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Dezember ist der dunkelste Monat im Jahr – und gleichzeitig der glitzerndste: Die Einkaufsstraßen in den Städten sind hell erleuchtet, überall locken Weihnachtsmärkte mit Düften, allerlei Köstlichkeiten für Zunge, Ohren, Augen und Nase.
Manche Yoga Übende lassen sich ein auf dieses Getümmel, lassen sich von den Weihnachtsliedern und der ganzen Stimmung anstecken. Manche Yoga Übende sehen das ganze Getümmel als ein Zeichen des Verfalls der Zeit, für den Materialismus der Gegenwart.
Weihnachten steht in Verbindung mit menschlichen Emotionen und Sehnsüchten, mit dem Wunsch nach Liebe, Harmonie, Frieden. Für manche ist die Advents- und Weihnachtszeit die schönste Zeit im Jahr. Für andere kommen gerade vor Weihnachten diverse Konflikte zum Vorschein, frühere leidhafte Erfahrungen zurück ins Bewusstsein.
Ich möchte in diesem Artikel einige Gedanken zur Wintersonnenwende darlegen und vielleicht einen Beitrag zu einer tieferen Betrachtungsweise leisten. Dieser Beitrag steht unter dem Motto „Einheit in Verschiedenheit“, welches ja das Motto vieler indischer Yoga-Meister (z.B. Swami Sivananda) und auch vieler deutscher Yoga Kongresse (z.B. Potsdam 2009) war und ist.
Die Zeit um die Wintersonnenwende galt zu allen Zeiten in den meisten Kulturen, am meisten natürlich in den nördlichen Regionen, als besonders heilige Zeit. Versetzen wir uns in eine Zeit ohne Zentralheizung, ohne künstliches Licht. Und vergegenwärtigen wir uns, dass es damals weniger gute Kleidung und unzureichende Vorratshaltung gab, und dass kleine Klimaschwankungen im Winter Hunger bedeuten konnten – dann verstehen wir, dass die Menschen sich darüber freuten, wenn die Tage wieder länger wurden, es absehbar wurde, dass es wieder wärmer werden würde. Die kürzesten Tage im Jahr waren so etwas ganz Besonderes. Auch heute können wir uns daran erinnern: Wenn es am dunkelsten ist, kommt bald wieder Licht. Leben ist Rhythmus. Auf Zeiten der Dunkelheit und der Verluste folgen Zeiten des Lichtes und der Freude. Es gibt Zeiten, um nach außen zu gehen, aktiv zu werden. Und es gibt Zeiten, nach innen zu gehen und von innen neue Kraft zu bekommen.
So feiert man in den meisten Kulturen auf der nördlichen Erdhalbkugel besondere Feste. Ich möchte diese Feste hier kurz nennen zusammen mit einer möglichen Bedeutung vom Yoga Standpunkt aus:
Zusätzlich zur historischen und religiösen christlichen Dimension kann man Weihnachten auch als Sinnbild des spirituellen Weges, der Geburt des Christusbewusstseins in uns interpretieren. Interessanterweise haben sich ja in den letzten Jahrhunderten im Westen Weihnachtsbräuche entwickelt, die eigentlich mit den historischen Gegebenheiten vor 2000 Jahren in Israel wenig zu tun haben, dafür aber germanisch-keltische Elemente integrieren, die sehr stark an Kundalini Yoga Symbolik erinnern: In der Adventszeit werden vier Kerzen nacheinander angezündet. Dies kann man sehen als Symbol für die schrittweise Öffnung der ersten 4 Chakras, Bewusstseinszentren:
Wenn das Anahata Chakra, das Herz-Chakra, geöffnet ist, kann das Jesus-Kind, also die Liebe Gottes, das Christus-Bewusstsein, in uns geboren werden.
Wenn dann die Gottesliebe in uns erwacht, wird es schön, hell, warm. Das wird symbolisiert durch den Weihnachtsbaum, der mit vielen Lichtern und reichem Schmuck erstrahlt. Man kann de Weihnachtsbaum sogar als Allegorie für das Nadi-Chakra-System sehen: Der Stamm ist wie die feinstoffliche Wirbelsäule (Sushumna Nadi). Die Stellen, an denen die Äste aus dem Stamm kommen, sind wie die Chakras (Energiezentren). Wenn Gott in uns geboren wird, ist das die Erweckung der Kundalini, welches zu allen möglichen Lichterfahrungen, Wonneerfahrungen, Segenserfahrungen führt, was durch die vielen Lichter und den Schmuck symbolisiert wird.
Das Herzchakra, das mit Weihnachten so viel zu tun hat, steht für Liebe und Freude. Die ganze Symbolik des Schenkens, des Feierns in der Familie, steht so für dieses Anahata Chakra. Auch wenn vieles heutzutage veräußerlicht scheint, kannst du doch hinter allem Materialismus tiefe spirituelle Symbolik erkennen.
Jesus wurde inmitten der Nacht geboren. Interessanterweise wurden auch Buddha und Krishna der Legende nach genau um Mitternacht geboren. Jesus wurde darüber hinaus dann geboren, wenn die Tage am kürzesten sind. Und wenn es am dunkelsten ist, dann wird Gott geboren. Jesus wurde in einer Krippe, in einem Viehstall, also in ärmsten Verhältnissen geboren. Um diese Symbolik noch zu verstärken, wurde in früheren Jahrhunderten von den Strenggläubigen während der ganzen Adventszeit gefastet, bzw. mindestens kein Fleisch gegessen. Die Älteren (oder Mittelalten J ) unter den Lesern werden sich vielleicht erinnern, dass früher außer am Nikolaustag während der Adventszeit keine Plätzchen etc. gegessen wurde, sondern erst nach dem Gottesdienst an Heiligabend. Und für gläubige Christen ist oft der Mitternachtsgottesdienst, die Christmette, eine besondere spirituelle Erfahrung. Die Christmette ist typischerweise von sehr meditativer Stimmung.
Im Jnana Yoga, dem Yoga der Erkenntnis, gibt es die „Sadhana Chatushthaya“, die vier Eigenschaften eines Aspiranten. Die erste ist „Vairagya“, das Loslassen von Verhaftungen und Wünschen. Dies entspricht auch der ersten Seligpreisung Jesu: „Selig sind die da arm sind im Geiste, denn ihren gehört das Himmelsreich“ (Matth. 5,3). Wenn unser Geist sich von Verhaftungen löst, wofür Mitternacht und die dunkelste Zeit im Jahr steht, kann Jesus in uns geboren werden.
Vairagya entsteht manchmal auch durch schwere Schicksalsschläge. Viele Menschen sind durch schwere Krankheit, durch Verluste und persönliche Krisen auf den spirituellen Weg gekommen. Manchmal braucht es „tiefste innere Nacht“, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, um sich auf tiefere Wahrheiten zu besinnen. Wie ein altes Sprichwort sagt: „Immer wenn du meinst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“
Im Yoga Sutra von Patanjali, der wichtigsten Schrift des Raja Yoga, heißt es: „Yogash Chitta-Vrtti-Nirodha. Tada Drashtu Svarupe ‘vasthnam“ (Yoga Sutra I 2-3): „Yoga ist das zur-Ruhe-Kommen der Gedanken im Geist. Dann ruht der Sehende in seinem wahren Wesen“. Die Mitte der längsten Nacht im Jahr symbolisiert die tiefe Meditation. Wenn der Geist in der Meditation zur Ruhe gekommen ist, erfährt der Meditierende seine wahre Natur. Und die Erfahrung der wahren Natur ist wie die Geburt Gottes im Menschen.
Wenn die Tage am kürzesten sind inmitten der Nacht ("Weih-Nacht"), wenn unser Geist sich zurückzieht von den äußeren Ablenkungen, alles (unsere Sinne und Gedanken) schläft, dann kann das "Hochheilige Paar" Unterscheidungskraft (Joseph) und Intuition (Maria) wachen, und die Geburt des Gottesbewusstseins (Jesuskind) erleben.
Vereinzelt wird ja Yoga Übenden der Vorwurf gemacht, dass man als Westler besser keinen asiatischen Weg gehen sollte, sondern besser bei der Spiritualität des eigenen Kulturkreises bleiben sollte. Darauf kann man zum einen antworten, dass das für Europa so charakteristische Christentum ja nicht aus Germanien, sondern aus Palästina stammt. Zum anderen predigen christliche Missionare seit vielen Jahrhunderten auf allen Kontinenten. Schließlich ist es geradezu das Schöne an der heutigen Zeit, dass Elemente verschiedener Kulturen uns bereichern: Fast jeder isst gerne beim Italiener, Griechen, Türken, Chinesen. Menschen hören gerne Musik, die aus Amerika kommt und afrikanisch beeinflusst ist. Vieles was wir essen, stammt aus Amerika, Asien oder Afrika. Unser Öl stammt aus dem Nahen Osten, die Kleidung aus China, die Internet Technik aus Amerika und die Internet Programmierer aus Indien. Und wir sind alle Kinder des einen Gottes. Die Welt ist zum „Globalen Dorf“ zusammengewachsen. Die heutige Zeit ist wie die Zeit um Christi Geburt eine Zeit der Verschmelzung bzw. Befruchtung der Kulturen.
Dann wird manchmal gesagt, dass man die Traditionen nicht miteinander vermischen dürfe. Es wird vereinzelt von christlicher Seite beklagt, dass der moderne Mensch sich aus verschiedenen Traditionen wie in einer Art spiritueller Supermarkt bediene und so seine eigene „Patchwork-Religion“ zusammen bastelt.
So war es jedoch auch bei den Frühchristen der ersten Jahrhunderte. Jesus war Jude und so fest verankert in der jüdischen Tradition. Seine Eltern sind mit Jesus nach Ägypten geflohen, wo sie mit ägyptischem und hellenistischem Gedankengut in Kontakt kamen. Israel stand unter römischer Fremdherrschaft. Die Zeit von Jesus Christus war geradezu eine Zeit der Verschmelzung der Kulturen. Persische, griechische, mesopotamische, römische, keltische Kulturen verbanden sich im Römischen Reich. Durch Handelsbeziehungen gab es Austausch zum indischen und chinesischen Kulturkreis.
So kann man im sich im in den ersten Jahrhunderten herauskristallisierenden Christentum Elemente verschiedener spiritueller Traditionen sehen:
So ist das Christentum selbst ein Beispiel, wie sich verschiedene spirituelle Traditionen miteinander verbinden können. Dabei zeigten die ersten Jahrhunderte des Christentums eine sehr große Bandbreite christlichen Glaubens. Da waren die Unterschiede von Gemeinde zu Gemeinde, aber auch von Gläubigem zu Gläubigem riesengroß. Nicht umsonst sagte Jesus: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen“ (Joh 14,2). Ich verstehe darunter, dass es viele Weisen gibt, zu Gott zu kommen, viele Weisen, Spiritualität zu leben. Jesus als Gottessohn betonte geradezu die Überlegenheit der Gottes- und Nächstenliebe über Tradition und Ritus.
So sind wir heute wieder in einer Zeit der Verschmelzung und der Befruchtung der Kulturen. Die Beschäftigung mit verschiedenen spirituellen Traditionen kann das Herz öffnen und zur Völkerverständigung beitragen. Und ein Yoga Aspirant kann von den Lehren Jesu Christi profitieren, und ein Christ von den verschiedenen Praktiken des Yoga.
Wenn ich über „Yoga und Christentum“ schreibe, ergeben sich drei Fragen:
Ich will auf diese Fragen kurz eingehen:
Ich meine allerdings, dass diese Widersprüche mit Demut zu lösen sind. Letztlich bleibt das Göttliche für den Menschen ein Mysterium. Und auch wenn man in Meditation und Samadhi in höhere Ebenen des Bewusstseins geht, kann man das Erlebte nicht in Worte fassen. Wenn wir uns bewusst sind, dass alle Konzepte nicht die Wirklichkeit abbilden, können wir als Suchende den spirituellen Weg mit Demut gehen.
Das waren nur einige Gedanken zu Weihnachten, Advent, Wintersonnenwende, Christentum und Yoga. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich die religiösen Gefühle von jemandem verletzt habe oder bestimmte christliche oder andere Lehren unvollständig oder unkorrekt dargestellt habe. Da die Interpretationen von Christentum so unterschiedlich sind, ist es nahezu unmöglich, über christliche Glaubensinhalte und Jesus zu schreiben, ohne dass jemand fühlt, dass ich etwas ganz falsch geschrieben habe. Ich möchte hier betonen, dass es mir fern liegt, jemanden verletzen oder schlecht über etwas schreiben zu wollen. Vielmehr war es mein Anliegen, mit diesem Artikel einen sicherlich unvollkommenen Beitrag zur Verständigung zwischen Religionen und Kulturen zu leisten, gemäß dem Motto: „Einheit in Verschiedenheit“.
Auch möchte ich betonen, dass man Yoga auch praktizieren kann, ohne an einen „persönlichen Gott“ zu glauben. Wer also alles oben Gesagte als zu „religiös“ empfindet, kann die Yoga Praxis mit einem anderen Bezug angehen. Yoga kann als religionsübergreifendes und religionstranszendierendes Übungssystem, das auf Erfahrungswissen beruht und empirischer Forschung zugänglich ist, mit verschiedensten weltanschaulichen, religiösen und nicht theistischen Überzeugungen einhergehen bzw. auch ohne eine konkret feste Überzeugung geübt werden.
Wenn du jetzt dieser Tage durch die hell strahlenden Einkaufsstraßen gehst, erinnerst du dich vielleicht daran, dass dies symbolhaft für innere Erleuchtung steht. Wenn du siehst, wie die Menschen nach Geschenken rennen, denke vielleicht daran, dass dies Ausdruck von Liebe und Mitgefühl ist. Und vielleicht findest du in der Adventszeit Momente der Besinnung, an denen du über tiefere Fragen nachdenken kannst. Wenn es irgendwie geht, meditiere am 24.12. um Mitternacht. Fühle dich verbunden mit Suchenden auf der ganzen Welt. Schaue, ob das Christusbewusstsein oder wie auch immer du es nenne willst zu dieser Stunde in dir neu geboren wird.
In diesem Sinne wünsche ich dir Frohe Adventszeit und Gesegnete Weihnachten.
Sukadev Bretz, Gründer und Leiter von Yoga Vidya.
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