Karma-Yoga hat viele verschiedene Aspekte. Karma-Yoga heißt, die Aufgaben im Leben anzunehmen als Möglichkeiten, um zu wachsen. Karma-Yoga bedeutet, in Übereinstimmung mit dem eigenen Schicksal zu leben und den daraus entstehenden Aufgaben. Karma-Yoga heißt, verhaftungslos zu leben und zu dienen. Karma-Yoga bedeutet auch, engagiert zu dienen und engagiert zu tun, was zu tun ist.
Ganz konkret heißt Karma-Yoga „uneigennütziges Dienen“.
Wenn du dich spirituell entwickeln willst, heißt das unter anderem, dein Ego zu reduzieren.
Wenn dich ständig Fragen beschäftigen wie: „Was brauche ich? Was will ich? Was kann ich tun, dass es mir besser geht? Wie kann ich gesünder sein? Wie kann ich mehr Energie haben? Wie kann ich mich wohler fühlen? Wie kann ich meine Geisteskraft entwickeln? Wie kann ich Gottverwirklichung erreichen?“, dann ist das ständig nur „Ich, Ich, Ich“. Und all dieses „Ich, Ich, Ich“ zieht dich zusammen und führt eben nicht zur Befreiung.
Man weiß heute, dass es Menschen gut geht, wenn sie das Gefühl haben, dass sie Gutes für andere tun können. Jemand, der das Gefühl hat, ein sinnvolles Leben zu führen, dem geht es besser.
Derjenige, der denkt, dass der Sinn des Lebens ist, selbst glücklich zu sein, ist eher unglücklich. Und derjenige, der denkt, dass der Sinn des Lebens ist, Gutes für andere zu tun, der ist erheblich glücklicher.
Und ein Charakteristikum von großen Heiligen und Gottverwirklichten war und ist es, für andere da zu sein, ihnen zu helfen und zu dienen.
Nicht umsonst hat der große Meister, Swami Sivananda, immer als erstes gesagt: „Serve.“ Sein Lieblingsspruch war: „Serve, love, give, purify, meditate, realize.“, was übersetzt so viel heißt wie: „Diene, liebe, gib, reinige dich, meditiere, verwirkliche.“
Es beginnt mit dem Dienen. Wenn wir auf dem spirituellen Weg vorankommen wollen, gilt es zu dienen.
Im alten Indien war es sogar so: Wenn ein(e) Schüler*in, zum/zur Meister*in gekommen ist, um zu lernen, hat er/sie zuerst vieles gemacht, um zu dienen, im Haushalt mitzuhelfen und beim Werk des/der Meisters/Meisterin mitzuwirken und anderen der Gemeinschaft zu helfen. Und das ist bis heute so.
Angenommen du wirst Sevaka in einem der Yoga-Vidya-Ashrams, da geht es ebenfalls ums Dienen. Es wird natürlich auch praktiziert, am Satsang, der gemeinsamen Meditation und dem Mantrasingen teilgenommen, regelmäßiges Sadhana und spirituelle Praktiken geübt. Außerdem gelten die Sattva-Regeln bezüglich Ernährung, Umgang mit anderen, Sprache und so weiter. Aber vor allen Dingen geht es ums Dienen.
Und der große Meister hat mir immer gesagt: „Diene, dann wirst du dein Ego überwinden. Wenn es dir nicht gut geht, finde jemanden, dem es noch schlechter geht. Wenn du ihm etwas Gutes tust, geht es auch dir besser.“
Ich will ein paar Worte aus Swami Sivanandas Kapitel Karma-Yoga lesen. Es gibt bei Yoga Vidya das Yogalehrer/innen Handbuch. In der 14. Auflage ist ein Kapitel von Swami Sivananda aufgenommen worden, welches ein Unterkapitel des Buches Karma Yoga ist, das du auch im Yoga-Vidya-Shop bekommen kannst.
Swami Sivananda schreibt:
„Der göttliche Plan zur menschlichen Entwicklung ist Arbeit. Liebe zu Gott und Dienst für den Menschen ist das Geheimnis waren Lebens. Der Sinn waren Lebens ist Dienen und Opfern. Leben ist bestimmt zum Dienen, nicht zur Selbstsucht. Bringe Opfer, erfülle deine Aufgaben ordentlich mit Aufrichtigkeit. Die Vorteile für dich kommen ungebeten. Halte dein Leben zum Dienen an anderen bereit. Je mehr Energie du auffindest, um andere zu erheben und ihnen zu dienen, desto mehr göttliche Energie wird durch dich fließen.
Diene, du wirst herrschen. Diene den Menschen mit göttlichem Bhava, mit göttlichem Gefühl. Der Krebs der Individualität wird verschwinden.“
Dieses Kapitel von Swami Sivananda gehört zu meinen Lieblingskapiteln, die ich schon so häufig für mich selbst gelesen habe.
Es ist dieser Geist des Dienens, der zur Bewusstseinserweiterung führt und auch zur Freude führt.
Swami Sivananda schreibt weiter:
„Selbstloses Dienen reinigt. Was ist das Ziel von Seva, von Dienen? Durch Dienen wird das Herz gereinigt. Egoismus, Hass, Eifersucht, Überheblichkeit verschwinden. Demut, reine Liebe, Sympathie, Toleranz und Barmherzigkeit entwickeln sich. Du entwickelst das Gefühl der Einheit. Dein Herz wird weit, deine Ansichten werden weit und großzügig. Du erkennst das Eine in Allem und Alles im Einen. Deine Freude ist überwältigend.“
In den Vorträgen dieser Reihe geht es um viele Themen: was du tun kannst, damit es dir besser geht, damit du dich entwickeln kannst und so weiter. Aber die machtvollste Weise für spirituelle Entwicklung ist zu schauen, wie du anderen helfen und dienen kannst. Was kannst du tun, damit es anderen besser geht?
Swami Sivananda schreibt weiter:
„Der erste Schritt auf dem spirituellen Weg ist der selbstlose Dienst an der Menschheit. Selbstloses Dienen ist der Schlüsselbegriff am Weg zur Befreiung. Selbstloser Dienst bereitet den Aspiranten auf die Erlangungen des kosmischen Bewusstseins und auf das Leben von Einheit, Einssein mit Gott vor. Aspiranten sollten am Anfang ihre gesamte Aufmerksamkeit auf die Beseitigung von Selbstsucht durch fortgesetztes selbstloses Dienen richten.
Durch selbstloses Dienen und Barmherzigkeit entwickle das Herz und reinige den niederen Geist.
Der selbstlose Dienst reinigt dein Herz und wird es mit göttlichen Tugenden erfüllen. Wachse in der Liebe, der Reinheit und Selbstaufopferung. Lebe für andere. Du wirst gesegnet sein, du wirst die überreiche Ernte von Frieden erlangen, von Freude, von Wohlstand, Unsterblichkeit, und Atma Jnana, Selbsterkenntnis, Erleuchtung.“
Swami Sivananda schreibt dann als nächstes:
„Gelegenheiten zum selbstlosen Dienen
Wenn es ums Dienen geht, gibt es mehrere Aspekte. Der erste Aspekt wäre: Überlege, was du den größten Teil des Tages machst – zum Beispiel im Beruf. Ist das etwas, wobei du Gutes bewirkst für andere?
Es kann sein, dass du das Geld brauchst und deshalb auch eine berufliche Tätigkeit ausführt, die nicht so vielen anderen zu Gute kommt. Aber wann immer du überlegst: „Welchen Job soll ich annehmen? Welche Arbeit soll ich annehmen?“, überlege auch: „Wie kann ich Menschen am besten helfen?“ Das ist das Erste. Wenn du auf dem spirituellen Weg vorankommst, dann überlege auch beruflich: „Wie kann ich meine Fähigkeiten und meine Energie besonders einsetzen, um Gutes zu bewirken?“
Der zweite Aspekt, bei dem selbstloses Dienen eine Rolle spielt, ist im Alltag zwischendurch. Im Sinne von: Wenn du ein großes Gutes bewirken willst, vergiss nicht die kleinen guten Taten. Wenn du zum Beispiel irgendwo etwas Großartiges organisierst – vielleicht hast du sogar als Aufgabe, dass du in einem Berufsverband tätig bist für eine gute Sache – vergiss zwischendurch nicht, den Menschen, die dabei sind, kleine Gefallen zu tun.“
Ein Beispiel dazu von mir selbst:
Als ich irgendwann in den achtziger Jahren zum ersten Mal in einem Ashram war, um uneigennützigen Dienst zu verrichten, hatte ich irgendeine wichtige Aufgabe bekommen. Und ich habe diese Aufgabe mit großem Enthusiasmus und Verantwortungsgefühl durchgeführt. Die Aufgabe hat nur ein paar Stunden in Anspruch genommen, denn so riesig war sie auch nicht. Mir wurde gesagt, was ich machen sollte, und bis wann es fertig sein sollte.
Aber zwischendurch kamen ständig Menschen, die mich gefragt haben, ob ich noch irgendwo anders mithelfen könnte. Und dann habe ich immer gesagt: „Nein, ich habe keine Zeit. Ich muss das hier machen.“
Ein alter Swami hat mich die ganze Zeit dabei beobachtet. Und der hat mir zum Schluss gesagt: „Du hast in der letzten halben Stunde viele Gelegenheiten zum selbstlosen Dienen versäumt.“
Das hat mich dann zuerst getroffen, ich hatte ja nur selbstlos gedient. Ich hatte eine große, wichtige Aufgabe bekommen. Ich weiß heute nicht mehr, was es war, aber damals ist es mir sehr wichtig erschienen. Um die Aufgabe zu erledigen, hatte ich alle kleinen Gefallen abgelehnt. Aber mir ist doch etwas klar geworden: „Auch wenn du etwas Wichtiges zu tun hast, schaue zwischendurch, ob du zusätzlich noch anderen helfen kannst. Natürlich sollte man nicht vor lauter kleinen Gefallen seine eigene Verantwortung vernachlässigen. Achte darauf, dass das Große, was du tust, etwas Gutes ist, aber schaue auch, dass du im Kleinen helfen kannst.“
Vielleicht arbeitest du für ein gewinnorientiertes Unternehmen, das aus deiner Sicht zwar ethisch halbwegs verträglich ist, wo du aber nicht das Gefühl hast, wirklich zu dienen. Möglicherweise denkst du: „Wenn ich das nicht machen würde, dann würde jemand anderes das genauso gut machen. Und wenn es dieses Unternehmen nicht gäbe, dann gäbe es genügend andere Unternehmen, die das gleiche machen. Also ist das, was ich tue, nicht im engeren Sinn uneigennütziges Dienen, denn letztlich arbeite ich hier auch, um Geld zu verdienen.“ Aber du könntest trotzdem auf dem Weg dorthin sagen: „Mit allen Menschen, mit denen ich zu tun habe, möchte ich gute Beziehungen herstellen, ich möchte sie gut und positiv berühren, ich möchte dienen.“
Damit kommen wir zu einem dritten Aspekt, und das ist gemeinnütziges Engagement.
Es ist nicht nur wichtig, im Beruf etwas zu machen, sondern auch in der Freizeit. Tue etwas, um anderen zu helfen und zu dienen, engagiere dich.
Natürlich kannst du sagen: „Ich diene meiner Frau, meinem Kind, meinen Eltern und so weiter.“ Auch das ist wichtig, und auch das kannst du als uneigennütziges Dienen ansehen. Aber diene auch Menschen, die mit dir nichts zu tun haben. Tue Gutes auch denen, die dir noch nicht einmal ihre Dankbarkeit zeigen können und die dir auch nicht im Gegenzug einen Gefallen tun können.
Diene, um anderen Gutes zu tun, engagiere dich. Du kannst es dir sogar zur Aufgabe machen, jedem Menschen etwas Gutes zu tun, mit dem du zu tun hast.
Wenn du zum Beispiel im Naturkost-Supermarkt an der Kasse stehst, schau den/die Kassierer*in oder die anderen, die mit dir anstehen, freundlich an und sage etwas Freundliches.
Sogar den Polizei- und Steuerbeamten, die ihre Pflicht tun, sei freundlich gegenüber und diene.
Oder wenn du auf der Straße jemanden siehst, der oder die niedergeschlagen ist, lächle die Person aufmunternd zu, oder frage ob du helfen kannst.
Dienen in dieser Hinsicht kann dich sehr weit führen. Doch belästige Menschen natürlich auch nicht im Namen des Dienens. Ich glaube, gerade in Deutschland haben die Menschen tendenziell einen hohen Anspruch, die Privatsphäre anderer zu respektieren und erst einmal abzuwarten bis andere sie um einen Gefallen bitten. Schau aktiv danach, ob jemand deine Hilfe braucht und biete sie freundlich an.
Vielleicht magst du auch das Buch Karma-Yoga nochmal ganz durchlesen. Es gibt einen weiteren Aspekt, den Swami Sivananda nennt als Wohltätigkeit, einen bestimmten Teil seines Einkommens zu nutzen, um wohltätige Zwecke zu unterstützen. Auch das ist ein Aspekt von uneigennützigem Dienen.
Überlege jetzt: „Ist deine Berufswahl angemessen? Nutzt du deine Fähigkeiten, um Gutes zu bewirken in der Welt? Machst du auch im Rahmen deiner beruflichen Tätigkeit kleine gute Sachen, wie zwischendurch Menschen, mit den du dort zu tun hast, einen Gefallen zu tun und etwas Gutes zu bewirken? Wie gehst du mit deiner Beziehung, Familie, Nachbarschaft, deinem Freundeskreis um? Hilfst und dienst du auch dort im Kleineren oder auch im Größeren? Wie ist deine Kommunikation im Alltag zu den Mitmenschen in deiner Umgebung wie dem Menschen an der Kasse, zu Service-Personal und Menschen, die von staatlicher Seite mit dir zu tun haben und so weiter? Welchem gemeinnützigen Zweck dienst du in besonderem Maße, sei es durch Wohltätigkeit, Spenden oder gemeinnütziges Engagement? Und in deinem hauptspirituellen Weg, dienst du dort dem Meister oder dem Werk der Verbreitung des Wissens, um dich einzustimmen? Gibt es das Eine oder Andere, das du noch machen könntest?“
Das waren einige Anregungen zum Karma-Yoga im Sinne von uneigennützigem Dienen. Vielleicht gibt es ein paar Anregungen, die du gleich umsetzen kannst.
Karma-Yoga hat noch mehr Aspekte, und deshalb haben wir auch auf unserer Website noch mehr zu diesem Thema. Gehe dazu auf www.yoga-vidya.de und gebe dort oben ins Suchfeld Karma-Yoga ein, oder besorge dir das Buch Karma-Yoga von Swami Sivananda, dann erfährst du auch noch sehr viel mehr.
Und wenn du dein Leben so gestalten willst, wirklich ein sinnvolles Leben zu haben, Gutes zu bewirken, uneigennützig zu dienen, spirituell zu wachsen, eine besonders gute Möglichkeit ist es, als Karma-Yogi in einen der Yoga Vidya Ashrams zu gehen, oder vielleicht sogar als Sevaka, als langfristiges Mitglied der spirituellen Gemeinschaft. Auch dazu gibt es Informationen auf unserer Website.
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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.
Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.
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