Kommentar Bhagavad Gita Kapitel 7, Vers 24 bis 30

 

Wo ist Gott? Was ist Gott? Was ist das Göttliche? Wo ist Gott zu finden?

Das sind wichtige Fragen.

Krishna hat in den früheren Versen der Bhagavad Gita mehrmals gesagt:

Er ist im Relativen. Er ist im Individuellen. Er ist im Kosmischen. Er ist in der Natur.

Jetzt sagt er aber, dass Gott sowohl in der relativen Welt wie auch im Absoluten ist. Lasst uns hören, was Krishna ab dem Vers 24 des 7. Kapitels sagt.

Vers 24

Avyaktaṁ vyaktim āpannaṁ manyante mām abuddhayaḥ

paraṁ bhāvam ajānanto mamāvyayam anuttamam

„Die Törichten meinen, Ich, das Unmanifestierte, hätte Erscheinungsformen,

da sie Mein höheres, unveränderliches und überaus erhabenes Wesen nicht kennen.“

 

Vers 25

Nāhaṁ prakāśaḥ sarvasya yoga-māyā-samāvṛtaḥ

mūḍho 'yam nābhijānāti loko mām ajam avyayam

„Ich bin nicht für alle sichtbar, so wie Ich bin, da Yoga Maya Mich umhüllt.

Diese getäuschte Welt kennt Mich nicht, das Ungeborene und Unvergängliche.“

 

Das Göttliche ist letztlich unmanifestiert – Brahman, das Absolute, das Unendliche, das Ewige. Du kannst Gott in seinen relativen Formen verehren wie Sarasvati oder Krishna, in der Manifestation eines Meisters oder einer Inkarnation wie Jesus oder Krishna. Du kannst Gott verehren, so wie ihn die Propheten beschrieben haben. Aber diese Form und diese Gestalt ist nicht das, was Gott ausmacht. So sagt er, die Törichten verehren Gott nur als Erscheinungsform. Deshalb gibt es auch das 1. Gebot: „Du sollst dir kein Bild Gottes machen.“ Auch in Indien, auch in der Bhagavad Gita, heißt es hier: „Mache dir kein Bild von Gott.“ Trotzdem werden Murtis verehrt, also die Götterstatuen. Aber dazu sollte man wissen, dass die Murtis nur dem Herz des Bhaktas helfen. Die Murtis, die Götterfiguren, helfen, dein Herz zu öffnen und dich für eine höhere Wirklichkeit zu öffnen. Glaube nicht, dass Gott auf diese Formen beschränkt ist. Die Formen sind nur eine Möglichkeit, Hingabe zu üben, dein Herz mit Liebe zu erfüllen, und dann gilt es, diese weiter zum Unendlichen wachsen zu lassen.

Es ist jetzt schwierig, Gott als das Ungeborene und das Unvergängliche zu erkennen und zu erfahren. Es gibt die Yoga Maya, wie er es hier nennt. Also die Maya (Täuschung/Illusion), die einen davon abhält, die Einheit zu erfahren. Daher ist es erstmal gut, Gott im Begrenzten zu erkennen, aber mache dir bewusst, das Begrenzte ist nicht alles, was Gott ist.

Vers 26

Vedāhaṁ samatītāni vartamānāni cārjuna

bhaviṣyāṇi ca bhūtāni māṁ tu veda na kaścana

„Ich, Oh Arjuna, kenne die Wesen aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Niemand aber kennt Mich.“

 

Gott selbst manifestiert sich in allen Wesen und weiß alles. Als Individuum aber kannst du Gott nicht wirklich erkennen, daher sei dir immer bewusst, dass dein Wissen über Gott nur relativ ist. Hüte dich davor, zu glauben, dass du alles über Gott verstanden hast. Gott ist nicht intellektuell erkennbar. Du kannst deine Einheit mit Gott in Samadhi erfahren. Du kannst lernen, dich mit nichts Beschränktem zu identifizieren. Du kannst auch über Jnana-Yoga erkennen, was das Selbst und Brahman ist. Aber wirklich, wirklich erkennen kannst du nur, wenn du aufhörst Trennungen und Unterschiede zu machen, und du kannst Gott nur erfahren, indem du die Einheit Gottes bist. Im Relativen bilde dir niemals ein, dass du wirklich weißt, was Gott ist. Nur Gott weiß, was Gott ist. Gott kennt dich, aber du kannst Gott nur mit Staunen und mit Liebe erfahren, spüren, erahnen und irgendwann die Einheit verwirklichen.

Vers 27

Icchā-dveṣa-samutthena dvandva-mohena bhārata

sarva-bhūtāni sammoha sarge yānti parantapa

„Durch die Täuschung aus den Gegensatzpaaren, die aus Wunsch und Abneigung entstehen,

Oh Nachkomme Bharata, werden alle Wesen schon bei der Geburt verwirrt, Oh Parantapa.“

 

Manche Menschen denken, dass die Kinder irgendwo in Gott sind. Das bilden sich eher diejenigen ein, die sich nicht wirklich mit Kindern beschäftigt haben. Ja, Kinder sind auf gewisse Weise rein, aber sie sind auch egoistisch. Sie wollen einfach ihre Wünsche erfüllt haben. Kinder haben eine gewisse Reinheit, weil sie handeln ohne berechnend zu sein. Wenn man in die Augen von Kindern schaut oder Kinder anschaut, spürt man, wie das Herz aufgeht, vor allem bei Babys. Trotzdem ist der Mensch bereits bei der Geburt verwirrt. Er ist sogar schon vor der Geburt verwirrt. Dies sagt er an einer anderen Stelle. Wir wachsen über viele Inkarnationen. Auch der Tod ist noch nicht die Verwirklichung. Es geht um viele Inkarnationen.

Vers 28

Yeṣāṁ tv anta-gataṁ pāpaṁ janānāṁ puṇya-karmaṇām

te dvandva-moha-nirmuktā: bhajante māṁ dṛḍha-vratāḥ

„Menschen jedoch, die tugendhaft handeln, deren Sünden ein Ende gefunden haben und die von der Täuschung durch die Gegensatzpaare frei sind, verehren mich und halten ihre Gelübde.“

Wir sollten also feste Vratas (dṛḍha-vratāḥ), Vorsätze, fassen, denn wir wollen Gott verwirklichen. Wir wollen unser Leben auf diese Verwirklichung ausrichten. Mein Leben wird danach ausgerichtet. Der moderne Aspirant ist oft einer, der in der Ungewissheit sein will: „Mal sehen, mal schauen.“ Man will sich alles offen halten. Aber fasse den festen Entschluss und fasse ihn immer wieder: „Mein Leben sei der Gottverwirklichung gewidmet. Dafür bin ich hier. Dafür will ich alles tun. Dafür will ich alles geben. Alles will ich darauf ausrichten. Das ist der Maha-Vrata (der große Vorsatz oder das große Gelübde). Und ich möchte eine gute Kraft im Leben aller Menschen sein, mit denen ich zu tun habe. Ich möchte ein ethisches Leben führen.“ Das sind wichtige Vorsätze, die du festhalten (drih) sollst. Dann gilt es, tugendhaft (puṇya) zu handeln. Du sollst dich befreien von Sünden (pāpaṁ). Tue also nichts Unethisches, auch das ist wichtig. Es wäre falsch zu sagen: „Ich verehre Gott, es macht ja nichts. Dafür mache ich Unethisches.“ Sei tugendhaft, vermeide das Unethische. Dann befreie dich von der Täuschung und von allen Gegensatzpaaren. Verehre Gott und dann halte dich an deine Vorsätze.

Vers 29

Jarā-maraṇa-mokṣāya mām āśritya yatanti ye

te brahma tad viduḥ kṛtsnam adhyātmaṁ karma cākhilam

„Menschen, die nach Befreiung von Alter und Tod streben und bei Mir Zuflucht suchen,

erkennen vollständig dieses Brahman, das gesamte Wissen vom Selbst und von allem Karma (Handlung).“

 

Willst du den Tod überwinden? Willst du das Alter überwinden? Das geht nicht durch Superfoods, Hirnimplantate, Roboterarme und auch nicht durch irgendetwas anderes dergleichen. Das erreichst du nur durch die Verwirklichung Brahmans. Der Körper wird irgendwann alt und wird sterben. Aber du bist unsterblich. Strebe nach der Gottverwirklichung. Suche Zuflucht bei Gott, und dann erfährst du Brahman. Dann erfährst du das gesamte Wissen vom Selbst. So kannst du Karma überwinden.

Vers 30

Sādhibhūtādhidaivaṁ māṁ – sādhiyajñaṁ ca ye viduḥ

prayāṇa-kāle 'pi ca māṁ te vidur yukta-cetasaḥ

„Menschen, die Mich mit Adhibhuta (zu den Elementen gehörig), Adhidaiva (zu den Göttern gehörig) und Adhiyajna (zum Opfer gehörig) erkennen, erkennen Mich auch in der Stunde des Todes und mit festem Geist.“

Dies ist der Übergangsvers zum Kapitel 8, in dem Krishna dies weiter ausführen wird. Man könnte auch sagen: „Erkenne zunächst Gott in Adhibhuta, allen Elementen. Dann erkenne Gott in Adhidaiva, allem Feinstofflichen. Und dann erkenne Gott in Adhiyajna, allen spirituellen Handlungen.“

Wenn du dann dein ganzes Leben darauf ausgerichtet hast, im Grobstofflichen Gott zu erkennen, im Feinstofflichen Gott zu erkennen, spirituelle Handlungen zu machen und in der Kraft der spirituellen Handlungen, Adhiyajna, Gott zu erkennen, dann wirst du auch Gott in der Stunde des Todes mit festem Geist erkennen und die Gottverwirklichung erreichen.

Denke also an Gott, richte deinen Geist auf Gott aus. Fasse vielleicht jetzt nochmals den Entschluss: „Mein Leben sei der Gottverwirklichung gewidmet. Und ich will konsequent sein in meinem Handeln.“

tatsaditi śrīmad bhagavadgītāsūpaniṣatsu

brahmavidyāyāṃ yogaśāstre śrīkṛṣṇārjunasaṃvāde

mokṣasaṃnyāsayogo nāma aṣṭādaśo ´dhyāyaḥ

So endet in den Upanishaden der glorreichen Bhagavad Gita, der Wissenschaft vom Ewigen, der Schrift über Yoga, dem Dialog zwischen Krishna und Arjuna, das Kapitel 7 mit dem Namen: Der Yoga der Weisheit und Verwirklichung.

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

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