Die Geschichte vom Brunnenfrosch

Dies war eine der Lieblingsgeschichten von Swami Vishnu-Devananda:

Es war einmal ein alter, tiefer Brunnen, in dem lebten Frösche. Diese Frösche waren in diesem Brunnen geboren worden und aufgewachsten. Sie kannten nichts anderes als diesen Brunnen und dachten, die Welt wäre der Brunnen. Ab und zu mal hörten sie eine Legende von einem Revoluzer-Frosch, der mal aus dem Brunnen herauskam. Aber entweder ist der nie zurückgekehrt oder wenn er zurückkam, dann hat er wirres Zeug erzählt.

Eines Tages war es wieder soweit. Eine Froschfrau kam zurück, und alle kamen zu ihr und wollten wissen, wo sie gewesen war. Die Frösche fragten sie: „Wo warst du? Wie ist es dir denn ergangen? Gibt es eine Welt außerhalb dieses Brunnens? Und wenn ja, wie ist die beschaffen?“ Sie anwortete: „Ja, ich war außerhalb dieses Brunnens und ich kann euch nicht beschreiben, wie großartig diese Welt ist. Hier seht ihr alles nur in Grautönen. Dort gibt es Farben, Schmetterlinge, Blumen, einen Himmel, die Sonne und ich habe sogar den Ozean gesehen.“

„Ozean? Was ist Ozean?“ fragten die Frösche. Sie sagte: „Der Ozean ist ein unendliches Wasser. Ich kann nicht sagen, wie groß der Ozean ist. Eine Welle ist so groß wie dieser ganze Brunnen. Da gibt es Lebewesen, wenn die das Maul aufmachen, dann fressen die so viele Fische, wie hier im Brunnen Frösche sind.“ So erzählte unsere Ozeanfröschin und die Meinungen der anderen dazu teilten sich.

Die einen wollten einfach nicht darüber nachdenken. Es gab jetzt eben eine große Fröschin, zu der sie aufblicken konnten. Das war alles. Die zweite Frosch-Gruppe, man würde sagen, die wohlmeinenden Skeptiker, dachten bei sich: „Dort oben wird die Luft dünner, wird vielleicht ist ihr Hirn einfach nicht mehr richtig durchblutet. So entsteht dann eine Art Halluzination von einem ozeanischen Glücksgefühl. Vielleicht sollten wir ein paar Hirnscans machen und schauen, ob wir dort Veränderungen finden.“

Die dritte Gruppe bestand aus genau einem Frosch. Und dieser fragte unsere Ozeanfröschin: „Du hast den Brunnen verlassen. Das klingt nicht schlecht. Kann ich den auch verlassen? Meist du, das ist möglich?“ Daraufhin sagte die Ozeanfröschin, „Ja natürlich, ich bin niemand Besonderes. Mir hat jemand den Weg gewiesen, wie ich aus diesem Brunnen herauskomme, auch du kannst dort herauskommen. Es ist großartig dort. Ich kann dir nicht beschreiben, was dich alles noch erwartet.“ Unser Brunnenfrosch dachte bei sich: „Was habe ich letztlich zu verlieren? Ich kann wieder zurückkehren, hier geboren werden, aufwachsen, ein bisschen fressen, ein paar Mücken fangen, mich ein bisschen unterhalten, irgendwann sterben. Vielleicht gibt es doch mehr, als dieses eigenartige Grau hier.“

So machten er sich auf den Weg. Unser Brunnenfrosch fragte: „Wo geht es denn hin?“ und sie sagte: „Wir fangen besser morgen an. Schlafe dich erstmal aus.“ Am nächsten Tag gab ihm die Ozeanfröschin ein paar Ratschläge: „Hier kannst du hin. Dort darfst du besser nicht hin, da war mal eine Schlange, die könnte einen fressen. Geh dort entlang und dort. Dort kannst du runter glitschen, hier ist es besser.“ Schließlich erreichten sie das direkte Tageslicht außerhalb des Brunnens. Unser Brunnenfrosch fragte: „Ist das der Ozean?“ „Das ist nicht der Ozean, das ist jetzt nur das Tageslicht. Ein paar Schmetterlinge, ein paar Vögel, ein paar Blumen. Der Ozean ist noch viel großartiger.“

So hüpften sie weiter. Irgendwann hörten sie ein lautes Rauschen und unser Brunnenfrosch bekam ein bisschen Angst und fragte: „Was ist denn dieses Rauschen?“ „Das sind Wellen.“ „Wellen? In unserem Brunnen gibt es auch Wellen, aber die machen keinen Krach.“ „Ja, diese Wellen sind ja auch viel größer, da ist eine Welle vielleicht so groß wie der ganze Brunnen.“ Schließlich, noch zitternd, aber dennoch mit Mut und Vertrauen, hüpfte unser Brunnenfrosch auf eine Düne und sah zum ersten Mal in seinem Leben den unendlichen Ozean.
Wir sind diese Brunnenfrösche. Unser Brunnen besteht aus Identifikationen, in denen wir Dinge sagen, wie: „Manche Menschen mag ich und andere nicht, der größte Teil ist mir nicht so wichtig.“ Was zählt ist das, was ich sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen kann. Alles andere ist nicht von Belang.“

So leben wir in unserem Brunnen. Und dann kommt eines Tages der Ozeanfrosch oder die Ozeanfroschfrau: Der Meister oder die Meisterin und die sagt: „Du bist nicht dieser Körper. Du bist nicht auf diese Welt gekommen, um aufzuwachsen, älter zu werden, ein paar Erfahrungen zu machen, dich fortzupflanzen und irgendwann zu sterben. Du bist das unsterbliche Selbst. Du bist Satchidananda, Sein, Wissen, Glückseligkeit. Du kannst es auch erfahren. Und wenn du diese Erfahrung machst, dann bekommt das normale Leben eine ganz andere Dimension.“

Die einen denken dann: „Was erzählt der dort? Er ist ein Menschheitsverführer und Betrüger. Zu faul, um was zu tun. Hofft jetzt, dass er von anderen durchgefüttert wird, die an das unsterbliche Selbst glauben.“ Die wohlmeinenden Skeptiker sagen: „Das war wohl zu viel Meditation, zu viel Pranayama, der Sauerstoffgehalt im Hirn ist irgendwie verändert, da muss er ab und zu mal die Illusion von kosmischer Geborgenheit haben.“ Dann gibt es die dritte Gruppe, die kleinste, obgleich die meisten von euch vermutlich dazugehören, aber im Verhältnis sind wir wenige. Diese Gruppe fragt sich: „Können wir diesen Brunnen wirklich verlassen?“ Und sie folgen ihrem Meister auf dem Weg.

Ich kann mich gut erinnern, als ich angefangen habe zu meditieren, da es ist mir sehr schwer gefallen. Ich habe einen sehr produktiven Geist, der wahnsinnig toll ist, Ideen zu schaffen und scharf zu denken, aber ruhig zu sein, das ist ihm ausgesprochen schwer gefallen. Ich habe alles Mögliche angestellt und irgendwann ist es mir tatsächlich gelungen, eine Astral-Erfahrung zu haben. Da bin ich zum Swami Vishnu gegangen und habe ihm das stolz erzählt. Er gesagt: „Mache dir keine Sorgen.“

Bleibe dort nicht stecken, das sind nur so ein paar Illusionen im Geist. Gehe jenseits davon. Don‘t get attached. Sei nicht verhaftet. Don‘t get involved in astral thinks. Verhafte dich nicht in die Astralwelten.“ Aber es ist auch mal schön, zu sehen, dass es mehr gibt auf dieser Welt, als wir meistens denken. Ein Teilnehmer hat mal gesagt: „Yoga hat aus meinem zweidimensionalen Schwarz-Weiß-Leben ein vieldimensionales kunterbuntes Leben gemacht. Vorher habe ich das nicht gewusst, dass noch so viel mehr möglich ist.“

Wir sollten aber nicht im kunterbunten Leben hängen bleiben, so schön es ist, sondern noch weiter gehen. Das Rauschen ist wie das Wissen: „Ich werde die Einheit erfahren.“ und schließlich natürlich, da endet die Analogie, der Frosch kann natürlich nicht im Ozean leben und er kann auch nicht eins werden mit dem Ozean, er kann nur die Großartigkeit sehen. Wir können die Großartigkeit wahrnehmen und viele, die meditieren, haben solche Erfahrungen von Weite, Ausdehnung, Bewusstheit gemacht. Wir können mit dem Ozean verschmelzen, wenn wir auf dem Weg bleiben.

Hari Om Tat Sat


Transkription eines Kurzvortrages von Sukadev Bretz im Anschluss an die Meditation im Satsang im Haus Yoga Vidya Bad Meinberg. Mehr Yoga Vorträge als mp3

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Kommentare

  • Danke für die Geschichte, lieber Sukadev,ich wollte sie erst gar nicht lesen, denn ich kenne sie ja. Dann wollte ich sie doch mal wieder lesen, weil ich ja weiß, dass Sukadev 'seine' Geschichten immer mal wieder etwas anders erzählt. - Ich dachte: Mal sehen, was heute die Frösche bei Sukadev so treiben. Und siehe da, ein bisschen Hirnforschung und Hirnscans sind auch dabei *g*. Ja, diese Frösche sind auf zack, immer wieder wagen sich Einige von ihnen in die andere verheißungsvolle Welt nach draußen, sie tauschen ihren dunklen Brunnenplatz aus gegen den Platz an der Sonne, hoch oben auf der Düne, mit einem weiten Blick auf das unendlich erscheinende Meer.
    Genau dies ist es, was wir auch brauchen, wenn uns der Alltag mal wieder wegtragen und in dunkle Ecken verbannen will: Wir steigen auf die Sonnendüne, denken an Satchidananda und finden dies zunächst in der Sonne und in dem ganzen wunderbaren Leben um uns herum, in dem wir nun ganz deutlich das Göttliche erkennen können. Tief gerührt spüren wir dann die eigene Tiefe, unseren ureigensten Wesenskern. Ein warmes Gefühl der Hingabe durchströmt unseren Körper und gibt uns eine fast süße Empfindung von Sicherheit. Unser Blick weitet sich nach außen und auch unser Bewusstsein wird ganz weit, wir fühlen uns mit allem und allen verbunden.

    ((Ach, diese Wir-Form wollte ich hier gar nicht verwenden, aber nun ist sie da, soll sie also bleiben.))

    Om Namah Shivaya, Om Om Om.
    Liebe Grüße, Devaki
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