Hallo und herzlich willkommen zu den Yoga Vidya täglichen Inspirationen! Heute geht es um das Jnana Yoga. Das ist der Yogaweg des Wissens, der Yoga der Weisheit.
Jnana Yoga stellt die ewigen Fragen, die Menschen sich seit uralten Zeiten gestellt haben: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ist wahres Glück? Was ist die Ursache von Leid? Gibt es so etwas wie eine höhere Wirklichkeit? Existiert diese Welt? Das Jnana Yoga stellt diese Fragen zum einen intellektuell, aber wichtiger noch, es geht von einer höheren Wirklichkeit aus, die intuitiv erfahrbar und begreifbar ist. Und die Jnana Yogis behaupten – vielleicht im Unterschied zu vielen Philosophen – dass sie diese Wahrheit tatsächlich erfahren haben, dass es einen Zustand gibt im Überbewusstsein, in dem wir tatsächlich erfahren können, wer wir sind.
Bis wir diesen Zustand erreicht haben, gibt es verschiedene Weisen, uns der Frage zu nähern. Wir können intellektuell daran gehen, das ist eine Möglichkeit. Die zweite ist, dass wir über diese Frage meditieren können. Es gibt spezielle Meditationstechniken im Jnana Yoga dafür und die großen Schriften beschreiben die Antworten auf diese Fragen oder geben uns Hilfen, wie wir diesen Fragen nachgehen können. Eine typische Jnana-Yoga-Analyse geht so: Wer bin ich? Ich bin der, der beobachtet. Ich nehme etwas wahr. Das Wahrgenommene bin ich nicht. Ich kann meine Hände wahrnehmen, ich kann meine Füße wahrnehmen, ich kann meine Beine wahrnehmen, ich kann meinen Körper wahrnehmen. Wenn ich meinen Körper wahrnehme, wer bin ich, der ich den Körper wahrnehme?“ Das ist eine Frage, die man sich öfters stellen kann.
Oder angenommen, man spürt irgendwo viel Energie, dann kann man fragen: „Ich spüre viel Energie. Wer bin ich, der ich viel Energie wahrnehme? Wer bin ich, der wenig Energie wahrnimmt?“ Wenn man Emotionen hat, kann man fragen: „Wer ist derjenige, der jetzt gerade Begeisterung spürt? Wer bin ich, der sich gerade über etwas geärgert hat? Wer ist derjenige, der den Ärger wahrnimmt?“ Oder auch Gedanken: „Wer denkt? Wer ist derjenige, der die Gedanken beobachtet?“ Diese Jnana-Yoga-Analyse wird umso tiefer, je mehr man dabei meditiert. In der Meditation können wir beobachten, dass da alles Mögliche körperlich abläuft. Aber wir merken, dass der Beobachter gleich bleibt. Oder wenn wir spüren, dass Gedanken kommen und gehen, dann nehmen wir auch wahr, dass es jemanden gibt, der die Gedanken beobachtet.
Diese Erfahrung kann in der Meditation sehr, sehr tief werden. Wir können insbesondere feststellen, wer wir alles nicht sind, denn wir sind nicht das, was beobachtbar ist. Aber wir können sowohl durch logische Schlussfolgerung, als auch durch tiefe Meditation – auch wenn wir noch nicht so fortgeschritten sind – feststellen, wer wir sind. Zum einen können wir sicher wissen: „Ich bin.“ Das klingt banal, aber es gibt eine berühmte Schrift von Descartes, in der sagt; „Cogito ergo sum. Ich denke, also bin ich.“ Und das heißt nicht: „Ich bin die Gedanken.“, sondern es heißt, dass wir an allen zweifeln können.
Diese Fragen stellen sich ja auch Jnana Yogis: Gibt es die Welt überhaupt? Es gibt keinen objektiven Beweis, dass es diese Welt gibt. Es gibt keinen objektiven Beweis, dass wir nicht gerade träumen. Es gibt sogar im Jnana Yoga die Aussage, dass wir träumen. Nur an einem können wir nicht zweifeln: Es gibt jemanden, der sich die Frage stellt: „Ist es wirklich? Ist es unwirklich? Ist es Traum oder nicht Traum?“ Wir können mit Sicherheit sagen: „Ich bin.“ Ich bin jenseits aller körperlichen, emotionalen, energetischen und geistigen Zustände. Ich bin. Das kann uns großen Trost geben. Egal, was wir sonst so alles anstellen, letztlich bleibt nur das „Ich bin.“ Ich bin Bewusstheit. Und aus dieser Bewusstheit kommen Wissen und Weisheit.
Und noch etwas können wir daraus eruieren. Wenn wir ganz in uns selbst ruhen, dann wissen wir auch, dass das ein schöner Zustand ist. Das ist kein trauriger, kein leerer Zustand. Wenn wir wirklich in uns selbst ruhen, wenn wir merken: „Ich bin dieser Beobachter. Ich bin dieser ruhende Pol, der immer gleich bleibt.“ dann ist Freude da. So kommen wir zu der Erfahrung: „Ich bin bewusst und ich bin – wie Yogis sagen – Ananda, Wonne.“ Wenn wir das einmal wirklich tief verstanden haben, dann gibt uns das eine ungeheure Sicherheit. „Ich bin. Egal, was mit dem Körper passiert. Egal, welche Hochs und Tiefs ich habe.“ Wann immer es mir gelingt, zu mir selbst zu kommen, zu diesen ruhenden Pol, dann ist Ananda da. Diese Freude hängt nicht davon ab, ob ich das richtige Weihnachtsgeschenk aussuche oder ob ich ein guter Mensch bin oder ob ich meine Wünsche erfüllt bekomme. Auch nicht davon, was ich leiste oder nicht leiste, was ich tue oder nicht tue. Ich bleibe immer Sein, Bewusstheit und Ananda und ich werde das spüren, wann immer ich mich von dem Äußeren lösen kann und zu mir selbst zurückkehren kann. Daher ist die Hauptwirkung des Jnana Yoga eine gewisse Gelassenheit. Alles ist, wie es ist, und es ist gut.
Hari Om Tat Sat
Transkription eines Kurzvortrages von Sukadev Bretz im Anschluss an die Meditation im Satsang im Haus Yoga Vidya Bad Meinberg. Mehr Yoga Vorträge als mp3
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