1. Vers

हठविद्या परं गोप्या योगिना सिद्धिम् इच्छता
भवेद् वीर्यवती गुप्ता निर्वीर्या तु प्रकाशिता ॥११॥

haṭha-vidyā paraṁ gopyā yoginā siddhim icchatā |
bhaved vīryavatī guptā nirvīryā tu prakāśitā ||11||

haṭha : (des) Hatha; vidyā : (die) Wissenschaft; paraṁ : äußerst, aufs äußerste; gopyā : zu verbergen, geheim zu halten; yoginā : von einem Yogi; siddhim : Erfolg, Vollkommenheit; icchatā : der wünscht; bhavet : (sie) ist, wird sein; vīrya-vatī : kraftvoll, wirkungsvoll, mächtig; guptā : (wenn) verborgen, geheimgehalten; nirvīryā : kraftlos, wirkungslos, machtlos; tu : jedoch; prakāśitā : (wenn) offengelegt, öffentlich gemacht

Die Wissenschaft des Hatha-Yoga ist streng geheim zu halten von dem Yogi, der nach Erleuchtung strebt. | Sie ist kraftvoll im Verborgenen, bedeutungslos, [wenn sie] zur Schau gestellt [wird].

 

Soll man Hatha Yoga frei weitergeben?

Soll man Hatha Yoga eher geheim halten?

Welche Aspekte des Yoga sollte man vielleicht nicht öffentlich verkündigen?

Das ist das Thema des 11. Verses der Hatha Yoga Pradipika.

Warum schreibt Svatmarama, dass Hatha Yoga verborgen gehalten werden soll?

 

Svatmarama hat die Hatha Yoga Pradipika zu einer Zeit geschrieben, als große Teile Indiens unter moslemischer Fremdherrschaft waren und es religiöse Verfolgungen gab. Neue religiöse Traditionen, darunter zählte Hatha Yoga zu diesem Zeitpunkt, hatten es in dieser Zeit nicht einfach. Eine Weitergabe war mit Schwierigkeiten verbunden.

Der Vers beinhaltet ein weiteres Verständnis, da die Hatha Yoga Pradipika kein historisches Werk ist,  sondern zeitlose Wahrheiten darstellt, gibt es mehrere Aspekte.

 

Nicht alle Teile des Hatha Yoga sind für jeden geeignet

Zum ersten gibt es im  Hatha Yoga Teile, die für alle Menschen gut geeignet sind. Diesen Aspekt lernst du in der Yoga Vidya Yogalehrerausbildung.

Darunter zählen: der Sonnengruß, die Asanas, die einfachen Pranayamas und die Tiefenentspannungstechniken. Diese Übungen sind für alle geeignet. Die aufgezählten Praktiken aus dem Hatha Yoga kann man öffentlich lehren und weitergeben.

Einige Techniken sind etwas eigenartiger. Dazu könnte man die Kriyas, die Reinigungsübungen, zählen. Wenn du anderen erzählen würdest, dass du regelmäßig Salzwasser trinkst, dich erbrichst oder ein Tuch schluckst und es wieder herausziehst, klingt das für viele Menschen eigenartig. Es erweist sich als klüger, von diesen Techniken zunächst einmal nicht zu sprechen.

 

Für fortgeschrittene Techniken braucht es das richtige Sadhana

Ein nächster Aspekt ist: Es gibt manche Hatha Yoga Übungen, die sind sehr machtvoll. Dazu brauchst es den richtigen Sadhana-Mix, eine gute Zusammenstellung von spirituellen Praktiken. Die richtige Ernährung und eine gute Kombination wird benötigt.

Wenn man einzelne Techniken einfach weitergibt und Menschen üben nur diese, kann es zu Problemen führen. Es ist wichtig zu wissen, an wen eine Weitergabe der Praktiken erfolgen kann und an welche Menschen dies lieber nicht geschehen sollte.

In der Yoga Vidya Yogalehrerausbildung, lernst du selbst fortgeschrittene Pranayamas. Aber du lernst nicht, wie du fortgeschrittene Pranayamas unterrichten kannst.

Du solltest nicht die Pranayamas mit Bija Mantras unterrichten. Das Unterrichten auf die Samanu-Konzentration in der Wechselatmung wird nicht gelehrt. Dazu zählen auch das Lehren der Bandhas wie Jalandhara Bandha und Bhastrika.

Das solltest du nur selbst unterrichten, wenn du selbst gelernt hast, wie du diese Techniken einführen kannst. Es ist wichtig zu wissen, an welche Menschen du sie einführen kannst, da beim Üben dieser Praktiken ein sattwiger Lebensstil Voraussetzung ist.

Bei Yoga Vidya werden diese weiterführenden Techniken in der Yogalehrer Weiterbildung „Unterrichten von fortgeschrittenem Pranayama und Kundalini Yoga“ gelehrt. Wenn du die fortgeschrittenen Techniken weitergeben willst, dann solltest du diese Weiterbildung mitmachen und du wirst merken, der Personenkreis wird nicht sehr groß sein. Aber diejenigen, die es üben, können eine gute Wirkung erfahren.

Du kannst es selber üben, da du die Informationen bekommst, wann du welche Übung üben kannst und welche Voraussetzungen dafür gegeben sein sollten.

Gute Gründe für eine gewisse Geheimhaltung könnten religiöse Verfolgungen sein. Es könnte sein, dass bestimmte Praktiken für manche eigenartig klingen. Manche Praktiken sind nicht für alle Menschen gleich geeignet.

 

Prahlerei vermeiden

Es gibt einen vierten Grund, weshalb es gut sein kann, bestimmte Praktiken für dich zu behalten. Dieser Grund besteht in der Verhinderung einer Prahlerei. Es gibt Menschen, die geben damit an, wie viele Praktiken sie machen. Das füttert das Ego und sollte nicht erfolgen.

Du kannst von deinen Praktiken sprechen, um andere zu inspirieren. Wenn jemand über Kopfweh klagt, kannst du sagen: „Früher habe ich auch Kopfweh gehabt. Seitdem ich jeden Tag den Sonnengruß und die  Tiefenentspannung mache, bekomme ich kein Kopfweh mehr.“

Wenn jemand sich beklagt, dass er Rückenschmerzen hat, kannst du sagen: „Ich gebe öfters Kurse im Rückenyoga. Beim regelmäßigen Üben von diesen Rückenübungen aus dem Yoga und der Teilnahme an einem solchen Kurs, verschwinden die  meisten Rückenprobleme.“ Mit diesen Worten könntest du sprechen, um anderen zu helfen.

Aber erwähne nicht deine Praxis, um zu zeigen, wie toll du bist. Erzähle nicht ständig von deiner tollen, längeren oder besseren Yogapraxis. Prahle nicht in zwischenmenschlichen Kommunikationen. Wenn jemand von seiner kurzen Yogapraxis berichtet, antworte nicht: „Das ist ja gar nichts! Ich übe jeden Tag eine Stunde!“

„Ich kann die Luft beim Kapalabhati eine Minute anhalten.“ Antworte nicht mit einer höheren Zeitangabe deines Luftanhaltens.

Jemand sagt, dass er den Kopfstand nun übt, antworte nicht, dass du bereits den Skorpion übst. Diese Aussagen sind unangemessen und bedeuten eine Prahlerei. Sprich nicht über deine Praktiken, um andere zu beeindrucken!

Zur Inspiration kannst du anderen Menschen von deinen Yoga Übungen erzählen. Wenn du denkst, andere könnten dadurch inspiriert werden, selbst zu praktizieren, erzähle über dein Yogaüben. Unter spirituellen Aspiranten kann man sich austauschen.

Prahlerei ist zu vermeiden!

 

In der entstehenden Weltkultur hat Hatha Yoga eine wichtige Funktion

Es gibt vier Gründe, weshalb es hilfreich sein kann, Hatha Yoga geheim zu halten. Im Gegenzug, gibt es 1008 Gründe, weshalb es gut ist, Hatha Yoga zu lehren.

Wir leben in einem materialistischen Zeitalter. Es ist wichtig, dass mehr Menschen Yoga üben, damit Menschen auf der ganzen Welt sich miteinander verbinden und Menschen weniger Verspannungen haben. Über Hatha Yoga kann das Herz der Menschen geöffnet werden.

Hatha Yoga hat eine wichtige Funktion in der entstehenden Weltkultur. Hatha Yoga kann Menschen helfen, friedvoller mit sich und ihren Mitmenschen umzugehen. Hatha Yoga kann zu einem kollektiven spirituellen Erwecken führen.

Seit Swami Sivananda - und auch seit Krishnamacharya - ist eine ganze Tradition entstanden, mit dem Wunsch, Hatha Yoga in die ganze Welt zu bringen. Hatha Yoga stellt eine Kraft des Friedens dar, der Gesundheit und der religionsübergreifenden und religionsverbindenden Spiritualität.

 

 

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

 

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