Sind die inneren Antreiber schlecht?

Nein, sie sind nicht schlecht. Sie haben erst einmal ihren ursprünglichen Sinn zum Überleben, und zweitens sind sie natürlich auch gewisse Antreiber, die einem helfen sich zu entwickeln.

1.) Du musst vollkommen sein

Dies könnte man auch umsetzen mit „Mach es besser.“ Man könnte sagen sie sind ein gewisser Stachel im Menschen „Entwickle dich weiter.“ Dieser gewisse Stachel „Entwickle dich weiter“ kommt letztlich auch daher, dass wir im tiefen Inneren wissen, dass nur die Vollkommenheit uns glücklich macht. Das ist aber keine körperliche, berufliche, beziehungsmäßige, charakterliche Vollkommenheit, sondern es ist die Erkenntnis: „Ich bin das unsterbliche Selbst.“

Wenn du diesen inneren Antreiber „Das geht besser, das musst du besser machen“ hast, dann lächle, und du könntest zu deinem inneren Antreiber sprechen: „Ja, danke, dass du mich weiter zur Entwicklung antreibst. Danke – und jetzt will ich entspannen.“

2.) Alle müssen dich mögen

Letztlich könnte man zum einen evolutionsbiologisch sagen, dass ein kleines Kind berechtigte Angst hat, von anderen totgebissen zu werden. Erwachsene hatten früher berechtigte Angst, aus der Horde ausgeschlossen zu werden, wenn eine Mehrheit ihn oder sie nicht mag – ein Mensch als Einzelwesen hatte im Dschungel vermutlich kaum Überlebenschancen. Diese Angst, dass andere einen nicht mögen, ist evolutionsbiologisch also durchaus sinnvoll.

Aus der Sicht des Yoga wissen wir: vom Tiefsten des Wesens her sind wir alle eins, und deshalb ist das Streben danach, alle zu lieben und dieses Gefühl der Einheit zu haben, letztlich auch etwas Spirituelles.

Aber wir können auch hier anerkennen: In der Tiefe des Wesens bin ich eins mit allen, und es ist gut, sich liebevoll gegenüber anderen zu verhalten, und es ist gut, diesen inneren Impuls zu haben, mich liebevoll zu verhalten. Aber wenn wir das Leben selbst von Jesus, Buddha oder Mahatma Gandhi anschauen, dann wissen wir: Selbst die großen Selbst verwirklichten, Gott verwirklichten Heiligen, ja sogar Gott auf Erden selbst wird nicht von allen geliebt. Daher ist es letztlich lächerlich zu denken, dass wir besser als Jesus, Buddha oder Mahatma Gandhi sein könnten. Lächerlich ist vielleicht etwas übertrieben, aber jedenfalls ist es vermessen. Daher ist es gut, sich zu bemühen freundlich zu sein, und dieses Bemühen, freundlich zu sein, stammt aus dem inneren Antrieb, aus dem Ego herauszukommen (rücksichtsvoll zu sein, sich mit den anderen eins zu fühlen), und das ist gut - aber wir sollten uns nicht davon beherrschen lassen und daraus keine Angst machen.

3.) Ich muss schnell sein

Ja, es ist gut, diesen Antreiber zu haben, denn das ist wie ein innerer Stachel, ein Anfeuerer, nicht zufrieden zu sein und in Selbstzufriedenheit zu versinken. Es ist letztlich ein Antreiber, sich gut zu entwickeln und an sich zu arbeiten. Ja, es ist gut, Dinge nicht ständig zu verschieben oder sich vom inneren Schweinehund beherrschen zu lassen. Ja, es ist gut vorwärts zu schreiten. Aber wir sollten daraus keine Ängste entwickeln, denn tief im Inneren sind wir sowieso schon vollkommen, und letztlich geschieht, was geschehen soll.

Auf der einen Seite können wir uns spielerisch bemühen, zügig voranzuschreiten, auf der anderen Seite können wir ganz entspannt sein, und dann haben wir einen Antreiber, der schön ist, uns aber nicht in Angst und Stress versetzt.

4.) Ich muss stark sein

Dieser letzte innere Antreiber sagt: „Arbeite an dir selbst. Entwickle deine Konzentrationsfähigkeit und deine Geduld.  Entwickle die Fähigkeit, dein Karma gut zu gestalten.“ Er hat also auch seine Vorteile – aber du musst dich nicht davon beherrschen lassen.

In diesem Sinne:

Das Hatha Yoga hilft, mit seinen inneren Antreibern besser umzugehen

Die spirituelle Lebenseinstellung des Yoga ist sehr förderlich, mit diesen inneren Antreibern gut umzugehen, sie anzuerkennen und wertzuschätzen – aber sich nicht davon beherrschen zu lassen.

Du kannst vielleicht gleich einen Moment innehalten und überlege:

Welche innere Antreiber habe ich, wie manifestieren sie sich, wie gehe ich damit um?

Lasse ich diese inneren Antreiber vielleicht doch meine Yogapraxis behindern – sei es, dass ich mir Stress dadurch mache, sei es, dass ich gar nicht erst übe, weil ich denke: „Ich übe nicht gut genug oder schlechter als andere? Ich bin zu steif (auch das gibt es) und meide deshalb vielleicht sogar Yogastunden?

Machen die inneren Antreiber etwas, was meine Beziehungen zu anderen Menschen behindert, mich vielleicht mehr stresst?

Wie könnte ich Hatha Yoga noch mehr so gestalten, dass es nicht die inneren Antreiber stärkt?

Wie könnte ich eine spirituelle Lebenseinstellung noch vertiefen, die mich meine inneren Antreiber wertschätzen lässt, aber sie mich nicht stressen lässt?

Wenn du Yogalehrende oder Yogalehrender bist, dann überlege auch:

Ist deine Yogastunde so, dass Menschen eben nicht plötzlich ihre inneren Antreiber aktiviert bekommen?

Überlege (mit dem inneren Antreiber „Du musst vollkommen sein“ im Gewahrsein): Haben Menschen in deiner Stunde vielleicht Angst, dass sie nicht gut genug sind? Bist du vielleicht jemand, der den Menschen sagt „Das ist richtig – das ist falsch“, sodass Menschen ständig überlegen, dass sie es nicht richtig machen.

Bist du jemand, der will, dass die Leute alles sehr schnell machen und vielleicht deshalb diesen inneren Antreiber haben?

Haben deine Teilnehmer vielleicht sogar Angst davor, dass du sie nicht magst?

In diesem Sinne – auch ein Yogalehrender, eine Yogalehrende sollte ihren Unterrichtsstil immer wieder hinterfragen und überlegen.

Jetzt solltest du nicht gleich sagen „Ja, stimmt, mein Yogalehrer macht es nicht richtig.“ Diese Vortragsreihe ist nicht dazu gedacht, dass du jetzt neue Gründe für Verurteilungen anderer bekommst, sondern dass du selbst reflektiert mit dir selbst umgehen kannst und vielleicht den einen oder anderen kleinen Schritt machen kannst für ein zwar engagierteres, aber entspannteres Leben.

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

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