Angenommen jemand hat kein Krafttraining gemacht. Er profitiert ungemein davon, die Stärke etwas zu erhöhen. Wenn er mehr macht, auch noch besser. Aber ab einem gewissen Grad der Stärke ist ein zusätzlicher Kraftgewinn gesundheitlich irrelevant. Es kann sogar sein das man ein Training braucht, um die Kraft noch weiterzuentwickeln, was für manche Körperteile ins Übertraining führt und die Verletzungsrate steigert oder auch zu Problemen führt.
Da gilt das Gesetz der abnehmenden Erträge und es ist sogar gut, wenn du einmal die Woche Yoga übst. Und wenn du Yoga unterrichtest, ist es schon gut, wenn du deine Teilnehmenden dazu motivierst einmal die Woche zum Yoga zu kommen.
Wenn du sie dazu motivierst, zwei bis dreimal die Woche Yoga zu üben umso besser. Natürlich psychisch noch besser ist es täglich zu machen. Vom Standpunkt der körperlichen Gesundheit ist dreimal die Woche für die meisten Menschen genug.
Das sage ich, obgleich ich jeden Tag mein Yoga übe, jeden Tag eine halbe Stunde Asanas, dreißig bis vierzig Minuten Pranayama, zusätzlich eins bis zweimal am Tag Tiefenentspannung, ein-, zweimal am Tag meditieren.
Ich spreche jetzt erst mal vom Gesundheitsstandpunkt aus. Und das heißt auch Yoga entwickelt alle körperlichen Fertigkeiten grundsätzlich erst mal ausreichend, wenn du sie bewusst machst. Du wirst zwar durch Krafttraining und Hanteltraining und Maschinentraining deine Muskelkraft stärker entwickeln können als durch Yoga. Aber Yoga wird deine Muskelkraft in ausreichendem Maße fördern, wenn du eben auch anstrengende Yogaübungen machst.
Oder man könnte auch sagen: Marathon Training wird zwar deine Ausdauer stärker entwickeln als Pranayama und Sonnengruß aber durch Pranayama und Sonnengruß wirst du auch ausreichend deine Ausdauer entwickeln, dass es gesund ist für das Herz-Kreislauf-System.
Aber du solltest dann darauf achten, dass du mindestens ein bis zweimal die Woche ausreichend Sonnengebete machst. Und natürlich kannst du zusätzlich zum Yoga auch noch Ausdauertraining ergänzen.
Also das Gesetz der abnehmenden Erträge besagt: Etwas (Yoga) bringt schon eine ganze Menge. Etwas mehr bringt auch noch viel. Aber ab einem gewissen Grad ist für die Gesundheit nicht mehr so viel raus zu holen.
Jetzt könnte man natürlich die Frage stellen: Warum wollen wir im Yoga noch weiter gehen als eine ausreichende Flexibilität, eine ausreichende Koordination? Theoretisch ist es ausreichend, wenn du in der Vorwärtsbeuge den Boden berühren kannst. Theoretisch ist es ausreichend, wenn du zwölfmal Sonnengruß machen kannst. Usw.
Warum machen wir mehr? Wir müssen nicht mehr machen aber wir machen gerne mehr. Wir machen mehr aus anderen Gründen. Yoga hat auch Auswirkungen auf das Prana, Lebensenergie. Yoga hat Wirkungen auf die Chakras, Energiezentren. Es hat Auswirkungen auf die Psyche. Und wenn wir häufiger und intensiver Yoga machen, können wir in transzendente Bewusstseinsebenen hinein gehen. Wir wollen ja letztlich in höhere Bewusstseinsebenen kommen. Und hinzu kommt: Manchen Menschen macht es einfach Spaß, fortgeschrittene Übungen zu machen.
Und tatsächlich ist das ein tolles Gefühl, wenn man auf dem Rücken liegend die Füße hinter dem Kopf faltet, die Unterarme um die Oberschenkel und Kniekehlen herum gibt, die Hände hinter dem Rücken faltet. Wenn du darin eine Minute bist, ist das eine besondere Erfahrung.
Wenn du jetzt in die fortgeschritteneren Asanas hinein kommst und dabei nicht das natürliche Talent dazu hast, dann gibt es noch einmal das Gesetz der abnehmenden Erträge auf einer anderen Ebene. Was besagt: Die gleiche Trainingsform intensiver oder häufiger gibt weniger zusätzliche Erträge als am Anfang.
Also angenommen du hältst die Vorwärtsbeuge 10 Sekunden, dann hat sie eine gewisse Wirkung. Angenommen du hältst sie eine Minute lang, dann hat sie eine größere Wirkung. Angenommen du hältst sie drei Minuten, dann hat sie auch noch eine größere Wirkung aber nur eine geringfügig größere Wirkung im Sinne der Flexibilität als sie eine Minute zu halten.
Und wenn du sie dann 10 Minuten oder eine Stunde hältst, mag es noch einmal eine geringe zusätzliche Wirkung geben für die Flexibilität aber nicht mehr sehr viel. Wenn du also in der Vorwärtsbeugen-Flexibilität vorankommen willst, du musst es nicht wollen, aber wenn du es willst, dann wirst du irgendwie etwas anderes machen müssen. Dann reicht die Paschimottanasana nicht aus. Dann musst du vielleicht den Spagat machen, den auf dem Rücken liegenden Spagat oder du brauchst jemanden, der dich nach vorne schiebt, z. B. deine Yogalehrerin oder du übst mit jemand anderem oder du übst mal die Halbe Vorwärtsbeuge, Einbeinige Vorwärtsbeuge usw.
Oder wenn du in die Rückwärtsbeuge weiter gehen willst, dann probiere verschiedene Rückwärtsbeugen aus. Oder nutze mal einen bestimmten Zeitraum lang das Konzept der Superkompensation, das heißt, übe zweimal am Tag.
Das heißt also, wenn du wirklich vorankommen willst über einen bestimmten Level, dann musst du nicht nur die gleiche Sache häufiger machen oder die gleiche Sache immer weiter machen, sondern irgendwann musst du dein Training intensivieren, anders machen und vielleicht Seminare besuchen, um voranzukommen. Aber muss man wirklich immer weiter Fortschritte machen? Nein, muss man nicht.
Es gibt einen bestimmten Level, der ausreicht für Gesundheit und viele Menschen, die langfristig Yoga machen, bleiben auf diesem Level und sind zufrieden.
Aber es gibt die Hatha Yoga Spezialisten, die gerne alle diese Asanas üben wollen, vielleicht auch einen Körper haben, der das kann und dann muss man eben unterschiedliche Reize setzen mit unterschiedlichen Übungen arbeiten, unterschiedliche Asanas mal machen, mal allein, mal mithilfe des Lehrers, mal länger halten, mal kürzer halten, mal Zwischenübungen machen, mal nur die Grundstellungen, usw.
Und angenommen du besuchst bei Yoga Vidya regelmäßig Asana Intensiv Seminare, wirst du feststellen, dass du gute Fortschritte machst durch unterschiedliche Weisen in den Asanas voranzukommen.
Zusammenfassung
Das Gesetz der abnehmen Erträge ist in zwei Richtungen wichtig.
Erstens, körperliche Fähigkeiten zu entwickeln ist gut. Aber der Gesundheitsgewinn ist ab einem gewissen Grad nicht mehr sehr groß.
Zweitens, wenn du körperliche Fähigkeiten entwickeln willst, wird die gleiche Übung irgendwann dich nicht weiter führen, dann musst du auf andere Weise üben und andere Übungen einfügen.
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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.
Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.
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