"Mehr als alles Bewahrungswürdige bewache dein Herz, denn von ihm geht das Leben aus." 4.23
 
© 2016 Kommentar: Bhajan Noam
 

„Den Garten des Paradieses betritt man nicht mit den Füßen, sondern mit dem Herzen.“ (Jüdisches Sprichwort)

 

Physikalisch, mechanisch, rein anatomisch betrachtet sind zwar Herz und Atmung die Motoren des Lebens, Salomon aber will uns mit seinem Spruch auf das spirituelle Herz als wahres Zentrum unseres Seins aufmerksam machen. Das Bewahrungswürdige ist für ihn das innerste Herz, der kostbare Sitz unserer Seele, der geheime Ort, an dem Gott tief verborgen in uns thront. Hierzu möchte ich eine kleine Geschichte aus dem Sufismus erzählen:

 

Als Gott die Welt erschuf, waren die Menschen noch alle nah bei ihm in seinen himmlischen Sphären. Aber Gott wollte, dass sie sich auf die Erde begeben, die er zur Entwicklung und Reifung für sie bestimmt hatte. „Was können wir tun, fragte der Erzengel Gabriel, damit sie nicht mehr zu uns in den Himmel gelangen?“ Gott und die Erzengel berieten sich. Der Engel Michael sagte: „Wir müssen den Himmel verschließen.“
„Aber wo lassen wir den Schlüssel?“ fragte Gabriel. Michael meinte: „Wir müssen ihn verstecken. An irgendeinem Ort, wo die Menschen ihn nicht finden können.“
Einer der Engel schlug vor: „Wir könnten den Schlüssel im Meer versenken.“ Darauf sagte Gott: „Ich kenne die Menschen. Sie werden ihn finden.“ Ein anderer Engel riet: „Dann verstecken wir ihn im Schnee der höchsten Berge.“
Doch Gott antwortete: „Sie werden ihn finden.“
Ein weiterer Engel überlegte: „Wir könnten ihn im hintersten Winkel des Weltraums verbergen.“ Gott aber sagte: „Er soll ihnen ja nicht für immer verborgen und verwehrt bleiben, sonst werden sie sich eines Tag nicht mehr bemühen.“
Da meldete sich Gabriel: „Ich hab‘s. Wir verstecken den Schlüssel im Herzen der Menschen.“
 Darauf lachte Gott: „Das lasst uns tun! Sie finden ihn leichter im Meer und auf den höchsten Bergen als in ihrem eigenen Herzen. Doch wenn sie ihn eines Tages dort entdecken, dann sollen sie ihn auch benutzen dürfen.“


 

Diese Geschichte verdeutlicht uns,  dass jeder Mensch zwei Phasen in seinem Leben durchläuft, ja, durchlaufen muss. In der ersten Phase ist all sein Denken und Tun nach außen gerichtet. Das ist ein wesentlicher Prozess beim Studium des großen Lebens. Dem jungen Menschen erscheint die Welt als grenzenlos, alles ist möglich, alles ist erreichbar, alles ist machbar, wenn man sich nur entsprechend anstrengt oder das Schicksal einem hilft. Doch irgendwann im Laufe des Lebens beginnt er, sein Erreichtes zu hinterfragen und dem Unerreichten nicht mehr nachzutrauern. Eine Mischung aus Resignation, Kompromisse schließen und heimliches Lauschen einer inneren Stimme bestimmt an dieser Schnittstelle und Wendemarke sein Leben. Bei manchen kann es zu dramatischen Einbrüchen im bisherigen Lebenslauf führen, bei anderen entwickelt es sich eher kontinuierlich und auf sanfte Weise in eine neue Richtung. Diese neue, zwingende Richtung, welche die zweite Phase des Lebens einläutet, führt unweigerlich nach innen, zeigt zurück zum Herzen, wird nun zu einer Suche nach den wahren und wesentlichen Werten. Alles äußere Suchen hat sich als sinnlos ergeben, alles Streiten, alle Kämpfe, alle Kriege waren vergeblich, alles Streben und aller Gewinn brachten keine Erfüllung, machten letztlich niemals glücklich, sondern waren voller Enttäuschungen.

 

Jetzt gilt es, nicht mit der gleichen Energie, dem gleichen Anspruch, der gleichen Intention nach innen zu gehen. Denn dann wird der Suchende dieselben Enttäuschungen erleben und am Ende verzweifeln und in Depression verfallen. Der Weg nach innen ist nicht der Weg eines Eroberers, eines Kriegers, eines Streitenden, eines Verlangenden, eines Bettelnden. Der Weg nach innen ist der Weg eines Hingebungsvollen, nach und nach immer reicher Beschenkten. Es ist ein freudvoller Weg, voller Liebe, Wachstum, Würde, Wiedererkennen und tiefer Entspannung.

 

Lao Tse sagt: „Die Welt erobern und beherrschen wollen, ich habe erlebt, dass das misslingt. Die Welt ist ein geistiges Ding, dass man nicht unterjochen darf. Wer sie knechtet, verdirbt sie, wer sie festhalten will, verliert sie.“ – Das gleiche sage ich über das Herz: Das Herz manipulieren zu wollen, mag eine Weile gelingen, doch nicht für lange Zeit. Das Herz will Freiheit, es ist kein Vogel im Käfig. Es will sich ausdrücken, es muss in ständiger Bewegung sein. Sperrst du es ein, tötest du es oder machst es zu deinem Feind. In beiden Fällen wirst du nicht glücklich. Lass dem Geliebten allen Freiraum und er wird dankbar immer wieder zu dir zurückkehren. Versuche ihn zu halten, und er wird dich für immer verlassen.

 

König Salomon sagt: Bewache die Freiheit deines Herzens und der Herzen anderer gut, denn nur von einem freien Herzen geht Leben aus. Das Herz ist kein Ding, es ist geistig, es ist spirituell. Es birgt ein tiefes Geheimnis, das du niemals öffnen, aber leben darfst. Dann ist der scheinbar einsame Weg vollbracht und alles Verlangen, alle Sehnsucht sind auf immer gestillt. 

 
- Bhajan Noam -
 
Seiten des Lebens: www.bhajan-noam.com
 
 
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