Hilfestellungen für Fortgeschrittene

Fortgeschrittene sind nicht nur Leute, die „die Füße von vorne, hinten und von der Seite an die Ohren bringen können“, sondern fortgeschritten in diesem Sinn ist jeder, der schon eine Weile Yoga macht. In diesem Sinne: Wenn jemand ein halbes Jahr oder ein Jahr in die Yogastunde kommt, und die Hände in der Vorwärtsbeuge nicht an die Fußgelenke bekommt, ist er trotzdem in dieser Definition fortgeschritten.                       

Natürlich machst du bei Fortgeschrittenen auch Korrekturen, dass die Yogastellung korrekt ist, dass der/die Teilnehmende auch spürt, wie sich eine Stellung gut anfühlt. Das ist identisch wie bei Anfängern. Natürlich sind die Adjustments auch mit dem Ziel, dass Entspannung entstehen kann, und dass der/die Teilnehmende Vertrauen zum Yogalehrer/zur Yogalehrerin hat – du hast also im Grunde die Zielsetzung der Anfängerkorrektur auch bei der Fortgeschrittenenkorrektur. Es kommen aber ein paar Dinge dazu.

Du schiebst den Teilnehmer/die Teilnehmerin weiter in die Stellung hinein, um ihm/ihr zu helfen, weiter voranzuschreiten. Ab einem gewissen Fortschritt braucht es tatsächlich die Hilfe eines Yogalehrers/einer Yogalehrerin, dass der/die Teilnehmende noch weiterkommt.

Sukadev berichtet aus seiner eigenen Praxis am Beispiel der Vorwärtsbeuge; dass er – als ursprünglich eher steifer Mensch – irgendwann die Hände zu den Füßen bringen konnte. Ab da haben seine Yogalehrer ihn behutsam immer weiter in die Stellung gebracht, bis er schlussendlich den Bauch auf die Oberschenkel und das Kinn auf die Knie ablegen konnte. Auf die gleiche Weise hat er gelernt, vollständig in die Stellung der Taube zu kommen. Er ist dankbar für diese Hilfe seiner Yogalehrer, denn alleine hätte er das nicht geschafft.

Auf die gleiche Weise kannst du Menschen vom Kopfstand in den Skorpion hineinhelfen, Menschen, die nie in der Lage wären, von sich aus den Skorpion zu machen. Und du kannst überhaupt Menschen helfen, erst einmal den Kopfstand zu erfahren. Hilf also bei fortgeschrittenen Menschen in Stellungen zu kommen, die sie alleine nicht beherrschen würden. Gerade wenn Menschen, die regelmäßig Yoga üben, merken, dass sie in Yogastunden erheblich weiterkommen, und daher auch tiefere Erfahrungen machen, weil der Yogalehrer/die Yogalehrerin stärker in die Stellung hineinhilft, dann kommen die Menschen gerne regelmäßig zur Yogastunde. Wenn dagegen die Fortgeschrittenen das Gefühl haben, zu Hause kommen sie genauso weit wie in der Yogastunde, dann überlegen sie: Warum sollte ich diesen Aufwand betreiben, Auto parken oder mich in die vollen U-Bahnen zu setzen? Oder bei Regen mit dem Fahrrad zur Yogastunde zu fahren? Übe ich doch lieber bei mir zu Hause. Daher, wenn du Fortgeschrittene unterrichten willst und unterrichtest, schiebe sie nach vorne! Jeder Fortgeschrittene sollte idealerweise nach jeder Stunde das Gefühl haben, dass er/sie mindestens eine Stellung besser in der Yogastunde machen konnte durch die Hilfestellungen der Yogalehrerin, als wenn er es alleine gemacht hätte.

Es gibt auch komplexere Yogastellungen, wo es nicht nur darum geht, fortgeschrittener in die Dehnung hineinzukommen. Z.B. die Füße hinter den Kopf zu bekommen (Yoga Nidrasana) ist nicht nur eine Frage der Flexibilität, es ist auch eine Frage des Wissens. Und alleine mit einer Abbildung merken die Menschen das nicht. Der Yogalehrer/die Yogalehrerin kann dem Teilnehmer/der Teilnehmerin helfen, wie das Bein hinter der Schulter sein muss, wie der Fuß hinter den Kopf geht, wo man die Oberarme hingibt, dass die Oberschenkel hinter den Oberarmen sind und so weiter. Der Yogalehrer/die Yogalehrerin kann also dem Teilnehmer/der Teilnehmerin helfen, wie die Stellung geht und auf diese Weise auch helfen, die Stellung zu halten. Ähnlich auch im Handstand: Natürlich können die Teilnehmer/Teilnehmerinnen Handstand üben, aber du kannst zeigen, wie der Handstand aussieht, wie er sich anfühlt, wie die Ellbogen gebeugt sein sollen, wie der Kopf im Verhältnis zum oberen Rücken und so weiter ist. Die Adjustments bei Fortgeschrittenen sollen also auch zeigen, wie die Stellung überhaupt geht.

Natürlich gilt bei all diesen Adjustments und Hilfestellungen, dass du deine Teilnehmer selbstverständlich auch nicht schädigen solltest. Dort gilt es also, aufzupassen. Normalerweise sollten die Anfängerkorrekturen/Anfängerhilfestellungen unproblematisch sein. Es gilt nur, dass du die Hilfestellungen so machen musst, dass der Teilnehmer/die Teilnehmerin Vertrauen zu dir hat.                

Es gibt Menschen, die vielleicht schlechte Erfahrungen haben. Sexueller Missbrauch, unzüchtiges berührt werden, vielleicht von älteren Menschen, und die vielleicht gute Gründe haben, dass sie eventuell ein bisschen vorsichtig sind, und ein unverhofftes berührt werden nicht so schön finden. Dort gilt es, Rücksicht zu nehmen und sanft zu sein. Die Mehrheit der Menschen wird in der entspannten und geschützten Atmosphäre eines Yogaunterrichtes sich gut fühlen und sich entspannen, wenn du sie berührst. Solltest du aber bemerken, dass ein Teilnehmer/eine Teilnehmerin ein bisschen zusammenzuckt und verspannt, wenn du ihn/sie sanft berührst, dann wäre zu empfehlen, erst einmal die Berührungen sein zu lassen, und nach der Yogastunde unter 4 Augen kurz zu fragen, ob es okay ist, wenn du ihn/sie in den Stellungen berührst. Eventuell sagt der Teilnehmer „Ja, ich war nur etwas erschrocken, dass du plötzlich da bist.“ Ein Tipp wäre hier: Wenn du korrigierst, bewege dich nicht ganz lautlos. Geh nicht in der Stille lautlos zu einem anderen Menschen hin. Der Mensch hat vorher gedacht, du bist im östlichen Teil des Raumes, er ist im westlichen, und plötzlich taucht jemand auf und berührt – der Mensch zuckt zusammen. Entweder machst du deine Schritte hörbar, oder du sagst ein kurzes Wort, vielleicht an die ganze Gruppe, und dann weiß der Teilnehmer/die Teilnehmerin, wo du stehst. Angenommen, du hast eine große Yogastunde mit mehreren Assistenten und Assistentinnen (bei Yoga Vidya Bad Meinberg können bis zu 140 Menschen in einem großen Yogaraum sein), ist es gut, das vorher anzusagen. Dann wissen die Menschen, wenn von vorne eine Ansage kommt, kann auch von hinten jemand kommt, um sie zu berühren.

Bei fortgeschrittenen Korrekturen ist natürlich auch wichtig, dass du den Teilnehmer/die Teilnehmerin nicht verletzt. Es gibt manche Korrekturen, die kann man bei manchen Menschen machen, aber bei anderen nicht. Wenn du bei Yoga Vidya die Yogalehrer-Ausbildung mitmachst, dann lernst du natürlich, was es zu beachten gilt. Es gibt manche, bei denen kannst du im Pflug Zugkorrekturen machen, bei der Mehrheit machst du keine Hilfestellung, um jemanden tiefer in den Pflug zu bringen. So gibt es eine Reihe von Adjustments, die man nur bei bestimmten Menschen macht.

Es sei auch noch darauf hingewiesen, dass es eine Videoreihe „Typische Fehler und Korrekturen“ gibt. Da werden die wichtigsten Asanas vorgestellt, und da kannst du sehen, welche Adjustments gut sind. Es gibt auch zwei längere Videos, wo alle Adjustments und Hilfestellungen (sowohl Anfänger, als auch Fortgeschrittene) der Yoga Vidya Grundreihe gezeigt werden. Du findest die Videos auf YouTube, wenn du nach „Yoga Vidya Typische Fehler und Korrekturen“ suchst. Oder gehe auf die Internetseiten von Yoga Vidya, dort  findest du zu jeder der Yoga Vidya Stellungen auch die Korrekturen. Und wenn du eine Yoga Vidya Yogalehrer-Ausbildung mitgemacht hast oder mitmachst, findest du typische Fehler und Korrekturen, desgleichen Hilfestellungen (auch Fortgeschrittene) natürlich auch im Yoga Vidya Yogalehrer Handbuch (16. Auflage).

 

Bei Yoga Vidya gibt es auch sogenannte Bodywork-Seminare: Hineinhelfen in fortgeschrittene Asanas – auch ein hervorragendes Seminar für Yogalehrende, die insbesondere fortgeschrittene Teilnehmende unterrichten wollen. Dieses Seminar besteht geradezu daraus, dass Teilnehmende sich gegenseitig in fortgeschrittene Stellungen hineinhelfen, und so bekommst du eine Fülle von eigener Erfahrung, wie man fortgeschrittene Hilfestellungen machen kann.

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

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