Die Hatha Yoga Pradipika ist vermutlich der wichtigste Text des Hatha Yoga. Nicht umsonst hat einer der großen Yogameister unserer Zeit, B. K. Iyengar, sein wichtigstes Yogawerk „Licht auf Yoga“ genannt. Es ist eine Anlehnung an die Hatha Yoga Pradipika (Licht auf Hatha Yoga) des großen Meisters Svatmarama.

Svatmarama beschreibt in der Pradipika Hatha Yoga von mehreren Aspekten her. Er beschreibt es in den drei Wurzeln des Hatha Yoga Systems.

Hatha Yoga hat seine Wurzeln

  • im Ayurveda – im indischen Gesundheitssystem,
  • im Kundalini Yoga – der Yoga der Energie,
  • im Raja Yoga – der Yoga des Geistes oder der Herrschaft über den Geist.

Wenn Svatmarama über die Wirkungen der Übungen spricht, dann macht er das immer von diesen 3 Standpunkten aus.

 

Hatha Yoga und Ayurveda

Zur Zeit von Svatmarama war Ayurveda das Gesundheits- und Medizinsystem, und so beschreibt er die Wirkung des Hatha Yoga vom Standpunkt des Ayurvedas aus.

Im Ayurvedasystem wurde Hatha Yoga für die Gesundheit schon Jahrhunderte vor Svatmarama geübt. Es geht darum, wie man gesund bleiben kann, gesund werden kann und Krankheiten heilen kann. Daher spielt im Ayurveda Hatha Yoga eine wichtige Rolle.

Svatmarama fasst also das Ayurvedawissen über Hatha Yoga in der Pradipika zusammen. Er schreibt über Vata, Pitta und Kapha und beschreibt, welche Übung welche Auswirkung auf Vata, Pitta und Kapha hat. Er beschreibt die Ursache von Krankheit als Dosha-Überschuss, als mangelndes Agni (Verdauungsfeuer) oder auch als Ansammlung von Amas (Unreinheiten). Und er beschreibt, welche Übungen welchen Einfluss auf Agni und Ama haben. Daher ist eine der Wurzeln des Hatha Yoga die Gesundheitslehre.

Schon im alten Indien wurde Hatha Yoga von manchen einfach wegen der Gesundheit geübt. Wenn heute Menschen Hatha Yoga üben, um gesund zu werden oder gesund zu bleiben, ist das also eine sehr alte Tradition. Svatmarama beschreibt sogar in einigen Versen, wie die Übungen schöner machen, sogar sexuell attraktiver, und wie die Übungen helfen, gesund zu sein und zu bleiben. 

 

Hatha Yoga und Kundalini Yoga

Die zweite Wurzel des Hatha Yoga ist Kundalini Yoga. Kundalini Yoga ist der Yoga der Energie. Meiner Meinung nach beschreibt die Pradipika Hatha Yoga ganz besonders vom Standpunkt des Kundalini aus.

Die meisten Verse gehen auf die Energiewirkungen der Hatha Yoga Übungen ein. Hatha Yoga ist eine Technik, um Auswirkungen auf unser Energiesystem zu erzielen. Asanas haben Auswirkungen auf Nadis, Prana und Chakras und dann auch auf die Kundalini. Ebenso auch die Pranayamas und noch mehr auf die Mudras und Bandas.

Die Meditationstechniken in der Pradipika sind alle so beschaffen, dass sie eine Auswirkung auf das Prana haben. Über die Auswirkung auf das Prana ist es nachher möglich, zu einer Ruhe des Geistes zu kommen. Die Körperübungen dienen dazu, das Prana zu erhöhen, die Nadis zu reinigen, die Chakras zu aktivieren und schließlich die Kundalini zu erwecken. Die Kundalini Erweckung dient dazu ins Überbewusstsein zu kommen und schließlich die Gottverwirklichung zu erlangen.

 

Hatha Yoga und Raja Yoga

Raja Yoga ist der Yoga der Geisteskontrolle. Raj heißt herrschen und Raja ist derjenige, der beherrscht.

Was gilt es zu beherrschen?

Es gilt den eigenen Geist.

Raja Yoga ist ein alter Yogaweg. Man sagt z.B., dass Patanjali im Yoga Sutra das Raja Yoga gut beschrieben hat. Auf bestimmte Weise könnte man auch den Buddhismus in der Zeit von Buddha als Raja Yoga bezeichnen. Buddha beschreibt, wie der Geist funktioniert und wie wir ihn beherrschen können.

Vor der Zeit von Buddha gibt es ältere Schriften, z.B. die Upanishaden oder auch Teile der Epen, die beschreiben, wie man den Geist beherrscht. In dieser Tradition ist Yoga besonders auf Körperübungen ausgerichtet, um den Geist zu konzentrieren, den Geist zur Ruhe zu bringen und ihn zu beherrschen. Darauf nimmt Svatmarama in der Pradipika an mehreren Stellen Bezug. Dort sagt er: „Um den Geist zur Ruhe zu bringen, ihn zu beherrschen, üben wir Asanas, Pranayama, Mudras und Bandhas“.

Im Grunde genommen können wir sagen, dass es heute nicht anders ist. Wenn man die Motivation von Menschen anschaut, die heute Hatha Yoga üben, kann man sie durchaus in 3 Gruppen zusammenfassen.

  • Diejenigen, die für die Gesundheit üben. Es gibt solche, die krank sind und wieder gesund werden wollen. Und es gibt diejenigen, die eine gewisse Gesundheit haben, aber noch gesünder werden wollen, vielleicht noch schöner werden wollen oder eine bessere Ausstrahlung anstreben usw. Das ist ganz legitim und gab es so schon im alten Indien, im Hatha Yoga als Teil des Ayurveda-Systems.
  • Diejenigen, die mehr Energie haben wollen. Sie spüren, dass sie durch die Yogapraxis mehr Energie, Ausstrahlung und Charisma haben. Diese Motivation ist ebenfalls eine alte aus dem Kundalini Yoga.

Im alten Indien war eventuell zusätzlich noch mehr der Wunsch vorhanden, übernatürliche Kräfte zu erwerben (siddhis), also durch Ausstrahlung mehr bewirken zu können und telepathische Fähigkeiten zu erwerben u.a.)

  • Diejenigen, die durch Hatha Yoga mehr Gelassenheit erlangen wollen, und über Dinge wie Ärger, Depressivität, Burnout, Ängste, Reizbarkeit etc. hinauskommen wollen, um sich besser zu fühlen. Viele Menschen spüren, dass Hatha Yoga eine Auswirkung auf den Geist und die Psyche hat. Teilnehmer sagen z.B.: „Egal mit welcher psychischen Konstitution ich in die Yogastunde gehe, hinterher geht es mir gut, ich fühle mich wohl.“ (Es sollen schon Ehen dadurch gerettet worden sein…)

Svatmarama geht es über Erlangung von Gesundheit, mehr Energie, Gelassenheit und psychischem Gleichgewicht hinaus natürlich auch um die Gottverwirklichung. Er lehrt Hatha Yoga, damit Menschen ins Überbewusstsein kommen und letztlich Kaivalya, die Befreiung erreichen. Viele westliche Aspiranten sind sich dessen vielleicht weniger bewusst, aber sehr viele, die regelmäßig und über Jahre Hatha Yoga praktizieren, üben es auch als Teil des spirituellen Weges.

 

Zusammenfassung

Hatha Yoga, wie es von Svatmarama in der Hatha Yoga Pradipika gelehrt wird und wie Hatha Yoga seit Jahrtausenden in Indien geübt wird, hat drei Wurzeln:

  • Ayurveda:

Hatha Yoga als Körperübungen für Gesundheit

  • Kundalini Yoga:

Hatha Yoga als Körperübungen für mehr Lebensenergie Prana, zur Reinigung der Nadis, Aktivierung der Chakras, Kundalini Erweckung, Überbewusstsein

  • Raja Yoga:

Hatha Yoga als Körperübungen, um den Geist zur Ruhe zu bringen, in tiefe Meditation und letztlich zur Befreiung zu kommen

Svatmarama schreibt zwar in der Pradipika, dass er Hatha Yoga besonders für Raja Yoga lehrt, aber die meisten Verse beschreiben letztlich, wie Hatha Yoga auf Prana, Nadis und Chakras wirkt.

 

 

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

 

 
 
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