Sieh Gott im Großartigen ‒ Vibhuti Yoga
Kommentare zur Bhagavad Gita ab Vers 21, 10. Kapitel
Wir sind jetzt in einem Kapitel, das eine besondere Schönheit hat und das besonderer Interpretation bedarf, weil die Inhalte des 10. Kapitels natürlich Inhalte sind, an die sich Arjuna vor ein paar tausend Jahren besonders erinnert bzw. die sich an Menschen des damaligen Indien richten. Aber die Essenz dieses 10. Kapitels ist etwas, das hochmodern ist.
Arjuna hat Krishna gefragt: Wie kann ich Dich in besonderem Maße verehren? Im vorigen Vers, also im Vers 20, hat Krishna gesagt: Verehre Gott in jedem Wesen. Jetzt, ab dem Vers 21, gibt Krishna dem Arjuna einige besondere Möglichkeiten, Gott zu verehren.
Ich will den 21. und 22. Vers auf Sanskrit lesen, dann die deutsche Übersetzung, dann noch einige Versen und danach einige Anregungen geben, was du vielleicht selbst umsetzen kannst:
- Vers:
adityanam aham vishnur
jyotisam ravir amsuman
maricir marutam asmi
nakshatranam aham sasi
„Unter den zwölf Adityas bin ich Vishnu unter den Himmelskörpern die strahlende Sonne; ich bin Marichi unter den Maruts; der Mond bin ich unter den Gestirnen.“
- Vers:
vedanam sama-vedo ’smi
devanam asmi vasavah
indriyanam manas casmi
bhutanam asmi cetana
„Unter den Veden bin ich der Samaveda; Ich bin Vasava unter den Göttern; unter den Sinnen bin Ich Manas, das Denkprinzip; und Ich bin die Intelligenz unter den Lebewesen.“
- Vers: „Unter den Rudras bin Ich Shankara; unter den Yakshas und Rakshasas Kubera, der Herr des Reichtums; unter den Vasus bin Ich Pavaka, das Feuer; unter den sieben Bergen bin Ich Meru.“
Arjuna kennt eine ganze Menge; und Krishna richtet sich an das, was Arjuna kennt. So hat Arjuna vieles gehört. Krishna sagt hier z.B. „Unter den Himmelskörpern bin Ich die strahlende Sonne“, was heißen soll: Wann immer du die Sonne siehst, verehre Gott darin. Dieses Strahlende und dieses Leuchtende kann dich berühren. Oder auch wenn du nachts den Sternenhimmel anschaust und dort vielleicht gerade Halbmond oder Vollmond ist, dann sieh, dort ist besonders Gott verehrungswürdig.
Man könnte auch sagen: All das, was großartig ist, lass Gott darin aufleuchten.
Man könnte auch das 10. Kapitel nennen: Der Yoga des Staunens. Was auch immer dich in besonderem Maße zum Staunen bringt, da leuchtet Gott auf.
So sagt Krishna auch: „Unter den Veden bin Ich Samaveda“. Also wenn du eine Samaveda Rezitation hörst, das ist besonders großartig.
Dann sagt er: „Unter den Bergen bin Ich Meru“. Vielleicht gibt es in deiner Umgebung ein paar Berge. Einer dieser Berge ist vielleicht besonders großartig.
Hier bin ich gerade im Lipperland, da könnte man sagen, unter den Bergen hier ist vielleicht die Velmerstot besonders schön. Es ist großartig, wenn du dort oben bist und ins Tal schaust. Es gibt ja noch die lippische Velmerstot und die preußische Velmerstot. Die lippische Velmerstot, das sind Steine und sind Felsen, da kann man gut meditieren. Wenn du dort oben bist, fühlst du dich vielleicht Gott nahe. Die preußische Velmerstot ist etwas größer, höher, noch ein weiterer Blick. Dort gibt’s einen Aussichtsturm, da kannst du rauf gehen.
Vielleicht bist du in einer anderen Gegend. Überlege, was in deiner Gegend ist vielleicht etwas, was dich besonders an Gott erinnert: welcher Berg, welcher Wald, welcher Fluss.
Dann sagt Krishna im 24. Vers (Ich will nicht alle Verse jetzt rezitieren, nur da, wo du vielleicht einen besonderen Bezug zu hast): „Unter den Gewässern bin Ich der Ozean“.
Wenn du in der Nähe des Meeres bist, dann stelle dir vor, ja, wenn du vor dem Meer bist, staune und spüre dort den Ozean.
Oder im 25. Vers sagt Krishna auch: „Unter allen Wörtern bin Ich die Silbe Om“.
Wann immer du „Om“ hörst, spüre, dort ist Gott erfahrbar.
Dann sagt er: „Unter den Ritualen der Gottesverehrung bin Ich Japa, die Wiederholung des Mantras“. (10.25)
Also wenn du ein Mantra wiederholst, spüre dort Gott.
„Unter den unbewegten Dingen bin Ich der Himalaya“. (10.25)
Wenn du irgendwo in Indien bist und die Berge des Himalayas anschaust ‒ Staunen: diese Großartigkeit der schneebedeckten Berge! Wenn du vielleicht vor den Alpen bist, z.B. in unserem Ashram im Allgäu sieht man die Alpenkette, dort siehst du das Alpenpanorama. Und Menschen staunen immer wieder über dieses Alpenpanorama: so großartig! Dort manifestiert sich das Göttliche.
„Unter den Bäumen bin Ich der heilige Feigenbaum“. (10.26)
Gibt es einen Baum, zu dem du einen besonderen Bezug hast? Vielleicht in deiner Nähe, gibt es einen besonders großartigen Baum?
Meine Mutter hat mir gerne gesagt: Wo auch immer du bist, finde deinen Lieblingsbaum. Und dann verbringe etwas Zeit vor dem Baum. Entweder staune vor der Schönheit des Baumes oder umarme ihn oder setze oder stelle dich so hin, dass du hinter dir den Baum hast. Hast du einen solchen Baum? Was ist der Baum, wo du besonders Gott siehst?
„Unter den Pferden bin Ich das nektargeborene Ucchaichvaras; unter den erhabenen Elefanten bin Ich Aravata“. (10.27)
Kennst du Tiere in deiner Umgebung? Vielleicht ist dort ein Tier, das du besonders verehrst. Vielleicht hast du ein Haustier ‒ und in der Großartigkeit spürst du Gott. Es muss ja auch nicht ein einzelnes Tier sein.
Vielleicht, wenn du an den Himmel schaust und du siehst dort einen Adler, in der Majestät des Adlers siehst du Gott. Vielleicht gibt es in deiner Nähe einen Teich und vielleicht gibt es dort einen Schwan und in der Schönheit des Schwans siehst du Gott. Oder vielleicht siehst du öfters Bienen und du denkst, in der Großartigkeit der Bienen ist Gott. In welchem Tier siehst du Gott?
„Unter den Kühen bin Ich die Wunsch erfüllende Kuh Kamadhenu; und Ich bin der Gott der Liebe“ (10.28)
Also auch in der Liebe zu Menschen kannst du Gott sehen. Also hier geht Krishna jetzt auch nochmal in die Feinstoffwelt, und so sagt er letztlich auch: Unter den Feinstoffwesen, unter den Engelswesen ‒ überall kannst du Gott sehen.
Er sagt auch „Unter den Dämonen bin Ich Prahlada“ (10.30)
Selbst in den Dämonen könntest du Gott sehen.
„Unter den Zählsystemen bin Ich die Zeit; unter den Tieren bin Ich der Löwe; und unter den Vögeln bin Ich Garuda“ (10.30)
Also Löwe und Adler.
„Unter den Bewegungen bin Ich der Wind“ (10.31)
Also könntest du auch sagen, unter den Himmelserscheinungen ist vielleicht der Wind besonders göttlich.
„Unter den Fischen bin Ich der Hai; unter den Flüssen bin ich Ganga“, „Rama bin Ich unter den Kriegern“ (10.31)
„Unter den Schöpfungen bin Ich Beginn Mitte und Ende; unter den Wissenschaften bin Ich die Wissenschaft über das Selbst; unter den Formen der Streitigkeit bin Ich das intellektuelle Streitgespräch, in dem man nach der Wahrheit sucht“ (10.32)
„Unter den Buchstaben bin Ich das ‚A‘; und Ich bin die fortwährende Zeit und die Ewigkeit“ (10.33)
„Ich bin der Tod, der alles verschlingt; und der Reichtum der Menschen, die wohlhabend sein sollen; unter den weiblichen Vorzügen bin Ich Ruhm, Reichtum, Sprache, Gedächtnis, Intelligenz, Festigkeit und Verzeihen“ (10.34)
Also hier siehst du einiges, wo du jetzt überlegen kannst. Und ich möchte an dieser Stelle abschließen und du kannst selbst überlegen: Welche großartigen Dinge bringen dich zum Staunen?
Und Krishna hat hier einiges gesagt. Zum einen Naturerscheinungen im Sinne von Wetter Erscheinungen. Worin siehst du besonders Gott? Im Sonnenschein, im Regen im Wind? Am Gestirnen Himmel nachts, was lässt dich besonders Gott spüren? Unter Tieren, gibt es Tiere, in denen du besonders Gott wahrnimmst? Unter den Pflanzen, gibt es dort etwas, was du besonders wahrnimmst?
Gibt es in deiner Nähe einen Berg, an dem du besonders erhabene göttliche Wahrheit spürst? Gibt es einen Kraftort, zu dem du gerne hingehst? Gibt es einen Baum, in dem du das Göttliche besonders siehst?
Ja, überlege das und nimm dir vor, dieses Staunen zu kultivieren. Zunächst einmal in diesen großartigen Dingen, spüre dieses Staunen, spüre die Ehrerbietung ‒ und darin spürst du Gott.
Vielleicht willst du jetzt auch einen Moment in die Meditation gehen und überlegen, was das Staunen ist. Eventuell auch einfach nachdenken oder dir einen Stift nehmen: Was bringt mich besonders zum Staunen? Was verehre ich besonders? Was flößt mir besonderen Respekt und Hochachtung ein?
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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.
Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.
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