga trainiert unsere Fähigkeiten in dem Maße, wie es für die Gesundheit notwendig ist.

Etwas Training ist schon sehr gut für die körperliche und psychische Gesundheit gegenüber gar keinem Training. Mehr Training jedoch nur bis zu einem bestimmten Punkt. Denn irgendwann ist eine zusätzliche Entwicklung der körperlichen Fertigkeiten nicht mehr positiv für die Gesundheit. Es gibt sogar das sogenannte Gesetz der abnehmenden Erträge, welches besagt: Etwas Training ist gut und noch mehr Training hat weniger Wirkung.

Um zusätzliche Top-Leistungen abzurufen ist manchmal ein körperliches Training notwendig, das gesundheitsschädlich ist. Oder Sportler nehmen sogar Stoffe zu sich, die gesundheitsschädlich sind. So sind zum Beispiel eine Reihe von Olympiaspielern im Alter von 60 Jahren nicht die gesündesten Menschen. Dagegen gibt es Menschen, die einen einfachen Sport treiben und gesünder sind als die Olympiasieger. Das gilt nicht für alle Disziplinen, aber man kann sagen, dass Leistungssportler nicht unbedingt die Gesündesten sind, wohingegen die Gesundheitssportler gesünder sind sowohl als die, die gar keinem Training nachgehen, als auch als die Leistungssportler.

 

Trainierte physiologische Fähigkeiten im Yoga

Yoga ist eben kein Leistungssport, sondern ein Gesundheitssport. Mithilfe von Yoga können wir die Ausdauer, Muskelkraft, Flexibilität und Koordination trainieren.

Ausdauer ist eine Funktion von Herz-Kreislauf-System, Lungensystem und letztlich auch vom Muskelsystem. Ausdauer bedeutet, wie gut man über einen längeren Zeitraum laufen, walken oder schwimmen kann. Das Ausdauertraining hat sich als ganz besonders hilfreich erwiesen für die körperliche und psychische Gesundheit.

Muskelkraft besagt, wie stark die einzelnen Muskeln sind. Man hat festgestellt, dass Menschen, die Krafttraining machen, gesünder sind als andere. Sie haben weniger Neigungen zu Gelenkproblemen, Übergewicht und hohem Cholesterin. Und auch die Psyche profitiert von stärkeren Muskeln.

 

Flexibilität heißt, wie flexibel die Muskeln und Gelenke sind. Auch hier gilt: Menschen, die ihre Flexibilität trainieren, sind körperlich und psychisch gesünder.

Koordination ist die Fähigkeit, mit dem Körper die Bewegungen zu machen, die man will. Dabei gibt es Gleichgewichtsübungen und einfache Koordinationsübungen (z.B. die Hände auseinander zu geben und dann die Zeigefinger sich berühren zu lassen). Die Koordinationsfähigkeit ist insbesondere wichtig für die Nerven, für die Gesundheit der Psyche und zur Vermeidung von chronischen Schmerzen.

 

Yoga als optimaler Gesundheitssport

Es gilt also Ausdauer, Muskelkraft, Flexibilität und Koordination zu trainieren. Das Schöne am Yoga ist, dass es alle vier Komponenten trainiert – und das in einem für die Gesundheit ausreichendem Maße. Das macht Yoga zu einem optimalen Gesundheitssport.

Hinzu kommt, dass Yoga Spaß und Freude macht und auf vielfältige Weise geübt werden kann: drinnen und draußen, im Sommer und im Winter, alleine und mit anderen, unter Anleitung oder ohne fremde Anleitung, usw. Außerdem ist Yoga für alle Menschen zugänglich, seien es Kinder, Erwachsene oder Senioren.

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Wer Yoga übt, ist gesünder als jemand, der kein Yoga übt. Und bei nahezu jeder körperlichen oder psychischen Beschwerde hat Yoga einen positiven Einfluss. Das hat die empirische Forschung gezeigt. Dazu gibt es mehrere schulmedizinische und yogische Erklärungsmodelle. Zum Beispiel kultiviert Yoga innere Einstellungen, die die psychische Resilienz verbessern. Aber Hatha Yoga ist auch Sport und hat einen Einfluss auf die körperliche Leistungsfähigkeit.

Die letzten 30 Jahre haben gezeigt, dass Sport sehr gesund für uns ist. Menschen, die sich kaum bewegen und solche, die einer sitzenden Tätigkeit nachgehen, haben alle möglichen Erkrankungen. Menschen, die mehrmals pro Woche Sport treiben, haben weniger Erkrankungen und sind gesünder.

Hatha Yoga ist kein Leistungssport, kein Wettbewerbssport, auch keine olympische Disziplin. Hatha Yoga ist ein effektives Körperübungssystem. Hatha Yoga ist Sport im Sinne von Koordinationstraining, Flexibilitätstraining, Muskelkrafttraining und auch Ausdauertraining.

Natürlich ist Hatha Yoga mehr als sportliches Training. Yoga ist auch Entspannungstraining, Yoga Energietraining, psychisches Training und auch eine spirituelle Praxis. Aber Hatha Yoga ist eben auch Sport, sogar ein optimaler Gesundheitssport.

 

Das allgemeine Anpassungsprinzip

Das allgemeine Anpassungsprinzip besagt: Der Mensch ist ein Organismus, der sich an die Herausforderungen seiner Umwelt anpasst – entweder durch Kultivierung oder durch Verlust von Fertigkeiten.

Angenommen du bist Teilnehmer einer Yogalehrerausbildung und dir wird gesagt, dass du bis zur Prüfung zweihundert Sanskrit-Ausdrücke kennen solltest. Wahrscheinlich bist du erstmal alarmiert, fängst an zu lernen und hast das Gefühl, es ginge nichts mehr in den Kopf hinein (Widerstand). Du machst weiter und stellst fest: Es geht sogar gut, du kannst recht viele Sanskrit-Ausdrücke lernen – und die Fähigkeit, diese zu lernen, entwickelt sich wunderbar.

Wenn du es jedoch mit dem Lernen übertreibst und vielleicht nicht ausreichend schläfst, dann kann es zu einem  kleinen Zusammenbruch kommen und du verlierst die ganze Lust daran. In der Regel aber gilt der Grundsatz: Wenn eine neue Fertigkeit gefordert wird, bist du zunächst alarmiert, es gibt einen Widerstand, doch im Lauf der Zeit entwickelst du diese Fertigkeit.

Wenn du als Kind ein guter Sportler warst, jedoch irgendwann eine sitzend arbeitest und aufgehört hast, dich sportlich zu betätigen, dann sind deine sportlichen Fertigkeiten gesunken. Du hast kaum noch Ausdauer, weniger Kraft, usw. Was du nicht tust, verfällt als Fertigkeit. Das schöne ist aber, dass du die Fertigkeit von Neuem kultivieren kannst.

Trainingsreiz, Regenerationszeit und Hyperkompensation für mehr Kraft

Dieses allgemeine Anpassungsprinzip tritt in der sportlichen Trainingslehre als die Lehre von Trainingsreiz, Regenerationszeit und Hyperkompensation auf.

Wenn du eine Fertigkeit kultivieren willst, gilt es, einen bestimmten Trainingsreiz zu setzen. Dein Körper oder deine Psyche braucht eine bestimmte Zeit, sich daran anzupassen und die Fertigkeit zu kultivieren – das ist die Regenerationszeit. Anschließend entsteht eine sogenannte Hyperkompensation, d.h. die Fertigkeit kultiviert sich.

 

Angenommen du übst eine Variation von Navasana (Boot), dann ist das Ausüben dieser Bauchmuskelübung ein Trainingsreiz. Die Muskeln werden nicht stärker, während du die Übung machst, sondern es entsteht ein Trainingsreiz, der dafür sorgt, dass in den darauf folgenden ein bis zwei Tagen Regenerationszeit der Körper die Bauchmuskeln stärkt. Das führt dann im Sinne einer Hyperkompensation dazu, dass du zwei Tage später stärkere Bauchmuskeln hast.

Angenommen du übst die Heuschrecke. Während du die Übung ausführst, ist sie anstrengend, es werden jedoch nicht unmittelbar Muskeln gestärkt, sondern du übst einen Trainingsreiz aus. Und danach, in einer Regenerationszeit, wird der Körper seine Hyperkompensation ausführen und deine Rückenmuskeln stärken.

So wirst du feststellen, dass Anfänger in der zweiten oder dritten Woche eines Yogakurses große Schwierigkeiten haben, die Heuschrecke auszuführen. Doch schon in der fünften Woche geht es etwas besser. Und Menschen, die ein Mal pro Woche die Heuschrecke üben, werden sie nach zwei bis drei Monaten relativ gut hinkriegen, auch wenn sie sie 20-30 Sekunden halten müssen.

Trainingsreiz, Regenerationszeit und Hyperkompensation für mehr Flexibilität

Angenommen, jemand hat jahrelang keine Dehnübungen gemacht und stellt nun in der halben Vorwärtsbeuge fest, dass er nur ans Kniegelenk fassen kann. Wenn er dann die Übung zum Beispiel 30 Sekunden lang hält, setzt er einen Trainingsreiz. Er wird nicht flexibel, während er die Stellung hält, sondern in den nächsten 24 Stunden Regenerationszeit, in dem der Körper seine Anpassungsleistung vollbringt. Schließlich wird das Muskelgewebe flexibler und dadurch kann man weiter nach vorne kommen.

 

Wichtig zu verstehen ist, dass es eine gewisse Zeit braucht, bis man die Anpassungsleistungen bekommt. Man weiß zum Beispiel, dass Menschen, die zweimal pro Tag intensives Krafttraining absolvieren, weniger Fortschritte machen als Menschen, die nur alle zwei bis drei Tage intensives Krafttraining machen. Gerade beim intensiven Krafttraining braucht es eine längere Regenerationszeit. Wenn man in der Regenerationszeit zu zügig einen neuen Trainingsreiz setzt, kann es zur sogenannten Überforderung kommen. Dann steigt die Verletzungsanfälligkeit und der Körper weigert sich, die Anpassungsleistungen zu vollbringen.

So ist es hilfreich zu wissen, welche Trainingsarten es gibt, was ein optimaler Trainingsreiz ist, wie lange die Regenerationszeit bei verschiedenen Trainingsreizen ist und welche Anpassungsleistungen der Körper dabei erbringt.

 

(Fortsetzung folgt)

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

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Stress beruht auf dem allgemeinen Anpassungsprinzip: Der Mensch ist ein Organismus, der sich auf die Herausforderungen der Umwelt einstellt. Auf neue Herausforderungen reagiert er in den Phasen Alarm, Widerstand, Anpassung oder – wenn die Anpassung nicht gelingt – Zusammenbruch. Wenn eine außergewöhnliche Beanspruchung kommt, wird der Mensch alarmiert, Stresshormone werden ausgeschüttet, der Blutkreislauf kommt in Gang und der Mensch hat nun die Möglichkeit zu fliehen oder zu kämpfen. Wenn diese Belastung anhält, geht der Mensch in den Widerstand und sagt: „Das will ich nicht!“ Oder: „Das geht nicht!“ Oder der Körper und der Organismus können es nicht. Danach folgt schließlich die Anpassung, in der Körper und Psyche die Fähigkeiten entwickeln, die notwendig sind, um mit der Herausforderung umzugehen. Ist die Herausforderung jedoch zu stark, kann der entsprechende Teil des Organismus zusammenbrechen.

 

Zwei Beispiele für die Anpassungsfähigkeit unseres Organismus

Ein Beispiel: Wenn du im Winter in die Kälte hinaus gehst und nur mit einem T-Shirt bekleidet bist, wird zunächst dein Körper alarmiert sein: Es fühlt sich kalt an und du willst schnell wieder zurück ins Haus, um dir etwas anzuziehen. Angenommen du bleibst trotzdem draußen, dann stellt sich ein inneres Unwohlsein ein. Das Gefühl kommt auf, dass etwas nicht richtig ist. Wenn du dann immer noch draußen bleibt, entwickelt dein Körper Gänsehaut, dein Kreislauf kommt in Gang, die Haut wird besser durchblutet und du stellst fest, dass es gar nicht so schlimm ist. Wenn du jeden Tag in die Kälte hinaus gehst, zunächst eine Viertelstunde und das dann langsam steigerst, wirst du irgendwann feststellen, dass du auch bei null Grad im T-Shirt hinausgehen kannst. Dein Körper hat eine bessere Temperaturregulierung entwickelt.

Allerdings kann es auch sein, dass dein Körper nicht dazu in der Lage ist, sich an die Kälte anzupassen und es dadurch negative Auswirkungen gibt. Gehst du bei minus zehn Grad im T-Shirt raus, dann wird dein Körper wieder alarmiert sein. Du verspürst Ängste und willst schnell wieder ins Warme. Bleibst du weiterhin draußen, reagiert dein Organismus mit Widerstand und Unwohlsein. Vielleicht wird der Körper vorübergehend etwas wärmer, aber irgendwann wirst du erfrieren – es kommt zum Zusammenbruch.

 

Ein anderes Beispiel: Ein Langzeitarbeitsloser findet wieder Arbeit. Zunächst ist er aufgeregt, freut sich über den Job, geht dorthin. Aber nach ein paar Tagen erlebt er Erschöpfung, Müdigkeit und Kopfschmerzen. Der Organismus ist es nicht mehr gewohnt, acht Stunden am Tag zu arbeiten, fremdbestimmt zu sein und Dinge schneller machen zu müssen als er kann. Es regt sich innerer Widerstand in Organismus und Psyche. In den meisten Fällen folgt nach einer Weile die Anpassung: Er stellt fest, dass es doch geht, Kopfschmerzen und Müdigkeitsgefühl gehen zurück, es kommt zur Anpassung. Wenn es aber ein Job ist, der dem Menschen nicht angemessen ist und ihn überfordert, kann es irgendwann zum Zusammenbruch und damit einhergehenden Erkrankungen kommen.

 

Die Phasen des allgemeinen Anpassungsprinzips

Es kann hilfreich sein, wenn du dieses allgemeine Anpassungsprinzip kennst, um bei Stress im Alltag einzuschätzen, in welcher Phase du dich befindest: Entweder die Alarmphase, die wieder vorübergeht. Oder die Widerstandsphase, weil Fähigkeiten gebraucht werden, die momentan nicht zur Verfügung stehen. Oder die Anpassung, wenn diese Fähigkeiten entwickelt wurden bzw. der drohende Zusammenbruch, wenn es doch zu viel wird.

Manche Menschen verwechseln den Alarm gleich mit einem beginnenden Burn-out, andere verwechseln die Widerstandsphase mit der Vorstellung, sie seien im Stress, und ermöglichen es somit gar nicht, dass ihr Organismus die Fähigkeiten entwickelt, die sie brauchen. Umgekehrt gibt es aber auch manche Menschen, die ihren Körper und Geist ständig mit neuen Herausforderungen beanspruchen und ihm nicht genügend Zeit geben, die notwendigen Fähigkeiten zu entwickeln. Diese Menschen können dann irgendwann zusammenbrechen.

Die Kenntnis des allgemeinen Anpassungsprinzips ist hier hilfreich, ebenso wie eine regelmäßig Hatha Yoga Praxis.

 

Hatha Yoga für mehr psychische Resilienz

Hatha Yoga unterstützt uns Menschen dabei, mehr in der Gegenwart zu leben. Wenn du eine neue Herausforderung erlebst, hilft dir Hatha Yoga dabei, nicht gleich in negatives Denken, Schwarzmalerei, Befürchtungen und Ängste zu verfallen. (Alarm kann ja auch positiv erlebt werden: Es ist etwas Aufregendes, Energie wird frei.)

Menschen, die Hatha Yoga üben, sind mehr im Hier und Jetzt. Neue Herausforderungen werden sie nicht gleich zu sehr durcheinander bringen. Wenn jemand in der Widerstandsphase ist und durch eine neue Herausforderung Kopfschmerzen oder Müdigkeit erlebt, dem hilft Yoga dabei, den Organismus stärker zu machen, Kopfschmerzen und Müdigkeit zu reduzieren. Yoga hilft auch dabei, eine innere Bewusstheit zu schaffen, psychischen Widerstand zu reduzieren und sich so anzunehmen, wie man ist.

Hatha Yoga hilft außerdem dabei, dass man sich zügiger an eine neue Situation anpassen kann. Beispielsweise durch die Tiefenentspannung. Man weiß: Menschen, die Entspannungsübungen praktizieren, können besser lernen. Sie können schnellere Fortschritte im sportlichen Training machen. Und sie können sich schneller an neue Situationen anpassen. Hatha Yoga hilft der Regenerationsfähigkeit des Organismus und unterstützt uns daher, besser in die Anpassung zu kommen und die Fähigkeiten zu entwickeln, die für die Herausforderungen unseres Alltags notwendig sind.

Hatha Yoga hilft auch, sich bewusster zu sein, einen drohenden Zusammenbruch zu erkennen und sich schneller dort herauszuholen. Gerade dadurch, dass Hatha Yoga gegen ein zu hohes Anspruchsniveau hilft, lernt der Mensch, weniger auf innere Antreiber zu hören, weniger darauf zu hören, was noch alles zu tun ist, sondern sich bewusster zu machen, wann sein Organismus Ruhe braucht. Und gerade weil Menschen, die regelmäßig Hatha Yoga üben, ein größeres Bewusstsein haben für ihre eigenen Bedürfnisse, haben sie eine weniger große Neigung, bis in den Zusammenbruch zu gehen.

Hatha Yoga hilft also, nicht so schnell über Stress krank zu werden, auch weil es Einfluss auf die Phasen des allgemeinen Anpassungsprinzips hat.

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

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Yoga lehrt dich, dass es hilft, die Sachen entspannt anzugehen, um sich wohler zu fühlen, mehr Kraft zu haben und somit etwas bewirken zu können. Du musst nicht krankhaft besser sein als andere. Du musst auch nicht im Wettbewerb mit dir selber stehen.

So hilft Yoga entspannt zu sein. Die empirische Forschung zeigt auch, dass Menschen die regelmäßig Hatha Yoga üben entspannter sind. In mancherlei Hinsicht ist es auch gut ein hohes Anspruchsniveau zu haben, aber du musst es nicht überall haben.

Manchmal ist es gut die gesamte Energie in eine Richtung zubringen. Manchmal ist es gut hohe Ziele zu haben. Aber oft kannst du auch sagen: Gut genug ist gut genug. Und was Heute geht, geht heute und der Rest geht morgen. Und nicht Ich muss die Welt retten, ich überlasse es auch Gott. Was heute nicht kommt, kommt die nächsten Tage. So hilft Hatha Yoga an sich besser mit Stress umzugehen.

 

Natürlich hilft die spirituelle Lebenseinstellung des Yoga. Man hat noch mehr Techniken zur Verfügung, um mit zu hohem Anspruchsniveau umzugehen. Zunächst kannst du sagen, dass dein zu hohes Anspruchsniveau letztlich ein Streben nach Vollkommenheit ist. Du weißt, dass du erst Zufriedenheit erlangen wirst, wenn du die Gottverwirklichung erreicht hast, Nirwana, die Selbstverwirklichung, die Befreiung erreicht hast.

Du weißt also, dass dein hohes Anspruchsniveau nie zufrieden sein wird, egal was man erreicht. Das ist auch gut so. Der Anspruch hält dich auch demütig, denn du wirst niemals denken, dass du großartig bist, weil es immer mehr geht. In diesem Sinne kann dir ein hohes Anspruchsniveau spirituell hilfreich sein.

Indem du es akzeptierst und mit einer gewissen Selbstreflexion herangehst, kann dir dein Anspruch helfen an dir zu arbeiten, dir bewusst machen, demütig zu bleiben und dich von der Identifikation lösen. Ansonsten hast du im Hinterkopf, dass die Vollkommenheit auf der physischen Ebene nicht möglich ist. Es gibt immer Menschen, die etwas besser machen als du und welche die es schlechter machen. Vollkommenheit ist weder physisch noch psychisch möglich, das gibt es nur in Gott.

Wenn du unterrichtest, ist es wichtig den Teilnehmern kein zu hohes Anspruchsniveau zu vermitteln. Sie sollen nicht gestresst versuchen, den Kopfstand so schnell wie möglich zu lernen. Es ist auch wichtig die Teilnehmer im Maße zu fordern. Zum Beispiel den Handstand zu erlernen und die Heuschrecke 1 Minute zu halten. Die Teilnehmer sollten, aber nicht das Gefühl vermittelt bekommen, dass sie es müssten. Sei zufrieden, wie es jetzt geht und übe und genieße die Übung so, wie es jetzt geht.

 

Wenn du vielleicht den Knöchel verstaucht hast und es dir nicht möglich ist den Sonnengruß normal zu machen, dann ist es auch gut. Wenn du ein Hexenschuss hattest und jetzt mit Yoga anfängst, dann übst du die Yogaübungen etwas anders, was genau so auch in Ordnung ist.

Falls du einen Körper hast, der etwas steifer ist, wirst du vielleicht in der Vorwärtsbeuge die Beine nie auf die Oberschenkel kriegen. Das ist auch nicht notwendig. Übe so wie du kannst und stelle fest, dass Prana, die Lebensenergie trotzdem spürbar sein wird. Du wirst trotzdem Energie haben. Es kommt nicht darauf an was du machst, sondern dass du es machst. Du bemühst dich es entspannt, mit fließender Atmung und Bewusstsein zu machen. Diese Einstellung gilt es in der Yogastunde zu vermitteln.

Wenn du Yogalehrende bist, oder wirst, dann arbeite daran, dass du zwar deine Teilnehmenden motivierst an sich zu arbeiten, aber sie nicht in Stress versetzt. Manchmal hilft dabei Humor und manchmal eine sanfte Stellung in einer fortgeschrittenen Gruppe üben zu lassen.

Eine kleine Anekdote: Es gab eine Teilnehmende, die an einem Asana Intensiv Kurs mitmachen wollte, welches ich unterrichtet hatte. Ein einwöchiges Asana intensiv, bei dem man 6 Stunden am Tag Asanas übt, also ein intensives Seminar. Die Frau hatte sich sehr darauf gefreut, aber eine Woche davor ist sie gestürzt und hat sich verletzt. Sie hat mich angerufen und weinend gesagt, dass sie stornieren muss. Ich habe sie gefragt, was genau passiert sei und wie ihr physischer Zustand momentan sei. Und es stellte sich heraus, dass es gar nicht so schlimm war und sie noch Einiges an Praxis machen konnte.

 

Ich habe ihr gesagt, dass der Sinn des Sturzes vielleicht darin liegt auch mal entspannt an sich zu arbeiten, ohne zu denken, besser sein zu müssen. Ohne nach Durchbrucherlebnissen zu streben, sondern den Körper und die Möglichkeiten so annehmen, wie sie sind. Sie hatte das Asana intensiv dann mitgemacht und konnte eine Reihe von Stellungen nicht so perfekt machen, wie sie gehofft hatte. Sie hatte also keine körperlichen Durchbrucherlebnisse, aber sie sagte, dass sie sich noch nie im Yoga so gut gefühlt hatte, wie in dieser Woche. Die Frau hatte gelernt, dass sie nicht immer fortgeschrittener sein muss, sondern in jeder Asana überlegt, was für sie und ihren Körper jetzt das Beste wäre. Das hatte ihr die tollste Erfahrung ihres Lebens gebracht.

Ein paar Monate später hatte sie mir gesagt, dass sie seitdem eine viel beliebtere Yogalehrerin geworden ist. Sie konnte sich nun besser in andere hineinfühlen.

In diesem Sinne lerne mit hohem Anspruchsniveau umzugehen, sei entspannt in der Stellung und lass deine Teilnehmer entspannen und bewusst sein. So werden sich die Teilnehmer auch in ihrem Alltag immer wohler fühlen.

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

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Umgang mit hohem Anspruchsniveau – Hatha Yoga für bessere Resilienz

Geistige Einstellung und Stressmanagement

Dieser Beitrag ist aus der Reihe „Warum hilft Hatha Yoga?“ Die Empirische Forschung zeigt, dass Menschen, die Hatha Yoga üben, weniger leiden, weniger Stress und eine bessere psychische Gesundheit haben.

Die Frage ist: Warum ist das so?

 

Einer der Gründe ist, dass Hatha Yoga psychische Einstellungen, die im Alltag helfen (Entspannung, Engagement und Freude) trainiert.

Es gibt einige Faktoren, die sich in der empirischen Stressforschung, als nicht hilfreich gezeigt haben. Die psychische Resilienz reduzieren. Dazu gehört das zu hohe Anspruchsniveau. Man weiß, dass Menschen mit einer Neigung zu Burnout ein sehr hohes Anspruchsniveau haben.

Manche Menschen haben eine Neigung ihr Anspruchsniveau zu erhöhen und fühlen sich somit fast immer als Versager. Manche Menschen denken: Nur dann, wenn ich jedes Jahr eine große Gehaltserhöhung habe, ist es gut. Oder: Nur wenn ich jedes Jahr 10 % mehr Umsatz erwirtschafte, ist es gut.

Menschen haben eine Neigung zu einem zu hohen Anspruchsniveau, rennen etwas hinterher ohne es zu erreichen und fühlen sich ständig als Versager. Selbst wenn andere Menschen denken, dass dieser Mensch sehr erfolgreich ist, hat der Mensch subjektiv trotzdem das Gefühl ein Versager zu sein. Wenn dann tatsächlich eine Schwierigkeit dazu kommt, dann erscheint das als absolute Katastrophe.

So ist es wichtig, erstmal zu erkennen, dass man ein hohes Anspruchsniveau hat und sich nicht davon beherrschen zu lassen. Hier hilft die Übung aus dem Hatha Yoga. Manche Menschen haben am Anfang die schönen Fotos von den Stellungen im Kopf. Sie sehen diese Bücher. In unseren Büchern in unserem Verlag sind auch Menschen abgebildet, die, die Übungen sehr gut machen. So könntest du dir dadurch ein zu hohes Anspruchsniveau zu legen und denken, dass diese Übungen bei dir genauso aussehen müssen.

Wenn du so denkst, dann setzt du dich unter Stress. Es ist ein Charakteristikum bei Yoga besonders bei uns bei Yoga Vidya, dass du das eben nicht machst. In der ersten Yogastunde lernst du, dass es nicht darauf ankommt eine Yogastellung nachzuahmen. Und dass es nicht heißt, sehr gut sein zu müssen, um vollkommen zu sein. Es heißt: Du machst die Übung so gut, wie du es kannst!

Wenn du bei der Anfangsentspannung merkst, dass der untere Rücken sich unangenehm anfühlt, dann wirst du die Knie beugen. Und wenn der Nacken sich unangenehm anfühlt, dann kannst du dir auch eine Nackenrolle aus einer Decke machen.

Es kommt nicht darauf an, dass du eine Äußere Vollkommenheit hast, sondern du hörst auf dich selbst und machst es genauso gut, wie du es jetzt machen kannst. Du akzeptierst auch in der Anfangsentspannung, dass du nicht ganz so entspannt bist, wie du es vielleicht gerne hättest. Manchmal kann es passierten, dass trotz deiner bewussten Atmung deine Augenlider etwas pulsieren, oder dass du merkst, dass dein Zeigefinger sich bewegt. Es kommt auch vor, dass die Gedanken unruhig sind.

 

Im Hatha Yoga lernst du, dass es keine Rolle spielt. Gedanken können kommen und das ist irrelevant. Du atmest mit dem Bauch tief ein und aus. Du magst etwas Verspannung in der Schulter spüren, dann kannst du sie zu den Ohren ziehen und loslassen, vielleicht merkst du wie die Verspannungen langsam verschwinden. Oder du nimmst die Verspannung einfach zur Kenntnis. Somit fühlst du dich in der Anfangsentspannung, trotz vielleicht vorhandener Anspannung wohl.

Wenn du den Sonnengruß macht, kommt es auch nicht darauf an, dass du ihn vollkommen machst, sondern so wie du es kannst. Auch bei Kapalabhati hältst du die Luft nur so lange an, wie es entspannt machbar ist. Und auch in der Wechselatmung kommt es nicht darauf an, dass du möglichst fortgeschritten praktizierst, sondern dir überlegst, welcher Rhythmus sich heute stimmig anfühlt. Versuche nicht ein Ziel zu haben, der dir Druck und Stress macht.

Es kommt nicht darauf an, dass du den Kopfstand länger hältst, als gestern, oder dass du den Kopfstand können musst, sondern du hörst auf deinen Körper und deine Bedürfnisse. Indem du bewusst neugierig bist, dich fragst, was dein Körper heute kann und braucht, wirst du dich automatisch von einem zu hohen Anspruch lösen.

Es gibt Menschen, die sagen, dass sie kein Yoga üben, weil sie zu steif dafür sind. Aber dadurch, dass sie nicht praktizieren, werden sie nicht flexibler. Aber sie denken, dass sie flexibel sein müssen, um Yoga zu praktizieren.

 

Nein! Das muss man nicht! Du kannst sehr seif sein und trotzdem Yoga machen. Du musst auch nicht flexibler werden. Und das Anspruchsniveau haben, dass wenn du schon Yoga übst, du auch die Endstellung erreichen musst. Nein das musst du nicht! Es gibt genug Übungen, die dir guttun.

In der Entspannung musst du auch nicht 100 % entspannt sein, dies ist keine Notwendigkeit. Du übst einfach die Technik: Anspannen und Loslassen, tiefe Bauchatmung, Affirmation, Visualisierung und zum Schluss Stille. Wenn du zwischen durch Gedanken vom Alltag kommen, dann macht es nichts.

Selbst wenn du nicht vollkommen abgeschaltet hast, wirst du trotzdem am Ende feststellen, dass du mehr Energie hast und dich besser fühlst. Selbst wenn du nach einer Yogastunde nicht voller Freude bist, dann ist es auch in Ordnung, denn es gibt keine Notwendigkeit. Habe kein zu hohes Anspruchsniveau.

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

 

 

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YVS322-3 - Umgang mit Schwarzmalerei (Teil 3)

Hatha Yoga hilft also aus verschiedenen Gründen, Schwarzmalerei zu überwinden:

Das Bewusstsein im Hier und Jetzt.

Das Erfahren von Energie und Lebensfreude, auch unabhängig von äußeren Ereignissen.

Die Erfahrung, aus negativen Gemütszuständen ohne großen Aufwand gesund wieder herauszukommen.

Die innere Gewissheit: es braucht nicht viel – und deshalb brauche ich auch keine Ängste zu haben.

Man könnte auch sagen: Hatha Yoga hilft während der anderthalb Stunden mit seinem Geist positiv umzugehen – was auch helfen kann, mit dem Alltag positiv umzugehen. Wenn du weißt, dass du dich in der Hatha Yoga Stunde bloß auf deinen Atem konzentrieren brauchst, kannst du dich auch im Alltag einfach wieder auf den Atem konzentrieren, wenn deine Fantasien losgehen. Wenn du merkst, dass Ängste dir die Kehle zuschnüren, weißt du, dass du bloß tief in den Bauch atmen brauchst, damit es vorbei ist. Und wenn negative Gedanken stark werden, weißt du, dass du dich bloß aufrichten brauchst; vielleicht lächelst du, gehst in die Rückbeuge oder konzentrierst dich auf dein Herz, um wieder mutig und weit zu werden. Oder du wendest die Energiefeldübung Kavacham an, schon sind die Ängste vorbei, die Schwarzmalerei spielt keine so große Rolle mehr.

Spirituelle Einstellung und Schwarzmalerei

Zusätzlich zum Hatha Yoga vermittelt Yoga auch Lebenseinstellungen, spirituelle Einstellungen und Fähigkeiten, mit sich selbst umzugehen. Zum einen gibt es dort das Vertrauen ins Karma und das Vertrauen in den Sinn des Lebens. Wenn du dich etwas mit Karma und den spirituellen Aspekten des Yoga beschäftigt hast, weißt du: Es geschieht, was geschehen soll. Und was auch immer geschieht, ist hilfreich, damit du dich spirituell entwickeln kannst. Daher brauchst du keine Angst zu haben, wenn Dinge nicht gut gehen. Letztlich weißt du sogar, auch wenn etwas mit deinem physischen Tod endet, der physische Tod ist nicht das Ende – es gibt ein Leben danach. Vom Bhakti Yoga Standpunkt aus ist hinter allem die Gnade Gottes. Darauf kannst du vertrauen: Gott meint es gut zu dir und gut mit dir. Selbst wenn er dir schwere Aufgaben gibt, wird es trotzdem nicht so schlimm sein.

 

Eine paradoxe Technik im Umgang mit Schwarzmalerei fordert dich auf, die schwarzmalerischen Gedanken einfach mal zu Ende zu denken: „Der Chef hat mich eben zurechtgewiesen. Eventuell heißt das, er will mich loswerden. Dann werde ich den Job verlieren. Und vielleicht muss ich dann von Arbeitslosengeld leben. Dann kann ich mir das Auto und die Wohnung nicht mehr leisten. Eventuell wird mich der Vermieter hinauswerfen. Vielleicht verlässt meine Frau mich. Und ich kann mich nicht mehr um die Kinder kümmern. Ich werde in Deutschland nicht auf der Straße landen, aber vermutlich muss ich mich dann mit einer Einzimmerwohnung zufriedengeben und hab dann mehr Zeit zum Yoga.“ Das Schlimmste, was also passieren kann: Du hast mehr Zeit für Yoga.

Oder: „Eventuell ist das kleine Ziehen im Oberbauch ein Zeichen für Leberkrebs. Eventuell werde ich demnächst sterben. Und eventuell werde ich dann von diesem physischen Körper befreit sein und in der Astralebene sein.“ Was macht das?

 

Die Aussage des Yoga: Was auch immer kommt, ist gut für dich. Was auch immer kommt, hilft dir bei deiner spirituellen Entwicklung. Du bist nicht der Körper, sondern das unsterbliche Selbst. Das zeigt dir: Es gibt nichts, was so schlimm ist, dass es wirklich katastrophal wäre. Du könntest also einmal die Schwarzmalerei zu Ende führe und darüber lachen. Und danach sagen: Das Schlimmste, was passieren könnte, ist nicht schlimm: „Wahrscheinlich ist das Ziehen im Oberbauch eine Verspannung des Zwerchfells. Ich werde ein paar Mal durchatmen und alles ist in Ordnung.“

Sowohl die Übung des Hatha Yoga als auch eine spirituelle Einstellung helfen dir dabei, mit Schwarzmalerei anders umzugehen, weniger davon beeindruckt zu werden und keine Angst mehr vor der Zukunft und den unrealistischen Fantasien davon zu haben. Überlege selbst: Hast du eine gewisse Neigung zur Schwarzmalerei? Wie hat dir Yoga dabei geholfen oder wie könntest du Yoga noch mehr dazu nutzen, diese Neigung zu überwinden? Spielst du deine schwarzmalerischen Fantasien auch mal zu Ende und übertreibst sie, um zu merken, dass in Wirklichkeit nichts Schlimmes passieren kann?

 

Yoga unterrichten ohne Schwarzmalerei

Wenn du unterrichtest, halte dich auch fern von Schwarzmalerei gegenüber deinen Schülern. Sage deinem Schüler nicht: „Wenn du die Übung so machst, wirst du irgendwann deinen Rücken ruinieren.“ Oder: „Mach du nur so weiter, dann wirst du einen steifen Nacken kriegen.“ Überlege, ob du selbst deinen Schülern Anlass zur Schwarzmalerei gibst und mache es bitte nicht.

Swami Vishnu-devananda hat immer gesagt: „Sei positiv, sei bestärkend, aber verbreite keine Ängste bei deinen Teilnehmenden.“ Und so sollten auch Yogalehrende sich immer wieder fragen: Mache ich selbst negative Affirmationen? Bin ich selbst jemand, der vorhandene Neigungen zur Schwarzmalerei bei den Teilnehmenden stärkt? Bitte mache das nicht.

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

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YVS322-2 - Umgang mit Schwarzmalerei (Teil 2)

Hatha Yoga heißt, du übst Asana, Pranayama und Tiefenentspannung. Wenn du diese übst, dann lernst du auch, dich von Schwarzmalerei nicht beeinflussen zu lassen. Wie funktioniert das?

Zum einen, indem du in der Gegenwart bist. Wenn du anderthalb Stunden Hatha Yoga übst, hast du anderthalb Stunden Training darin, im Hier und Jetzt zu sein. Ein guter Yogalehrer oder eine gute Yogalehrerin wird dir ständig neue Konzentrationshilfen geben, die dir zeigen, dass du ins hier-und-Jetzt kommen sollst. Du spürst die Atmung, die Entspannung, die Dehnung, die Chakras (Energiezentren), usw. Du bist also im Hier und Jetzt. Indem du anderthalb Stunden lang gar keine Zeit hast schwarzzumalen, lernst du auch, dich von der Neigung danach zu lösen.

 

Zum zweiten lernst du im Hatha Yoga immer wieder, dass Yoga kein Wettbewerb ist. Es macht nichts, wenn du kleinere Schwierigkeiten hast, schließlich ist der menschliche Körper jeden Tag anders. Am einen Tag bist du für die Vorwärtsbeugen flexibler, am nächsten für die Rückwärtsbeugen. Vielleicht hast du mal den Fuß verknackst oder die Hand verstaucht, einen steifen Hals oder einen Hexenschuss. Wenn du dann trotzdem in die Yogastunde gehst, wirst du feststellen: Es macht jetzt nichts. Du kannst auch mit einem steifen Hals ins Yoga kommen. Dann verzichtest du einfach auf den Kopfstand und Schulterstand, hältst im Fisch den Kopf gerade. Du lernst, die anderen Asanas zu üben, und es fühlt sich trotzdem gut an. Und dann merkst du: Ein steifer Nacken muss nicht zu dauerhaften Nackenbeschwerden führen. Ein Hexenschuss muss nicht zu dauerhaften Rückenproblemen führen.

Ein Ziehen im Kreuzbereich heißt nicht, dass du gleich durch einen Bandscheibenvorfall deine ganze Wirbelsäule kaputt hast. Sondern du lernst, das was da ist, so wahrzunehmen, nicht gleich zu reagieren, kleinere Schwierigkeiten anzunehmen und festzustellen: Es macht nichts. Gerade in dem du auch dann, wenn du dich mal nicht so gut fühlst, Yoga übst, lernst du, dass kleine Probleme nichts machen. Und ein bisschen Depressivität macht auch nichts, du wirst deshalb nicht gleich ins Burn-out rutschen. Übe einfach anderthalb Stunden Hatha Yoga und du hast danach wieder neue Energie und Lebensfreude. Kleinere Ängste machen auch nichts. Du wirst nicht gleich in die Paranoia hineingehen und lebensunfähig werden, sondern du übst Hatha Yoga und danach fühlt sich das Leben wieder gut an.

 

Alleine dadurch, dass du weißt, dass du zum Glücklichsein nur anderthalb Stunden Hatha Yoga üben brauchst, verschwindet die Neigung zur Schwarzmalerei recht gut. Du weißt dann: Es braucht nicht viel, um glücklich zu sein. Es wird dir dann nicht mal etwas ausmachen, wenn du den Arbeitsplatz verlierst, wenn deine Kollegen dich nicht mögen oder du die Kündigung durch deinen Vermieter bekommst. Es braucht nicht viel, um glücklich zu sein. Deshalb macht es auch nichts, wenn kleinere Lebensereignisse kommen. Alleine dadurch, dass du durch die Übung von Hatha Yoga ein tolles Gefühl hast – neue Energie und Lebensfreude – und damit die psychischen Probleme überwinden kannst, kannst du Schwarzmalerei überwinden.

Ich kannte mal eine Teilnehmerin, die mir gesagt hat, dass sich ihr ganzes Leben ziemlich verändert hat, seit sie ein Mal die Woche zum Yoga geht. Sie weiß: ‚Am Donnerstagabend habe ich meine Yogastunde, danach fühle ich mich gut.‘ Und wenn der Chef sie am Dienstag schimpft, braucht sie keine Angst zu haben, weil sie weiß: ‚Am Donnerstagabend fühle ich mich gut.‘ Indem sie sich bewusst macht, dass sie sich Donnerstagabend gut fühlen wird, kann sie mit verschiedenen Situationen gut umgehen und es kommt gar nicht zur großen Schwarzmalerei.

(Fortsetzung folgt)

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

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YVS322-1 - Umgang mit Schwarzmalerei (Teil 1)

Wie hilft Hatha Yoga, mit einer inneren Neigung zur Schwarzmalerei besser umzugehen? Wie kannst du resilienter werden und deine Neigung zur Schwarzmalerei überwinden? Auf welche Weise kannst du als Yogalehrerin, Yogalehrer oder werdende Yogalehrende deinen Teilnehmenden helfen, Dinge weniger schnell schwarzzusehen?

Man weiß, dass es Menschen gibt, die mehr unter Stress leiden als andere, auch wenn sie in ähnlichen Situationen sind. Einer der vielen Faktoren, die dazu führen, ist die Neigung zu Schwarzmalerei. Schwarzmalerei gibt es in verschiedenen Formen. Es gibt zum Beispiel Menschen, die sehr schnell von „alle“, „keine“, „immer“ oder „nie“ sprechen und eine Situation sehr weit ausführen. Zum Teil hängt das mit den inneren Antreibern zusammen, aber man könnte auch die Neigung zur Schwarzmalerei als eigenständiges Phänomen ansehen, wie es in der empirischen psychologischen Forschung festgestellt wurde: Schwarzmalerei führt zu schnellerem Stress und damit auch zu psychischen und gesundheitlichen Beschwerden.

 

Ein paar Beispiele:

Der Chef sagt etwas, das nicht freundlich ist, und der Mensch mit Neigung zur Schwarzmalerei denkt: „Der Chef mag mich nicht. Ich werde bald den Job verlieren und auf der Straße landen!“

Ein Kollege hat seine Aufgabe nicht richtig erledigt und dich dafür verantwortlich gemacht. Und du denkst: „Alle legen mir Hindernisse in den Weg!“

Du hast eine Aufgabe bekommen, sie falsch verstanden und falsch bewältigt, woraufhin du stöhnst: „Immer mache ich alles falsch!“ Du hast Angst, deshalb entlassen zu werden.

Dann hast du einen kleinen Ehestreit gehabt und befürchtest: „Meine Partnerschaft wird sicher bald zu Ende sein. Meine Frau / mein Mann wird sich demnächst von mir trennen.“

Eine Beziehung ist in die Brüche gegangen und du sagst dir: „Ich werde nie jemanden finden, der mit mir zusammen glücklich wird. Ich bin beziehungsunfähig.“

Vielleicht erkennst du dich oder jemand anderen in den Beispielen wieder: Menschen, die eine Neigung haben, bei kleineren Beschwerden die Sache gleich zu dramatisieren. Weitere Informationen zu diesem Thema von einem psychologischen Standpunkt aus findest du hier:

  • Mein Buch „Der Königsweg zur Gelassenheit“
  • Vortragsreihe „Yoga und Stressmanagement“
  • Mehrwöchiger Kurs „Entspannung lernen“
  • Hatha Yoga gegen Schwarzmalerei

(Fortsetzung folgt)

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Sind die inneren Antreiber schlecht?

Nein, sie sind nicht schlecht. Sie haben erst einmal ihren ursprünglichen Sinn zum Überleben, und zweitens sind sie natürlich auch gewisse Antreiber, die einem helfen sich zu entwickeln.

1.) Du musst vollkommen sein

Dies könnte man auch umsetzen mit „Mach es besser.“ Man könnte sagen sie sind ein gewisser Stachel im Menschen „Entwickle dich weiter.“ Dieser gewisse Stachel „Entwickle dich weiter“ kommt letztlich auch daher, dass wir im tiefen Inneren wissen, dass nur die Vollkommenheit uns glücklich macht. Das ist aber keine körperliche, berufliche, beziehungsmäßige, charakterliche Vollkommenheit, sondern es ist die Erkenntnis: „Ich bin das unsterbliche Selbst.“

Wenn du diesen inneren Antreiber „Das geht besser, das musst du besser machen“ hast, dann lächle, und du könntest zu deinem inneren Antreiber sprechen: „Ja, danke, dass du mich weiter zur Entwicklung antreibst. Danke – und jetzt will ich entspannen.“

2.) Alle müssen dich mögen

Letztlich könnte man zum einen evolutionsbiologisch sagen, dass ein kleines Kind berechtigte Angst hat, von anderen totgebissen zu werden. Erwachsene hatten früher berechtigte Angst, aus der Horde ausgeschlossen zu werden, wenn eine Mehrheit ihn oder sie nicht mag – ein Mensch als Einzelwesen hatte im Dschungel vermutlich kaum Überlebenschancen. Diese Angst, dass andere einen nicht mögen, ist evolutionsbiologisch also durchaus sinnvoll.

Aus der Sicht des Yoga wissen wir: vom Tiefsten des Wesens her sind wir alle eins, und deshalb ist das Streben danach, alle zu lieben und dieses Gefühl der Einheit zu haben, letztlich auch etwas Spirituelles.

Aber wir können auch hier anerkennen: In der Tiefe des Wesens bin ich eins mit allen, und es ist gut, sich liebevoll gegenüber anderen zu verhalten, und es ist gut, diesen inneren Impuls zu haben, mich liebevoll zu verhalten. Aber wenn wir das Leben selbst von Jesus, Buddha oder Mahatma Gandhi anschauen, dann wissen wir: Selbst die großen Selbst verwirklichten, Gott verwirklichten Heiligen, ja sogar Gott auf Erden selbst wird nicht von allen geliebt. Daher ist es letztlich lächerlich zu denken, dass wir besser als Jesus, Buddha oder Mahatma Gandhi sein könnten. Lächerlich ist vielleicht etwas übertrieben, aber jedenfalls ist es vermessen. Daher ist es gut, sich zu bemühen freundlich zu sein, und dieses Bemühen, freundlich zu sein, stammt aus dem inneren Antrieb, aus dem Ego herauszukommen (rücksichtsvoll zu sein, sich mit den anderen eins zu fühlen), und das ist gut - aber wir sollten uns nicht davon beherrschen lassen und daraus keine Angst machen.

3.) Ich muss schnell sein

Ja, es ist gut, diesen Antreiber zu haben, denn das ist wie ein innerer Stachel, ein Anfeuerer, nicht zufrieden zu sein und in Selbstzufriedenheit zu versinken. Es ist letztlich ein Antreiber, sich gut zu entwickeln und an sich zu arbeiten. Ja, es ist gut, Dinge nicht ständig zu verschieben oder sich vom inneren Schweinehund beherrschen zu lassen. Ja, es ist gut vorwärts zu schreiten. Aber wir sollten daraus keine Ängste entwickeln, denn tief im Inneren sind wir sowieso schon vollkommen, und letztlich geschieht, was geschehen soll.

Auf der einen Seite können wir uns spielerisch bemühen, zügig voranzuschreiten, auf der anderen Seite können wir ganz entspannt sein, und dann haben wir einen Antreiber, der schön ist, uns aber nicht in Angst und Stress versetzt.

4.) Ich muss stark sein

Dieser letzte innere Antreiber sagt: „Arbeite an dir selbst. Entwickle deine Konzentrationsfähigkeit und deine Geduld.  Entwickle die Fähigkeit, dein Karma gut zu gestalten.“ Er hat also auch seine Vorteile – aber du musst dich nicht davon beherrschen lassen.

In diesem Sinne:

Das Hatha Yoga hilft, mit seinen inneren Antreibern besser umzugehen

Die spirituelle Lebenseinstellung des Yoga ist sehr förderlich, mit diesen inneren Antreibern gut umzugehen, sie anzuerkennen und wertzuschätzen – aber sich nicht davon beherrschen zu lassen.

Du kannst vielleicht gleich einen Moment innehalten und überlege:

Welche innere Antreiber habe ich, wie manifestieren sie sich, wie gehe ich damit um?

Lasse ich diese inneren Antreiber vielleicht doch meine Yogapraxis behindern – sei es, dass ich mir Stress dadurch mache, sei es, dass ich gar nicht erst übe, weil ich denke: „Ich übe nicht gut genug oder schlechter als andere? Ich bin zu steif (auch das gibt es) und meide deshalb vielleicht sogar Yogastunden?

Machen die inneren Antreiber etwas, was meine Beziehungen zu anderen Menschen behindert, mich vielleicht mehr stresst?

Wie könnte ich Hatha Yoga noch mehr so gestalten, dass es nicht die inneren Antreiber stärkt?

Wie könnte ich eine spirituelle Lebenseinstellung noch vertiefen, die mich meine inneren Antreiber wertschätzen lässt, aber sie mich nicht stressen lässt?

Wenn du Yogalehrende oder Yogalehrender bist, dann überlege auch:

Ist deine Yogastunde so, dass Menschen eben nicht plötzlich ihre inneren Antreiber aktiviert bekommen?

Überlege (mit dem inneren Antreiber „Du musst vollkommen sein“ im Gewahrsein): Haben Menschen in deiner Stunde vielleicht Angst, dass sie nicht gut genug sind? Bist du vielleicht jemand, der den Menschen sagt „Das ist richtig – das ist falsch“, sodass Menschen ständig überlegen, dass sie es nicht richtig machen.

Bist du jemand, der will, dass die Leute alles sehr schnell machen und vielleicht deshalb diesen inneren Antreiber haben?

Haben deine Teilnehmer vielleicht sogar Angst davor, dass du sie nicht magst?

In diesem Sinne – auch ein Yogalehrender, eine Yogalehrende sollte ihren Unterrichtsstil immer wieder hinterfragen und überlegen.

Jetzt solltest du nicht gleich sagen „Ja, stimmt, mein Yogalehrer macht es nicht richtig.“ Diese Vortragsreihe ist nicht dazu gedacht, dass du jetzt neue Gründe für Verurteilungen anderer bekommst, sondern dass du selbst reflektiert mit dir selbst umgehen kannst und vielleicht den einen oder anderen kleinen Schritt machen kannst für ein zwar engagierteres, aber entspannteres Leben.

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

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Der spirituelle Einfluss des Yoga auf die inneren Antreiber

Wenn wir jetzt auch spirituelle Aspekte des Yoga mit einbeziehen, dann ist es natürlich noch mehr gültig, dass diese inneren Antreiber überwunden werden.

Vom Yoga her sagen wir ja: „Ich bin das unsterbliche Selbst, ich bin Atman – und das ist das einzig Vollkommene“.

 1.) Ich muss nicht perfekt sein

In der relativen Welt ist alles unvollkommen. Zu versuchen, auf einer relativen Ebene vollkommen zu sein, ist sowieso eher lächerlich. Insofern akzeptieren wir uns selbst auf einer physischen, emotionalen und psychischen Ebene als unvollkommen und wissen, und wissen zugleich: im Tiefsten sind wir vollkommen. Wir müssen uns nicht die Vollkommenheit erarbeiten – wir sind jetzt schon vollkommen. Wir sind in der Entwicklung begriffen, und wir arbeiten an uns selbst (körperlich, psychisch, emotional, geistig, spirituell), aber wir wissen, dass die relative Welt nicht vollkommen ist, und das können wir entspannt annehmen.

2.) Ich muss nicht von allen Menschen gemocht werden

Auf einer relativen Ebene ist es auch nicht nötig, dass uns alle Menschen mögen. Im Tiefsten sind wir eins mit allen Wesen, deshalb können wir bedingungslose Liebe zu allen Wesen spüren, und wir können diese Verbundenheit spüren, unabhängig davon ob Menschen einen mögen oder nicht. Das spielt nicht die große Rolle – wir fühlen uns trotzdem verbunden. Deshalb fällt es aus einer spirituellen Einstellung heraus natürlich leichter, sich davon zu lösen, dass alle einen Menschen mögen müssen.

3.) Ich muss nicht schnell sein

Natürlich müssen wir auch nicht schnell sein. Es ist zwar schön, sich schnell zu entwickeln, und es ist auch schön, effektiv zu sein, aber wir müssen es nicht. Manchmal ist es eben eine gute Übung, langsam zu sein. Gerade in den spirituellen Traditionen (und auch im Yoga) gibt es die bewusste Übung der Langsamkeit. Nicht nur bei den Asanas – es gibt meditativ gehen, meditativ essen und vieles andere, was man bewusst auch als Training der Langsamkeit macht. Aber das heißt nicht, dass wir immer langsam sind, und wir auch nicht den Zwang haben „Du musst langsam sein“. Manchmal ist es gut, schnell zu sein, und manchmal ist es gut, langsam zu sein.

4.) Ich muss nicht stark sein

Erst recht nicht müssen wir stark sein. Im tiefsten Wesen sind wir eins mit dem Göttlichen, deshalb wissen wir: im Tiefsten sind wir unendliche Stärke.

Auf einer physischen, energetischen und psychischen Ebene sind wir unvollkommen und müssen deshalb auch nicht stark sein. Es heißt ja auch so schön: „Man wird vielleicht geschätzt für seine Stärken, aber man wird geliebt für seine Schwächen“. Und so ist es geradezu auch schön, manchmal seine Schwächen zu zeigen, und so kann man auf einer menschlichen Ebene Liebe spüren.

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

 

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Das Konzept der inneren Antreiber

Dieses Konzept stammt aus der sog. Transaktionsforschung und sagt, dass viele der menschlichen Handlungen und Einstellungen aus der Kindheit stammen. Insbesondere Eltern und Lehrer haben dem Kind bestimmte Dinge gesagt, und das Kind – welches inzwischen 20, 40 oder 60 Jahre alt ist – hat z.T. diese Eigenschaften übernommen.

1.) Alle müssen mich mögen

Ein Kind ist ziemlich klein und gefährdet, und es könnte sein, dass irgendjemand Größeres das Überleben des Kindes stören oder bedrohen könnte. Also weiß das Kind: „Alle müssen mich mögen.“ Oft sagen auch die Eltern „Verhalte dich rücksichtsvoll, freundlich, höflich – verhalte dich so, dass alle dich mögen“.

Wenn jetzt Menschen diesen inneren Antreiber haben, dann können sie relativ schnell in Stress kommen. Da runzelt jemand die Stirn, und dann werden unbewusst sofort Überlebensängste wach: Der hat mich komisch angeschaut. Oh, der hat mich irgendwie zurechtgewiesen. Wenn man also diese Einstellung „Alle müssen mich mögen“ hat, dann wird jede Andeutung, dass jemand einen nicht mag, sofort als bedrohlich empfunden und jeder Konflikt führt dazu, dass der Mensch vielleicht nicht mehr schlafen kann, dass Stresshormone übermäßig ausgeschüttet werden und dass stressbedingte Krankheiten sehr viel schneller kommen.

Du könntest dir jetzt überlegen, ob du diesen inneren Antreiber hast. Wie gehst du damit um, wenn du das Gefühl hast, dass dich jemand nicht mag, dass ein Kollege oder dein Chef dich nicht mag, dass es einen Konflikt mit deiner Schwiegermutter oder deinem Nachbarn gibt. Oder mit Kunden, Lieferanten, mit wem auch immer. Vielleicht hast du gerade diesen inneren Antreiber besonders stark.

 

2.) Ich muss perfekt sein

Wie gehst du damit um, wenn du feststellst: Es ist Dienstag, bis 10 Uhr sollst du etwas für deinen Chef abgeben und du konntest noch nicht die Rechtschreibprüfung machen, es ist auch noch nicht formatiert und evtl. stimmt das eine oder andere auch nicht.

Selbst wenn der Chef gesagt hat „Geben sie es so ab“ - wie fühlst du dich dabei?

Wie gehst du damit um, wenn du in deiner Wohnung etwas nicht perfekt gemacht hast?

Wenn du in die Yogastunde gehst – hast du Angst, dass du etwa in der Vorwärtsbeuge die Zehen falsch hältst und dein Yogalehrer dich vielleicht dafür kritisiert?

„Ich muss perfekt sein“ ist also auch einer der inneren Antreiber.

 

3.) Ich muss schnell sein

Manche Menschen haben den inneren Antreiber, dass sie schnell sein müssen, also etwas nicht nur erledigen, sondern schnell erledigen. Es macht ihnen immer Angst, dass sie etwas zu langsam machen – andere machen es vielleicht schneller.

 

4.) Ich muss stark sein

Also darf ich keine Schwächen zugeben. Wenn Menschen einem sagen, dass du etwas nicht richtig gemacht hast – Menschen mit dem inneren Antreiber „Ich muss stark sein“ verteidigen sich dann immer und sagen „Nein, nein, ich hab das schon richtig gemacht“.

Jemand, der diesen inneren Antreiber nicht hat, wird einfach sagen „Ja, stimmt, das hab ich falsch gemacht, da hab ich einen Fehler gemacht, tut mir leid, ich bitte um Entschuldigung“.

Jemand, der das Gefühl hat, nicht stark sein zu müssen, hat auch kein Problem, seine Schwächen zuzugeben und kritisiert zu werden. Aber es gibt Menschen, die können das eben nicht zeigen und sie müssen immer stark sein. Sie können nicht einmal sagen, dass sie eine kleine Erkältung haben, gerade schwach oder müde sind usw.

Dieser innere Antreiber „Ich muss stark sein“ führt dann zu dieser inneren Angst, als schwach wahrgenommen zu werden. Und wenn du das Gefühl hast, als schwach wahrgenommen zu werden, während du denkst, du musst stark sein, dann hast du natürlich gleich wieder Angst. Vielleicht steckt da auch so eine (evtl. sogar vormenschlichen) Urangst dahinter „Die Schwachen werden totgebissen“. Wenn du so ein Gefühl hast, dann erhöht das natürlich das Stresspotential.

(Fortsetzung folgt)

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

 

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Die Wirkung von Hatha Yoga auf die inneren Antreiber

Dies ist jetzt natürlich keine psychologische Sendung, wo es in Tiefenpsychologie hineingeht, sondern es geht hauptsächlich darum, warum Hatha Yoga wirkt.

Meine These ist, dass Hatha Yoga einen lehrt, sich z.B. von diesen inneren Antreibern zu lösen.

 

1.) Ich muss perfekt sein

Viele Menschen, die z.B. Sport treiben, wollen natürlich das, was sie machen, richtig machen. Sie wollen perfekt sein und von anderen als perfekt wahrgenommen werden und stehen dann unter Stress.

Im Yoga (zumindest im Yoga Vidya-Stil) lernst du von Anfang an: Schließe deine Augen – Spüre in deinen Körper hinein – Atme tief ein und aus.

Yoga ist kein Wettbewerb. Es geht nicht darum, irgendeine Haltung nachzuahmen, etwas Vollkommenes zu machen. Gerade im Yoga Vidya-Stil geht es auch nicht darum, irgendeine äußere Figur nachzuahmen. Wir sagen sogar, dass es die perfekte Asana nicht gibt. Auch ein Yogalehrer kann dir nicht sagen, ob du deine Asana richtig machst oder nicht. Dies ist ja auch der Grund, weshalb ich mich immer dagegen verwahre, dass wir 100 prozentige perfekte Hilfestellung geben müssen und zu sagen, genauso muss eine Asana genauso aussehen. Ein Yogalehrer, eine Yogalehrerin sollte nicht den Teilnehmern sagen „Du machst die Asana falsch“, sondern „Spüre in dich hinein. In der Vorwärtsbeuge sollte die Rückseite der Beine gedehnt sein und die Wirbelsäule und der Rücken sollten sich angenehm anfühlen. Spüre in dich hinein, ob es sich richtig anfühlt“. Es geht nicht um äußere Vollkommenheit.

Ich kenne Menschen, die gerade aus dem Vollkommenheitsanspruch eine Alles-oder-Nichts-Philosophie machen. Angenommen, sie fühlen sich morgens nicht so gut und sind ein bisschen müde – dann machen sie gar kein Yoga. Stattdessen könnten sie, wenn sie zu müde für den Sonnengruß sind, diesen überspringen und mit dem unterstützten Schulterstand anfangen. Oder wenn ich abends antriebslos bin, dann mache ich eben als Erstes die Tiefenentspannung und beginne erst danach mit dem Pranayama. Es geht also nicht darum, eine äußere Vollkommenheit zu haben, sondern es geht darum, zu spüren und zu fühlen und das zu machen, was geht. Du musst weder deinem Yogalehrer noch den anderen Teilnehmern der Yogastunde zeigen, dass du sehr gut oder vollkommen bist, sondern mache es so gut, wie du es jetzt kannst.

Meine These ist wiederum: Wenn du in der Yogastunde gelernt hast, Yogaübungen so zu machen wie du sie machen kannst, und dich dabei gut fühlst und merkst, ein großartiges Gefühl von Energie, Freude und Entspannung kommt gerade dann, wenn du nicht versuchst, vollkommen zu sein – dann überträgt sich diese Einstellung auch auf den Tag. Und du kannst auch feststellen: Auch in der Arbeit kann ich Dinge ruhig mal nur zu 80 % machen, ich muss nicht alles vollkommen machen. Es macht nichts, wenn andere sehen, dass ich etwas mal nicht so richtig gemacht habe.

Du kannst jetzt einen Moment überlegen, ob du diesen inneren Antreiber „Ich muss perfekt, vollkommen sein“ hast und überlegen, ob du vielleicht im Yoga selbst noch mehr einfach auf dich hören und entspannt sein kannst. Ich habe sogar schon Teilnehmerinnen geraten, die diesen inneren Antreiber sehr stark hatten, sie sollen ihre Übungen mal bewusst etwas falsch machen. Im Schulterstand die Fersen ein bisschen auseinander statt zusammen, um die Beine irgendwie zu entspannen. In der Entspannungslage statt der Handflächen nach oben eine Handfläche nach unten, oder ruhig mal den Kopf leicht nach rechts. Nicht so, dass es gefährlich ist (es gibt ja auch bestimmte Tipps, die Verspannungen vermeiden), sondern einfach mal lernen „Ich muss nicht vollkommen sein, ich mache es mal einfach so und bleibe dabei entspannt und dann ist es gut“.

 

2.) Alle müssen mich mögen

Es gibt viele Menschen, die – sowie sie mit anderen Menschen zusammen sind – immer überlegen: „Was denken die anderen Menschen über mich? Mögen sie mich? Sind sie kritisch zu mir?“ usw.

In der Yogastunde lernst du, einfach für dich zu sein. Du bist mit anderen Menschen zusammen, aber du überlegst nicht, was sie über dich denken. Denken sie, dass du zu gut, zu schlecht, zu dick, zu dünn, zu groß oder zu klein bist, zu liebenswürdig oder zu unliebenswürdig, zu schön, zu attraktiv, zu wenig schön, zu wenig attraktiv? Du überlegst auch nicht, ob du dem Yogalehrer gefällst usw. In einer Yogastunde legst du dich hin, du bist mit anderen Menschen zusammen, und dann bist du Du selber. Natürlich willst du jetzt auch nicht andere stören, indem du plötzlich aufspringst und tanzt und hüpfst, wenn gerade die Tiefenentspannung ist, natürlich gilt auch in einer Yogastunde das Prinzip der Rücksicht – du bist also nicht ganz für dich, aber trotzdem überlegst du nicht bei dem, was du in den Asanas machst, was andere dabei denken, wenn du das so und so machst. Du lernst, in deinen Körper zu spüren, du spürst deine Atmung, du fühlst was zu tun ist, und obgleich du mit Menschen zusammen bist überlegst du nicht, wie du auf andere wirkst. Oder ob das, was ich mache, meinem Yogalehrer gefällt oder auch nicht. 

Wenn du Yogalehrende bist oder wirst, dann ist es auch immer wichtig, dass du so unterrichtest, dass deine Teilnehmer und Teilnehmerinnen nicht das Gefühl haben, sie müssen dir in der Yogastunde gefallen und sie müssen Asanas so ausführen, weil du es so willst, sondern du willst Teilnehmende dazu befähigen und sie in die Lage versetzen, auf sich selbst zu hören, entspannt mit anderen zusammen in der Yogastunde zu sein, ohne dabei zu überlegen „Gefalle ich den anderen?“

Wenn ein Mensch merkt, wie schön es ist, mit anderen zusammen zu sein, ohne ständig zu überlegen, was sie über mich denken – da ist dann wieder meine These: Das hat einen Transfer auch in den Alltag.

 

3.) Ich muss schnell sein

Im Yoga lernt man ja gerade „Ich muss nicht schnell sein“. Es geht hier nicht darum, schneller als andere den Sonnengruß zu machen. Der Sonnengruß ist ja nicht die aller langsamste Übung, aber auch nicht die schnellste. Wir kommen auch nicht besonders schnell in den Kopfstand, sondern wir gehen ruhig und bewusst in den Kopfstand.

Wir lernen, es ist etwas sehr Schönes langsam in die Stellungen zu gehen, sie ruhig zu halten, tief und bewusst zu atmen...

Das heißt nicht, dass du auch einmal schnell sein kannst. Es gibt ja auch schnelle Sonnengrüße, und es gibt auch Sonnengrüße mit Sprungvariationen, wie wir sogar auch bei Yoga Vidya haben. Es gibt natürlich auch im Alltag manchmal die Notwendigkeit, schnell zu sein. Aber es sollte kein Zwang sein, schnell zu sein. Manchmal ist es schön, langsam zu sein. Und in dem Menschen lernen, wie schön es ist, langsame Bewegungen zu machen, ruhig in einer Yogastellung zu sein und einen großen Nutzen zu haben gerade, indem man langsam ist, lernen sie auch, dass man auch am Tag langsam sein kann.

Der innere Antreiber „Ich muss schnell sein“ ist ja letztlich auch eine Art Fluchtmechanismus. Wenn Pferde nicht schnell genug sind, wenn der Tiger kommt, dann werden sie gefressen. Und so ist es auch eine Urangst, dass – wenn ich nicht schnell genug bin – ich gefressen werde. Manche Menschen haben diesen inneren Antreiber „Ich muss schnell sein“, und das ist verbunden mit Überlebensängsten. Wenn sie das Gefühl haben, sie hätten etwas nicht schnell genug gemacht, geraten sie überproportional in Stress.

In einer Yogastunde lernst du „Ich kann langsam sein“.

 

4.) Ich muss stark sein

Dieser ist ein wenig ähnlich zu „Ich muss perfekt sein“.

Hintergrund ist natürlich in der Natur: Schwache Lebewesen werden schnell gefressen. Oder in einer Horde von Menschen bekommt der Schwache am wenigsten zu essen, findet keine Partnerin, oder aber er wird eben vom Tiger gefressen. Die Angst, schwach zu sein, ist evolutionsbiologische also eine durchaus sinnvolle Angst.

Aber in der heutigen Zeit kann man sehr wohl schwach sein, und in der Yogastunde zeigst du dich eben auch als schwach. Es ist durchaus etwas Ähnliches wie „Ich muss vollkommen sein“. Du musst eben nicht vollkommen sein, und du musst auch nicht stark sein. Du kannst dir heute mal sagen, dass du die volle Heuschrecke heute nicht hinbekommst und du hebst nur ein Bein hoch. Und wenn ich zu müde bin, dann lass ich halt eine Yogastellung aus und mache stattdessen die Entspannung. Oder wenn ich heute Nackenprobleme habe, dann probiere ich eben nicht den Kopfstand, sondern mache stattdessen die Stellung des Kindes, oder vielleicht den Hund oder eine andere Stellung.

Ich kann schwach sein, ich kann meine Schwäche zeigen, und ich kann auch der Yogalehrerin sagen, dass ich vor Kurzem eine Erkältung hatte und deshalb heute einiges nicht machen kann. Leider kenne ich Menschen, die – wenn sie eine Verletzung hatten – wochenlang nicht in den Yogaunterricht gehen, weil sie sich eben nicht in ihrer Schwäche zeigen können. Du kannst auch mit einem gezerrten Knöchel Yoga machen, wenn du umgeknickt bist. Du wirst vielleicht den Sonnengruß nicht normal machen können oder manche Stehhaltungen nicht „richtig“ machen können, aber du kannst trotzdem 80 % oder 90 % machen. Und du wirst feststellen: Du zeigst dich in deiner Schwäche, du machst nicht alle Yogaübungen gut, andere sehen vielleicht sogar deine Verletzungen – und nichts Schlimmes passiert. Im Gegenteil, du bekommst Mitgefühl und du fühlst dich gut. In der Yogastunde zeigst du dich in deiner Schwäche, und du erfährst: Es ist etwas Schönes. Dies wiederum hilft dir, dass du dich von diesem inneren Antreiber „Ich muss stark sein“ (oder mindestens „Ich muss mich stark zeigen“) etwas löst.

Deshalb meine ich, dass die Übung von Hatha Yoga etwas ist, was dir hilft, nicht so schnell von Stress beeinflusst zu werden und eine innere Resilienz aufzubauen.

 

Im Hatha Yoga lernst du:

Du musst nicht vollkommen sein musst – du kannst etwas unvollkommen machen.

Du musst nicht so üben, dass es anderen gefällt – du kannst auf dich selbst hören.

Auch musst du nicht schnell sein, auch nicht schneller als die anderen – du kannst auch langsam sein und selbst in deiner Übungspraxis weniger üben als andere und langsamere Fortschritte machen.

Du musst auch nicht stark erscheinen, sondern du kannst dich auch in deiner Schwäche zeigen.

All das hilft dir, besser mit dir im Alltag umzugehen und dich von diesen inneren Antreibern zu lösen.

Jetzt habe ich natürlich erst einmal über Hatha Yoga gesprochen. Die ganze Themenreihe geht ja darum, warum Yoga wirkt. Es gibt so viele Yoga-Studien, die zeigen, dass Menschen, die Yoga üben, gesünder und psychisch stabiler sind als andere, dass sie mit schlimmen Lebensereignissen besser umgehen – da stellt sich die Frage, warum das so ist.

These 1: Yoga selbst ist Entspannungstechnik.

These 2: Yoga stärkt Einstellungen, die helfen, mit Stress besser umzugehen.

Mit anderen Worten: Die Übung von Hatha Yoga hilft der Resilienz, weil sie einen Transfer auf die gesamte Einstellung zu sich selbst, zu den Mitmenschen und zum Leben hat.

 

(Fortsetzung folgt)

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

 

 

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Techniken für einen besseren Umgang mit Stress, für bessere Resilienz

Heute spreche ich über geistige Einstellungen und Stressbewältigung, insbesondere über den Aspekt, was NICHT hilfreich ist, mit Stress besser umzugehen.

In dieser Vortragsreihe habe ich vorher davon gesprochen, welche geistigen Einstellungen hilfreich sind, um mit Stress besser umzugehen, und heute beginne ich eine Reihe zu den nicht hilfreichen Einstellungen.

Diese ganze Vortragsreihe ist ja auch Teil der Vortragsreihe „Yoga für Gesundheit und psychische Stabilität“ - der Beitrag von Yoga zu Heilung und psychischer Gesundheit.

Meine These: Yoga, auch Hatha Yoga, Atemübungen, Asanas, Tiefenentspannung und die ganze Einstellung einer Yogastunde entwickelt innere Eigenschaften, die auch hilfreich sind im Alltag.

Und so ist dieser Vortrag auch ein Teil der Reihe „Warum und wie wirkt Hatha Yoga?“

Wenn wir einige Ergebnisse aus der Stressforschung nehmen, dann weiß man, dass Menschen mit starken inneren Antreibern mehr unter Stress leiden als Menschen, die eher sanfte innere Antreiber haben, die insgesamt gelassener mit eigenen Ansprüchen umgehen.

Bekannte innere Antreiber sind z.B.

  • Ich muss perfekt sein.
  • Alle müssen mich mögen.
  • Ich muss schnell sein.
  • Ich muss stark sein.

 

(Fortzsetzung folgt)

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

 

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Dies ist ein Vortrag aus der Reihe „Faktoren für psychische Resilienz“ - wie kann man eine Einstellung entwickeln, um in der Mitte einer anstrengenden, herausfordernden Lebenssituation in Frieden und gesund zu leben.

Ich muss zugeben: Der Ansatz für meinen Vortrag ist mir fast schon ein bisschen unangenehm oder peinlich, wenn ich darüber spreche, man möge Liebe entwickeln, um psychische Resilienz zu haben. Irgendwie ist das falsch herum. Man könnte besser sagen, entwickle Resilienz und geh besser mit Stress um, dann kannst du mehr Liebe haben, und mit Liebe entwickelst du letztlich Gotteserfahrung, spirituelle Erfahrung. So wie Swami Sivananda gesagt hat „Diene, liebe, gib, reinige, meditiere, verwirkliche“ - da ist also Liebe ein Schritt zur spirituellen Verwirklichung.

Aber wir sind ja jetzt in einer Vortragsreihe zum Thema Stressbewältigung und Entwicklung psychischer Resilienz, und man weiß eben, dass Menschen gesünder leben, die mehr zum Lieben fähig sind. Menschen, die Selbstliebe haben oder andere Menschen lieben, Menschen, die die Natur oder ihren Job lieben, Menschen, die Gott lieben – all diese Menschen leben körperlich und auch psychisch gesünder. Die Entwicklung von Liebesfähigkeit ist also nicht nur wichtig für die spirituelle Entwicklung oder weil es einfach schön ist, sondern ist auch gut und wichtig für die Gesundheit.

Es gibt eine Menge, was man machen kann. Liebe hat verschiedene Aspekte, die man alle kultivieren kann - hier nur ein paar davon:

 

1.) Selbstliebe

Es gibt den Aspekt der Selbstliebe, welcher wiederum viele verschiedene Faktoren hat. Zum einen wird man feststellen können, wer Yoga übt, kann Selbstliebe eher kultivieren. Wenn du beispielsweise in einer Yogastunde bist und deinen Körper als Quelle angenehmer Erfahrungen empfindest, dann wirst du an ihm nicht mehr so viel herummäkeln. Viele Menschen haben ja eine negative Einstellung zu ihrem Körper: er ist zu dick, zu dünn, zu groß, zu klein, er hat zu viele oder zu wenige Haare oder Haare an den falschen Stellen, er schafft hier und dort Schmerzen, tut weh usw. Wer bewusst Hatha Yoga übt, merkt, dass er sich wohl in seiner Haut fühlt, und im Körper gibt es schöne und angenehme Empfindungen. Wenn man im Yoga-Unterricht gut mitmacht, fühlt man sich anschließend weich und weit und wunderschön. Das ist also ein Aspekt von Selbstliebe.

Ein zweiter Aspekt der Selbstliebe ist, sich selbst bewusst zu machen, dass ich in dieser Welt bin, um bestimmte Aufgaben zu erledigen, im Rahmen eines größeren Ganzen (hier sind wir wieder beim Sinn und Vertrauen), und ich bin auch genau der richtige Mensch dafür. Ich kann mich erinnern, dass ich irgendwann einmal meiner Yogalehrerin, die mir eine Aufgabe gegeben hatte, gesagt, dass ich dafür nicht gut genug sei. Da hat sie nur gelacht und gesagt: „Wenn Gott gewollt hätte, dass das jemand macht, der besser ist als du, dann hätte er jemand anders die Aufgabe gegeben. Du hast die Aufgabe bekommen, weil du genau der Richtige bist. Gott wirkt sogar durch deine Fehler.“ In diesem Sinne können wir auch dieses Vertrauen haben „Gott wirkt sogar durch meine Fehler“. Ich bemühe mich, es so gut zu bewältigen wie es geht, und letztlich bin ich der richtige Mensch am richtigen Platz.

 

2.) Liebe zu anderen, z.B. zu Mitmenschen

Dies ist jetzt ein weites Thema, es soll aber ein Kurzvortrag bleiben. Etwas, was wir im Yoga machen und was diese Liebe ermöglicht, ist z.B. das Schicken von positiven Wünschen und Gebeten. Du kannst z.B. morgens nach deiner Yoga- oder Meditationspraxis an die wichtigen Menschen denken, mit denen du heute zu tun haben wirst, und sagen: „Lieber Peter, ich wünsche dir alles Gute. Liebe Beate, ich schicke dir Licht und Liebe. Liebe Mami, möge es dir gut gehen“ usw. Also gute Wünsche können ein Ausdruck von Liebe sein. Vielleicht magst du einen Moment innehalten und dies ein paar Menschen schicken. Du könntest auch eine Herzensverbindung herstellen. Wenn du mit einem Menschen sprichst, dann spüre für einen Moment eine Herzensverbindung. Überlege nicht ständig, was er schon wieder von mir will oder wann du ihn endlich unterbrechen kannst, sondern spüre einfach eine Herz-zu-Herz-Verbindung, während er redet. Wenn er unsinniges Zeug redet, was du längst schon weißt – umso besser, spüre die Herz-zu-Herz-Verbindung. Wenn er nichts sagt und ihr euch einfach nur anschweigt - umso besser, lächle und spüre Herz-zu-Herz-Verbindung. Dies ist übrigens etwas, was man auch während seiner Praxis am Morgen machen kann: Sich die Menschen vorzustellen, mit denen man am Tag zu tun hat und eine Herz-zu-Herz-Verbindung herzustellen. Das hilft auch, die Liebe zu kultivieren.

Also dem anderen zuhören und dabei davon ausgehen, dass jeder Mensch (oder mindestens die meisten Menschen), mit denen du zu tun hast, Gutes meinen, auch wenn sie manchmal ungeschickt umgehen.

 

3.) Liebe zur Natur

Der Mensch ist nun mal ein Wesen, welches für die Natur geschaffen ist. Man weiß z.B., dass Menschen, die vor ihrem Fenster einen Baum sehen, gesünder leben als Menschen, die aus dem Fenster keinen Baum sehen. Da gibt es eine schöne empirische Studie, die tatsächlich zeigt: Wenn Menschen vor ihrem Fenster nur auf Beton schauen, dann ist das nicht so gut. Ehe du dich jetzt beschwerst und sagst, dass es bei dir so ist – du hast zum einen die Möglichkeit, eine Zimmerpflanze zu haben. Oder du kannst aus dem Fenster gucken – und es gibt ja nicht nur der Baum, sondern die gesamte Natur, du kannst den Himmel anschauen, und glücklicherweise können wir in Deutschland fast überall einen Baum sehen. Der deutsche Städtebau ist besser als in manchen Städten z.B. in Amerika oder auch in Frankreich. In Paris gibt es Viertel, in denen man eine ganze Weile geht, ohne einen Baum zu sehen. Es gibt dort natürlich auch Parks usw., aber in Deutschland gibt es da mehr.

Wenn du einfach nur gedankenverloren dort durchgehst, dann erlebst du auch nicht viel. Aber du könntest zwischendurch morgens den Himmel und die Wolken anschauen, einen Baum anschauen oder ihn umarmen, in die Natur gehen, am Wochenende durch einen Park gehen usw. Naturerlebnisse helfen, dein Herz zu öffnen. Lass dich von der Natur berühren. Wenn du wirklich nicht weißt, wie das geht, dann besuche mal ein Seminar aus der Reihe „Natur, Spiritualität und Schamanismus“, dann wirst du eine ganz andere Naturdimension erleben. Aber vermutlich musst du dir nur einen Moment Zeit nehmen, bzw. wenn du sowieso schon gehst (oder Auto, Fahrrad oder U-Bahn fährst), dann nimm dir Momente, um Natur zu sehen, zu spüren und zu erfahren und entwickle so Liebe zur Natur.

 

4.) Liebe zu Gott

Das ist natürlich ein längeres Thema, und ich werde es nicht so weit ausbauen, denn ich habe viele Vorträge zum Thema Bhakti Yoga gegeben, wie du Liebe zu Gott entwickeln kannst.

Manchmal ist es nur eine Frage, dir dafür Zeit zu nehmen. Vielleicht hast du einen Grundglauben oder -vertrauen zu Gott – dann nimm dir Zeit für das Gebet. Wenn du sowieso ein Gebet sprichst, dann sprich es vom Herzen aus. Wenn du etwas brauchst, dann bitte Gott darum, und wenn du etwas bekommst, dann danke dafür.

Überhaupt ist bei all dem das Danken etwas Hilfreiches. Also: Danke dir selbst. Danke deinen Mitmenschen. Danke der Natur und danke Gott. Danken ist etwas, was der Liebesfähigkeit sehr hilft. Also: Danken, Wahrnehmen, bewusst Herzensöffnung machen – das sind nur ein paar Aspekte, wie du Liebe besser spüren kannst.

Wenn du eine große Enttäuschung erlebt hast und dich vielleicht der Mensch, den du besonders geliebt hast, dich so enttäuscht, dann musst du dich nicht allem gegenüber verschließen. Gehe spazieren in die Natur, gehe zu Gott und sprich zu ihm. Und sei vielleicht zufrieden mit kleineren Kontakten mit deinen Mitmenschen. Gehe in die Yogastunde und bleibe anschließend ein bisschen. Setze dich zum Small Talk, öffne eine kleine Verbindung, sodass nachher wieder mehr Liebe entstehen kann.

Das waren jetzt nur ein paar Tipps. Du kannst dir jetzt selbst überlegen, was du tun kannst, um dich selbst in deinen Aspekten mehr zu lieben. Gibt es zumindest manche Menschen, die ich liebe und die mich lieben und zu denen ich mich mehr öffnen könnte? Könnte ich mehr Zeit in der Natur verbringen? Könnte ich wieder etwas tun, um meine Beziehung zu Gott wieder mehr zu vertiefen? Und natürlich gibt es noch weitere Aspekte, z.B. die Arbeit zu lieben, deine zu Hause zu lieben usw., da könnte man noch sehr viel weiter gehen.

Ich weiß, dass das jetzt kurz war. Ich bin sicherlich dem Thema Liebe nicht gerecht geworden. Es reicht vielleicht nicht aus, aber es sollte zumindest eine kleine Anregung sein für mehr Herz im Alltag. Mehr Herz im Alltag hilft dir eben auch, dass du zufriedener mit dir selbst bist. Vom Yoga her gesehen: Aus der Liebe kommt letztlich die Gotteserfahrung.

Letztlich heißt Erleuchtung auch ein Gefühl von Liebe zu allen Wesen, zu dir selbst, zum göttlichen und zur Natur. Alles, was du tust, um dein Herz mehr zu öffnen und anderen mit mehr Liebe zu begegnen, ist auch eine spirituelle Übung. Und dass die Psychologen und Mediziner festgestellt haben, mehr Liebe zu empfinden ist gut für die körperliche und psychische Gesundheit, ist ja auch noch mal eine schöne Sache.

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

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Ich muss gerade daran denken, ich hatte vor Monaten eine Teilnehmerin, die mir sagte, sie sähe keinen Sinn in ihrem Leben. Ich kannte die Frau etwas, denn sie hatte schon viele Seminare bei mir gemacht. Dann war ich erst einmal etwas verdutzt und habe sie gefragt: Ich weiß doch, du hast zwei erwachsene Kinder, die beide engagiert im Job sind. Und ich weiß auch, dass du Lehrerin bist an einer Schule, wo du Yoga eingeführt hast und dass du dort auch in der Lehrerweiterbildung aktiv bist. Und ich weiß auch, dass du zusammen mit einem Mann in Teilzeit eine Yogaschule führst. Wieso erzählst du mir, dass du immer noch nach dem Sinn in deinem Leben suchst? Sie antwortete „Ja, das mache ich, aber ich suche nach dem Sinn, es muss doch irgendeine Vision geben, die übergeordnet ist.“ In diesem Fall habe ich gemerkt, dass sie ein zu hohes Anspruchsniveau hatte. Sie dachte, es muss doch eine Gotteserfahrung geben, Gott erscheint und sagt, was die übergeordnete Vision wäre. Nachdem ich mit ihr gesprochen hatte, hat sie darüber noch einmal nachgedacht und gesagt „Du hast ja recht, ich führe eigentlich ein höchst sinnvolles Leben. Ich habe zwei Kindern einen guten Start ins Leben gegeben, beide haben sie engagierte Berufe. Ich habe tatsächlich eine große Wirkung auf meine Schule, und in meinen Yogastunden berühre ich jede Menge Menschen, verhelfe jeden Tag ein paar Menschen zu körperlicher Entspannung, berühre sie im Herzen und habe einen Einfluss. Ja, mein Leben ist sinnvoll!“

In diesem Sinne: Sei dir bewusst, was du alles bewirkst, das hilft schon.

 

Der nächste Aspekt von „meaning“ ist, dass nicht nur das, was du tust, bedeutsam ist, sondern dass auch das, was außerhalb deiner Kontrolle ist, irgendwo sinnvoll ist – letztlich ein gewisses Vertrauen in das, was außerhalb der Kontrolle ist. Wenn man das Gefühl hat, dass man viele Dinge unter Kontrolle hat und ihnen nicht hilflos ausgeliefert ist, ist das zwar Stress-reduzierend, aber manches ist halt außerhalb der Kontrolle. Wir stolpern und brechen uns einen Arm. Ein Partner verlässt uns. Ein Unternehmen, in dem wir beschäftigt sind, geht pleite. Die Gesetzgebung ändert sich so, dass die Nische, die wir uns geschaffen haben, nicht mehr möglich ist. Jemand betrügt uns usw. All das haben wir nicht unter Kontrolle. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob das etwas ist, was wirklich Sinn ergibt. Wenn du dich mit yogischem Karma beschäftigst, dann weißt du natürlich: „Yoga sagt, dass hinter allem ein Sinn steckt.“ Der Sinn des Lebens ist nicht, dass alles einfach ist und dass uns alles, was wir tun, gelingt. Vom persönlichen Standpunkt aus ist der Sinn des Lebens, dass wir wachsen, und wir wachsen, indem wir Gelassenheit, Loslassen, Verhaftungslosigkeit und Geduld lernen.

 

Wenn du magst, könntest du jetzt wieder hier kurz unterbrechen und nachdenken oder aufschreiben zu Lebenssituationen, in denen Dinge über dich hereingebrochen sind: Habe ich daraus gelernt, habe ich mich gut entwickelt?

Das muss nicht heißen, dass du sagst: „Es war gut, dass dieser Mensch mich betrogen hat, oder dass ich beraubt wurde, oder dass mir Gewalt angetan wurde“. So weit musst du nicht gehen. Aber du kannst dich fragen „Welche psychische Entwicklung habe ich durch dieses Ereignis genommen, was mir sonst nicht möglich gewesen wäre?“

 

Ich kenne Menschen, die mir gesagt haben, dass sie Schlimmes erfahren hätten, was zu einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt hat. Dies führte dazu, dass sie kein normales Leben haben konnten, nicht langfristig bei einem Partner oder einem Beruf bleiben konnten. Aber es hat auch dazu geführt, dass sie ständig auf der Suche geblieben sind, dass sie nirgends ein Nest gebaut haben, dass sie ständig überlegt haben und deshalb sehr tief geworden sind und dass sie das Leben von einer tieferen Warte aus ansehen und sie deshalb sagen, dass es irgendwie sinnvoll war.

In diesem Sinne kannst du nachdenken. Es muss ja nicht das Allerschlimmste sein, um dir bewusst zu machen, dass die Ereignisse im Leben dir helfen, voranzukommen und dich zu entwickeln.

Selbst eigene Entscheidungen, die du getroffen hast und nicht mehr rückgängig machen kannst und wo du letztlich hilflos mit den Konsequenzen deiner eigenen Entscheidungen leben musst – auch hier kannst du Vertrauen haben. Letztlich bist du geführt worden zu Entscheidungen, die dann vielleicht zu großem Scheitern führten. Aber auch dieses Scheitern hat dir geholfen, dich zu entwickeln. Mache dir bewusst, dass Leben zur Entwicklung da ist, und letztlich ist Leben dazu da, Gott zu erfahren. Und dazu schenkt dir das Leben das, was du dazu brauchst. Manchmal wirst auch du dazu gebracht, Entscheidungen zu treffen, die dazu führen, dass dein bisheriges Leben kollabiert. Auch das ist gut. Denke darüber nach und überlege vielleicht auch, wie das, was jetzt gerade geschieht, hilfreich auf dem Weg meiner spirituellen Entwicklung sein kann. Wie kann das, was ich tue, hilfreich in meiner Persönlichkeitsentwicklung sein? Wie können die Dinge, die über mich hereingebrochen sind oder die vielleicht demnächst geschehen könnten, hilfreich sein, damit ich mich entwickle? Sieh so einen höheren Sinn in dem, was du tust und was geschieht, und habe Vertrauen, dass letztlich das Gute geschieht.

 

Übrigens: Wenn du dir mehr bewusst werden willst, was der Sinn des Lebens ist, was Ereignisse des Lebens zu bedeuten haben, was deine Aufgaben sind, dann kann es hilfreich sein, mal eine Woche Abstand vom Alltag zu haben und dabei in einer spirituellen Atmosphäre voller Energie zu leben, z.B. in Form einer Yoga-Ferienwoche in einem Yoga-Ashram, wo du auf ein neues Energieniveau kommst und dich mehr damit beschäftigst, dass hinter allem irgendwo ein höherer Sinn ist. Dann kommen dir manchmal intuitiv Erkenntnisse, warum das, was geschehen ist, gut ist, warum das, was du tust, gut ist. Und vielleicht auch die Erkenntnis, dass es trotzdem an der Zeit ist, mal etwas anderes zu machen, oder aber das, was du bisher machst, mit einer anderen Einstellung zu machen. Eine Woche in einem Yoga-Ashram kann einen tiefen Einfluss auf dein Leben haben.

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

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