Der Yogi und die Tränen des Teufels

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© Text und Foto: Bhajan Noam

 

Der Yogi und die Tränen des Teufels

 

Dass der Teufel einem Yogi begegnet, ist keineswegs ein alltägliches Ereignis. Yogis halten sich ja für gewöhnlich in anderen Gegenden dieses spirituellen Kosmos auf als jener Hexenmeister. Doch in dieser Geschichte werdet ihr hören, wie es einmal geschah.

 

Eines Tages war der Teufel irgendwie von seinem Weg des Bösen abgeirrt und stand plötzlich einem leibhaftigen Yogi gegenüber. Dieser legte die Hände zusammen, schaute dem Fremdling gütig in die Augen und verneigte sich vor ihm, wie er es stets zu tun pflegte, wenn ein Wesen seinen Pfad kreuzte. „Du betest mich an?“ fragte der Teufel leicht verunsichert – dennoch mit seinem unüberhörbaren, altbekannten Spott. „Ich bete niemanden an“, antwortete der Yogi gelassen, „ich verneige mich bloß vor dem göttlichen Licht, dass ich soeben in deiner Seele erblickte. Möchtest du nicht  genauso höflich sein und auch mich auf diese traditionelle Weise begrüßen? Es könnte förderlich für dein Karma sein.“ – „Karma... ?“ lachte der Teufel heiser. „Du bist wirklich ein lustiger Geselle. Weißt du denn nicht, dass ich es bin, der das Karma erfunden hat?“ – „Verzeih mir und lass mich ehrfurchtsvoll deine Füße berühren“, entgegnete darauf der Yogi. „Du scheinst mir fürwahr der große Weise zu sein, dem ich immer schon begegnen wollte.“

 

„Versuchst du etwa, mich im Spotten zu übertreffen, du Zwerg? Wisse drum, ich bin niemand geringerer als der Teufel höchst persönlich!“ – Ungerührt von den Worten des Teufels sagte der Yogi sanft: „Jeder glaubt jemand zu sein in dieser vergänglichen Welt, das ist in Ordnung und beruhigt das Gemüt. Wird dieser Glaube aber nur ein wenig angezweifelt, erregt es eher das Gemüt. Was gleichzeitig beruhigt und erregt, kann nicht von Bestand sein. Name, Beruf, Besitz und Rang bieten keine Sicherheit, denn wir können sie in jedem Augenblick verlieren.“ Der Teufel kratzte sich mit seinen krummen Fingernägeln zwischen den Hörnern und schien einem Moment lang sichtlich bemüht, die Worte des Yogis verstehen zu wollen. Doch dann lachte er laut heraus: „Der Teufel ist und bleibt, ganz ohne Zweifel, in alle Ewigkeit der Teufel!“

 

„Alles Erschaffene vergeht. Und du bist nicht einmal erschaffen!“ erwiderte der Yogi. „ Du bist nur ein Gedanke. Eine Metapher. Eine Machtphantasie, der Traum vom Besonderssein.“ Der Yogi ließ sich auf einem Stein nieder und schloss die Augen. „Was redest du?“, kicherte der Teufel hysterisch. „Glaubst du, indem du die Augen verschließt, könntest du mich in ein Nichts verwandeln?“ – „Ob ich die Augen offen oder geschlossen halte, ich sehe nur Gott“. – „Oh, du armer Wicht!“ prustete der Teufel heraus. „Wie das Karma und die vielen anderen heiligen Lügen so ist auch Gott nur eine Erfindung von mir“. – „Ich weiß, mein Freund. Doch der von dir inthronisierte und institutionalisierte Gott hat nichts mit meinem Gott gemein“. – „Was sagst du da“, schrie der Teufel, „willst du behaupten, es gäbe einen anderen Gott als den von mir erdichteten?“ – „Du weißt es. Denn er ist es ja, der dich dichten, lügen und erfinden lässt in seinem Langmut. Aber ich will dir gerne einen unwiderlegbaren Beweis liefern“.

 

Der Yogi richte sich gerade auf und blickte dem Teufel unverwandt in die feurigen und unruhig umherwandernden Augen. „Erwidere meinen Blick und weiche ihm nicht aus. Du scheinst Angst zu haben. Überwinde sie und schaue mich an. Wenn dir dabei keine Tränen kommen, dann gibt es nur dich und deinen selbst erschaffenen Götzen. Doch kommen dir die Tränen, dann muss ich dir die Existenz des Göttlichen nicht mehr beweisen, dann hast du es bereits verstanden“. Der Teufel fluchte und knurrte, er zog schreckliche Fratzen und blies schwarzen Rauch aus seinen Nüstern. Doch er spürte, dass bei diesem Yogi die ganze Zauberkunst und Wildheit ihm nichts halfen. Auch fühlte er sich tief in seiner Eitelkeit gekränkt. So brachte er allen Ehrgeiz auf, um den Blick des Yogis standhaft zu erwidern.

 

Ihm wurde schwindlig. Er glaubte brausende Musik aus seinem bisher kalten Herzen zu hören. Er hielt den heißen Atem an und starrte mit all seiner schwindenden Macht in dieses Augenpaar, das ihn so klar, so heiter und so ruhig anstrahlte. Er versuchte des Speichels Herr zu werden, der aus seinen Lippen rann und den er nicht mehr schlucken konnte. Er wand sich und stöhnte grauenhafte Ewigkeiten lang. Und dann... tropfte die erste Träne aus seinem linken Auge und das rechte schloss sich an. Ein Damm war plötzlich und unwiederbringlich gebrochen. Der Tränenstrom schoss ungehemmt und die Liebesglut floss gleich Lava. Ein neues Lied wurde geboren, fürs Erste mehr krächzend als melodiös dennoch so rein, so wahr, so kindlich und freudig!

 

Der Yogi stand auf, verließ den Stein und ging in die Wälder. Er tanzte nicht, er sang nicht, er lachte nicht, er jubelte nicht und war auch nicht schweigend. 

 

 

- Bhajan Noam –

 

Seiten des Lebens: www.bhajan-noam.com

 

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Kommentare

  • Ich wollte es nicht zu plakativ schreiben. Vielleicht verpasst man deshalb den Dreh. Aber jeder kann die Geschichte natürlich auf seine Weise interpretieren. Meine Sicht ist: Der Teufel war der letzte Schleier der Maya, den der Yogi überwand. Es gibt keinen Teufel außerhalb, alle Geschichten spielen sich in Wahrheit in uns selbst ab. ***

  • Eine schöne Geschichte, Bhajan -
    fast tut er mir Leid, der arme Teufel ...!!, und das alles nur, weil sein Prestige ihn verpflichtet hatte :-),
    aber das kennen wir ja auch von uns selbst... (seufz).
    Und wie geht's jetzt wohl weiter mit dem Teufel?? Die Frage ist doch echt spannend, vielleicht hast
    du ja noch eine Fortsetzung? - Om Shanti!

    (P.S: Also ich glaube, dass sich der Teufel ganz schnell von seinem Aussetzer erholt ..., und zwar
    auf der Stelle mit jedem Meter mehr, den sich der Yogi von ihm entfernt. Ohne Yogis direkte
    Ausstrahlung von Liebe geht bei dem Teufel gar nichts ... )

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