Bhajan Noam über das Wirken des Leidens, über Auflösung von Prägungen, über den Verstand... und über nichts besonderes. Ein Café-Gespräch.
Wenn die dunkelsten Stunden es bewirken, dass wir bewusst werden... oder ein klein wenig bewusster, dass wir achtsamer, sensibler, liebevoller werden, dann sind sie wirklich die kostbarsten Stunden! Das ist die eine Seite, die ich aus eigenem Erleben zutiefst bestätigen kann. Wo die Betonung aber auf bewusst „werden" liegt, da erkennen wir schon bald, dass dies ja ein durchaus aktiv geförderter Prozess sein kann und letztlich sein muss. Und dann spielen alle Stunden unseres irdischen Daseins, gerade auch die etwas selteneren, goldenen Stunden, die gleiche bedeutende und alles mittragende Rolle. Sie alle dürfen genutzt werden! Lachen und Weinen, beides sind Tore. Sogar die Langeweile.
Gerade das unablässige Wechselspiel ist es ja, das im Äußeren: Tag und Nacht, Sommer und Winter, Hitze und Kälte, so auch das oft nicht erahnbare in unserem Inneren: Leiden und Freuden, Trauern und Lachen, Anziehung und Abstoßung, das uns in das wirre Weltenspiel mit hineinzieht, aber dann auch allmählich herausträgt in einen völlig neuen, transformierten Zustand, in dem wir uns aber sogleich ganz wie zuhause fühlen.
Viele Prägungen, ja die allermeisten, sitzen sehr tief. Sie wurden uns in frühester Kindheit, im Mutterleib und auch früher schon vermacht. Nach ihnen zu graben, ist nur eine Sache. Wenn wir dabei hängenbleiben, wird es eine Paternosterfahrt in die Hölle ohne Ende. Als ich eines Tages sehr plastisch in mir erlebte, dass es nicht nur das eigene Unterbewusstsein gibt, sondern darüber hinaus auch das kollektive… ja, dass die Ereignisse und die Erfahrungen jedes Planeten, jedes Sterns dieses Universums in uns gespeichert sind… Und ich schreibe hier nicht aus einer blühenden Phantasie heraus. – So gilt es vielleicht viel wesentlicher, das e i n e Strickmuster aller Prägungen zu durchschauen. Selbst der allerbunteste Schal besteht auch nur aus vielen tausend gleichen Maschen. Löst du eine, löst du sie alle auf.
Unser Verstand aber ist sehr trickreich. Und das ist ja auch seine natürliche Aufgabe. Damit bewahrt er uns in der äußeren Welt vor vielen Schwierigkeiten. Doch in der inneren Welt beginnt er sich gegen uns zu richten. Aus purer Langeweile. Denn hier brauchen wir ihn nicht. Der Verstand kann aber nicht stillstehen, sowenig wie das Herz. Was ist zu tun? Lösungen für unsere Probleme finden wir nur an jenem Ort in uns, wo absolute Stille herrscht, wo kein Problem Bestand hat. Wir finden die Erlösung dort, wo der Verstand sich nicht einmischen kann. Deshalb müssen wir die Substanz des Verstandes erkennen! Wir müssen erkennen, dass er gar keine Substanz besitzt... und somit auch keinerlei Macht. WIR verleihen ihm die Macht. Wir geben unsere Macht auf und lassen ihn regieren. Der Gast ist zum Hausherrn geworden durch unser eigenes größtes Missverständnis.
Haben wir das einmal verstanden, kehren wir wieder in unser eigentliches Zuhause zurück. Und dieses Zuhause ist das unendliche kosmische Bewusstsein. Danach machen wir uns nie wieder klein. Wir beschränken unser Sein nicht länger auf Körper und Verstand. Wir erkennen, dass wir selbst unendlich und ewig sind. Dann sehen wir auf einmal, dass die Prägungen lediglich der Körper/Verstand-Welt angehören. Dass sie eine vorübergehende Erfahrung waren. Dass sie sogar dazu gedient haben, uns aufzuwecken und uns hierher zu bringen.
Spiel und Tanz, Lachen und Singen, Freude! Das sind WIR. Und auch der tiefe Brunnen. Von den Tränen ist es der Glanz, den wir mitnehmen. Vom Zorn ist es das Feuer, das die Wärme des Lebens und des Liebens ausmacht. Vom Zweifel ist es die Vielfalt und Buntheit, die uns in diesem Dasein erfreut.
Probleme, bedingt aus Prägungen, sind auch der Motor zur Weiterentwicklung. Doch Motoren stinken und machen Krach. – Bis wir erkennen, dass wir uns in der falschen Dimension aufhalten, vergehen manchmal einige Ewigkeiten.
Das alles war vielleicht ein kleiner Höhenflug. Zurück zur Erde also: Ich muss heute sagen, dass ich seit längerem in einem Zustand bin, in dem ich nichts mehr mit Bestimmtheit weiß. Und ich habe nicht das Gefühl, dass daran etwas verkehrt ist. Ich zum Beispiel sitze gerne im Café und rede über nichts Besonderes. Und dann schaut man sich in die Augen und versteht. ES kennt keine Worte und keine Zahlen. ES sagt JA. Oder ist still. Einfach schön. Om Shanti.
ॐ
2012 Copyright: Bhajan Noam;
Foto: Bhajan Noam, Marienhöhe auf Norderney, der Platz,
wo sich Heinrich Heine mit Vorliebe aufhielt.
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Kommentare
Aditi mailt: "Welch wunderbarer Artikel über Prägung !"
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