Was haben jetzt diese Reserven mit der Art der Atmung zu tun?
Zunächst einmal nutzt du die Ausatmungsreserve durch die Zwerchfellatmung. Wenn du normal ausgeatmet hast, dann geht alles, was du weiter ausatmest, nur dadurch, dass der Bauch hineingeht. Wenn du also mehr frische Luft zu den Lungen bringen willst, ist zunächst einmal das Nutzen der „Ausatmungsreserve“ wichtig. Angenommen, du nutzt nicht die vollständige Ausatmung, dann bleiben immer über 2 Liter Luft in den Lungen. Und auf diese 2 Liter Luft kommt dann nur die zusätzliche, frische Luft. Hast du hingegen vollständig ausgeatmet, bleibt nur 1 bis 1,2 Liter Restluft in den Lungen. Es ist also recht effektiv, zunächst vollständig auszuatmen. Hinzu kommt, dass das vollständige Aus- und Einatmen das Zwerchfell bewegt, was eine gute Massage für die Bauchorgane ist. Dies ist förderlich, damit die Bauch- und Verdauungsorgane gut funktionieren. Die Zwerchfellbewegung ist auch gut für die Venen: Es gibt die sogenannte „Zwerchfellpumpe“, die dafür sorgt, dass das venöse Blut insbesondere aus den großen Venen zurück zum Herzen kommt. Daher also: Öfter am Tag vollständig ausatmen und sanft einatmen.
Die Einatmungsreserve besteht z.T. aus der Bauchatmung. Du könntest nach dem normalen Einatmen den Bauch bewusst noch weiter nach vorn geben. Die Einatmungsreserve besteht aber auch aus der Brustatmung oder auch der Zwischenrippenatmung. Der Knorpel zwischen Rippen und Brustbein kann etwas ausgedehnt werden, und durch die Zwischenrippenmuskeln können sich die Rippen auch etwas drehen. Tatsächlich ist der größte Teil der Einatmungsreserve eben diese Brustatmung.
Zuletzt gibt es noch die Lungenspitzenatmung, wo Muskeln zwischen Schlüsselbein und Rippen die oberen Rippen etwas heben können, und dadurch kann auch etwas Luft in die Lungen hineingehen. Allerdings sollte die Normalatmung die Bauchatmung sein. Beginnt man, etwas tiefer zu atmen, sollte man zunächst die Ausatmungsreserve nutzen durch vollständige Aus- und Einatmung. Das gibt auch den Bauchorganen eine gute Massage, sorgt auch dafür, dass das venöse Blut besser zurückfließt. Wenn das nicht ausreicht, nutzt man die Einatmungsreserve durch die vollständige Atmung.
Vom Yoga her gibt es auch noch einen guten Grund, weshalb die Bauchatmung die Normalatmung ist. Der Bauch ist Sitz der Sonnenenergie, und indem du tief mit dem Bauch atmest, hältst du auch das Prana dieses Sonnenzentrums in Bewegung und sorgst dafür, dass du diese Sonnenenergie bekommst.
Wie man die Vitalkapazität erhöht
Die Vitalkapazität ist die maximale Menge an Luft, die du ausatmen kannst, nachdem du vollständig eingeatmet hast. Die Vitalkapazität ist ein wichtiger Faktor um festzustellen, ob jemand gesund ist. Es kann auch die Lebenserwartung vorhergesagt werden anhand der Vitalkapazität. Wer als 30-, 40-jähriger eine unterdurchschnittliche Vitalkapazität hat, hat eine geringere Lebenserwartung als jemand, der eine höhere Vitalkapazität hat. Es ist aber nie zu spät, etwas dafür zu tun, um die Vitalkapazität zu erhöhen. Auch fühlt sich jemand mit einer höheren Vitalkapazität tatsächlich vitaler und energetischer.
Vitalkapazität bedeutet auch: Wie zügig kann der Mensch Sauerstoff bekommen, wie schnell kann er auch Kohlendioxid wieder herausbringen? Das hat eine Auswirkung auf das gesamte Kreislaufsystem, und über das Kreislaufsystem auf alle Organe und Gewebe des Körpers.
Der Mensch ist ein Organismus, der sich auf die Herausforderungen der Umwelt einstellt. Wenn du deine Vitalkapazität erhöhen willst, braucht es also das geeignete Training. Schulmedizinisch gesehen ist das sogenannte Ausdauertraining auch ein Training, was die Vitalkapazität erhöht. Angenommen, du hättest dich bisher kaum bewegt die letzten Jahre, wenn du dann drei- bis viermal die Woche 30 bis 40 Minuten Ausdauertraining machst (Laufen Schwimmen, Fahrrad fahren, Walken) und dabei deinen Puls in eine Zielzone bringst, wirst du innerhalb von 3 bis 6 Monaten deine Vitalkapazität erhöhen. Vom Yoga her ist der Sonnengruß die wichtigste Übung, um ein Ausdauertraining zu haben. Aber vom Yoga her gibt es auch noch weiteres, was hilft, die Vitalkapazität zu erhöhen.
- Atemübungen, insbesondere den Atem anhalten
- Atemübungen, insbesondere tiefe Bauchatmung
- Weitere Atemübungen, insbesondere die vollständige Yogaatmung
- Asanas
- Tiefenentspannung
Zu 1.: Wenn du Atemübungen machst, die im Yoga immer auch Atem anhalten umfassen, dann ist das ein Trainingsreiz. Wenn du also die Luft anhältst nach Kapalabhati oder während der Wechselatmung, dann entsteht vorübergehend ein Sauerstoffmangel. Kohlendioxid sammelt sich an in den Lungen, und vermehrt auch in den Blutgefäßen. Der Sauerstoffmangel wird „gemeldet“, und das ist dann ein Trainingsreiz, der den Körper veranlasst, die Vitalkapazität zu erhöhen. Angenommen, du hättest bisher kaum Ausdauertraining gemacht, und du würdest nur Yogaatemübungen üben, täglich 20 bis 30 Minuten, so würdest du in 3 bis 6 Monaten deine Vitalkapazität messbar erhöhen. Sogar Menschen, die bisher Ausdauertraining gemacht haben, und dann täglich Yogaatemübungen 20 bis 30 Minuten üben, werden nochmals eine Erhöhung ihrer Vitalkapazität spüren. Das Luftanhalten ist also ein Trainingsreiz, der die Lungen dazu veranlasst, Gewebe zu erneuern, und so die Vitalkapazität zu erhöhen.
Zu 2.: In der tiefen Bauchatmung atmest du vollständig aus und sanft ein. Das vollständige Ausatmen führt dazu, dass zwischendurch die Lungen weitestgehend leer sind. Dies wiederum sorgt dafür, dass z.B. nach dem Atem-anhalten bei der Wechselatmung der Sauerstoffmangel noch etwas akzentuierter ist. Und so führt den Atem anhalten, gefolgt von langsamem, vollständigem Ausatmen dazu, dass der Trainingsreiz noch stärker ist, der den Körper dann dazu veranlasst, die Vitalkapazität zu erhöhen. Tiefe Bauchatmung ist also ein Trainingsreiz für die Vitalkapazität und Luftanhalten gefolgt von langsamem vollständigem Ausatmen ist nochmal ein effektiverer Trainingsreiz.
Zu 3.: Vollständige Yogaatmung heißt, dass du vollständig ausatmest und vollständig einatmest. Indem du das bewusst machst, setzt du auch wieder einen Trainingsreiz. Der Trainingsreiz sagt dem Körper: Irgendwo, aus irgendwelchen Gründen reicht es nicht aus, wie viel Luft du ein- und ausatmen kannst. Und so wird der Körper dazu veranlasst, Gewebe zu regenerieren und die Vitalkapazität zu erhöhen. Jemand, der vollständige Yogaatmung regelmäßig übt, wird schon allein dadurch mittelfristig seine Vitalkapazität erhöhen.
Zu 4.: Damit der Körper Lungengewebe so umstrukturieren kann, dass die Vitalkapazität erhöht wird, muss natürlich ein gewisser Raum im Brustraum sein. Die Knorpel zwischen Rippen und Brustbein können diesen Raum ergeben. Aber im Alter von 30 oder 40 sind die Knorpel nicht mehr ganz so flexibel, und so sind Asanas von besonderer Wichtigkeit. Viele Asanas dehnen den Brustkorb, wie z.B. eine Bewegung im Sonnengruß, wie der Fisch oder die Kobra, wie der Halbmond oder Chakrasana, das Rad. Durch diese Öffnung des Brustkorbs werden die Knorpel zwischen Rippen und Brustbein flexibler, und so wird der Raum geschaffen, der überhaupt dem Lungengewebe ermöglicht, sich zu erneuern und die Vitalkapazität zu erhöhen. Genauso haben die Seitbeugen wie z.B. das Dreieck die Wirkung, dass die Rippen gedehnt werden. Sogar Übungen wie z.B. die Vorwärtsbeuge, der Pflug und die Stellung des Kindes dehnen die Rippen, und zwar im hinteren Teil, und helfen, dass auch die Rippenwirbelgelenke etwas flexibler werden. Auch das ist wichtig, damit die Rippen sich etwas drehen können und sich weiter öffnen können. Schließlich wirken auch die Drehungen besonders auf die Rippen. Drehbewegungen entstehen ja insbesondere aus den unteren Brustwirbeln, und dabei bewegt sich letztlich der Brustkorb in sich selbst, und das hat Auswirkungen auf die Flexibilität der Rippen zueinander und ermöglicht eine Ausdehnung des Lungengewebes.
Zu 5.: Tiefenentspannung allein erhöht natürlich keine Vitalkapazität. Aber in Verbindung mit Trainingsreizen wie Ausdauertraining, Luft anhalten, vollständiger Yogaatem und Dehnung des Brustkorbes durch Rückwärtsbeugen, Dreieck, Drehungen, Vorwärtsbeuge ist die Tiefenentspannung etwas, was dem Körper die Anpassungsleistungen ermöglicht. Wenn du also Yoga übst, mit Atemübungen, Luft anhalten, vollständiger Yogaatmung, tiefer Bauchatmung, dann Vorwärtsbeuge, Rückwärtsbeuge, Drehung und Seitwärtsbeuge, dann hilft die Tiefenentspannung, dass der Körper dem Trainingsreiz besser Folge leisten kann, und so
- zum einen die Vitalkapazität erhöht,
- zum zweiten den Gasaustausch in den Kapillargefäßen verbessert und
- Die innere Atmung verbessert, also die Sauerstoffaufnahme der Gewebe aus den Kapillargefäßen des Kreislaufsystems.
Zusammenfassung:
Yoga ist vorzüglich für die Gesundheit des Atmungssystems. Atme normalerweise durch die Nase. Übe regelmäßig Neti, mindestens mit Salzwasser. Gurgele öfters mit Salzwasser, vielleicht auch mit Salzwasser + eine Messerspitze Cumin oder Tumerik. Des Weiteren übe Atemübungen wie Kapalabhati und Wechselatmung. Wenn du Anfänger bist, übe die Bauchatmung, als Fortgeschrittener übe auch die vollständige Yogaatmung. Das hilft dir, ein gesundes Atmungssystem zu haben, eine gute Vitalkapazität zu haben. Du beugst so Asthma vor, und viele Asthmaarten können auch allein durch Atemübungen, vielleicht zusätzlich Entspannung, Asanas und gesunde Ernährung überwunden werden. Auch andere Erkrankungen des Atemsystems, wie z.B. chronische Bronchitis oder auch COPD können vermieden werden. Und Atemübungen erleichtern es auch, von der Zigarette loszukommen. Das schlimmste, was du machen könntest, wäre Rauchen: Durch das Rauchen werden zum einen die Schleimhäute entlang der Nase gestört (beim Ausatmen), aber noch mehr werden beim Einatmen die Schleimhäute entlang der Luftröhre und vor allem in den Bronchien und Bronchiolen gestört. So wird auch die Filterfunktion der Atemwege und der Lunge reduziert. Es baut sich auch ein Film über den Alveolen auf und der Gasaustausch ist nicht mehr so gut. Der Körper reagiert nach einer Weile, manchmal mit Bronchitis, manchmal mit chronischer Bronchitis, manchmal auch mit Emphysemen, oder auch mit Lungenkrebs. Also ist besonders wichtig: nicht Rauchen! Und wenn du mal geraucht hast: Yoga hilft deinem Lungengewebe, sich zu regenerieren.
Bei Yoga Vidya gibt es in jeder Yogastunde Atemübungen. Es gibt aber auch spezielle Seminare, wo Atemübungen besonders unterrichtet werden, u.a. Kundalini Yoga Seminare, auch Atemkursleiter-Ausbildungen oder auch Pranayama-Weiterbildung für Yogalehrer oder zum Unterrichten von fortgeschrittenem Pranayama für ausgebildete Yogalehrer.
Wenn du Yogalehrer bist und Interesse daran hast, wie du mit Yoga verschiedenen Erkrankungen des Atemsystems vorbeugen kannst, oder wie du die Yogaübungen anpassen musst, wenn deine Teilnehmer bestimmte Erkrankungen haben, gibt es auch die einwöchige Weiterbildung „Yoga bei Erkrankungen des Atmungssystems“.
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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.
Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.
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