Intensiv und verhaftungslos

Om Namah Shivaya


Im Yoga finden wir oft Polaritäten, die sich scheinbar widersprechen, aber in Wahrheit sich ergänzen. Eine dieser Polaritäten ist, intensiv und verhaftungslos. Ich hatte da ja auch gestern Abend anhand einer Geschichte etwas darüber erzählt. Dies sind zwei Aspekte, die ein Yogaleben letztlich ausmachen. Es fängt schon bei den Asanas an. Wir üben die Asanas intensiv und verhaftungslos. Intensiv heißt bei den Asanas, wir üben die Asanas so gut, wie wir können, wir üben sie von ganzem Herzen, mit ganzem Bewusstsein. Asanas üben wir nicht und hören gleichzeitig die Nachrichten oder hören uns irgendetwas anderes an oder unterhalten uns gleichzeitig oder schauen fern.

Wer Yoga übt, das klingt paradox, so was überhaupt in Betracht zu ziehen. Aber wenn ihr in ein Fitnessstudio gehen würdet, das macht man typischerweise. Aber beim Yoga eben nicht. Wir üben es intensiv. Intensiv heißt also, wir üben es konzentriert, wir üben es bewusst, wir üben es mit unserem ganzen Bewusstsein und sind ganz da. Verhaftungslos bei den Asanas heißt, wir üben die Asanas ohne ein konkretes Ziel unbedingt verwirklichen zu wollen und wir üben es so gut, wie wir es heute können. Und wenn man vielleicht heute nicht ganz so weit in die Vorwärtsbeuge kommt, ist auch ok. Und wenn man vielleicht gestern irgendwann mal gestürzt ist beim Spazierengehen und deshalb den Fuß vielleicht verknackst hat, dann wird man vielleicht das Sonnengebet anders üben, nur einbeinig üben oder weglassen. Und wenn aus irgendeinem anderen Grund irgendetwas nicht geht, geht das eben nicht. Wir üben es verhaftungslos, so gut es geht. Und wenn wir in einer Yogastunde feststellen, dass unser Nachbar sehr viel weiter ist als wir, dann üben wir uns darin, dass es uns nichts ausmacht. Und wenn wir besser sind als alle Nachbarn, dann werden wir deshalb nicht mit Stolz gefüllter Brust irgendwo in die nächste Asana gehen. Wir üben es intensiv, wir lassen los.

 

Und dieses Grundprinzip, das wir bei den Asanas üben, gilt für alles andere auch. Es fängt schon damit an, wenn wir mit jemanden sprechen. Das Zwiegespräch ist intensiv, das heißt, wir sind in dem Moment, wo wir mit einem anderen Menschen sprechen, ganz bei dem Menschen. Wir hören ihn, eine Herz zu Herz Verbindung. Wir wollen herausbekommen, was ist jetzt sein Anliegen, worum geht es ihm oder ihr. Und wir gehen davon aus, ein Zwiegespräch zwischen zwei Menschen kann etwas Heiliges werden. Das heißt intensiv. Wir sind verhaftungslos im Sinne von, wir wollen jetzt nicht konkret, dass der sich genau so und so verhält, wir wollen nicht hoffen, dass wir jetzt den anderen genau dazu bringen. Gut, manchmal muss es auch zielorientierte Gespräche geben, wenn man einen gemeinsamen Urlaub z.B. planen will oder wenn man Führungskraft in einem Unternehmen ist, dann gibt es halt Unternehmensziele und die müssen halt umgesetzt werden und dazu muss man jetzt eine Zielvereinbarung mit seinem Mitarbeiter treffen und die muss auch zeitlich sein usw. Dennoch, auch hier, verhaftungslos würde heißen, wir sind gespannt, wie reagiert der Mitarbeiter dort und beziehen das mit ein. Wir versuchen, auf ihn einzugehen und uns auf ihn oder sie einzustimmen und sind bereit, die Vorgehensweise des Gespräches anders zu gestalten, je nachdem, was der oder die Mitarbeiterin dort an Anliegen hat.

 

Verhaftungslos und intensiv kann es bei so vielem sein. Wir planen einen Spaziergang. Und wenn wir spazieren gehen, intensiv heißt, wenn wir spazieren gehen, dann gehen wir auch spazieren. Das heißt, wir reflektieren nicht die ganze Zeit. Wir können auch uns vornehmen, wir gehen spazieren und reflektieren. Das ist auch eine Möglichkeit, auch das könnte man intensiv machen. Man könnte sich auch vornehmen: „Ich gehe jetzt spazieren und schaue mal, was jetzt mein Geist will oder was kommt.“ Verschiedene Möglichkeiten. Es ist deshalb im Yoga, man kann nie sagen, es ist irgendetwas für jede Situation genau das Richtige. Nur, was wir tun, wollen wir von ganzem Herzen tun. Im Fall des Spaziergangs, wir machen es, sind aber verhaftungslos. Wir haben uns darauf gefreut, schöner Sonnenspaziergang und es regnet. Verhaftungslos heißt, wir freuen uns jetzt über den Regen und genießen den Regen. Oder wir haben uns vorgenommen, wir machen einen meditativen, ruhigen Spaziergang allein, und wir sehen jemanden, der auf uns zukommt, der freudestrahlend sich zu uns hinbewegt. Verhaftungslos könnte heißen, wir lassen uns jetzt auf das Gespräch ein, was dort anliegt, und wir machen auch dies intensiv. So könnt ihr an diese beiden Worte öfter mal denken. Yogaleben heißt intensiv und Yogaleben heißt verhaftungslos. Beides zusammen.


Hari Om Tat Sat

 

Unbearbeitete Niederschrift eines Kurz-Vortrags mit Sukadev Bretz. Gehalten im Rahmen eines Satsangs nach der Meditation bei Yoga Vidya Bad Meinberg. Mehr Infos:

 

 

 

 

 

 

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