Wir sind die Sonne des Selbst

Ich lese etwas aus dem Buch „Das Kleinod der Unterscheidung“ oder „Das Kronjuwel der Unterscheidung“ von Shankaracharya, Vers 132.

„In diesen Körper, in der Reinheit des Gemüts, in der Tiefe der Erkenntnis, im unoffenbarten Raum, leuchtet das strahlende Licht, wie die Sonne hoch am Himmel mit seinem Glanz die ganze Welt erhellend. Der Beobachter der Gedanken und Gefühle, der stets ändernden Zustände des Ego, der Vorgänge und Abläufe in Körper, Sinnen und Lebenskräften, handelt nicht und ändert sich in keinster Weiser, auch wenn Er deren Gestalt annimmt wie Feuer im glühenden Eisen. Er, dieses höchste Selbst, wird nicht geboren, es stirbt nicht, wächst nicht, schwindet nicht, ändert sich nicht. Dieses Selbst ist ewig. Auch wenn sich der Körper auflöst, löst sich das Selbst nicht auf. Genauso wenig, wie sich der Raum auflöst, wenn der Topf zerbricht. Verschieden von der Natur und ihrem ständigen Wandel, dem Wesen nach reines Bewusstsein, die ganze sichtbare und unsichtbare Welt erhellend, unwandelbar stahlt die höchste Seele in den Zuständen des Wachens, des Träumens und des Tiefschlafs, das Ich des Ichs, der unmittelbare Zeuge von allem. Erkenne mit selbstbeherrschtem Denken und reinem Herzen klar jenes Selbst, die Seele der Seele, als das, was du wirklich bist. Überquere den uferlosen Ozean der Seelenwanderung mit seinen Wellen von Geburt und Tod. Sei vollkommen, verankert im Wesen des Absoluten.“

Hier spricht Shankara über unser wahres Selbst. Er spricht darüber, wer wir wirklich sind und was wir wirklich erfahren können, das, was unsere wahre Natur ausmacht. Er sagt, in diesem Körper, dort ist dieses höhere Selbst, in der Reinheit des Gemüts oder hinter dem ganzen Gemüt. Körper hat seine Veränderungen. Er geht durch Geburt, Wachstum, Alter, Krankheit, Tod. Unser Gemüt hat seine Höhen und seine Tiefen. Wir können uns ständig beschäftigen mit dem Körper und ständig probieren, irgendwo den Körper gesünder, schöner und irgendwie, wie auch immer, was wir mit ihm anstellen wollen, machen. Wir können uns mit unserem Geist beschäftigen und schauen - also Geist im Sinne von Denken und Wünsche und Emotionen - was mögen die alle. Glücklich werden wir nie sein durch Erfüllung von Wünschen des Körpers oder der Emotionen oder der inneren Psyche. Aber hinter all dem, hinter dem Körper, hinter allem Denken, dort ist unser höchstes Selbst. Dieses Selbst, sagt er hier, ist das strahlende Licht, wie die Sonne hoch am Himmel mit seinem Glanz die ganze Welt erhellend. Alles Leben auf der Erde ist nur möglich, weil es die Sonne gibt. Die Sonne scheint weit weg zu sein, aber ohne die Sonne ist hier gar kein Leben. Genauso, ohne die Sonne des Selbst, ist auch nichts möglich. Wenn unser Bewusstsein nicht da ist, dann passiert auch sonst nichts. Wenn das Bewusstsein irgendwo hingeht, dann gehen dort die Strahlen der Erkenntnisse hin. Angenommen, man hat sein Bewusstsein irgendwo anders, dann haben auch die Emotionen nichts mehr zu sagen, auch unsere Psyche hat nichts zu sagen. Wenn unser Bewusstsein im unendlichen Brahman ist, wo ist dann alles andere? Oder wenn unser Bewusstsein im Tiefschlaf ist, was ist mit allem anderen? Bewusstsein ist das Entscheidende. Und dieses Bewusstsein ist nicht einfach irgendwie ein Bewusstsein, sondern es ist das strahlende Licht, wie die Sonne am Himmel mit seinem Glanz die ganze Welt erhellend. „Beobachter der Gedanken und Gefühle.“ Also, wir haben unsere Gedanken, wir haben unsere Gefühle. Er sagt hier, „der stets ändernden Zustände des Ego.“ Das Ego hat stets ändernde Zustände. Mal freuen wir uns, mal ärgern wir uns, mal identifizieren wir uns und denken, wir sind ein toller Hecht, mal denken wir, wir können gar nichts, mal denken wir, jemand hat uns gekränkt, ein anderes Mal denken wir, „alle mögen mich“. Ego hat ständig ändernde Zustände. Aber hinter dem Ego ist letztlich das Bewusstsein. Und dieses Bewusstsein ist ewig und unendlich und es verändert sich in keiner Weise. Es scheint die Gestalten anzunehmen, aber das Bewusstsein an sich bleibt ewig und unendlich.
Ich lese gerade nochmal den Vers 135. Eigentlich jede Interpretation nimmt etwas weg von der Schönheit dieser Verse, deshalb will ich ihn nur lesen.
„Verschieden von der Natur und ihrem ständigen Wandel, dem Wesen nach reines Bewusstsein, die ganze sichtbare und unsichtbare Welt erhellend, unwandelbar stahlt die höchste Seele in den Zuständen des Wachens, des Träumens und des Tiefschlafs, das Ich des Ichs, der unmittelbare Zeuge des Gemüts. Erkenne mit selbstbeherrschtem Denken und reinem Herzen klar jenes Selbst, die Seele der Seele, als das, was du wirklich bist. Erfahre dich als vollkommen, verankert im Wesen des Absoluten.“


Hari Om Tat Sat

Unbearbeitete Niederschrift eines Kurz-Vortrags mit Sukadev Bretz. Gehalten im Rahmen eines Satsangs nach der Meditation bei Yoga Vidya Bad Meinberg. Mehr Infos:

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