Die Yoga-Vidya Grundreihe wirkt auf alle Ebenen. Ich will jetzt mal die 5 Koshas durchgehen; ich hoffe du erinnerst dich noch. Damit sind wir auf den verschiedenen Ebenen des Menschseins:
- Annamaya Kosha, die Nahrungshülle (der physische Körper)
Die Anfangsentspannung lässt den physischen Körper zur Ruhe bringen. Das Om bringt den physischen Körper in Schwingung. Die ganzen Knochen und Zellen kommen in Schwingung. Pranayama hilft, dass mehr Sauerstoff zum Gehirn kommt, hilft dass das Sonnengeflecht entspannen kann, hilft dass auch die Hirnwellen andere werden und gerade diese Verbindung von Schnellatmung und Anhalten ist ein sehr gutes Training für das Herz-Kreislauf-System und das Atmungssystem.
Surya Namaskar macht den ganzen Körper warm, hat eine gewisse Grunddehnung, aktiviert Herz-Kreislauf-System. Etwas, was auch wieder gut für die Ausdauer, Herz, Kreislauf und für das Atmungssystem ist. Um diese Wirkung zu haben, muss Surya Namaskar natürlich auch schnell genug sein. Man kann Surya Namaskar natürlich auch meditativ ausführen, sehr ruhig. Dann hat man aber nicht den Herz-Kreislauf-Effekt. Da müsste man vielleicht noch andere zusätzliche Übungen machen, für Herz-Kreislauf-Training.
Dann folgen die Asanas: Shirshasana als Umkehrstellung, was auch das Blut aus den Beinen herausnimmt, das venöse Blut aus Beinen und Bauchorganen. Es ist sehr hilfreich, um danach flexibler sein zu können. Wenn man Umkehrhaltungen vor den Vorwärtsbeugen macht, sind die Beine einfach flexibler. Auch hilft die Umkehrhaltung – Shirshasana - aus dem normalen Denken herauszukommen. Shirshasana hilft auch die Fließgeschwindigkeit des Blutes und den Gleichgewichtssinn zu verbessern.
Sarvangasana ist auch wieder eine Umkehrstellung und auch eine gute Stellung für die Schilddrüse. Es ist auch eine gute Stellung, um irgendwo zu merken, dass ich jetzt als Ganzes gefordert bin.
Halasana ist nicht nur eine Umkehrstellung sondern auch eine Vorwärtsbeuge, worauf dann eine Rückwärtsbeuge folgt. Man kann sagen, dass nach dem Schließen das Öffnen kommt.
Wenn du so durch diese Gruppe der Umkehrhaltungen deinen Körper entspannt hast und letztlich auch den Blutkreislauf in Gang gesetzt hast, wenn du die Lymphflüssigkeit angeregt hast, wenn du das venöse Blut vermehrt zurück ins Herz gebracht hast, dann bist du bereit für Paschimottanasana, die Vorwärtsbeuge. Sie dehnt die Rückseite. Nach der Vorwärtsbeuge könntest du natürlich auch die schiefe Ebene üben, so ähnlich wie du nach Surya Namaskar auch die Bauchmuskelübungen machen kannst. Manchmal sage ich ja auch, dass in der Yoga - Vidya Grundreihe nach Surya Namaskar noch Navasana (Bauchmuskelübung) folgt. Vor und nach Shirshasana ist Garbhasana (die Stellung des Kindes). Nach Pashchimottanasana ist noch die Purvottasana (schiefe Ebene) und nach den Rückbeugen folgt nochmal Gharbhasana (Stellung des Kindes).
Aber von den 12 Grundstellungen her, nachdem du dich nach vorne gebeugt hast, kommen die Rückbeugen, die die Muskeln stärken, die du in der Vorwärtsbeuge gedehnt hattest. Sie dehnen die Teile, die in der Vorwärtsbeuge gedrückt wurden. So helfen all diese Stellungen für Gesundheit der vorderen Muskeln am Körper und an der Rückseite des Körpers. Dort ist Dehnung und Stärkung wichtig. Gemeinsam drücken und dehnen sie auch die inneren Organe. Gerade die Bauchorgane, was besonders wichtig für die Gesundheit der Bauchorgane ist.
Dann folgt Ardha Matsyendrasana (Drehsitz). Der Drehsitz ist etwas sehr Gutes für die Rückenmuskeln, da viele Rückenmuskeln diagonal verlaufen. Sie können im Drehsitz gut gestärkt werden. Der Drehsitz ist auch mit einer gewissen Kraftübung für manche Rückenmuskeln und Dehnübung für die anderen Rückenmuskeln verbunden. Der Drehsitz ist auch etwas, was der Aufrichtung hilft und der Drehsitz hilft auch, dass die Zwischenwirbelgelenke flexibel sind und dass Blockaden aufgelöst werden. Der Drehsitz ist auch wieder eine gute Massage für die Bauchorgane und etwas Gutes für die Flexibilität der Hüften und der Hüftkreuzbeingelenke.
Dann folgt Mayurasana (Pfau), eine wunderbare Gleichgewichtsübung und auch eine sehr gute Massageübung für die Bauchorgane. Der Pfau stärkt auch die Armmuskeln, die Handgelenke, die Unterarmmuskeln und damit auch das Gleichgewicht. Wenn Mayurasana nicht möglich ist, wird natürlich Kakasana geübt, also die Krähe.
Dann geht es weiter zur Pada Hastasana (Stehende Vorwärtsbeuge); eigentlich Hand-Fuß-Stellung: Pada heißt Fuß, Hasta heißt Hand. Es ist die stehende Vorwärtsbeuge. Hier stehst du also langsam wieder auf und es ist ein Verneigen und auch nochmal eine Dehnung in den Beinen. Oft ist die Flexibilität an der Stelle größer.
Dann fehlt noch Trikonasana, da auch die Seite des Körpers gedehnt und gestärkt werden will.
So sind also die Asanas gut.
Es folgt die Tiefenentspannung; der Sympathikus wird runter gefahren und der Parasympathikus hochgefahren, Glückshormone werden ausgeschüttet, Körper und Geist kommen in eine wunderbare Entspannung.
Nach dem Aufsetzen folgt wieder das Om. Diese harmonischen Schwingungen, die in der Stimmritze entstehen, dann in die ganzen Knochen weitergehen, dann in die ganzen Organe. Auch für den Körper etwas sehr Wunderbares.
- Pranamaya Kosha, die Energiehülle
Die Yoga - Vidya Grundreihe wirkt eben auf Prana, Nadis und Chakras. Die Anfangsentspannung hilft ja zu entspannen und so kann schon mal das Prana anfangen zu fließen. Mit dem Om wird die ganze Sushumna aktiviert und die ganzen Chakras harmonisiert. Kapalabhati aktiviert zunächst einmal das Prana im Sonnengeflecht im Bauch und lässt dann die Energie vom Sonnengeflecht nach oben fließen, über Brustraum, Kehle und Stirn. Und die Energie durch die Sushumna zum Sahasrara Chakra. Anuloma Viloma ist die Reinigungsübung für die Nadis; es reinigt Ida, Pingala und Sushumna. Du kannst dich bei Anuloma Viloma auf die verschiedenen Chakren konzentrieren, besonders hilft aber Anuloma Viloma, die Energien im Ajna Chakra zu zentrieren. Surya Namaskar aktiviert Surya, die Sonnenenergie, das ist die Energie, die im Bauch ist. Man kann natürlich auch wieder sagen, dass Surya Namaskar zunächst den Bauch aktiviert, aber dabei werden auch die verschiedenen Chakren mit angeregt. Hände vor der Brust zusammen ist natürlich Herz Chakra, Arme nach Hinten Kehl Chakra, vorwärtsstehende Vorwärtsbeuge ist dann Svadhishthana Chakra usw. Aber als Ganzes ist Surya Namaskar eine Übung zur Aktivierung der Sonnenenergie. Wenn du nach Surya Namaskar Navasana machst, also die liegenden Bauchmuskelübungen, wird Sonnenenergie mit dem Stirnzentrum verbunden. Wenn du jetzt durch die 12 Asanas gehst, aktivierst du Chakras von oben nach unten und dann wieder von unten nach oben:
Shirshasana aktiviert Sahasrara und Ajna, Sarvangasana aktiviert Vishuddha, Halasana aktiviert Vishuddha und Anahata, Matsyasana aktiviert nochmals Vishuddha und dann Anahata, Pashchimottanasana aktiviert die unteren drei Chakren und öffnet die feinstoffliche Wirbelsäule Sushumna, sodass das Prana dann durch die Sushumna nach oben gehen kann. Bhujangasana öffnet wieder das Herz, Shalabhasana bringt in die Energie weiter vom Herz Chakra bis zum Kehl Chakra, von Anahata zu Vishuddha, Dhanurasana lässt dann die Energie weiter fortschreiten von Manipura, Anahata, Vishuddha bis Ajna Chakra. Ardha Matsyendrasana öffnet die ganze Sushumna und lässt das Prana bis zum Sahasrara Chakra nach oben strömen. Nun wird es nochmal intensiviert - Pada Hastasana ganze Sushumna hin bis Ajna Chakra, Trikonasana öffnet auch nochmal Ida und Pingala und lässt auch durch Ida und Pingala das Prana bis zur Ajna und Sahasrara Chakra steigen.
In der Tiefenentspannung kann jetzt das aktivierte Prana überall hinströmen und weit werden und im Om nach oben ausgerichtet werden.
Wiederum kann man sagen, dass es auch die fünf Prana Vayus, die ganz logisch auf diese Weise aktiviert werden. Durch die Atemübungen atmest du zunächst mit Prana und Apana, d. h. mit dem nach innen und nach außen gehenden Atem und letztlich hat Prana viel mit dem Atem zu tun; Apana hat viel mit nach unten zu tun. Und bei den Pranayamas ist ja auch viel Mula Bandha dabei. So harmonisierst du Prana und Apana. Aber wenn du mit der Bauchatmung übst, wird auch Samana Vayu harmonisiert und außerdem ist auch manchmal die Konzentration auf die Kehle, so ist auch noch Udana Vayu harmonisiert. Auch mit Ujjayi - Atem und Khechari Mudra Udana Vayu und schließlich Vyana Vayu durch eine gewisse Bewegungslosigkeit.
Also wenn wir bei Yoga - Vidya Pranayama unterrichten, geht es auch darum, die 5 Pranas zu harmonisieren. Die Asanas als Ganzes harmonisieren alle fünf Vayus.
Es gibt dann eben solche, die besonders Udana Vayu mit Sitz in der Kehle harmonisieren, wie: Sarvangasana, Halasana, Matsyasana. Es gibt solche, die besonders das Samana Vayu harmonisieren, wie: Pashchimottanasana und Ardha Matsyendrasana. Es gibt solche, die im besonderen Maße Apana Vayu harmonisieren: eben die Umkehrstellungen Shirshasana und Sarvangasana. Es gibt solche, die im besonderen Maße Prana Vayu aktivieren, harmonisieren und weit werden lassen (der Sitz ist ja im Herzen), also Rückbeugen wie: Matsyasana, Bhujangasana. Diese lassen das Prana Vayu ausströmen.
So kannst du sagen, die Yoga - Vidya Grundreihe ist ausgerichtet, die fünf Prana Vayus zu harmonisieren.
Ich könnte jetzt noch auf die 108 Marmas eingehen und die 10 Hauptenergiekanäle; es gibt ja noch 7 weitere außer Ida, Pingala und Sushumna. Du würdest feststellen, alle 108 Ayurveda Marmas werden in einer Yoga - Vidya Grundreihe massiert, gedehnt, harmonisiert. Wenn du die Yoga - Vidya Grundreihe übst, hast du auch eine Marma - Massage, die du als Ganzes tust. Marma sind die sog. Druckpunkte / Energiepunkte / Energiezonen im Körper. Auf der Ebene des Pranas gibt es auch noch Sonne und Mond, Yin und Yang, Ha und Tha, Ida und Pingala. Auf diese Weise kann man auch sagen, dass manche der Übungen mehr sonnenorientiert sind. Du musst was tun, das ist etwas dynamisch und anstrengend, z. B. Surya Namaskar, Bhujangasana, Shalabhasana, Dhanurasana. Hier musst du dich anstrengen und bemühen. Anderes ist sehr meditativ. Die Anfangsentspannung, Vorwärtsbeuge, Tiefenentspannung. So wird auch Ida und Pingala, Ha und Tha, Surya und Chandra, Yin und Yang harmonisiert.
- Manomaya Kosha, die geistig-emotionale Hülle
Wenn du die Asanas übst, hat es auch eine Wirkung auf deine Emotionen. Auf den Rücken legen und Hände nach oben. Das ist eine Hingabe und eine Öffnung, es hilft zu vertrauen und loszulassen. So öffne dich für den Himmel. Auf den Bauch legen und die Erde unter dir bewusst spüren, hilft, dass du Geborgenheit findest in der Erde. Wenn du dich nach vorne beugst, ist es ein Loslassen, eine Geduld und auch ein Vertrauen. Wenn du dich in einer Öffnung zum Himmel zurückbeugst ist es eine Herzensweite. Wenn du dich auf den Kopf stellst, ist es eine Entwicklung von Gleichgewicht, auch von Willenskraft, auch von Mut. Wenn du zum Schulterstand kommst, dann bedeutet das annehmen aller Teile, Sarvangasana (Anga = Teile, Sarva = Alle, Asana = Haltung, in der du alles annehmen willst). Halasana: die Bereitschaft, alles in deinem Leben umzupflügen. Matsyasana frei sein wie ein Fisch im Wasser. Bhujangasana: verankert in der Erde, aber sich öffnend zum Himmel. Dhanurasana: ein Bogen, mit dem Bauch auf der Erde. Füße und Hände nach oben. Ardha Matsyendrasana: Indra der König der Götter. Es ist so eine Einstellung einer Führungspersönlichkeit: Würde bewahren, gerade sein; aber sich drehen und hinwenden, seiner Aufgabe hinwenden, an den Menschen hinwenden. Ein Ziel haben, aufgerichtet nach oben, sein Leben an hohen Idealen ausrichten. Aber dabei flexibel schauen wo du hingehen kannst. Mayurasana, Kakasana: Gleichgewicht üben und inneres Gleichgewicht halten. Pada Hastasana: verneigen, Trikonasana: mal das eine oder andere ausprobieren. Savasana: Loslassen, Vertrauen, Hingabe. Om – durchströmen lassen durch göttlichen Segen. Meditation – Erfahrung dieser Einheit. So kann man sagen, dass die Yoga - Vidya Grundreihe alles Mögliche in dir trainiert. Geduld, Mut, Hingabe, Loslassen, Durchsetzungsvermögen, Glaube. Alles, was du dir denken kannst an geistigen Eigenschaften, an Emotionen, ist alles da. Gegen Ärger, Angst, Depressivität. All diese Asanas helfen dort, indem du zur Ruhe kommst, Selbstbewusstsein bekommst, dich zu etwas Höherem verbindest. Diese Asanas sind eben auch ausgerichtet für geistiges Wachstum, Entfaltung der innerlichen Fähigkeiten. Indem du eben Mut entwickelst und loslässt, indem du achtsam im Moment bist, indem du lernst deinen Geist im Hier und Jetzt zu halten, entwickelt sich Konzentrationsfähigkeit, Gedächtnis und auch verschiedene kreative Fähigkeiten. Kreative Fähigkeiten werden eben auch dadurch kultiviert, dass du im Hier und Jetzt bist und auch dadurch, dass du im Spürbewusstsein bist. Kreativität ist selten eine Funktion des Intellekts. Durch das Meditative in einer Yogastunde und dabei spüren der verschiedenen Körperregionen kommen dir intuitive Gedanken. Indem du auch lernst deinen Körper zu spüren, kann auch dein Unterbewusstsein besser mit dir kommunizieren. Ahnungen spürst du ja selten im Ohr und auch selten im Scheitel. Ahnungen kommen in der Kehle, im Herzen, im Bauch, im Unterbauch. Indem du diesen Teil spürst und bewusst spürst und entspannst, kommen auch Intuition, Kreativität, gute Ahnungen, Sensibilität, Mitgefühl, feinstoffliches Wahrnehmungsvermögen. Und alles dient eben auch der spirituellen Öffnung.
Du könntest auch bei den Asanas noch eine andere Logik sehen. In Shirshasana bist du gerade aufgerichtet und von Shirshasana bis zur Vorwärtsbeuge und Bhujangasana bist du immer näher an der Erde. Shirshasana relativ weit oben, Sarvangasana etwas weiter unten, Halasana noch weiter unten, Matsyasana und Paschimottanasana, Bhujangasana in etwa gleich hoch, dann in Dhanurasana oder Shalabhasana sind hoffentlich deine Füße weiter oben. Dhanurasana noch weiter oben. Im Drehsitz ist mehr von dir weiter oben. Kakasana, nochmals einiges oben. Pada Hastasana weiter nach oben, Trikonasana noch weiter oben. Angenommen du würdest jetzt die Asanas anschauen, dann würdest du sehen, dass die Yoga - Vidya Grundreihe der Asanas ist wie so eine Kurve wo es in ein Tal geht und dann wieder zurück zu einem Berg. Man könnte sagen, dass es unten beginnt und es dann hoch geht und wieder runter geht und wieder hoch und wieder runter und so symbolisiert es auch das Hoch und Tief des Lebens und dass inmitten aller Tiefen große Bewusstheit möglich ist.
Das sind also einige Aspekte der Logik der Yoga - Vidya Grundreihe. Das sind nur einige Anregungen. Die Yoga - Vidya Grundreihe wirkt noch sehr viel mehr, als du es dir überhaupt vorstellen kannst. Das ist auch das Schöne. Wenn du dich an eine klassische Reihe hältst, dann profitierst du von der Weisheit dieser Reihe, sogar ohne sie genauer zu kennen. Aber wenn du dich damit beschäftigst und je länger du dich damit beschäftigst, umso mehr verstehst du, wie viel Weisheit in dieser Reihe steckt.
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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.
Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.
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