Wie sich ein Schüler die Mantraweihe erschlich

Hallo und herzlich willkommen zu den Yoga Vidya täglichen Inspirationen! Heute erzähle ich euch die Geschichte von einem jungen Aspiranten. Das war ein ungelehrter Aspirant, der wollte unbedingt eine Mantra Einweihung von einem bestimmten Meister haben.

Es gibt solche und solche Meister. Dieser hier war einer, der hatte noch einige Probleme und Fehler. Einer davon war, dass er sich dachte: „Ich nehme nur Schüler an, die lesen und schreiben können und die eine gewisse Gelehrtheit haben. Ich gebe nur denen die Mantraweihe, die die Schriften kennen.“

Unser junger Schüler hatte nicht die Gelegenheit gehabt, Lesen und Schreiben zu lernen. Er musste dafür sorgen, dass die Familie überlebte. Er hatte zwar immer ein paar Minuten Zeit, um ein Mantra zu wiederholen und zu meditieren, aber er hatte mal gehört, dass die Mantrawiederholung viel effektiver ist, wenn man eine Einweihung hat. Zwei Mal fragte er unseren Meister, ob er nicht doch die Einweihung bekommen könne und der Meister sagte beide Male: „Das geht leider nicht.“

Unser Schüler war aber pfiffig. Er beobachtete die Gewohnheiten des Meisters und sah, dass der jeden Morgen um vier Uhr, zu Brahmamuhurta, zum Ganges runter ging und ein Bad nahm und vor dem Ufer des Ganges meditierte. Brahmanmuhurta ist die Stunde von Brahman, die besonders geeignet ist für Meditation. In Indien ganz besonders, denn da ist es tagsüber unerträglich warm und tagsüber schläft man dort besser etwas, um die Nacht etwas zu verkürzen und die kühle Zeit zu nutzen.

Der Meister ging also frühmorgens zu seiner Meditation am Ganges. Außerdem hatte er die Angewohnheit, morgens vor Aufgang der Sonne nicht zu sprechen und nur seine Mantras zu wiederholen. Unser Schüler legte sich also auf die Stufen zum Ganges, und als der Meister kam, trat er auf unseren jungen Aspiranten.

Er dachte sofort, er sei auf jemand Schlafendes oder gar auf einen Kranken getreten und sofort sagte er: „Om Namah Shivaya, Om Namah Shivaya, Om Namah Shivaya.“ Er berühte mit seiner Hand die Stirn des jungen Aspiranten. Der junge Aspirant hatte Gaben mitgebracht, die man typischerweise für eine Mantraweihe nimmt. Er gab dem Meister Blumen, Früchte und ein wenig Geld, das er sich vom Mund hatte absparen können. Dann verneigte er sich vor dem Meister.

Der Meister verstand nicht, was das alles sollte, aber offensichtlich war der junge Mann gesund. Also ging er weiter zum Wasser und badetet sich. Unser junger Aspirant achtete darauf, dass er ein paar Wasserspritzer von dem Bad des Meisters abbekam. Dann kam der Meister aus dem Bad und setzte sich zum Meditieren nieder. Unser junger Aspirant setzte sich ebenfalls und meditierte. Nach einer Weile war unser Meister etwas verwundert. Seine Meditation war viel tiefer als sonst. Er drehte sich um und sah, wie der junge Aspirant da saß wie eine Eins. Von ihm ging eine starke und reine Schwingung aus. Da erkannte der Meister, wie eingebildet er auf sein brahmanisches Wissen gewesen war. Ihm wurde bewusst, dass ein würdiger Schüler manchmal schneller weiter kommen kann, als ein unvollkommener Meister.

Für den Schüler war nur wichtig, dass er die Mantraweihe von dem Meister hatte. Er hatte sie sich zwar erschlichen, aber dadurch, dass er so ein großes Vertrauen hatte, war es diese Mantraweihe, die es ihm ermöglichte, zu größerer Tiefe zu kommen. Der Meister konnte an der Tiefe der Hingabe des Schülers sehen, was wirkliche Hingabe ist. So wurde auch er davon berührt und konnte seinen spirituellen Weg mit einer tieferen Erkenntnis weiter gehen.

Hari Om Tat Sat


Transkription eines Kurzvortrages von Sukadev Bretz im Anschluss an die Meditation im Satsang im Haus Yoga Vidya Bad Meinberg. Mehr Yoga Vorträge als mp3
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