© 2015 Text: Bhajan Noam

"Wenn der Reis Früchte trägt, neigt er sich - wenn der Mensch zu Reichtum gelangt, hebt er sein Haupt."

Ich möchte dieses Sprichwort hier einmal bewusst anders auslegen als es ursprünglich gemeint ist, weil dadurch eventuell eine tiefere Wahrheit ausgesprochen wird. Die oberflächliche und für jeden erkennbare Aussage ist eine moralische, die tiefer liegende ist eine spirituelle Wahrheit. 

"Wenn der Reis Früchte trägt, neigt er sich." - Das heißt, alles Irdische bleibt in einem Kreislauf. Ein Samenkorn gelangt in die Erde, es erhält Feuchtigkeit durch den Regen und Wärme von der Sonne und beginnt einen Keim zu bilden, der sich alsbald aufrichtet. Der Keimling wächst, bildet Blätter aus und eine oder mehrere Blüten, die bestäubt werden und daraufhin neue Samen bilden. Diese erhalten durch ihre Fülle irgendwann eine solche Schwere, dass die Rispen sich gen Boden neigen. Die Samen fallen aus, gelangen in die Erde und bilden bald wieder neue Pflanzen usw. Das ist ein offensichtlicher Kreislauf. Es ist ein Kreislauf, der in sich selbst gefangen bleibt.

"Wenn der Mensch zu Reichtum gelangt, hebt er sein Haupt." - Der moralische Aspekt ist, wenn der Mensch zu materiellem Reichtum gelangt, fühlt er sich anderen gegenüber überlegen, wird stolz und überheblich. Der tiefer liegende Aspekt ist spiritueller Natur und hat somit auch eine gänzlich andere Aussage. "Wenn der Mensch zu Reichtum gelangt, hebt er sein Haupt." Materieller Reichtum ist in Wahrheit kein Reichtum, es ist eine bloße Illusion, ein Abglanz von wirklichem Reichtum, von innerem Reichtum. Nur ein Mensch, der spirituell heranreift, erfährt nach und nach diesen wahren Reichtum. Und ein gereifter Mensch schaut nicht mehr zu Boden, zur Materie, er kümmert sich nicht mehr um materiellen, um irdischen Besitz - sein Blick wendet sich zum Himmel, zum Göttlichen. Es ist ein Aufstieg und zugleich der Ausstieg aus dem Kreislauf allen Irdischen. Deshalb: "Wenn der Mensch zu Reichtum gelangt, zu wahrem Reichtum, hebt er sein Haupt."

Ich möchte damit zum Ausdruck bringen, dass wir nicht im Moralischen stecken bleiben dürfen. An einer moralischen Lebensweise ist nichts verkehrt, aber sie ist nicht das Ende unserer Entwicklung, sie ist der Beginn. Wer moralisch lebt, tut dies - gut verborgen, dennoch sehr real - letztlich immer noch aus materiellen Gründen. Er genießt dadurch Vorteile in der Gesellschaft. Er hat einen guten Ruf in seinem Umfeld. Er erfährt Lob und Anerkennung. All das prägt ein subtiles Ego aus, das schwerer loszuwerden ist als das Ego des Normalmenschen. Der moralische Mensch ist fast ein Heiliger - und wer möchte diese Heiligkeit freiwillig wieder aufgeben. Diese Heiligkeit ist aber nicht echt, sie ist erkauft durch barmherziges Auftreten, durch wohlwollendes Gebaren, durch Spenden an Bedürftige usw. All diese Dinge sind wohlgemerkt nicht verkehrt. Aber ich denke, dass jeder den Beigeschmack davon kennt. Dieser "Heilige" blickt herab auf die bedürftigen und weniger heiligen Mitmenschen, denen er Hilfe aus seinen vermeintlichen Höhen zukommen lässt. Er ist wie die Reispflanze, aber in menschlicher Prägung. Er kommt aus dem materiellen Kreislauf nicht heraus, er bestärkt ihn sogar.  

Der spirituell erwachsene Mensch hat sein Haupt erhoben, und er möchte, dass alle Menschen ihr Haupt zu Gottes Angesicht erheben. Er wünscht sich sehnlich ihren Aufstieg. Er will vor Gott mit allen gemeinsam auf Augenhöhe sein. Deshalb ist der Reichtum, den er verteilt, ein ewiger Reichtum, er ist die Erinnerung, dass wir alle Inhaber dieses Reichtums sind und stets waren, dass es keine Armut und keine Abhängigkeit gibt. Nur ein Einssein im Reich Gottes, das nichts als ein Überfließen von Gottes Segnungen kennt. OM Shanti. 

 

- Bhajan Noam -

 

Seiten des Lebens: www.bhajan-noam.com

 

 

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