Stelle dich auf andere ein

Om Namah Shivaya


Wer schon etwas länger da ist, hat mitbekommen, seit über einer Woche interpretiere ich dieses kurze Lehrgedicht von Swami Sivananda: „Diene, liebe, gib, reinige, meditiere, verwirkliche, sei gütig, tue Gutes.“ Englisch, „adapt, ajust, accommodate“, auf Deutsch schwierig zu übersetzen. Stimme dich ein auf verschiedene Situationen, sei flexibel, stimme dich ein auf verschiedene Menschen. Und ich hatte gestern Morgen darüber in einem Aspekt gesprochen, dass wir uns auch auf uns selbst einstimmen müssen. Wir sind nicht immer gleich.

Nicht jeder Mensch ist gleich, wir selbst sind nicht gleich, und oft sind wir nicht so, wie wir sein sollten. Kennt ihr das? Und wir müssen mit uns selbst umgehen. Wir sind nicht dieser Körper – das haben wir schon vorher gehört – „Satchidananda Hum. Meine wahre Natur ist Sein, Wissen und Glückseligkeit und jetzt habe ich diesen Körper und mit dem muss ich umgehen.“ So ähnlich, angenommen, ihr habt irgendein Fahrrad und ihr könnt es jetzt nicht umtauschen, dann muss man mit dem umgehen. Und angenommen, es funktionieren nicht alle Gänge, dann könnte man zwar sagen, „schlimm, dass nicht alle Gänge funktionieren“, man kann sich furchtbar darüber aufregen oder es amüsiert zur Kenntnis nehmen und sagen: „Ja, dann kann ich halt nicht so schnell oder langsam fahren und vielleicht muss ich beim Bergauffahren nicht mehr fahren, sondern schieben, wenn der erste Gang nicht geht. Ich passe mich an, an das, was ist und vielleicht repariere ich das Fahrrad dann auch.“ So ähnlich auch, wir müssen auf den Körper eingehen, auf die Psyche eingehen usw., aber irgendwo so ein bisschen mit einer gewissen Leichtigkeit.

Dankbar sein, wir haben diesen Körper, letztlich ist der immer noch besser als alles, was Mensch bisher erfunden hat. Im Rahmen des Viveka Chudamanis Seminars habe ich ja die Analogie gebraucht: Dieser Körper ist wie ein Raumanzug, den wir bekommen haben, um auf dieser Erde leben zu können, uns ernähren zu können, Dinge tun zu können, und er ist eigentlich ein fantastischer Raumanzug. Wenn wir den nicht hätten, wie könnten wir dann auf der Erde leben. Der ist auch fantastisch für die Erde. Angenommen, wir wollen auf den Mars gehen, dann bräuchten wir einen anderen Raumanzug oder einen Zusatzraumanzug. Aber es gilt auch, sich einzustimmen auf andere Menschen. Auch andere Menschen sind selten so, wie wir sie gerne hätten. Angenommen, ihr würdet genau überlegen: „Wie will ich meine Kollegen, meinen Chef, meine Mitarbeiter haben? Wie hätte ich gerne meine Kunden, meine Yogaschüler? Wie hätte ich gerne meinen Partner? Wie hätte ich gerne meine Kinder? Wie hätte ich gerne meine Eltern?“

Jetzt angenommen, ihr müsstet das alles entscheiden, wie die nachher sind. Das wäre sehr schwierig, oder? Manche denken, „wäre doch gut“, oder? Dann hätte man nur zehn Prozent der Probleme. Jede Nacht könnt ihr das übrigens machen. Ihr könnt euch jede Nacht vornehmen – letztlich habt ihr nachts all die Leute, die so sind, wie ihr sie in eurer Vorstellung gerne hättet. Das ist auch nicht unbedingt besser. Jetzt hier im Wachleben sind die Menschen, mit denen wir es zu tun haben, nicht so, wie wir sie gerne hätten. Wir können probieren, uns ein paar auszusuchen. Angenommen, hier im Ashram könnte man gucken, in welches Team man geht. Dann schaut man, ob man da heraus kommt, wo die nicht so sind, wie man es gerne hätte. Das kann bis zu zwei Jahre dauern, bis es klappt.

Manchmal geht es auch schneller. Und dann stellt man fest, es war eine Weile gut und dann doch nicht so. Und manchmal muss man das natürlich auch machen, manchmal muss man sich einstellen auf die Weise, dass man etwas ändert äußerlich, klar. Aber insgesamt gilt es, wir gehen davon aus, wir kommen in Situationen, in denen wir lernen können. Und was auch immer äußerlich ist, wir können daran lernen und es gilt jetzt, dort flexibel darauf zu reagieren. Und flexibel kann auch mal heißen, wir geben nach. Ein anderes Mal heißt es, wir setzen uns durch. Einmal, wir gehen zwei Schritte zurück, und ein anderes Mal, drei Schritte voran. Einmal versuchen wir, das zu tun, was der andere sagt, und ein anderes Mal machen wir es vielleicht anders.

Flexibel zu reagieren heißt, nicht Sklave zu sein von irgendwelchen vorgefertigten Reizreaktionsmechanismen, sondern zu gucken: „Was ist in der Situation angemessen? Was ist jetzt im Umgang mit diesen Menschen angemessen?“ In der festen Überzeugung, letztlich, wir bekommen die Situationen, die genau die richtigen sind, um daran zu wachsen. Das ist so die Grundlage. Man könnte auch sagen, mindestens wir können von der Arbeitshypothese ausgehen. Wer noch nicht die feste Überzeugung hat, kann ja sich mal überlegen: „Ich laufe jetzt einfach mal eine Woche so durch die Gegend, dass ich davon ausgehe, was auch immer kommt, ist irgendwie gut für mich. Ich weiß nicht, warum und wieso, ich muss es auch nicht wissen, aber ich gehe jetzt einmal davon aus, was auch immer geschieht, irgendwie ist es gut für mich. Und jetzt mache ich daraus das Beste. Ich weiß nicht genau, was das Richtige ist.“ Das ist ja auch das Interessante, wir wissen es ja nicht, wir kriegen nicht genau gesagt: „In der Situation musst du dich so und so verhalten.“ Mindestens in der yogischen Ethik ist das eben nicht so. Es gibt andere Schriften, wie Manu Smriti, die sagt sehr genau, was man machen soll. Aber gegen solche Schriften wendet sich ja Krishna und sagt, es geht nicht darum, genau das zu tun, was irgendwo beschrieben ist. Man muss aus der Ethik heraus handeln und lernen, mit Hingabe zu handeln, und dann schauen: „Was ist für mich Dharma, die Aufgabe dort?“ Und das dann nach bestem Wissen und Gewissen tun. Und da ist mal in der einen Situation das eine richtig und mal in der anderen Situation das andere. Und es ist eine wunderbare Übung, wenn ihr feststellt, dass eure Mitmenschen ganz unterschiedlich sind. Und manchmal noch eine bessere Übung, wenn ihr feststellt, einer eurer Mitmenschen ist öfters ganz unterschiedlich.

Das ist immer wieder für Überraschungen gut. So seid ihr nicht steif, sondern flexibel. Wenn ihr so flexibel seid, dann verschwindet auch die Identifikation leichter, denn letztlich geht es ja darum, festzustellen: „Chidanan Chidanan Chidananda Hum Hara Hala Me Almasta Sadchidananda Hum. Was auch immer passiert, meine wahre Natur ist Sein, Wissen und Glückseligkeit. Das kann ich leichter erfahren, wenn ich nicht zu starr bin. Starr in der Vorstellung, wie andere sein sollten und dann alle gleich behandle, auch nicht, wenn ich auf Situationen immer gleich reagiere, sondern spielerisch.“ Nicht verhaftet an etwas, sondern immer wieder schauen: „Was ist dort nötig? Und ich kann mit meiner Psyche unterschiedlich umgehen, mit meinen Gedanken, mit meinen Reaktionen, mit meinem Körper, denn in Wahrheit bin ich Satchidananda und habe alle möglichen Instrumente, um daraus zu handeln.“

Hari Om Tat Sat

 

 

Unbearbeitete Niederschrift eines Kurz-Vortrags mit Sukadev Bretz. Gehalten im Rahmen eines Satsangs nach der Meditation bei Yoga Vidya Bad Meinberg. Mehr Infos:

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