Humorvolle yogische Herbstgedanken und einige Übungen

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(Weil der Text so schön ist und gerade passend, stelle ich ihn noch einmal rein)

Der dritte Planet eines Sonnensystems in den äußeren Bereichen einer unbedeutenden Galaxie namens „Milchstraße“ hat die kuriose Eigenschaft, dass er zu seiner Sonne hingewandt, die er – schon schlimm genug – elliptisch umkreist, sich in einer traurigen Schieflage hoffnungslos dreht und windet. Dieser Tatbestand bewirkt im Laufe eines Jahres, welches der Umkreisung des zentralen Gestirns entspricht, eine recht unterschiedliche Lichteinwirkung auf seiner Oberfläche und damit dramatisch einhergehende Schwankungen in Temperatur und Witterung. Wir Yogis auf dem transzendenten Berge Meru, die wir nicht betroffen sind von übermäßiger Hitze und Kälte, von Stürmen und Unwettern, die wir in einem wohlig gleichbleibendem Klima, einem ewigen Frühling voller farbenprächtiger Blüten, anmutigem Vogelgezwitscher und freigiebig nektarspendenden Göttern und Göttinnen leben, haben keine Vorstellung, welch überaus misslichen Geschicken die auf diesem Trabanten inkarnierten Wesen allzu häufig schutzlos ausgeliefert sind. Da mich Brahma vor etlichen tausend Yugas einmal aufgefordert hatte, diese merkwürdige Welt zu besuchen, um Erfahrungen zu sammeln, die mir und anderen irgendwann einmal nützlich sein würden, kann ich euch also hier einiges davon berichten und vielleicht auch jenen fernen Seelen mittels der uns hier ganz spielerisch eigenen supramentalen Kraft Trost aussprechen und kleine hilfreiche Tipps und Tricks an die Hand geben. Zum Beispiel wie man die dort stattfindende Jahreszeit Herbst einerseits in seinem Fahrzeug, dort Körper genannt, gut übersteht und andererseits spirituellen Nutzen aus den ganz eigenen Energien, die gerade dann besonders freizügig fließen, zu ziehen.

Bekanntlich sind es Brahma, Vishnu und Shiva, die von unserer ewigen paradiesischen Heimat aus die ungezählten Welten mit ihren mannigfaltigen Kraftausstrahlungen - beständig neu schöpfend, scheinbar zeitweilig erhaltend und dann doch wieder zerstörend - regieren. Je näher am Zentrum, desto süßer das Los, je entfernter, desto bitterer die Erfahrungen, welche die reisenden Seelen machen müssen. Alles diene der Reife, sagen die Weisen dort draußen, und finde doch nur als nutzloses Spiel in einem illusorischen Nirgendwo statt. Das aber ist eine wenig hilfreiche Philosophie. Unsere ganz in die Tiefe des Unsagbaren eingeweihten Yogis verstehen es, ernst und zugleich verspielt und phantasievoll in allen Wirklichkeiten zuhause zu sein und diese als göttlich und voll an Wundern glückselig wie ein Kind zu empfinden und sie wissend und dennoch voller Neugierde urteillos zu betrachten, zu erforschen und sie vollkommen natürlich, momentbezogen, ganz in ihrem Werdegang belassend in fließender Einschwingung kreativ zu verändern.

Ich maße mir nicht an zur Klasse jener unerreichbaren Mahatmas zu gehören, eher bin ich ein Dieb der Einfälle, die diesen Kosmos anfüllen wie Bonbons die Schultüten der kleinen Erdlinge, zu denen ihr Leser dieser Zeilen euch vielleicht zählt. Kurz und gut, da euch ganz im Gegensatz zu uns die Zeit ständig davonrennt, kommen wir zum angekündigten Thema, in dem ich mich jedoch genau betrachtet schon von Anfang an bewege.

In eurem Herbst unterliegt ihr einer zunehmenden Energie Shivas. Zwar erzeugt Brahma unverdrossen Früchte und Samen, die alles Leben im Frühling wieder neu erstehen lassen, zwar versucht Vishnu ein Gleichgewicht zu halten, indem er am anderen Ende eures putzigen Planeten erstes Grün und frische Blüten sprießen lässt, doch in eurer Heimat ist ein sich ankündigendes Sterben nicht mehr zu leugnen. Shiva lässt die Kräfte abwärts in den Boden sinken, drum fällt auch das gebleichte Laub zur Erde und geschwächte und gealterte Körper verlässt die Lebensenergie und führt sie ebenso wieder der Erde zu, der sie alle einst entstiegen. So sind jetzt Vishnus Energien ganz zur Tiefe hin ausgerichtet, um hier alles Erhaltenswerte zu stützen und weiter zu veredeln. Und auch Brahman wirft verstärkt sein drittes Auge auf seine schöpferischen Möglichkeiten in den Abgründen.

Die in benannter Region weilenden beseelten Körper sollten darum von den jetzt besonders mit Vishnu- und Brahmaenergie bedachten Bodenfrüchten und Wurzeln genährt werden. Ein einprägsames Sprichwort besagt ja schon seit alten Zeiten, dass in den „R“-Monaten, also von Septembe“r“ bis Ap“r“il Wurzeln („r“oots) gegessen werden sollen. Genauso geeignet und wertvoll sind all diejenigen Früchte, die eine ihnen innenwohnende Lagerfähigkeit (Vishnukraft) besitzen.

Für die Körper, die ihm erhaltenswert erscheinen, hat Shiva, der Gott der Yogis, selbst eine Fülle an Asanas kreiert, die jetzt wärmend und bewahrend wirken. An erster Stelle stehen die Pranayama- Übungen wie die Ujjayi- Atmung, welche die Muskulatur und den ganzen Leib mit unerschöpflicher kosmischer Energie füllt, nährt und wärmt, die Wechselatmung, die ausbalancierend und reinigend wirkt oder eine einfache, bewusst durchgeführte Bauch/Zwerchfellatmung, welche die körpereigene „Erde“ stärkt. Dann folgen Asanas wie „Das Kind“, „Der Krieger“, „Der Baum“, „Bogenschießen“, „Schlafposition“ wie auch „Pflug“, „Kopfstand“, „Drehsitz“ und „Fisch“, mit entsprechender innerer Haltung durchgeführt.

„Das Kind“ gibt dir die Möglichkeit, in deinen vollkommen verbundenen Urzustand zurückzukehren, in dem du einst, jedoch unbewusst, schon warst und in welchen du jetzt mit neu gewonnener Bewusstheit wieder eintreten kannst. „Der Krieger“ gibt dir die Kraft und Zentriertheit durch das Nadelöhr der Zeit unbeschadet hindurchzuschlüpfen. „Der Baum“ als Symbol ist Brahmans Lieblingssohn, der dich zugleich mit der Weisheit der uralten Gesetze und mit der Leichtigkeit und Fröhlichkeit der Sternenkinder nährt. Das „Bogenschießen“ zielt nicht auf irgendein äußeres Ziel, sondern punktgenau auf den einen allesüberstrahlenden Funken in dir selbst, den du jedoch nie kennen wirst, der du nur sein kannst ohne Wissen darum. „Die Schlafposition“ führt dich in jenes Erwachen, das einzig bei absoluter Entspannung und untätiger Hingabe in dich einzutreten vermag. „Der Pflug“ öffnet die harte Kruste deines kleinen Gartens, und du wirst in den Furchen, die er hinterlässt, unvermutet all die abertausend Goldschätze und Diamanten blinken sehen. „Der Kopfstand“ lädt dich ein, einzutauchen in lichte Regionen, die du bisher als tiefste Dunkelheit wähntest, in ihnen aber findest du eine unerwartete Antwort. Der „Drehsitz“ entschraubt dich der Spirale der ewigen Wiederkehr und versenkt dich letztlich in das eine stille, unbewegte Sein. Der „Fisch“ öffnet dein Herz für das scheinbar Nichtige und Niedere und schenkt dir Erfüllung in einem vulgären Leben, dem Wasser, in dem du dich schon dein ganzes Leben lang bewegst.

Die geistige Haltung in diesem Wechselspiel der Natur ist die Einkehr, ein Nachinnengehen, Reflektieren, Rückbinden, sich von äußeren Reizen zurückziehen, sich bereithalten für eine weitere Transformation; Erkenntniswille, auch die Offenheit für Abschiede, kleine und große Tode, ein Zulassen des echten, tiefen Heimwehs, welches scheinbar Süße und Bitterkeit zugleich beinhaltet und am Ende nur Süße; Geduld, Würde des Seins, das einen mehr und mehr vereinnahmen möchte – nur aus seiner alles durchdringenden Liebe; um die Kostbarkeit des einzig wirklichen Augenblicks liebend ringen und seinem Segen sich preisgeben, dem verstandesorientierten Denken mehr und mehr entsagen, den tieferen Gefühlen des Herzens vertrauen, der Wahrheit des eigenen Seins mutig die Tore öffnen gleichwie den Tränen alle Schleusen.

Shiva ist ja kein Zerstörer deines tiefsten Kerns, allein deiner verworrenen Träume. Er ist dein tänzelnder, lockender, zärtlicher Freund, der dich in seinen wiegenden Armen sanft in die Wachheit trägt. Er liebt die Erdlinge, er erfreut sich an ihrem Fleiß, an ihrem Mut, an ihrer Sorglosigkeit, an ihren Phantasien und an ihrem Widerstand. Er weiß alle diese Eigenschaften für seinen großen Plan zu nutzen und segnet sie, wie keiner der anderen Götter es täte. Drum sei freudig in allem Streben und Sterben und Wiederholen des alten Liedes – ein neues entsteht schon, es wird geschrieben aus deiner eigenen, dir heute noch völlig unbekannten Notation.

Auf dem Meru so freudvoll jenseits jeglicher dir bekannter Freuden seiend, verlassen nun meine Gedanken wieder die kleinen Freunde der entlegenen Milchstraße, die mir während dieser Meditation doch ganz unerwartet nahe kamen und die mir jetzt schon fast ans Herz gewachsen sind. OM Shanti, bis zum nächsten Besuch.

~ Bhajan Noam ~

Seiten des Lebens: bhajan-noam.com

Ausbildungen: bhajan-noam.de

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