Schritt für Schritt sich selbst verwirklichen

Yoga Sutra 3. Kapitel, 9. Vers: "Durch die wachsende Beherrschung der ständig auftauchenden und wieder verschwindenden Eindrücke des Unterbewusstseins und das jederzeitige Verweilen des Geistes im Ruhezustand, entwickelt sich allmählich die Meisterschaft im Nirodha." Verwirklichung geschieht schrittweise. So wie die Bäume nicht von einem Tag auf den anderen zehn Meter wachsen, sondern eine Weile brauchen, so wie nicht nach dem Winter sofort Sommer ist, so ähnlich wächst auch der spirituelle Forschritt schrittweise. Schrittweise ist vielleicht nicht immer die richtige Beschreibung. So ähnlich, wie es vom Winter zum Sommer auch mal vorübergehend plötzlich sehr warm wird und dann wieder kälter, so ähnlich ist auch der spirituelle Fortschritt durchaus nicht immer ruhig und beständig. Auch hier kann es Höhen und Tiefen geben. Allmählich, Schritt für Schritt, entwickelt sich dabei die Herrschaft über den Geist. Wie kommen wir zur Herrschaft über den Geist? Wir lernen langsam, die auftauchenden und verschwindenden Eindrücke des Unterbewusstseins zu beherrschen und wir verweilen immer häufiger im Ruhezustand des Geistes. Zum einen arbeiten wir daran, nicht allen möglichen Wünschen und Impulsen zu folgen. Zum anderen lernen wir, in uns selbst zu verweilen, in unserem höheren Selbst. Man kann auch sagen: Im Göttlichen verweilen, in diesem unbedingten Zustand von Wonne und reinem Sein. Das geschieht schrittweise. Jeder Gedanke, der beherrscht wird, jeder Wunsch, der beherrscht wird, führt dich einen Schritt näher zum Göttlichen. Genau so wie jeder Moment, in dem du das Göttliche spürst. Dieser Vers ist auch eine Vorlage für eine Meditation. In der Meditation siehst du die auftauchenden und verschwindenden Eindrücke des Unterbewusstseins. Auch damit kannst du lernen, einen Wunsch zu beherrschen. Wenn du den Wunsch eine Weile beobachtest, wirst du merken, dass er irgendwann plötzlich nicht mehr da ist. Die Unruhe durch diesen Wunsch verschwindet irgendwann ganz von allein. Selbst wenn du dich über etwas furchtbar geärgert hast, bleibt der Ärger nicht andauernd. Er kommt und er geht. Wenn du dich immer daran erinnerst, kannst du das für dich nutzen. Eine Möglichkeit wäre, diese Bewusstseinsinhalte, also die Eindrücke, die Vrittis, zu beherrschen. Eine andere Möglichkeit wäre, sie nicht unbedingt zu beherrschen, sondern zu beobachten, wie sie kommen und gehen. Nach einer Weile merkst du dann plötzlich, dass da zwischen diesem Kommen und Gehen noch mehr ist. Zwischen zwei Gedankenwellen gibt es einen Moment der Stille. Du kannst dich auf diese Stille zwischen zwei Gedankenwellen ganz konzentrieren. In diesem Moment ist Frieden, ist Nirodha, ist die Ruhe des Geistes. Und diese Ruhe kannst du noch weiter ausdehnen, zum Beispiel mit einem Mantra. Konzentriere dich auf ein Mantra und wiederhole es mit jedem Ein- und Ausatmen. Denke zum Beispiel „Om“ beim Einatmen und Ausatmen. Am Ende des „Om“ hast du einen Moment der Stille, in dem weder das Mantra noch ein anderer Gedanke da ist. Wenn du beim Einatmen „Om“ rezitierst, mögen parallel andere Gedanken kommen. Dann wiederhole „Om“ beim Ausatmen, und lass die Gedanken wieder verschwinden. Nach dem Ausatmen erfährst du einen Moment der Atempause, der Stille des Geistes. Noch nicht mal das Mantra ist da, erst recht kein anderer Gedanke. Daraus kann dann Kevala Kumbhaka entstehen, das natürliche Aussetzen des Atems oder das sehr ruhige Atmen, bei dem du in einem ruhigen Gemütszustand verweilst.

Transkription eines Kurzvortrages von Sukadev Bretz im Anschluss an die Meditation im Satsang im Haus Yoga Vidya Bad Meinberg. Mehr Yoga-Vorträge als mp3

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