Yoga Sutra 2.54 und 2.55

Yoga Sutra 2.54, Fortsetzung
Pratyahara, die Fähigkeit, den Geist zurückzuziehen von den Sinnen, nicht den Sinnen zu folgen.

Im Vivekachudamani von Shankaracharya werden auch die Sadhana Chatustayas, die vier Eigenschaften eines Schülers, beschrieben. Viveka - Unterscheidungskraft, Vairagya - die Fähigkeit loszulassen, Shatsampat - sechs edle Tugenden und Mumukshutwa - intensiver Wunsch nach Befreiung. Dort ist Shatsampat, die sechs edlen Tugenden der Gleichmut. Die haben viel gemeinsam mit dem Pratyahara. Zu den sechs edlen Tugenden gehört erstmal Sama, Ruhe des Geistes, dann Dharma - Sinnesbeherrschung, dann Uparati - meiden, Titiksha - Fähigkeit, etwas loszulassen, Shraddha - Vertrauen und Samadhana - tiefer Gleichmut und Mehr zum Thema Gelassenheit .
Das ist wie ein Stufenmodell. Die erste Stufe ist Sama, die Fähigkeit, gelassen zu bleiben. Also, wenn irgendein Sinneseindruck kommt, dann nicht sofort zu springen, sondern ganz ruhig zu sein. Wenn es dir gelingt, inmitten von verschiedenen Sinneseindrücken einen gleichmütigen Geist zu bewahren, dann hast du Sama gemeistert. Dann bräuchtest du eigentlich die fünf weiteren Shatsampat, also die fünf weiteren der edlen Tugenden, nicht zu praktizieren. Realistisch gesehen mag es dir passieren, dass du trotz allen guten Vorsätzen dann doch irgendwo Unruhe des Geistes bekommst.
Dann tritt das zweite in Kraft, nämlich Dharma, Sinnesbeherrschung. Selbst wenn dein Geist unruhig wird, folgst du dem nicht. Wenn du dir etwas vorgenommen hast, z.B. wenn das nächste Mal jemand dich kritisiert, dass du nicht gleich ärgerlich werden willst. Wenn du trotzdem ärgerlich wirst, dann vermeide es wenigstens, gleich loszuschreien. Vermeide es, ihn zu schimpfen. Vermeide es, mit den Füßen zu stampfen, sondern beherrsche wenigstens deine Sinne. Es ist nicht immer nötig natürlich, dass du deine Sinne beherrscht, aber wenn du es dir vorgenommen hast, ist das eine gute Übung. Das ist dann eben Dharma, Herrschaft über die Sinne.

Als nächstes, falls es dir nicht möglich ist, die Sinne zu beherrschen, dann tritt die dritte Stufe in Kraft, nämlich Uparati. Uparati heißt meiden. Also, wenn du weißt, in der und der Situation wirst du so und so reagieren, du willst es lernen, anders zu reagieren, dann, wenn irgend möglich, meide einfach eine Weile diese Situation und lerne es, deinen Gleichmut erst zu bewahren. Und dann kannst du Schritt für Schritt dich wieder diesen Situationen aussetzen. So ähnlich, wie man das auch von Allergien kennt. Angenommen, du bist allergisch gegen etwas und die Allergie ist sehr stark, dann ist es erstmal gut, das Allergen zu meiden. Und wenn dann die Symptome weg sind, dann kannst du wieder langsam, Schritt für Schritt, das Allergen erhöhen. Das klappt vielleicht auf der körperlichen Ebene nicht bei allen Allergenen, aber mindestens bei manchen. Letztlich beruht darauf ja auch das Prinzip der Desensibilisierung, welches ja von manchen Allergologen bei Allergien angewandt wird. Ähnlich eben auch, erst kannst du dir vornehmen, gelassen zu bleiben. Gelingt es nicht, dann beherrsche deine Sinne. Gelingt auch das nicht, dann meide die Situation oder finde eine freundliche Weise, aus dieser Situation herauszugehen. Es ist z.B. auch eine gute Idee, wenn du dich über irgendetwas oder irgendjemanden geärgert hast, als erstes nicht zu reagieren. Meistens ist es viel klüger, einen Tag lang zu warten oder, wie der Volksmund sagt, eine Nacht darüber zu schlafen. Viele Probleme und viel menschliches Unheil kann vermieden werden, wenn man nicht reagiert, wenn man sich über etwas geärgert hat. Es gibt Situationen, da muss man sofort reagieren, aber die sind sehr selten. Sehr viel häufiger ist es besser, wenn man sich über etwas geärgert hat, erstmal nichts zu sagen, tief durchzuatmen, sagen, „Ich überlege es mir.“, den Ort des Geschehens zu verlassen und am nächsten Tag geht es anders. Das trifft übrigens auch bei e-Mails zu. Angenommen, du bekommst eine e-Mail, über die du dich ärgerst. Das Klügste ist, einen Tag lang nicht antworten, erst am nächsten Tag antworten. Meistens wird die Antwort besser. Zwar sagt Swami Sivananda gerne, oder hat gesagt, „Do it now.“, aber manchmal ist es auch klüger, erst einen Tag später zu reagieren.
Nach Uparati folgt Titiksha. Titiksha heißt, etwas aushalten zu können. Auch aushalten können, wenn du manchmal deinen Vorsätzen nicht treu bist. Auch aushalten können, wenn du manchmal für deine Vorsätze kritisiert wirst. Man könnte auch sagen, Titiksha ist Frustrationstoleranz. Eine wichtige Eigenschaft. Ein moderner Ausdruck für Titiksha. Die geistige Stärke eines Menschen kann auch daran gemessen werden, wie viel kann er aushalten von Dingen, die nicht so laufen, wie er es gerne hätte. Wie viel kann er aushalten, wenn Menschen nicht so sind, wie er es gerne hätte. Wenn die Dinge sich nicht so entwickeln, wie er es gerne hätte. Wenn er kritisiert wird, wegen den verschiedensten Dingen. Wenn Misserfolge kommen. Wir können uns darin trainieren und wir können es uns bewusst vornehmen. Das möchte ich dir raten, Titiksha.

Der nächste Aspekt ist Shraddha, Vertrauen. Und letztlich ist Vertrauen die Grundlage, aus der du Gleichmut gewinnen kannst. Das Vertrauen, dass du letztlich Satchidananda bist, Sein, Wissen und Glückseligkeit. Das Vertrauen, dass das, was geschieht, letztlich das Beste ist woran du wachsen kannst. Das Vertrauen, dass letztlich alles zum Besten sein wird.
Über die Übung von diesen fünf Shatsampats, kommst du zu Samadhana, der tiefen Grundstimmung von Gleichmut und Gelassenheit.

Transkription eines Kurzvortrages von Sukadev Bretz im Anschluss an die Meditation im Satsang im Haus Yoga Vidya Bad Meinberg. Mehr Yoga Vorträge als mp3.

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