Bhajan Noam: Das Gebet des Shemuel in Lhasa

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Wer diese kleine Geschichte in ihrer Tiefe erfasst, der hat den wahren Sinn von Religion verstanden. Religion ist schlichte Menschlichkeit, sie stiftet Bewusstheit und Frieden.

Das Gebet des Shemuel in Lhasa

Geschäfte hatten ihn, den Juden Shemuel, zuletzt über die hohen Pässe getragen. Am Tagye-Pass hätte er fast sein Leben gelassen. Zu spät im Jahr war die kleine Karawane aufgebrochen, doch es kam Hilfe in letzter Minute. Dann war er geblieben in der zweiten heiligen Stadt neben seiner heiligen Stadt. Einen kleinen Laden konnte er von Erspartem eröffnen, um seinen bescheidenen Lebensunterhalt zu verdienen. Was brauchte er schon viel! Die meiste Zeit verbrachte er ja mit Lesen in der heiligen Thora, hier in der heiligen Luft nahe unterm Himmel.

 

Er konnte von seinem Laden aus auf den Potala, den ehrfurchteinflößenden Palast des Dalai Lama, blicken und dachte an den zerstörten Tempel zu Yerushalayim. Er träumte von den Höhen, auf denen seine Stadt einst goldglänzend sich erhoben hatte und jetzt elend daniederlag. Er war hier um ein vielfaches höher –  und auch hier umgab ihn Elend und goldener Glanz. Er sah die Lamas mit ihren Gesängen in Scharen vorüberziehen und dachte an die Propheten seines Landes.

 

Und er sprach im Gebet zu seinem Gott: „Das alles ist gleichzeitig Wirklichkeit in deinem unendlichen Königreich. Die Menschen hier und im Heiligen Land, in China, in Arabien, in Afrika, in Europa und vielleicht auf fernen Sternen. Herr, der du dies alles erschaffen hast, von der Ameise bis zu den höchsten Gebirgen, sei gelobt und gepriesen, du ferner und naher Gott! Wie fühle ich deine Glut in meinem Herzen und dein Strahlen über der ganzen Welt! Selbst aus Schnee und Eis noch funkelst du, und über den Wüsten liegt dein flimmernder Schein. Die Sonne ist dein Werk, der Mond und die ungezählten Sterne, die dunkle Nacht und der helle, geschäftige Tag.“

 

„Herr, ich danke dir, dass du mir meinen einfachen Glauben geschenkt hast, der sich nicht besonders zu unterscheiden scheint von dem Glauben der hiesigen Menschen. Ich hänge am Morgen den Tallit, meinen Gebetsschal, um, und er flattert im Wind, der durch mein offenes Fenster weht, wie die vielen fröhlichen Gebetsfahnen überall im Lande. Ich lege zum Morgengebet die Tefillin, die Gebetsriemen, an, in deren Kapseln der Text des Shma Yisrael, unseres heiligsten Gebetes, sich befindet. Dies von dir gebotene Ritual macht mich stets glücklich, weil ich
dabei die Verbundenheit mit dir fühle, wie es ähnlich auch hier die Menschen fühlen müssen, wenn sie überall – sitzend, stehen oder gehend – die kleinen Gebetsmühlen mit den darin aufgehobenen Gebete in ihrer Hand kreisen lassen. Auf dass unser aller Gebete den Weg zu dir, Herr, finden mögen! Ich schaukle während meines Betens vor und zurück, gleiches sah ich auch bei den Lamas. Wenn ich mein Zimmer verlasse oder es wieder betrete, berühre ich am Türpfosten die Mesusa mit meiner Hand und küsse sie. Wie in ihr, sind auch in den Gebetstrommeln, welche die Frommen im Vorübergehen berühren und drehen, ein heiliges Gebet enthalten, das uns täglich an unsere wahre Bestimmung erinnert.“

 

„Die Menschen dieses Landes sind gutmütig, hilfsbereit und heiter, wie es auch ein gläubiger Jude ist. Sie widmen den Tag und oft auch die Nächte mehr der Religion als einer falschen Nützlichkeit. Auch ich tue dies. Herr, nur du alleine weißt, ob ich in meinem Leben noch einmal dein Gelobtes Land sehen darf, doch deine gütige und weise Hand hat mich in ein ebenso gelobtes Land geführt. In Frieden werde ich hier einst sterben können. Amen.“

 

~ Bhajan Noam ~

 

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