Stress beruht auf dem allgemeinen Anpassungsprinzip: Der Mensch ist ein Organismus, der sich auf die Herausforderungen der Umwelt einstellt. Auf neue Herausforderungen reagiert er in den Phasen Alarm, Widerstand, Anpassung oder – wenn die Anpassung nicht gelingt – Zusammenbruch. Wenn eine außergewöhnliche Beanspruchung kommt, wird der Mensch alarmiert, Stresshormone werden ausgeschüttet, der Blutkreislauf kommt in Gang und der Mensch hat nun die Möglichkeit zu fliehen oder zu kämpfen. Wenn diese Belastung anhält, geht der Mensch in den Widerstand und sagt: „Das will ich nicht!“ Oder: „Das geht nicht!“ Oder der Körper und der Organismus können es nicht. Danach folgt schließlich die Anpassung, in der Körper und Psyche die Fähigkeiten entwickeln, die notwendig sind, um mit der Herausforderung umzugehen. Ist die Herausforderung jedoch zu stark, kann der entsprechende Teil des Organismus zusammenbrechen.

 

Zwei Beispiele für die Anpassungsfähigkeit unseres Organismus

Ein Beispiel: Wenn du im Winter in die Kälte hinaus gehst und nur mit einem T-Shirt bekleidet bist, wird zunächst dein Körper alarmiert sein: Es fühlt sich kalt an und du willst schnell wieder zurück ins Haus, um dir etwas anzuziehen. Angenommen du bleibst trotzdem draußen, dann stellt sich ein inneres Unwohlsein ein. Das Gefühl kommt auf, dass etwas nicht richtig ist. Wenn du dann immer noch draußen bleibt, entwickelt dein Körper Gänsehaut, dein Kreislauf kommt in Gang, die Haut wird besser durchblutet und du stellst fest, dass es gar nicht so schlimm ist. Wenn du jeden Tag in die Kälte hinaus gehst, zunächst eine Viertelstunde und das dann langsam steigerst, wirst du irgendwann feststellen, dass du auch bei null Grad im T-Shirt hinausgehen kannst. Dein Körper hat eine bessere Temperaturregulierung entwickelt.

Allerdings kann es auch sein, dass dein Körper nicht dazu in der Lage ist, sich an die Kälte anzupassen und es dadurch negative Auswirkungen gibt. Gehst du bei minus zehn Grad im T-Shirt raus, dann wird dein Körper wieder alarmiert sein. Du verspürst Ängste und willst schnell wieder ins Warme. Bleibst du weiterhin draußen, reagiert dein Organismus mit Widerstand und Unwohlsein. Vielleicht wird der Körper vorübergehend etwas wärmer, aber irgendwann wirst du erfrieren – es kommt zum Zusammenbruch.

 

Ein anderes Beispiel: Ein Langzeitarbeitsloser findet wieder Arbeit. Zunächst ist er aufgeregt, freut sich über den Job, geht dorthin. Aber nach ein paar Tagen erlebt er Erschöpfung, Müdigkeit und Kopfschmerzen. Der Organismus ist es nicht mehr gewohnt, acht Stunden am Tag zu arbeiten, fremdbestimmt zu sein und Dinge schneller machen zu müssen als er kann. Es regt sich innerer Widerstand in Organismus und Psyche. In den meisten Fällen folgt nach einer Weile die Anpassung: Er stellt fest, dass es doch geht, Kopfschmerzen und Müdigkeitsgefühl gehen zurück, es kommt zur Anpassung. Wenn es aber ein Job ist, der dem Menschen nicht angemessen ist und ihn überfordert, kann es irgendwann zum Zusammenbruch und damit einhergehenden Erkrankungen kommen.

 

Die Phasen des allgemeinen Anpassungsprinzips

Es kann hilfreich sein, wenn du dieses allgemeine Anpassungsprinzip kennst, um bei Stress im Alltag einzuschätzen, in welcher Phase du dich befindest: Entweder die Alarmphase, die wieder vorübergeht. Oder die Widerstandsphase, weil Fähigkeiten gebraucht werden, die momentan nicht zur Verfügung stehen. Oder die Anpassung, wenn diese Fähigkeiten entwickelt wurden bzw. der drohende Zusammenbruch, wenn es doch zu viel wird.

Manche Menschen verwechseln den Alarm gleich mit einem beginnenden Burn-out, andere verwechseln die Widerstandsphase mit der Vorstellung, sie seien im Stress, und ermöglichen es somit gar nicht, dass ihr Organismus die Fähigkeiten entwickelt, die sie brauchen. Umgekehrt gibt es aber auch manche Menschen, die ihren Körper und Geist ständig mit neuen Herausforderungen beanspruchen und ihm nicht genügend Zeit geben, die notwendigen Fähigkeiten zu entwickeln. Diese Menschen können dann irgendwann zusammenbrechen.

Die Kenntnis des allgemeinen Anpassungsprinzips ist hier hilfreich, ebenso wie eine regelmäßig Hatha Yoga Praxis.

 

Hatha Yoga für mehr psychische Resilienz

Hatha Yoga unterstützt uns Menschen dabei, mehr in der Gegenwart zu leben. Wenn du eine neue Herausforderung erlebst, hilft dir Hatha Yoga dabei, nicht gleich in negatives Denken, Schwarzmalerei, Befürchtungen und Ängste zu verfallen. (Alarm kann ja auch positiv erlebt werden: Es ist etwas Aufregendes, Energie wird frei.)

Menschen, die Hatha Yoga üben, sind mehr im Hier und Jetzt. Neue Herausforderungen werden sie nicht gleich zu sehr durcheinander bringen. Wenn jemand in der Widerstandsphase ist und durch eine neue Herausforderung Kopfschmerzen oder Müdigkeit erlebt, dem hilft Yoga dabei, den Organismus stärker zu machen, Kopfschmerzen und Müdigkeit zu reduzieren. Yoga hilft auch dabei, eine innere Bewusstheit zu schaffen, psychischen Widerstand zu reduzieren und sich so anzunehmen, wie man ist.

Hatha Yoga hilft außerdem dabei, dass man sich zügiger an eine neue Situation anpassen kann. Beispielsweise durch die Tiefenentspannung. Man weiß: Menschen, die Entspannungsübungen praktizieren, können besser lernen. Sie können schnellere Fortschritte im sportlichen Training machen. Und sie können sich schneller an neue Situationen anpassen. Hatha Yoga hilft der Regenerationsfähigkeit des Organismus und unterstützt uns daher, besser in die Anpassung zu kommen und die Fähigkeiten zu entwickeln, die für die Herausforderungen unseres Alltags notwendig sind.

Hatha Yoga hilft auch, sich bewusster zu sein, einen drohenden Zusammenbruch zu erkennen und sich schneller dort herauszuholen. Gerade dadurch, dass Hatha Yoga gegen ein zu hohes Anspruchsniveau hilft, lernt der Mensch, weniger auf innere Antreiber zu hören, weniger darauf zu hören, was noch alles zu tun ist, sondern sich bewusster zu machen, wann sein Organismus Ruhe braucht. Und gerade weil Menschen, die regelmäßig Hatha Yoga üben, ein größeres Bewusstsein haben für ihre eigenen Bedürfnisse, haben sie eine weniger große Neigung, bis in den Zusammenbruch zu gehen.

Hatha Yoga hilft also, nicht so schnell über Stress krank zu werden, auch weil es Einfluss auf die Phasen des allgemeinen Anpassungsprinzips hat.

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

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