Was bedeutet „Ayurveda“? „Ayus“ heißt „Leben“, und „Veda“ heißt „Wissen, Weisheit“. Ayurveda ist die Weisheit vom Leben oder auch die Wissenschaft vom gesunden Leben. Es ist die Kenntnis, wie man gesund, lange und gut leben kann. Man kann sagen, Ayurveda ist das indische Gesundheitssystem, die indische Medizin, bzw. eines der verschiedenen Gesundheitssysteme in Indien. Es gibt dort auch die Siddha-Medizin, die in Tamil Nadu beliebt ist, und andere. Ayurveda ist heutzutage das populärste indische Gesundheitssystem.
Ayurveda ist uralt. Die ältesten bekannten Ayurveda-Schriften sind spätestens vor 2000 Jahren niedergeschrieben worden. Vermutlich datieren sie noch viel weiter zurück. Schon in den Veden finden wir Zugriff auf Ayurveda-Grundprinzipien. Vermutlich ist Ayurveda das älteste Medizinsystem, das heute noch in Gebrauch ist.
Ayurveda hat eine bestimmte Anatomie, Physiologie. Man spricht über die verschiedenen Dhatus, die verschiedenen Körpergewebe, über Organe und über sogenannte Nadis. Nadis sind Verbindungskanäle, es gibt die grobstofflichen, wie die Adern und Nerven, und die feinstofflichen Nadis, die Energiekanäle.
Ayurveda spricht von den sogenannten Marmas, den Energiepunkten, auf die Druck ausgeübt werden kann, um Energieblockaden zu beseitigen. Es gibt Marmas, die Organsysteme steuern. Die chinesische Medizin und die Ayurveda-Medizin haben in dieser Hinsicht zum Teil ähnliche Gesichtspunkte.
Ayurveda spricht im besonderen Maße von den Doshas. Im Westen ist das der bekannteste Teil. Fast jeder, der sich längere Zeit mit Yoga beschäftigt hat, hat auch mal etwas über Vata, Pitta und Kapha gehört. Dazu gibt es auf unseren Internetkanälen viele Erläuterungen.
Vata ist das Luftige. Ein Mensch mit einer Vata-Prakriti, d. h. einer Vata-Natur, hat einen feingliedrigen Körperbau. Er ist von der Statur her etwas schlanker und leichter. Ein Vata-Mensch ist luftig, leicht, offen, liebt Abwechslung und neigt vielleicht etwas zu Ängsten und zu Feinfühligkeit. Er kann leicht mit anderen Menschen kommunizieren.
Ein Pita-Typ ist der feurige Typ. Er ist jemand, der viel bewirken will, leistungsorientiert ist, einen Enthusiasmus hat, ein Durchsetzungsvermögen, sich Ziele setzt und diese auch erfolgreich umsetzen will. Er hat eine eher rötliche Gesichtsfarbe, einen mittelstarken, muskulösen Körperbau. Der Pitta-Typ neigt zu Ärger.
Der Kapha-Typ ist der erdig-wässrige Typ. Er ist ein gemütlicher Typ. Jemand, der eine glatte Körperhaut, mehr Fettgewebe und insgesamt einen etwas breiteren Körperbau hat. Kapha neigt zu Körperflüssigkeitsansammlung wie Fett oder Ödeme. Von seiner Psyche her ist er gemütlich und ruhig. Er mag es, wenn es längere Zeit beständig ist und eine Verlässlichkeit da ist. Für diesen Typ ist bedeutend, dass die Dinge erst mal so bleiben, wie sie sind.
Im Yoga kann man Vata, Pitta und Kapha nutzen um festzustellen, wie jemand Übungen machen sollte. Wenn jemand gesund und in Harmonie ist, würde man einem Vata-Typen raten, seine Praxis abwechslungsreich zu gestalten. Der Vata-Typ braucht Abwechslung. Er ist schnell gelangweilt. Er könnte öfter andere Asanas machen, etwas Neues ausprobieren und mehr in die Flexibilitätsasanas hineingehen. Vata-Typen sind meistens gesellige Typen.
Pitta-Typen im Gleichgewicht wollen etwas Gutes, etwas Sinnvolles tun. Sie wollen etwas erreichen und möchten im Yoga-Unterricht gefordert werden. Man gibt ihnen Yoga-Übungen, die anstrengend sind. Man empfiehlt ihnen, den Kopfstand, den Skorpion und den Handstand zu lernen und zeigt ihnen Anerkennung nach den Übungen. Wenn du Pitta-Typen zeigst, wie sie über ihre bisherigen Grenzen hinausgehen können, freuen sie sich und werden regelmäßig üben.
Kapha-Typen sind eher gemütlichere Typen. Sie sollten ihre Praxis so gestalten, dass die erste und die letzte Übung sanft und angenehm sind. Für einen Kapha-Typen ist es gut, wenn er sich eine schöne weiche Matte nimmt, angenehme Yoga-Kleidung trägt und sich vielleicht einen schönen Altar kreiert, eine schöne Duftlampe aufstellt und vor und nach der Yogapraxis eine schöne Tasse Kräutertee trinkt. Wenn der Kapha-Typ Yoga mit Gemütlichkeit und Harmonie in Verbindung bringt und wie ein kleines Ritual gestaltet, wird er täglich und beständig üben.
Wenn jemand in Harmonie ist, dann soll er seine Stärken nutzen. Ein Vata-Typ kann überlegen, wie er seine Fähigkeiten der Abwechslung, der Neugier und der Feinfühligkeit einsetzen kann. Der Pitta-Mensch sollte seine Fähigkeit, sich durchzusetzen und etwas zum Erfolg zu bringen, nutzen. Der Kapha-Typ ist für Dinge geeignet, die Beständigkeit, Gemütlichkeit oder Ruhe erfordern.
Wenn etwas in der Vikriti ist, gestaltet es sich anders. Vikriti heißt „gestört“. Dabei ist es egal, was dein Grund-Dosha ist. Jedes Dosha kann gestört sein. Natürlich gibt es nicht nur Menschen, die Vata, Pitta oder Kapha sind. Es gibt die Kombinationen Vata-Pitta, Pitta-Kapha und Vata-Kapha. Außerdem kann ein Tridosha vorliegen, wo alle drei Aspekte vorliegen.
Jede der Doshas kann in eine Störung kommen. Vom Ayurveda-Standpunkt aus ist jede Erkrankung eine Störung der Doshas, eine Vikriti. Es ist egal, welche Krankheit du hast. Irgendeine der drei Doshas wird zu stark geworden sein.
Du kannst die Doshas zudem psychisch interpretieren. Wenn du z. B. Ängste hast, nicht schlafen kannst, nervös bist, unruhig oder nicht fähig zur Konzentration, hast du eine Vata-Übersteuerung.
Wenn du ärgerlich und frustriert bist oder z. B. Hitze, Entzündungen oder Autoimmunerkrankungen hast, besteht ein Pitta-Überschuss.
Wenn du Ansammlungen hast, Ödeme oder auch Wasseransammlungen, wenn du antriebslos und starr bist, dann hast du einen Kapha-Überschuss. Bei einer klinischen Depression ist es möglich, dass sie durch einen Vata-Überschuss entstanden ist. Sie sollte als Vata-Störung behandelt werden, selbst wenn Angst, Unruhe und Schlaflosigkeit nicht mehr im Vordergrund sind.
Im Hinblick auf die Psyche kann man sagen, dass jedes Dosha-Ungleichgewicht irgendwann in Depression mündet. Bei Vata-Typen sind zunächst Ängste, Unruhe, Schlaflosigkeit und Sorgen da, bis es in eine Depression kippt.
Pitta erlebt zuerst Energie, Enthusiasmus und Begeisterung. Dann geht es in Ärger und Frustration über. Es kommt zum Burn-Out. „Burn“ hat etwas mit „brennen“ zu tun. Wenn man Burn-Out wörtlich nimmt, heißt das, es gibt einen Pitta-Überschuss, der irgendwann in die Depression führt.
Der Kapha-Typ hat den „Vorteil“, dass er direkt in die Depression übergeht. Deshalb ist eine Depression des Kapha-Typs am leichtesten zu behandeln. Er müsste einfach nur kaphareduzierende Maßnahmen einleiten.
Wenn dieser psychische Zusammenbruch aber beim Pitta- und Vata-Typ geschieht, muss man schauen, was man machen kann, um zu energetisieren und Pitta sowie Vata zu behandeln.
Wenn du eine Vata-, Pitta- oder Kapha-Vikriti hast, gilt es, sie ayurvedisch zu behandeln, um den jeweiligen Überschuss zu reduzieren. Im Folgenden einige Therapiemöglichkeiten.
Ein Vata-Überschuss im Hatha-Yoga bedeutet, dass es gut ist, jeden Tag Asanas zur gleichen Zeit zu üben und sie ruhig zu halten. Nach den Asanas ist es in jedem Fall wichtig, die Tiefenentspannung zu machen. Man sollte auch vor dem Einschlafen die Tiefenentspannung machen. Beim nächtlichen Aufwachen, kann dies ebenfalls von Vorteil sein. Man sollte Wärmendes essen und mehrmals am Tag warmes Wasser trinken. All diese Maßnahmen bereinigen das Vata.
Auch Wechselatmung und Kapalabhati sind bei einem Vata-Überschuss gut. Kapalabhati würdest du langsam und fest praktizieren. Am Ende der Wechselatmung sind ein paar Runden Surya Bheda gut, welches wärmend wirkt. Insgesamt sollten die Asanas mit der Ujjayi-Atmung verbunden werden, was einen wärmenden und beruhigenden Effekt zugleich hat.
Wenn du einen Pitta-Überschuss hast, ist Tiefenentspannung wichtig. Übe in jedem Fall am Tag mindestens eine oder zwei Tiefenentspannungen. Lerne, die Asanas nicht wettbewerbsmäßig auszuführen, sondern entspannt und ruhig. Halte bei der Praxis die Augen geschlossen.
Meditiere und singe. Nimm Kühlendes zu dir, z. B. kaltes Wasser und viel Rohkost. Übe zusätzlich zu Kapalabhati und Wechselatmung auch ein paar Runden Chandra Bhedana, den Mondatem, und Shitali/Sitkari, den kühlenden Atem.
Wenn du einen Kapha-Überschuss hast, brauchst du etwas Anregendes. Um die Yogaübungen wirklich zu machen, wäre es gut, in die Yogastunde zu gehen. Das fällt dir leichter. Es ist wichtig, zusätzlich zu Kapalabhati und Wechselatmung auch Surya Bheda, den Sonnenatem, zu üben. Du kannst Ujjayi integrieren und beim Kapalabhati vor allem schnelle Ausatmung und viele Ausatmungen durchführen. Die Kriyas gelten bei einem Kapha-Überschuss als besonders wichtig. Der Kapha-Typ braucht eine anregende Nahrung und Gewürze. Fette und Süßigkeiten sollten vermieden werden.
Im Ayurveda gibt es zwei weitere Ausdrücke: „Agni“ und „Ama“. „Agni“ heißt Feuer. Ayurveda sagt, damit der Mensch gesund ist, müssen die Transformationsprozesse harmonisch funktionieren. Dafür braucht es gutes Agni. Agni ist zum einen das Verdauungsfeuer. Es gibt aber noch andere Agnis, die andere Stoffe transformieren. Du brauchst ein gutes Agni, und wenn du es nicht hast, führt das dazu, dass die Transformationsprozesse nicht richtig ablaufen. Schon was du isst, wird nicht richtig verdaut. Dann wird selbst gesunde Nahrung im Körper zu „Ama“, Schlacken/Giftstoffen.
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Stark gekürzter Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.
Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.
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