Warum wirkt Yoga? Welche Modelle gibt es im Yoga selbst, vom Ayurveda her, vom Kundalini Yoga her und vom Raja Yoga her?

Die moderne wissenschaftliche Forschung weiß, dass Yoga wirkt. Yoga wirkt als Prävention und hilft, dass Menschen gesünder bleiben, als wenn sie kein Yoga üben würden. Yoga hilft auch bei gesundheitlichen Beschwerden, Yoga hilft bei der Heilung von Krankheiten. Bei manchen Erkrankungen kann Yoga die Selbstheilungskräfte so sehr stärken, dass die Krankheiten schneller verschwinden, Yoga kann Teil einer multimodalen Therapie sein, die sich also kombiniert mit schulmedizinischen Maßnahmen, und Yoga kann auch hilfreich sein, um die Nebenwirkungen einer schulmedizinisch wirksamen Therapie zu reduzieren. Aber warum wirkt Yoga? Beim letzten Mal hatte ich darüber gesprochen, dass es schulmedizinische Erklärungen gibt, dass es Yoga als Entspannungstechnik, Yoga als Sportart und Yoga als psychosomatische Funktionsaktualisierung zur Stärkung der Selbstheilungskräfte gibt – drei schulmedizinische Modelle.

Aber im Yoga gibt es auch verschiedene Modelle, warum Yoga wirkt, und darüber möchte ich heute sprechen. Ich möchte auf vier Modelle eingehen, die aus dem Yogabereich heraus erklären, warum Yoga wirkt.

  1. Ayurveda, die klassische indische Medizin
  2. Kundalini Yoga, der Yoga der Energie
  3. Raja Yoga, der psychologische Yoga
  4. Jnana Yoga, der über die fünf Koshas spricht

In gewisser Weise ist das, was ich hier sage, eine Zusammenfassung von Verschiedenem, was ich in dieser Yoga-Vidya-Schulungsreihe schon gesagt hatte – jetzt aber zusammengefasst, warum Yoga für die körperliche und psychische Gesundheit wirkt.

Ayurveda

Ayurveda ist das klassische indische Medizinsystem, hat sich in Jahrtausenden entwickelt und gehört zu den komplexesten traditionellen Medizinsystemen, die es gibt. Ich will es jetzt nur verkürzt und etwas prägnant darstellen. Die Ayurvedaspezialisten mögen mir verzeihen, dass ich das Ganze erheblich simplifiziere, einfach um ein Erklärungsmodell aus dem Ayurveda zu zeigen, warum Hatha Yoga mit seinen Atemübungen, Tiefenentspannungstechniken, dynamischen Körperübungen wie Sonnengruß und den statisch gehaltenen Asanas wirkt.

Ayurveda – Amas

Wenn wir im Ayurveda sehen, was Ursachen von Krankheit sind, könnte man sehr vereinfacht sagen, dass es drei Ursachen von Krankheit gibt. Das eine ist Ansammlung von Ama, und Amas werden die Stoffwechselprodukte genannt, die Schlacken, das was nicht abtransportiert werden kann. Im Ayurveda spricht man zum einen vom Grobstofflichen, was man also im physischen Körper nachweisen kann. Es gibt aber auch feinstoffliche Amas, die letztlich die feinstofflichen Energiekanäle blockieren. Und hier würde Ayurveda sagen, bestimmte Lebensweisen fördern das Ansammeln von Ama und je mehr Ama im Körper ist, desto eher wird der Körper krank. Wenn die Amas regelmäßig abtransportiert werden, dann wird der Körper gesund sein. Wenn zu viel Amas da sind, dann behindert das die Funktionsweise des Körpers, und der Mensch wird krank. Hatha Yoga hilft, Amas abzutransportieren. Die Asanas mit ihrer Dehnung, das Pranayama mit der tiefen Atmung und die Reinigungsübungen (Kriyas), die Entspannungstechniken (Shavasana), all das hilft, dass Blockaden aufgelöst werden, dass festsitzende Amas gelöst werden und dass Gifte besser abtransportiert werden. Die bekannten klassischen Hatha Yoga Schriften wie zum Beispiel Hatha Yoga Pradipika, Goraksha Shataka, Gheranda Samhita, Shiva Samhita beschreiben immer, dass die Hatha Yoga Übungen helfen, Amas abzutransportieren. Es gab eine Zeit, da haben die Mediziner ziemlich gelächelt über das Konzept von Schlacken, und sie haben sich auch immer über Aussagen lustig gemacht, dass Fasten wirkt. Ich kann mich noch daran erinnern, bis vor drei Jahren wurde immer in medizinischen Sendungen gesagt: „Gut wer fastet, es scheint nicht schädlich zu sein, aber Schlacken gibt es im Körper nicht, und es nutzt auch nichts.“

Aber jetzt ist das Jahr 2018 und im letzten Jahr kam eine Reihe von Studien heraus, sowohl aus Amerika wie auch aus dem deutschsprachigen Bereich, die gezeigt haben, dass Fasten etwas sehr Gesundheitsförderliches ist. Das ist eine interessante Wende und erinnert mich immer wieder daran, dass die Schulmedizin zwar einen wissenschaftlichen Anspruch hat, aber diesem relativ häufig nicht gerecht wird, und dass sie selbst aus einem schulmedizinischen Aberglauben heraus Dinge behauptet, ohne dass es eine Studienlage gibt. So wie die jahrzehntelange Behauptung, dass Fasten zu nichts gut ist, ohne dass es jemals untersucht wurde. Als sich Menschen die Mühe gemacht haben, haben sie plötzlich festgestellt, fasten ist sehr gut für die Gesundheit. Als dann überlegt wurde, warum wirkt das Fasten, wurde auch etwas auf der mikroskopischen Ebene untersucht, und heute sagt man durchaus, dass Fasten hilft, bestimmte Stoffwechselprodukte besser abzubauen. Das Konzept der Schlacken ist rehabilitiert, obwohl das Konzept der Schlacken ziemlich dumm ist, weil Schlacken eigentlich die Restprodukte sind, die bei der Verkokung von Eisen zu Stahl entstehen. So etwas gibt es im Körper natürlich nicht, aber es gibt im Deutschen keinen besseren Ausdruck.

Yoga hilft also, Stoffwechselprodukte abzubauen. Yoga hilft, dass die Zwischenzellflüssigkeiten und die Lymphflüssigkeit in Gang kommen. Yoga hilft, Ablagerungen an Arterien- und Venenwänden herauszubringen. Yoga hilft, dass sich in den Gelenken weniger Stoffe ansammeln. Yoga hilft, dass in den Organen und in den Zellen Stoffe besser abgebaut werden, die dort nicht hingehören. Das ist mindestens eine Theorie im Ayurveda, ohne dass man das auf der mikroskopischen Ebene so genau nachweisen kann.

Der erste Grund, weshalb Yoga laut Ayurveda wirkt, ist: Hatha Yoga hilft, Amas abzubauen. Und deshalb wird immer gesagt, dass Hatha Yoga reinigt. Im Yoga wird man immer wieder feststellen, dass reinigen wichtig ist. Der physische Körper muss gereinigt werden, der Energiekörper muss gereinigt werden, der Geist muss gereinigt werden. Ist alles gereinigt, ist der Mensch im Gleichgewicht.

Ayurveda – Doshas

Das zweite Konzept im Ayurveda, ist das Konzept von Dosha. Die meisten kennen den Ausdruck Dosha als Bioenergie. Dosha heißt wörtlich „der Verderber“, denn wenn eines der Doshas zu stark ist, verdirbt es die Gesundheit. Ich nehme an, wenn du bis hier her gekommen bist, dann weißt du schon einiges über Ayurveda. Wenn nicht, dann schau dir meinen Ayurveda Einführungsvortrag an, in dem das Ganze etwas ausführlicher beschrieben ist.

Es gibt drei Doshas (Konstitutionen): Vata ist das Luftprinzip, Pitta das Feuerprinzip und Kapha ist das Erd-Wasserprinzip, um es jetzt zu vereinfachen. Und wenn eines dieser Doshas zu stark wird, nämlich stärker als in der Prakriti (Natur des Menschen) angelegt, dann werden Körper und Psyche krank. Ist das Vata-Element zu stark, dann kann das in der Psyche zu Unruhe, Schlafstörungen, Ängsten führen und es kann im physischen Körper zu Verdauungsproblemen und manchen Haut- und Gelenkerkrankungen usw. kommen. Ist das Pitta-Element zu stark, kann es auf der psychischen Ebene zu Reizbarkeit, Frust, Neigung zu Wutanfällen führen und auf der körperlichen Ebene zu Hitze, Entzündungen, Fieber und Autoimmunerkrankungen usw. Ist das Kapha-Element zu stark, dann kann es auf der psychischen Ebene zu Antriebslosigkeit und Depressivität kommen und auf der körperlichen Ebene zu Ödemen, Ansammlungen von Schleim, Wasser und übermäßigen Fett führen. Hier gilt: Hatha Yoga hilft, die natürlichen Dosha ins Gleichgewicht zu bringen.

Jemand, der regelmäßig Hatha Yoga übt, wird zu seiner Natur kommen. Im Yoga spricht man auch von Swarupa und Prakriti. Der Mensch hat eine naturgemäße Dosha-Mischung, die für ihn oder sie angemessen ist. Auch im Ayurveda spricht man von der individuellen Prakriti. Wenn die gestört ist, spricht man im Ayurveda von der Vikriti. Im Hatha Yoga wird immer wieder in den alten Schriften zum Beispiel der Hatha Yoga Pradipika gesagt, dass die Yoga-Übungen helfen, zu seiner natürlichen Prakriti zu kommen und ein Übermaß von irgendeiner Dosha zu reduziert. Es gibt bestimmte Übungen, die ein Dosha reduzieren, zum Beispiel verringert Kapalabhati ein Übermaß an Kapha, Shitali und Sitkari ein Übermaß an Pitta und Ujjayi und Surya Bheda überwinden ein Übermaß an Vata. Und dann gibt es die sogenannten Tridosha-Übungen, die als eine Übung dazu führen wollen, dass der ganze Körper ins natürliche Gleichgewicht kommt. Dazu gehören zum Beispiel Wechselatmung, Vorwärtsbeuge, Drehsitz und Pfau, um nur die Übungen zu nennen, die die Hatha Yoga Pradipika beschreibt. Also ein Grund weshalb Hatha Yoga gesund macht ist, dass Hatha Yoga hilft die Doshas in ihre natürliche Prakriti und aus ihrer Vikriti zu bringen.

Ayurveda – Agni

Ein dritter Grund warum man krank werden kann, ist Agni. Agni ist das Verdauungsfeuer im engeren Sinne. Im weiteren Sinne ist Agni das allgemeine Feuer für alle Transformationsprozesse im Körper, im noch weiteren Sinne sogar in der Psyche. Wenn man zum Beispiel Nahrung aufnimmt, muss sie verdaut werden und die Kraft der Verdauung nennt sich Agni. Es ist eben nicht nur wichtig, was wir essen, es ist auch wichtig, was nachher ins Blut hinein kommt. Die Nährstoffe im Blut müssen dann wieder transformiert werden, in das, was in die Zellen hinein kommt. Auch dafür ist Agni zuständig, also verschiedene Arten des inneren Feuers. Wenn das Verdauungsfeuer nicht so gut ist, werden zum einen die Nährstoffe, die man braucht, nicht absorbiert, und zum anderen werden bei der Verdauung wieder Amas entstehen und Amas können dazu führen, dass die drei Doshas ins Ungleichgewicht kommen. Und so ist es wichtig, dass Agni ausreichend stark ist. Im Ayurveda gibt es natürlich auch Techniken, um Amas abzubauen. Da gibt es die ganzen Reinigungstechniken, die man in der Panchakarma-Kur und in einer sogenannten Ama-Kur verbindet. Es gibt bestimmte Übungen, Ernährungsweisen, Kräuter, Tees usw., die man nutzen kann, um ein Übermaß eines Doshas abzubauen. Und es gibt bestimmte Dinge, die Agni in Gang setzen, wozu zum Beispiel Ingwerwasser gehören kann oder vor dem Essen eine Ingwerscheibe mit etwas Zitronensaft zu essen. Von Triphala wird manchmal gesagt, dass es hilft, Amas abzubauen oder Agni zu erhöhen. Es gibt auch eine Menge Yoga-Übungen, die helfen, Agni zu erhöhen und damit die Verdauungskraft zu verbessern. Dazu gehören Vorwärtsbeuge, Drehsitz und Pfau, um die Übungen zu nennen, die die Hatha Yoga Pradipika beschreibt. Dazu gehören auch Bhastrika und Ujjayi und diverse andere Übungen.

Also vom Standpunkt des Ayurveda wirkt Yoga und trägt zu einer guten Gesundheit bei, indem es Amas abbaut, die Doshas in ihr natürliches Gleichgewicht bringt und Agni erhöht. In diesem Sinne können wir Hatha Yoga durch die Ayurveda-Terminologie gut beschreiben.

 

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

 

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