Kundalini Yoga ist das zweite der Yogamodelle, warum Hatha Yoga auf die Gesundheit wirkt. Natürlich ist Kundalini Yoga ein Yoga-System, bei dem es darum geht, die Gottverwirklichung zu erreichen, die Kundalini zu erwecken, um schließlich die Kundalini zum Sahasrara Chakra zu führen, was dann zur Erleuchtung führt. Aber Kundalini Yoga hat auch Konzepte für die Gesundheit. Kundalini Yoga sagt, dass es der feinstoffliche Körper ist, der den physischen Körper steuert. Schulmedizinisch könnte man sagen, die Selbststeuerungsmechanismen und -prozesse, werden im Kundalini Yoga als Prana bezeichnet. Im Kundalini Yoga werden sie aber als feinstofflich angesehen. Es wird gesagt, dass der Astralkörper mit Prana Nadis, Chakras den physischen Körper verlassen kann, zum Beispiel bei der Astralreise oder beim Tod. In der Schulmedizin würde man dem skeptisch gegenüber stehen, aber beim Grundkonzept, dass der physische Körper irgendwie gesteuert wird, und dass die Gesundheit des Körpers von den Selbststeuerungsprozessen abhängt, kann man sagen, stimmen Kundalini Yoga und Schulmedizin durchaus überein. Kundalini Yoga beschreibt auch wie diese feinen Selbststeuerungsprozesse laufen und spricht dort von Prana (Energie), Nadis (Energiekanäle) und Chakras (Energiezentren). Ich nehme an, davon hast du schon gehört, ansonsten gibt es einige Vorträge von mir, die jedes dieser drei Konzepte sehr detailliert beschreiben.
Kundalini Yoga – Prana
Vom Standpunkt der Gesundheit her, sind Prana die Lebensenergien und im Kundalini Yoga werden die fünf Hauptenergien (Haupt-Vayus) beschrieben und die fünf Neben-Vayus. Ich nenne hier nur die fünf Haupt-Vayus:
- Prana Vayu: die Energien, die das Atmungssystem und den Überlebensinstinkt steuern
- Apana Vayu: die Energie hinter den Ausscheidungssystemen, der Sexualität und der Geburt, aber auch die Energie hinter der Kreativität
- Samana Vayu: die Energie hinter der Verdauung, auch die Energie hinter Mut, Selbstvertrauen, innerem Feuer
- Udana Vayu: die Energie hinter dem Nervensystem, der Kommunikation, hinter der Sprache, hinter dem Schlafen und letztlich für die Projektion des Astralkörpers aus dem physischen Körper
- Vyana Vayu: die Energie hinter der ganzen Bewegung des Körpers, wozu sowohl der Kreislauf gehört wie auch das Muskelsystem und die physische Bewegung des Körpers
Das sind die fünf Vayus (Energieformen), die den physischen Körper steuern, und wenn diese irgendwo gestört sind, dann gibt es Probleme. Ist Prana Vayu gestört, dann kann es zum einen zu Atemstörungen kommen, aber auch zu Ängsten usw. Ist Apana Vayu gestört, dann heißt das, die Ausscheidungen funktionieren nicht mehr richtig. Es kann auch zu Menstruationsproblemen kommen, zu sexuellen Problemen und anderen. Funktioniert Samana Vayu nicht richtig, dann gibt es keine gute Verdauung und der Mensch hat eine mangelnde Fähigkeit zur inneren Mitte zu kommen, hat mangelndes Selbstbewusstsein und es mangelt an Mut. Ist Udana Vayu gestört, kann es zu Nervenerkrankungen, Schlaf- oder Kommunikationsstörungen und innerer Unruhe kommen. Ist Vyana Vayu gestört, ist die Beweglichkeit eingeschränkt, das Herz funktioniert nicht richtig, es kann zu verschiedenen Herz-Kreislaufproblemen, Muskelproblemen und rheumatischen Beschwerden führen. Im Kundalini Yoga wird gesagt, um gesund zu sein, muss man Prana Vayu aktivieren und harmonisieren, Apana, Samana, Udana, und Vyana Vayu. Und es wird gesagt, bestimmte Übungen wirken auf Prana Vayu, zum Beispiel die Atemübungen. Bestimmte Übungen wirken auf Apana Vayu, zum Beispiel die Umkehrstellungen, Mula Bandha, Ashwini Mudra, und Vajroli Mudra. Bestimmte Yoga-Übungen wirken auf Samana Vayu. Dazu gehören gewisse Bauchübungen wie Uddiyana Bandha, Agni Sara, Nauli, Asanas wie Vorwärtsbeuge, Drehsitz, Pfau und dazu gehört auch die tiefe bewusste Atmung mit Verankerung im Bauch. Bestimmte Übungen wirken auf Udana Vayu, wie zum Beispiel Tiefenentspannung, Meditation und Mantra-Singen. Und bestimmte Übungen wirken auf Vyana Vayu. Dazu gehören zum Beispiel die Asanas und der Sonnengruß. So kann man im Kundalini Yoga sagen, die ganzen Übungen im Hatha Yoga sorgen dafür, dass die fünf Vayus harmonisch fließen. Das trägt zur Gesundheit bei.
Kundalini Yoga – Nadis
Ein weiteres Konzept im Kundalini Yoga für Gesundheit sind die Nadis (Energiekanäle). Im Kundalini Yoga wird gesagt, dass wir 72.000 Nadis haben. Die Nadis sind die Energiekanäle, die die Pranas (Energien) transportieren. Wenn die Kanäle verstopft sind, fließt Prana nicht richtig und es kommt zu Erkrankungen. Das ist ähnlich wie in der traditionellen Medizin, in der von Meridianen gesprochen wird, und gesagt wird, dass das Chi, also die Lebensenergie blockiert sein kann. Sie kann entweder aufgestaut sein oder nicht hinkommen. Das führt zu Erkrankungen. So heißt es, dass die Yoga-Übungen die Nadis reinigen und öffnen. Wenn du zum Beispiel in der Vorwärtsbeuge bist, werden die Nadis entlang der Rückseite der Beine und entlang des Rückens gedehnt, es wird ein sanfter Druck ausgeübt, und auf andere Nadis wird durch das Drücken eine bestimmte Stimulation ausgeübt. Wenn du in der Rückbeuge bist, werden andere Nadis auseinandergezogen und so geöffnet. Oder wenn du den Pfau machst, dann ist ein bestimmter Druck auf dem Bauch und das wiederum hat eine Wirkung auf die verschiedenen Nadis dort. So helfen die verschiedenen Asanas, diese Nadis zu reinigen. Von besonderer Wichtigkeit gelten drei Nadis, von denen du sicher auch gehört hast: Ida, Pingala und Sushumna. Ida ist die Trägerin der Mondenergie, Pingala die Trägerin der Sonnenenergie, und Sushumna wird manchmal die Trägerin der Feuerenergie genannt oder auch die Energie, die alles zum Gleichgewicht bringt. Hier könnte man sagen, dass bestimmte Erkrankungen damit zusammenhängen, dass Ida zu schwach oder zu stark ist. Wem zum Beispiel immer kalt ist, wer antriebslos oder hyperemotional ist, ohne irgendetwas bewegen zu können, ist oft jemand, der zu viel Ida und Pingala blockiert hat. Dagegen hat jemand, der ständig Hitze hat, leicht jähzornig wird, aber nicht zur Ruhe kommen kann, oft einen geöffneten Pingala Kanal, aber Ida ist geschlossen. Und so gilt es, Ida und Pingala zu öffnen. Um diese zu öffnen, gibt es in besonderem Maße die Wechselatmung (Anuloma Viloma). Die Hatha Yoga Pradipika sagt, wer Wechselatmung übt, hat ein harmonisches Energiesystem und erfreut sich guter Gesundheit. Das zweite Konzept im Kundalini Yoga sind also die Nadis (Energiekanäle). Letztlich verbindet sich natürlich auch Kundalini Yoga mit Ayurveda. Im Ayurveda wird von den sogenannten Marmas gesprochen, den Energiezentren, -punkten oder –feldern. Es gibt eine Marma-Massage, bei der diese Energiefelder aktiviert werden sollen. Das sind zum Teil Chakras (Energiezentren) und zum Teil sind es die Punkte oder Felder, die verhindern, dass Prana fließen kann, wenn sie blockiert sind. So könnte man sagen, die Praxis im Hatha Yoga ist auch so etwas wie eine sanfte Marma-Massage und Marma-Entblockierung, sodass die Energie durch die Nadis fließen kann und die Chakras sich öffnen.
Kundalini Yoga – Chakras
Der dritte Aspekt im Kundalini Yoga, der gesundheitlich relevant ist, ist der Aspekt der Chakras. Ein Chakra ist, wie du sicherlich weißt, ein Energiezentrum. Es gibt sehr viele Chakras. Auf jeder der Nadis gibt es mehrere Chakras und jeder Kreuzungspunkt von Nadis ist auch ein Chakra. Im Ayurveda wird zum Beispiel gesprochen von 108 Marmas und diese Marmas sind auch alle Chakras. In den Kundalini Schriften wird von sieben Haupt-Chakras gesprochen und manchmal von einigen Neben-Chakras. Bei Yoga Vidya sprechen wir gerne von den sieben Haupt-Chakras in der Sushumna und den fünf Kshetra Chakras, den Ausstrahlungen im vorderen Teil des Körpers, sodass wir typischer Weise in einer Yogalehrer-Ausbildung zwölf Chakra-Namen vermitteln. Wenn die Chakras geöffnet sind, dann kann der Körper gesund sein. So gilt es zunächst einmal, die Marmas zu öffnen, und dies geschieht wiederum durch die Asanas. Es gilt, die Chakras entlang der Sushumna zu öffnen. Hier würde Kundalini Yoga wiederum sagen, dass bestimmte Erkrankungen mit bestimmten Chakras zusammenhängen. Das Muladhara Chakra ist das Erd-Chakra. Das Svadhishthana Chakra ist das Wasser-Chakra, das mit Blasenfunktion und Sexualität zu tun hat. Manipura Chakra ist das Feuer-Chakra, das auch mit Verdauung zu tun hat. Das Anahata Chakra ist das Herz-Chakra, was mit Herz-Kreislauf- und Lungensystem zu tun hat. Das Vishuddha Chakra ist das Kehl-Chakra, das in Verbindung steht mit Kommunikation und Nervensystem. Das Ajna Chakra ist das Zentrum der Erkenntnis, das Stirn-Chakra, welches auch mit Intuition und Erkenntnis zu tun hat. Und das Sahasrara Chakra, Scheitel-Chakra, hängt zusammen mit dem Gefühl der Verbundenheit mit einer höheren Wirklichkeit. Kundalini würde eben wiederum sagen, dass es für eine gute Gesundheit einer gewissen Öffnung der verschiedenen Chakras bedarf. Und bestimmte Erkrankungen hängen mit einer teilweisen Blockade von einem oder mehreren dieser Chakren zusammen. Öffne deine Chakras und dann wirst du gesünder sein. So hat Kundalini Yoga auch ein schönes Modell, um zu zeigen wie die Yoga-Übungen wirken, und man könnte aus dem Kundalini Yoga spezifische Yoga-Übungen ableiten, die bei spezifischen Erkrankungen besonders geübt werden müssen. Wenn man bei einer Erkrankung weiß, welches der Vayus, Nadis (nicht nur diese drei, sondern auch die vielen anderen) und Chakren besonders betroffen ist, könnte man dort Empfehlungen ableiten, welche der Yoga-Übungen besonders geübt werden müssen.
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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.
Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.
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