© 2019 Text: Bhajan Noam - Die Bewegung des Atems ist ein Ausdehnen und ein Zusammenziehen. Diese Bewegung kommt in jeder Lebensform vor, ja, es ist die Bewegung des Lebens schlechthin. Die Wissenschaft hat lange gerätselt, ob sich das Universum momentan ausdehnt oder zusammenzieht. Sie ist sich auch heute noch nicht sicher, ob es einen sogenannten Urknall gab, und wenn, was es davor war. Gab es ein Davor? Wir können immer vom Kleinen auf das Große schließen und umgekehrt. Das Universum dehnt sich aus und zieht sich zusammen. Es atmet wie wir. Der Urknall war der Beginn einer Ausdehnung und das Ende eines Zusammenziehens. Das hat das Universum schon viele Male getan, es hat sich ausgedehnt, das heißt es hat eingeatmet und es hat sich wieder zusammengezogen, das heißt es hat ausgeatmet. Und es gibt nicht nur dieses eine Universum, es gibt unendlich viele. Sie sind die Zellen eines ewigen Wesens. Es gibt keine Ende nach außen, wie es kein Ende nach innen gibt. Innen und Außen begegnen sich, durchdringen sich in der Unendlichkeit. Dieses unendliche Wesen in seiner Gesamtheit, zu dem wir gehören, von dem jede Lebensform ein Teil ist, atmet genauso wie die vielen winzigen Teilchen des göttlichen Ganzen.
Die zweite Ausdrucksform des Lebens ist die Spirale. Sie steht im Wechselwirkung mit der ersten, dem Ausdehnen und Zusammenziehen, das stets spiralförmig geschieht. Wir sehen es im Universum in der Form der Galaxien. Während unsere Sonne durchs All rast, folgen ihr die Planeten in Spiralen. Wir können es in unserem Körper beim Vorgang des Atems beobachten, ebenso in unseren Muskeln, Organen und Knochen. Es betrifft die gesamte Natur. Der Atem fließt spiralförmig durch unsere Nasengänge, durch die Luftröhre die Bronchien und Bronchiolen. Unser Blut fließt spiralförmig durch die Arterien, Arteriolen, Kapillaren, Venen und Venolen. Der Aufbau unserer Muskeln, und deren Anordnung untereinander, stellen Spiralen und Gegenspiralen dar. Die Zellanordnung der Knochen ist spiralförmig. Die DNA, ein sogenannter Baustein des Lebens, ist eine gegenläufige Spirale, genau wie unsere beiden Hauptenergiekanäle Ida und Pingala den zentralen Kanal Sushumna umspielen. Die Blattanordnung bei jeder Pflanze macht diese Form sichtbar, das Fließen des Wassers, die meandernden Bäche und Flüsse. In der Mathematik wird es durch die Fibunacci-Folge ausgedrückt, also die Zahlenfolge 1, 2, 3, 5, 8, 13,21, 34, 55, 89 usw., wobei die aktuelle Zahl immer die Summe der beiden vorangegangenen Zahlen ist. Wenn wir also die Reihe fortsetzen wollen, folgt als nächste Zahl 144 (53+89). Das Spannende ist, dass sich die Natur genau nach diesen Zahlen verhält. Man kann es besonders gut bei der Samenanordnung in einer Sonnenblumenblüte oder bei einem Tannenzapfen abzählen. Man wird immer auf jene Zahlenreihe stoßen.
Was wir als Ausdehnen und Zusammenziehen erleben, ist in Wahrheit eine gegenläufige Raum-Zeit-Spirale, ebenso, was wir als Dunkelheit und Helligkeit, als Krieg und Frieden, als Liebe und Hass, als Nichtwissen und Wissen, als Leben und Tod erfahren. Unser Geist, unsere Seele, unser Körper verhalten sich nach den Gesetzen der Raum-Zeit-Spirale, die aber nach dem Gesetz der Ausdehnung und Zusammenziehung eine zentrale Achse haben muss, eine Beständigkeit. Das Bewusstsein ist diese Konstanze im Spiel der unendlichen Schöpfung wie in unserem eigenen kleinen Leben. In tiefer Meditation erkennen wir, dass wir selbst diese Konstanze sind, um die herum der Tanz des Lebens sich seines ewigen Spiels erfreut. Der tibetische Mönch taucht mit schwingendem Körper in seine Meditation ein. Der Sufi-Tänzer erlebt die Erhebung zu Gott im Kreistanz. Der orthodoxe Jude lässt seinen Rumpf während des Betens und Rezitierens wackeln. Ein müde am Boden sitzendes Kind schaukelt sich in selige Träume, in eine lichtvolle Rückbindung. Wenn wir nur ein wenig die Natur nachahmen durch rhythmisches Atmen, Tanzen oder Beten, beginnt das ewige Leben wieder zu uns und durch uns zu sprechen.
© 2019 Text: Bhajan Noam
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