Durch das Leben vieler Menschen geht ein dunkler Riss. Auf der einen Seite lieben sie ihre Frau, ihren Mann, ihre Kinder, ein paar Freunde, ihre Katzen, Hunde oder Pferde, auf der anderen Seite leben sie im Krieg mit der Welt. Und in ihrem Unterbewusstsein sieht es oft umgekehrt aus: Sie hassen ihre Liebsten und Nächsten, was sie jedoch niemals zugeben würden, und suchen und pflegen eine seltsame Liebe zu seelentötender Routine, zu Streit und kleinen Morden in Gedanken. Ein großer Teil der Menschheit lebt in einem absurden Zustand, er ist tief in Schizophrenie und Wahnsinn gefallen, hält sich selbst aber für vollkommen gesund.
Alles Echte, alles Lebenswerte, alles Erhellende und Erwärmende findet in diesem Augenblick statt, im stetigen Schlagen des Herzens. Verlassen wir diesen Raum, entsteht ein Bruch in dem zuvor lebendigen Rhythmus. In Losgelöstheit und Entfremdung vom wahrhaftigen Leben stolpern wir mit den mühsamen Schritten eines Betrunkenen, eines vergeblich Fliehenden oder eines verirrten Rachsüchtigen. Ohne Gebet tropft Gift von unseren Zungen zu Boden. Und es macht die Erde zur Hölle, zu einem entseelten Todesstreifen. Mit Gebet hingegen, mit gezähmten Gedanken, hauchen wir ihr ewiges, paradiesisches Leben ein. Unser Herz ist Ausdruck unserer Verbindung zu Gott und Abbild unserer Abenteuer mit den Menschen. Sprechen wir süße Worte, wird auch unser Leben süß. Süße Worte sind Medizin in unseren Beziehungen, wie für uns selbst. Es ist nicht schwer, sie wieder zu entdecken. Wir werden staunen: Die Worte der Liebe befinden sich dicht unter der Oberfläche von Groll, von Lästerei, von Lügen, von Verleumdung und Verachtung. Sie sind unserem Wesen weit näher als letztere. Abkehr ist dem Herzen unendlich ferner als Heimkehr. Du wurdest vielfach verwundet in deinem Leben und glaubst in gleicher Sprache antworten zu müssen. Das ist eine sehr kindliche Reaktion, der du nicht weiter verfallen brauchst. Erkenne einfach: jedes Heute ist ganz neu und frisch! Hermann Hesse sagt in seinem Gedicht ‚Stufen’: „Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, / an keinem wie an einer Heimat hängen, / der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, /er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten. – / Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde / uns neuen Räumen jung entgegen senden, /des Lebens Ruf an uns wird niemals enden... / Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“
Dieser Herzschlag, diese Blume, dieser Vogellaut, dieser Sonnenstrahl, dieses Lachen in einem fremden Gesicht, das ist millionenfach mehr als eine Tonne vergrabenes Gold. Und wieviel mehr erst als dein bisschen verrostetes Eisen! Belasse die rohen Gesetze der Vergangenheit in ihrem kalten, finsteren Grabe und stürme mit lautem Lachen auf die Gipfel der Herrlichkeit des Jetzt! Benetze mit lieblichen Worten Freunde wie auch Feinde. Vermeide dabei nicht die Wahrheit. Sei auf keinen irrigen Vorteil aus. Jeder Betrug ist Selbstbetrug. Heile dich selbst und andere mit der Arznei deiner durch Gebet und Erkenntnis geläuterten Zunge. Folge dem Flüstern deines Herzens. Willst du gesund bleiben, tue ihm keine Gewalt durch Lügen an. Alle Menschen sind vor Gott wie ein einziger Mensch, so sollten auch wir es empfinden. Mögen wir nicht in der Stunde der Heiligkeit, wir nennen sie die Todesstunde, auf eine Wüste zurückblicken, sondern auf einen heiteren Garten, in dem wir Feste wahrhaftiger Begegnungen feierten und der Musik anmutiger Seelen lauschten!
Folgende jüdische Geschichte, die ich ein wenig umgedichtet habe, pointiert das zuvor gesagte: „Joine, du warst doch auf der Talmudschule. Kannst du mir dieses unser irdisches Dasein erklären?“ “Ich will es dir an einem Beispiel erklären, Schmul. Ich stelle dir eine talmudische Frage: Zwei fallen durch einen Kamin. Einer verschmiert sich mit Ruß, der andere bleibt sauber. Welcher wird sich waschen?" "Der Schmutzige natürlich!" "Falsch! Der Schmutzige sieht den Reinen, also denkt er, er ist auch sauber. Der Reine aber sieht den Beschmierten und denkt, er ist auch beschmiert; also wird er sich waschen. – Ich will dir eine zweite Frage stellen: Die beiden fallen noch einmal durch den Kamin. Wer wird sich waschen?" "Na, ich weiß es jetzt schon: der Saubere." "Falsch. Der Saubere hat beim Waschen gemerkt, dass er sauber war; der Schmutzige dagegen hat begriffen, weshalb der Saubere sich gewaschen hat, also wäscht sich jetzt der Richtige. – Ich stelle dir die dritte Frage: Die beiden fallen ein drittes Mal durch den Kamin. Wer wird sich waschen?" "Von jetzt an natürlich immer der Schmutzige." "Wieder falsch! Hast du je erlebt, dass zwei Männer durch den gleichen Kamin fallen, und einer ist sauber und der andere schmutzig? – Der Kamin ist dieses Erdenleben und keiner bleibt frei von Sünde. Aber jeder kann sich im anderen erkennen und sollte, statt auf ihn zu zeigen, sich einfach selbst waschen. Dann könnten die Menschen und Völker in neuem Lichte endlich arglos feiern und alle Herzen hüpften und tanzten vor Freude.“
Kommentare