© 2015 Frei nacherzählt von Bhajan Noam
Mir fällt gerade die Geschichte ein, die ein deutscher Veranstalter für spirituelle Events erzählte. Zu einer seiner Veranstaltungen lud er einmal einen indianischen Medizinmann ein. Er hatte ihn in Amerika kennengelernt und hatte ihn so toll gefunden, dass er ihn unbedingt nach Europa bringen wollte. Er hatte also mit ihm einen Termin ausgemacht, Flug und Hotel gebucht und ihn großartig in seinem Programm angekündigt.
Der Abend kam, die Veranstaltung begann und nach einer Vorrede kam auch der Medizinmann auf die Bühne, ging aber nicht zum Mikrofon sondern setzte sich einfach auf den Boden. Indianische Tradition, dachte sich der Techniker, und reichte ihm das Mikrofon hin, was der aber ignorierte. Er hatte schon längst die Augen geschlossen und saß tief in sich versunken in Stille. Gut, er meditiert halt zu Beginn, dachte man sich.
Nach eine viertel Stunde des Schweigens wurde das Publikum allmählich unruhig. Einige husteten laut, andere hielten nach dem Veranstalter Ausschau und begannen sich ratlos mit dem neben ihn Sitzenden zu unterhalten, weitere hatten bereits unter Unmutsbekundungen den Saal verlassen. Der Veranstalter, der die ganze Zeit versucht hatte, Ruhe zu bewahren, ging nun doch auf die Bühne und sprach den Medizinmann vorsichtig an. Der öffnete langsam seine Augen und ein längeres geflüstertes Gespräch fand zwischen den beiden statt. Niemand im Publikum wusste was los war, aber wenigstens passierte jetzt etwas.
Nach etlichen Minuten des respektvollen Austauschs zwischen den beiden, verließ der Veranstalter wieder die Bühne. Nun stand der Indianer endlich auf. Und er begann, ohne das Mikrofon zu beachten, das der Techniker ihm wieder vorsichtig hinhielt, einen zunächst leisen, doch dann immer eindringlicher werdenden Gesang. Das Singen kam nicht nur aus seiner Kehle sondern aus seinem gesamten Körper, während er dabei kleine Schritte tanzte und sich hin und her wiegte.
Im Publikum war längst wieder Stille eingekehrt und man lauschte gebannt und ergriffen. Nach etwa fünf Minuten endete der Gesang. Der Medizinmann ließ sich wieder auf dem Boden nieder. Jetzt hält er seine großartige Rede, glaubte man. Doch der Indianer saß wieder einfach in sich versunken mit verschossenen Augen und schwieg genauso wie zu Beginn. Die unschönen Reaktionen und Szenen im Publikum darauf ersparte sich der Veranstalter zu erzählen.
Am nächsten Tag fuhr er gemeinsam mit dem Medizinmann im Auto durch Österreich, um ihm dieses schöne Land zu zeigen. Beide schwiegen. Der Gast schaute ein wenig aus dem Fenster, unvermutet fragte er dann: „Warum hast du mich eingeladen? Was für Menschen sind das in deinem Land? Sie können nicht schweigen, sie sind nervös, sie sind unhöflich und voller Erwartungen. Und sie bemerken nicht, welche Wunder ihnen Mutter Erde und die gesamte Schöpfung schenkt. Sie hören nicht die Lieder der Stille. Sie hören nur sich selbst zu, ihren unruhigen Gedanken, die die leise Stimme der Weisheit, den Gesang des Großen Geistes übertönen. Lade mich bitte nie wieder ein. Ich habe ihnen nichts zu sagen und zu geben. Sie sind übervoll von sich selbst.“
- Bhajan Noam -
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