Bhajan Noam: Seit meiner frühesten Jugend habe ich mich mit allen bekannten Glaubensformen beschäftigt und einige davon auch mehrjährig praktiziert. Dabei erkannte ich, dass diese nur äußerlich verschieden erscheinenden Religionen gleichwertige Wege sind und dass allen diesen Wegen oder Lehren in ihrer Essenz dieselbe Wahrheit zugrunde liegt. Je näher ich dieser Essenz kam, entwickelte sich bei mir ein gewisser Humor und eine Leichtigkeit im Denken gegenüber den oft so ernst genommenen Doktrinen, ins besondere gegenüber der komplizierten und steifen Institutionalisierung von so etwas einfachem wie der inneren Wahrheit und Gewissheit. – Nicht von außen sondern von tief innen heraus gesehen kann ich heute sagen: Ich bin multireligiös, und die Prise Atheismus dazu bezeichnet eigentlich mein Abstandnehmen zu dem, was mir als entschieden zu eng und zu dogmatisch innerhalb der klassischen Religionen erscheint. Heute hört man es öfter als Vorwurf, dass sich viele Menschen ihre eigene Religion basteln würden und nicht mehr Verantwortung in den traditionellen religiösen Einrichtungen übernehmen wollten. Ich betrachte das nicht als Flucht, sondern als einen Prozess des Erwachsenwerdens. Der Erwachsene Mensch braucht weder im Weltlichen noch was Religion anbelangt eine Hierarchie und eine Vermittlung. Er kann direkt mit der Quelle allen Lebens in Verbindung treten, die er schließlich nur in sich selbst finden kann. Wie er das im einzelnen tut, das geht tatsächlich niemanden etwas an. Religion ist eine absolute Privatsache. Und das viele Positive, das die alten Religionen uns natürlich auch heute noch zu bieten haben, seien es Gebete, Rituale oder Meditationen und andere bewusstseinserweiternde Elemente, sollte nicht vergessen, sondern im Gegenteil individuell, immer mit einem Hinterfragen verbunden, auch weiterhin genutzt werden. – Was ich an anderer Stelle bereits gesagt und geschrieben habe, gilt nach wie vor: Ein Studium der unterschiedlichen Traditionen und die verantwortungsvolle Aufarbeitung der jeweils eigenen, inneren wie äußeren Geschichte sind für mich die unabdingbare Voraussetzungen für ein Zusammenwachsen zu einer solidarischen, friedlichen, also reflektions- und kompromissbereiten, erwachsenen Weltgemeinschaft.

 

Frage: Ein bisschen Atheist? Wie geht das denn? Ich Dachte mit dem Atheismus ist es wie mit dem schwanger sein – ein bisschen schwanger sein geht nicht?!


 

Bhajan Noam: Weder die Religion noch den Atheismus sollte man zu ernst nehmen. Wenn man, wie in der christlichen und jüdischen Tradition, Gott als Vater ansieht, ist es gut, den Vater mal Vater sein zu lassen und seinen eigenen Weg zu gehen. Mit den Mutter-Religionen ist es genauso. – Buddha hat niemals von Gott gesprochen, das Wort kam in seinem Vokabular nicht vor. Er wusste, wenn er damit erst einmal anfängt, hört es nicht auf mit Erklärungen. Im Daoismus existiert ebenfalls kein Gottesbegriff. Wenn alles eins ist, fallen Begriffe naturgemäß weg. Sowohl die Existenz eines Gottes wie dessen Nichtexistenz sind leere Konzepte. Solange man aber noch in dieser Welt der Konzepte lebt, ist es schön damit zu spielen, dann erinnert man sich: es sind Konzept, es ist nicht so ernst. Was aus Ernsthaftigkeit entsteht, sehen wir zum Beispiel im Katholizismus. Mit dem Hinduismus will ich gar nicht erst anfangen: Schönheit und tiefe Weisheit, aber auch Grauen und Hässlichkeit, wenn man zum Beispiel nur an die Witwenverbrennngen in der Vergangenheit denkt. Religion, wie sie üblicherweise praktiziert wird, ist ein "mind game". Insofern geht auch ein bisschen Atheismus oder ein bisschen Sonstwas. Schwangerschaft ist wahre Natur, deswegen gibt es dabei nicht ein Bisschen, sondern immer nur Alles oder Nichts. Die Natur ist stets total, das ist das Schöne an ihr. Und daran sieht man, um was es wirklich im Leben gehen sollte. Um Natürlichkeit.

 

Frage: Religionen sind von Menschen geschafft worden. Wenn man auf die Welt kommt hat man keine Religion. Ist das nicht so?

  

Bhajan Noam: Das ist eine Behauptung der Naturalisten - und der Naturalismus ist auch eine Religion. Ich kann diesen Satz nicht unterschreiben, ich bin mit einer Religion zur Welt gekommen, sogar mit zwei. Weil ich mich erinnern konnte. Wir alle haben schon viele Leben gelebt. Niemand kommt als unbeschriebenes Blatt zur Welt. Viele haben vergessen, das mag vielleicht gut sein und der Sinn von Tod und Wiedergeburt. Man sollte nicht fragen: was war zuerst da, das Ei oder das Huhn, die Religion oder der Mensch? Das führt zu keinem Ergebnis. Wenn wir aber statt Religion Religiosität sagen, dann wissen wir, dass jeder Mensch mit einer ihm innewohnenden Religiosität geboren wurde. Religion ist das Surrogat von Religiosität. Oder die Geschäftsabteilung. Wie die Prostitution sogenannte Liebe vermarktet, so vermarkten die Religionen unsere vergessene Religiosität. Wer sich erinnert, mit dem ist kein Geschäft mehr zu machen. Deswegen sind diese Menschen für die Gesellschaft, die nur aus Geschäftemachern besteht, so "gefährlich". Es wird Zeit, sich zu erinnern und mit dem Kindergarten aufzuhören. - Religion hat auf der anderen Seite aber auch viel Schönheit hervorgebracht und die Kreativität im Menschen angespornt. In dieser Welt haben alle Dinge zwei Seiten. Wer es versteht, kann mit den Dingen spielen und sich die goldene Essenz von allem herausnehmen.

 

 

Seiten des Lebens: www.bhajan-noam.com

 

 

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