Verhaftungslos leben

Om Namah Shivaya


Ich lese etwas aus dem Buch „Sadhana, spirituelle Praxis“ von Swami Sivananda, aus dem Kapitel „Sivananda Upadeshamritam“, „Nektar der Unterweisung“. Wer schon länger hier ist, ich habe aus diesem Kapitel schon ein paar Mal gelesen, was ich gerne mache zu Anfang eines Jahres.


„Versuche, verhaftungslos zu leben. Diszipliniere allmählich deinen Geist. Niemand ist frei von Schmerzen, Krankheiten, Problemen und Schwierigkeiten. Ruhe in deiner wahren Natur, dem wonnevollen Atman, Quelle und Halt dieses Lebens. Erinnere dich an deine göttliche Natur, dann wirst du die innere Kraft erwerben, um den Schwierigkeiten des Lebens zu begegnen. So wirst du einen ausgeglichenen Geist haben. Du wirst nicht betroffen sein von äußeren ungesunden Einflüssen oder unangenehmen, unharmonischen Schwingungen. Regelmäßige Meditation am Morgen gibt dir neue Kraft und inneres Leben, Zugang zur inneren Freude und Wonne. Übe dies, fühle das, auch wenn du mal in widrigen, stürmischen Umständen bist. So wirst du spirituell allmählich wachsen. Schließlich wirst du die Selbstverwirklichung erreichen.“

 

Yoga verspricht einem nicht, dass wir keine Probleme mehr haben werden. Yoga verspricht einem nicht, dass wir immer nur gesund sind, auch wenn Yoga insgesamt viele Krankheiten heilen kann und Krankheiten vorbeugen kann. Yoga verspricht nicht, dass wir nicht auch innerlich durch Höhen und Tiefen gehen, obgleich Yoga insgesamt hilft, mehr Gelassenheit zu bekommen. Aber Yoga verspricht einem: „Du kannst Zugang finden zu deiner tiefsten Natur, zu deinem höheren Selbst.“ Und Yoga verspricht auch: „Dieses innere Selbst ist eins mit dem kosmischen Selbst.“ Und wir können immer wieder da einen Zugang finden. Es ist möglich, das Selbst zu spüren. Das Selbst ist erfahrbar als Sat, Chid und Ananda, als Sat, unendliches Sein. Wir können immer wieder in der Meditation Zugang finden zu dieser inneren Natur, die eins ist mit der kosmischen Natur.

Eine Möglichkeit, das Selbst zu erfahren oder das Göttliche, ist, sein Bewusstsein auszudehnen und sich bewusst zu machen: „Hinter dem gesamten Universum ist eine höhere göttliche Wirklichkeit und hinter dem ganzen Universum ist eine unendliche Bewusstheit. Und meine eigene Bewusstheit ist nichts anderes als die kosmische Bewusstheit. Und dieses kosmische Bewusstsein ist hinter dem ganzen Universum und manifestiert sich als das Universum und erfährt durch so viele verschiedene Körper-Geist-Komplexe dieses Universum.“ Und so erfährt es auch durch uns dieses Universum, mit allen Höhen und Tiefen. Das können wir uns bewusst machen, wir sind nicht so individuell getrennt, wie man das manchmal denkt, sondern wir können in der Meditation erfahren: „Ja, ich bin eins mit diesem Unendlichen.“

Das ist der Sat-Aspekt des Ewigen. Das zweite ist, es ist aber auch Ananda. Ananda heißt Freude, Liebe. Wir können in der Meditation Zugang finden zu unserem Herzen. Im Herzen können wir Freude spüren. Im Herzen können wir Liebe spüren. Dinge mögen anders sein, als wir sie gerne hätten. Dinge mögen anders sein, als wir denken, dass sie sein sollten. Menschen mögen anders sein, als wir sie gerne hätten. Menschen mögen sich anders verhalten, als wir es gerne hätten. Das tun sie oft, oder? Menschen verhalten sich anders, als sie sich verhalten sollten, als sie noch vor kurzem gesagt haben, dass sie sich verhalten würden. Nicht nur Menschen, sondern auch oft der Mensch selbst, der man annimmt, der man ist. Aber trotz all dem und gerade dort können wir in der Meditation Zugang finden. Vom Herzen her können wir andere spüren. Vom Herzen her können wir uns selbst spüren. Vom Herzen her können wir diese Liebe spüren, die uns alle miteinander verbindet. Und das können wir in der Meditation machen, das können wir im Mantrasingen machen, das können wir in den Asanas üben, das können wir in den Rückbeugen spüren, das können wir in der Natur spüren, das können wir immer wieder spüren, wenn wir im Hier und Jetzt sind. Und daraus bekommen wir dann die Freude und die Inspiration, den Alltag wieder anzugehen.

 

Es gab mal einen König und der traf einen großen Heiligen. Und in Indien ist es üblich, wenn man einen Heiligen trifft, stellt man ihm eine Frage. Der König war jetzt nicht übermäßig spirituell. So hat er überlegt, was fragt er jetzt. Dann hat er den Heiligen gefragt, der durch die ganze Welt gereist ist und vieles gesehen hat. Und von Heiligen wird auch immer angenommen, sie haben die Fähigkeit zu übernatürlichen Kräften und kennen vielleicht noch andere, die noch größere Kräfte haben. Er fragte ihn: „Oh großer Heiliger, was sind die beiden größten Weltwunder, die du gesehen hast? Du bist so viel gereist, was sind die beiden größten Weltwunder?“ Der Heilige lächelte den König an, verstand genau, was der König eigentlich wollte, sagte aber: „Oh König, das erste Weltwunder ist, jeden Tag kommen Menschen in Kontakt mit dem Tod, trotzdem lebt jeder Mensch so, als ob er ewig lebt. Das, Oh König, ist das erste große Weltwunder. Das zweitgrößte Weltwunder ist folgendes: Jeden Tag sieht jeder Mensch die anderen Menschen, dennoch denkt jeder Mensch, seine Situation ist die besonderste, die außergewöhnlichste und die schwierigste. Das, Oh König, ist das zweitgrößte Weltwunder.“


Das war also schon vor fünftausend Jahren so, so alt soll diese Geschichte sein. Und auf eine gewisse Weise, jede Situation ist ja auch die besonderste, es gibt keine, die vergleichbar ist. Und inmitten all dieser Situationen sagt Swami Sivananda hier: „Finde Zugang zu deinem höheren Selbst. Finde Zugang zu der höheren Wirklichkeit. Dann kannst du umgehen mit den Schmerzen, Krankheiten, Problemen und Schwierigkeiten, die kommen. Erinnere dich an deine göttliche Natur.“ Und das Erinnern ist nicht nur ein theoretisches Erinnern, sondern wirklich ein tiefes Erinnern. „Dann wirst du die innere Kraft erwerben, um allen Schwierigkeiten des Lebens zu begegnen. Dann wirst du nicht betroffen sein von äußeren ungesunden Einflüssen oder unangenehmen, unharmonischen Schwingungen. Regelmäßige Meditation am Morgen gibt neue Kraft und inneres Leben, dauerhafte Freude, ungetrübte Wonne. Übe dies, fühle es, trotz widriger, stürmischer Umstände. So wirst du allmählich spirituell wachsen. Du wirst die Selbstverwirklichung erfahren.“


Hari Om Tat Sat

 

 

Unbearbeitete Niederschrift eines Kurz-Vortrags mit Sukadev Bretz. Gehalten im Rahmen eines Satsangs nach der Meditation bei Yoga Vidya Bad Meinberg. Mehr Infos:

 

 

 

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