Dies ist ein Vortrag aus der Reihe „Faktoren für psychische Resilienz“ - wie kann man eine Einstellung entwickeln, um in der Mitte einer anstrengenden, herausfordernden Lebenssituation in Frieden und gesund zu leben.

Ich muss zugeben: Der Ansatz für meinen Vortrag ist mir fast schon ein bisschen unangenehm oder peinlich, wenn ich darüber spreche, man möge Liebe entwickeln, um psychische Resilienz zu haben. Irgendwie ist das falsch herum. Man könnte besser sagen, entwickle Resilienz und geh besser mit Stress um, dann kannst du mehr Liebe haben, und mit Liebe entwickelst du letztlich Gotteserfahrung, spirituelle Erfahrung. So wie Swami Sivananda gesagt hat „Diene, liebe, gib, reinige, meditiere, verwirkliche“ - da ist also Liebe ein Schritt zur spirituellen Verwirklichung.

Aber wir sind ja jetzt in einer Vortragsreihe zum Thema Stressbewältigung und Entwicklung psychischer Resilienz, und man weiß eben, dass Menschen gesünder leben, die mehr zum Lieben fähig sind. Menschen, die Selbstliebe haben oder andere Menschen lieben, Menschen, die die Natur oder ihren Job lieben, Menschen, die Gott lieben – all diese Menschen leben körperlich und auch psychisch gesünder. Die Entwicklung von Liebesfähigkeit ist also nicht nur wichtig für die spirituelle Entwicklung oder weil es einfach schön ist, sondern ist auch gut und wichtig für die Gesundheit.

Es gibt eine Menge, was man machen kann. Liebe hat verschiedene Aspekte, die man alle kultivieren kann - hier nur ein paar davon:

 

1.) Selbstliebe

Es gibt den Aspekt der Selbstliebe, welcher wiederum viele verschiedene Faktoren hat. Zum einen wird man feststellen können, wer Yoga übt, kann Selbstliebe eher kultivieren. Wenn du beispielsweise in einer Yogastunde bist und deinen Körper als Quelle angenehmer Erfahrungen empfindest, dann wirst du an ihm nicht mehr so viel herummäkeln. Viele Menschen haben ja eine negative Einstellung zu ihrem Körper: er ist zu dick, zu dünn, zu groß, zu klein, er hat zu viele oder zu wenige Haare oder Haare an den falschen Stellen, er schafft hier und dort Schmerzen, tut weh usw. Wer bewusst Hatha Yoga übt, merkt, dass er sich wohl in seiner Haut fühlt, und im Körper gibt es schöne und angenehme Empfindungen. Wenn man im Yoga-Unterricht gut mitmacht, fühlt man sich anschließend weich und weit und wunderschön. Das ist also ein Aspekt von Selbstliebe.

Ein zweiter Aspekt der Selbstliebe ist, sich selbst bewusst zu machen, dass ich in dieser Welt bin, um bestimmte Aufgaben zu erledigen, im Rahmen eines größeren Ganzen (hier sind wir wieder beim Sinn und Vertrauen), und ich bin auch genau der richtige Mensch dafür. Ich kann mich erinnern, dass ich irgendwann einmal meiner Yogalehrerin, die mir eine Aufgabe gegeben hatte, gesagt, dass ich dafür nicht gut genug sei. Da hat sie nur gelacht und gesagt: „Wenn Gott gewollt hätte, dass das jemand macht, der besser ist als du, dann hätte er jemand anders die Aufgabe gegeben. Du hast die Aufgabe bekommen, weil du genau der Richtige bist. Gott wirkt sogar durch deine Fehler.“ In diesem Sinne können wir auch dieses Vertrauen haben „Gott wirkt sogar durch meine Fehler“. Ich bemühe mich, es so gut zu bewältigen wie es geht, und letztlich bin ich der richtige Mensch am richtigen Platz.

 

2.) Liebe zu anderen, z.B. zu Mitmenschen

Dies ist jetzt ein weites Thema, es soll aber ein Kurzvortrag bleiben. Etwas, was wir im Yoga machen und was diese Liebe ermöglicht, ist z.B. das Schicken von positiven Wünschen und Gebeten. Du kannst z.B. morgens nach deiner Yoga- oder Meditationspraxis an die wichtigen Menschen denken, mit denen du heute zu tun haben wirst, und sagen: „Lieber Peter, ich wünsche dir alles Gute. Liebe Beate, ich schicke dir Licht und Liebe. Liebe Mami, möge es dir gut gehen“ usw. Also gute Wünsche können ein Ausdruck von Liebe sein. Vielleicht magst du einen Moment innehalten und dies ein paar Menschen schicken. Du könntest auch eine Herzensverbindung herstellen. Wenn du mit einem Menschen sprichst, dann spüre für einen Moment eine Herzensverbindung. Überlege nicht ständig, was er schon wieder von mir will oder wann du ihn endlich unterbrechen kannst, sondern spüre einfach eine Herz-zu-Herz-Verbindung, während er redet. Wenn er unsinniges Zeug redet, was du längst schon weißt – umso besser, spüre die Herz-zu-Herz-Verbindung. Wenn er nichts sagt und ihr euch einfach nur anschweigt - umso besser, lächle und spüre Herz-zu-Herz-Verbindung. Dies ist übrigens etwas, was man auch während seiner Praxis am Morgen machen kann: Sich die Menschen vorzustellen, mit denen man am Tag zu tun hat und eine Herz-zu-Herz-Verbindung herzustellen. Das hilft auch, die Liebe zu kultivieren.

Also dem anderen zuhören und dabei davon ausgehen, dass jeder Mensch (oder mindestens die meisten Menschen), mit denen du zu tun hast, Gutes meinen, auch wenn sie manchmal ungeschickt umgehen.

 

3.) Liebe zur Natur

Der Mensch ist nun mal ein Wesen, welches für die Natur geschaffen ist. Man weiß z.B., dass Menschen, die vor ihrem Fenster einen Baum sehen, gesünder leben als Menschen, die aus dem Fenster keinen Baum sehen. Da gibt es eine schöne empirische Studie, die tatsächlich zeigt: Wenn Menschen vor ihrem Fenster nur auf Beton schauen, dann ist das nicht so gut. Ehe du dich jetzt beschwerst und sagst, dass es bei dir so ist – du hast zum einen die Möglichkeit, eine Zimmerpflanze zu haben. Oder du kannst aus dem Fenster gucken – und es gibt ja nicht nur der Baum, sondern die gesamte Natur, du kannst den Himmel anschauen, und glücklicherweise können wir in Deutschland fast überall einen Baum sehen. Der deutsche Städtebau ist besser als in manchen Städten z.B. in Amerika oder auch in Frankreich. In Paris gibt es Viertel, in denen man eine ganze Weile geht, ohne einen Baum zu sehen. Es gibt dort natürlich auch Parks usw., aber in Deutschland gibt es da mehr.

Wenn du einfach nur gedankenverloren dort durchgehst, dann erlebst du auch nicht viel. Aber du könntest zwischendurch morgens den Himmel und die Wolken anschauen, einen Baum anschauen oder ihn umarmen, in die Natur gehen, am Wochenende durch einen Park gehen usw. Naturerlebnisse helfen, dein Herz zu öffnen. Lass dich von der Natur berühren. Wenn du wirklich nicht weißt, wie das geht, dann besuche mal ein Seminar aus der Reihe „Natur, Spiritualität und Schamanismus“, dann wirst du eine ganz andere Naturdimension erleben. Aber vermutlich musst du dir nur einen Moment Zeit nehmen, bzw. wenn du sowieso schon gehst (oder Auto, Fahrrad oder U-Bahn fährst), dann nimm dir Momente, um Natur zu sehen, zu spüren und zu erfahren und entwickle so Liebe zur Natur.

 

4.) Liebe zu Gott

Das ist natürlich ein längeres Thema, und ich werde es nicht so weit ausbauen, denn ich habe viele Vorträge zum Thema Bhakti Yoga gegeben, wie du Liebe zu Gott entwickeln kannst.

Manchmal ist es nur eine Frage, dir dafür Zeit zu nehmen. Vielleicht hast du einen Grundglauben oder -vertrauen zu Gott – dann nimm dir Zeit für das Gebet. Wenn du sowieso ein Gebet sprichst, dann sprich es vom Herzen aus. Wenn du etwas brauchst, dann bitte Gott darum, und wenn du etwas bekommst, dann danke dafür.

Überhaupt ist bei all dem das Danken etwas Hilfreiches. Also: Danke dir selbst. Danke deinen Mitmenschen. Danke der Natur und danke Gott. Danken ist etwas, was der Liebesfähigkeit sehr hilft. Also: Danken, Wahrnehmen, bewusst Herzensöffnung machen – das sind nur ein paar Aspekte, wie du Liebe besser spüren kannst.

Wenn du eine große Enttäuschung erlebt hast und dich vielleicht der Mensch, den du besonders geliebt hast, dich so enttäuscht, dann musst du dich nicht allem gegenüber verschließen. Gehe spazieren in die Natur, gehe zu Gott und sprich zu ihm. Und sei vielleicht zufrieden mit kleineren Kontakten mit deinen Mitmenschen. Gehe in die Yogastunde und bleibe anschließend ein bisschen. Setze dich zum Small Talk, öffne eine kleine Verbindung, sodass nachher wieder mehr Liebe entstehen kann.

Das waren jetzt nur ein paar Tipps. Du kannst dir jetzt selbst überlegen, was du tun kannst, um dich selbst in deinen Aspekten mehr zu lieben. Gibt es zumindest manche Menschen, die ich liebe und die mich lieben und zu denen ich mich mehr öffnen könnte? Könnte ich mehr Zeit in der Natur verbringen? Könnte ich wieder etwas tun, um meine Beziehung zu Gott wieder mehr zu vertiefen? Und natürlich gibt es noch weitere Aspekte, z.B. die Arbeit zu lieben, deine zu Hause zu lieben usw., da könnte man noch sehr viel weiter gehen.

Ich weiß, dass das jetzt kurz war. Ich bin sicherlich dem Thema Liebe nicht gerecht geworden. Es reicht vielleicht nicht aus, aber es sollte zumindest eine kleine Anregung sein für mehr Herz im Alltag. Mehr Herz im Alltag hilft dir eben auch, dass du zufriedener mit dir selbst bist. Vom Yoga her gesehen: Aus der Liebe kommt letztlich die Gotteserfahrung.

Letztlich heißt Erleuchtung auch ein Gefühl von Liebe zu allen Wesen, zu dir selbst, zum göttlichen und zur Natur. Alles, was du tust, um dein Herz mehr zu öffnen und anderen mit mehr Liebe zu begegnen, ist auch eine spirituelle Übung. Und dass die Psychologen und Mediziner festgestellt haben, mehr Liebe zu empfinden ist gut für die körperliche und psychische Gesundheit, ist ja auch noch mal eine schöne Sache.

___

Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

E-Mail an mich, wenn Personen einen Kommentar hinterlassen –

Sie müssen Mitglied von Yoga Vidya Community - Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda sein, um Kommentare hinzuzufügen.

Bei Yoga Vidya Community - Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda dabei sein