© 2015 Text: Bhajan Noam

Seestern oder Krake? Eine Frage, die, wenn wir sie verstehen und intelligent angehen, eine Menge Probleme zu beseitigen vermag. Es geht dabei nicht um diese Tierchen, von denen keines höher gestellt oder minderwertiger Art ist, Angst einflößend oder eine gewisse Schönheit und Harmonie vermittelnd, schädlich oder nützlich. Sie sind nur Symbole oder Metaphern bei der Beschreibung eines philosophischen und zugleich pragmatischen Lösungsansatzes zu grundlegenden persönlichen Problemen und darauf basierenden Weltproblemen. 

Als Lehrender und Forschender auf dem Gebiet der ganzheitlichen Körpertherapie und Psychosomatik kümmere ich mich um positive Veränderung durch Bewusstwerdung. Es geht dabei um Körperhaltung und die damit verbundene Muskelspannung, es geht um den Atem und das Zusammenspiel organischer Vorgänge, es geht um Energie, um Prana, es geht um ein ökonomisches Spannungs- und Kräftebewusstsein und es geht auf einer tieferen Ebene um die seelisch-geistige Einstimmung, um Harmonie und Frieden, um Toleranz und Selbstakzeptanz.

Seestern oder Krake, dieses Beispiel tauchte kürzlich bildhafte in mir auf, als ich in einem Seminar über die natürliche Entstehung einer gesunden Aufrichtung mittels des frei zugelassenen Atems sprach. Unsere Körperhaltung ist immer ein Ausdruck unserer inneren Haltung, wie auch der Atem nur ein Ausdruck unseres Befindens, unserer Gemütslage ist. Sobald wir uns unserer geistigen Haltung bewusst werden und sie ändern, falls wir sie als disharmonisch empfinden, ändern sich unsere Muskelspannungen, unser Atem und unser gesamtes Verhalten.

In den japanischen oder chinesischen Bewegungskunstarten wie Qi Gong und Tai Chi oder in den Kampfsportarten Judo, Jiu Jitsu, Aikido, Karate und Kung Fu lernt man den Begriff „Hara“ kennen, der unsere Körpermitte bedeutet, der unser Schwerpunkt, unser Kraft- und Ruhepol ist. Hara heißt Bauch, gemeint ist damit das Energie- und Lebenszentrum im Nabelbereich. Kindern, die noch traditionell aufwachsen, wird immer wieder dieses Zentrum bewusst gemacht. 

Im Westen hingegen werden wir von früh an ausnahmslos zum Kopf hin erzogen. Einer der destruktivsten Sätze sogenannter Philosophie ist „Cogito ergo sum = Ich denke, also bin ich“. Dieser Satz geistert seit zwei Jahrtausenden in der Menschheitsgeschichte herum und richtet gesundheitlich wie sozial größten Schaden an, ohne dass es irgendjemandem aufzufallen scheint. Wenn wir nur sind, wenn wir denken, wohin verschwinden wir dann nachts? Wenn wir nur sind, wenn das Gehirn eingeschaltet ist, wer sind wir dann während einer tiefen Meditation? In einer Welt, in der nur das Denken zählt, wird sich niemand um Bewusstheit kümmern. 

Um zu unserem Bild zurückzukehren und es sehr vereinfacht darzustellen: der Osten ist der Seestern und der Westen ist die Krake. Wenn wir zu unserer Mitte gefunden haben, sind wir im Hara, sind wir wie ein Seestern mit einem Zentrum und fünf Armen. Die Hauptmenge an Energie befindet sich an dem Platz, wo sie hingehört, im Zentrum, im Bauch. Die fünf Enden sind bei uns die beiden Beine, die beiden Arme und der Kopf. Von der Mitte aus können wir, der jeweiligen Aktivität entsprechend, die Energie dorthin senden, wo sie gebraucht wird. Sie hat immer den gleichweiten oder gleichnahen Weg. Wenn wir gehen, uns fortbewegen wollen, schicken wir die Energie in die Beine und Füße. Wenn wir handeln wollen, schicken wir sie in die Arme und Beine. Und wenn wir das Gefühl haben, denken zu müssen, schicken wir sie zum Kopf. Nach jeder dieser Aktivitäten kehrt sie wieder zurück zum Zentrum. Auf diese Weise bleiben wir immer entspannt, in unserer Kraft und der Herr unserer Tätigkeiten.

Gänzlich anders sieht es beim Kopffüßler, bei der Krake aus. Hier ist die Hauptenergiemenge im Kopf gebündelt und es besteht der Glaube, dass der Verstand die Kontrolle behalten muss, dass alle Entscheidungen einzig nur vom Kopf gesteuert werden können. Das hat eine unmittelbare Auswirkung auf den gesamten Organismus. Jetzt ist es nicht mehr die vom Hara aufsteigende sanfte Energie, die uns auf natürliche Weise aufrichtet. Jetzt müssen die Muskeln eine permanente Halte- und Stützfunktion übernehmen, was binnen kurzer Zeit zu Anspannungen und längerfristig zu Verkürzungen, Verhärtungen, Verklebungen und Ablagerungen im Muskelgewebe führt. Sehr bald leiden wir unter Müdigkeit und Kopfschmerzen und etlichen anderen Symptomen.

Angespannte und verkürzte Muskeln haben nicht nur eine schädigende Wirkung auf Wirbel, Bandscheiben und Gelenke, sondern beeinträchtigen über verengte Nervenaustrittsbahnen im Bereich der Wirbel, auf reflektorischem Weg und über ein unterschwelliges oder unmittelbares Schmerzgeschehen unsere organischen Funktionen und ebenso unser Gemüt. Wir werden energielos und bedürftig, übellaunig, lebensverdrossen und mit jedem Tag körperlich und seelisch kränker.

Als Seestern strahlen wir Autarkie, Kraft und Harmonie aus, als Krake greifen wir mit unseren physischen und psychischen Armen wie Verhungernde nach allem, was erreichbar ist. Wir leiden und unsere Mitmenschen werden unter uns leiden. Eine Gesellschaft aus Kraken kann nur eine kranke, tote Welt erzeugen, weil sie allem Lebendigen den Saft nimmt. Ein Gesellschaft aus Seesternen wird die Welt zum Erblühen bringen, wird sie immer reicher und schöner machen. Wer wollen wir sein? In welcher Welt möchten wir leben? Auch wenn wir es nicht wissen, jeder unserer Atemzüge und jede kleinste Gedanke spiegelt sich in uns und im gesamten Universum. Es ist Zeit, wach zu werden und sich ein tiefes Verständnis für Ursache und Wirkung anzueignen, wie ein Gefühl für seinen kostbaren Körper und diesen ebenso kostbaren Planeten zu entwickeln.

 

- Bhajan Noam -

 

Seiten des Lebens: www.bhajan-noam.com

 

 

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