Ein gründliches Erkunden, wie unser eigener Verstand funktioniert, ist eine der relevantesten Basisforschungen für ein Leben, das der Menschlichkeit, dem Frieden und der Weisheit gewidmet sein will. Denn was die größten Missverständnisse hervorruft, unser Denken, ist in Wahrheit ein großartiges Wunder: Unser Verstand projiziert präzise und unablässig unsere Innenwelt nach außen, damit wir sie wahrnehmen und erkennen können.
Doch wir glauben, alles was wir sehen und hören, hätte nichts mit uns zu tun, sei tatsächlich eine von uns völlig losgelöste Außenwelt, in die hinein wir rein zufällig geraten seien, die uns manchmal freundlich, manchmal feindlich gesonnen ist, deren Gesetze meist schwer für uns zu durchschauen sind und deren dunkler Schicksalhaftigkeit wir letztlich gänzlich ausgeliefert bleiben.
Alles, was wir in einem scheinbaren Außen zu sehen glauben, sind wir selbst. Alle Begegnungen sind Begegnungen mit uns. Alles, was uns jemand zuruft oder leise ins Ohr flüstert, teilen wir uns selbst als bereits von uns Gewusstes mit. Wüssten wir es nicht bevor wir es wissen, könnten wir das ganze Schauspiel nicht schreiben und vor uns selbst aufführen. Alles Wissen ist bereits da, es schlummert nur zumeist tief verborgen in unserem Unterbewusstsein. Deshalb schwingt sich unser nie rastender Verstand als ein überaus freundlicher Helfer auf den Regiestuhl.
Dazu gibt es folgende kleine Sufi-Geschichte:
Ein Reisender kommt ans Stadttor einer ihm fremden Stadt. Im Schatten des Tores ruhend sitzt ein alter Mann. Der Reisende grüßt ihn und fragt: „Sagt, guter Mann, wie ist denn diese Stadt so, wie sind ihre Bewohner?“ Der Alte fragt zurück: „Wie ist denn die Stadt, aus der du kommst?“ „Oh, es ist eine wunderschöne Stadt mit lauter freundlichen und hilfsbereiten Menschen.“ „So ist auch diese Stadt“, antwortet der Alte. – Bald darauf kommt ein weiterer Fremder an das Tor und befragt den Alten: „Sagt mir, wie ist so diese Stadt und ihre Bewohner?“ Auch ihm stellt der alte Mann die Gegenfrage: „Wie ist die Stadt, aus der du kommst?“ „Schrecklich“, antwortet der Fremde, „heruntergekommen und hässlich, und die Bewohner sind allesamt unfreundlich, verroht, Diebe und Betrüger.“ „So ähnlich, fürchte ich, wirst du auch diese Stadt erleben“, antwortet darauf der Alte.
Die ersten Irritationen die in Siddhartas bis dahin heiler Welt auftauchten, waren ein kranker Mensch, ein alter Mensch und ein Leichnam, den man zu Grabe trug. Und Siddharta erkannte, auch ich werde krank werden, auch werde altern, auch ich werde einst sterben. Dann tauchte eine weitere Irritation auf, ein Sannyasin, ein Bettelmönch, aus dessen Augen Weisheit und Mitgefühl leuchteten. Und Siddharta erkannte, dieser Mann muss einen Weg aus dem Leiden der Welt gefunden haben. So werde auch ich, Siddharta, einen Weg in mir finden. So fand Prinz Siddharta in der äußeren Welt die Lösung zu seinem inneren Wandel. Während er durchschaute, dass das außen Erblickte eine Projektion seines eigenen Lebens war, erkannte er zugleich schlagartig die ganze Funktionsweise des menschlichen Verstandes. Und im selben Moment waren alles bis dahin noch Dunkle und alle Irritation verschwunden und ein tiefer lichtvoller Frieden breitete sich in ihm aus. So wurde Siddharta zum Buddha, zum Erwachten.
Beende deine Kriege, die inneren wie die äußeren, beende deine Verwirrung, erkenne die Welt als Spiegel. Kehre zurück von den projizierten Objekten zu dir. Beobachte die Wirkweise deines Verstandes, es ist wie das Beobachten des Atems. Solange der Atem unbewusst bleibt, ändert sich nichts an unseren Spannungen und Blockaden. Sobald wir uns den Atem aber ins Bewusstsein heben, beginnt er für uns tätig zu werden, schwingt er freier und weiter und setzt, wo es benötigt wird, Heilprozesse in Gang. Wenn du ebenso den Verstand aufmerksam beobachtest, strahlt plötzlich Schönheit auf, ist Frieden in dir, glänzt die Welt in neuen Farben. Und zum ersten Mal atmest du Freiheit. Anfangs wirst du immer wieder unbewusst werden, doch mit zunehmender Übung bleibt der wache Zustand, der deine eigentliche Natur ist, von dem du dich nur durch unnützes Spielzeug hast ablenken lassen. Lebe – und genieße deine Fehler. Nutze alle Dummheiten und Peinlichkeiten als Sprungbrett.
- Bhajan Noam -
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