Kommentar zur Hatha Yoga Pradipika Kapitel 3, Verse 10-18
Svatmarama schreibt über die Mahamudra, die große Mudra, in den Versen 10 bis 18 und ist somit eine der am gründlichsten beschriebenen Mudras in der Hatha Yoga Pradipika. Darin kannst du die Wertschätzung sehen, die Svatmarama dieser Übung zuteilt.
Vers 10: „Atha Maha Mudra. Padamulena vamina, yonim sampidia dakshinam, prasaritam padam kritvita, karabhyam dhara yet dritam.” Drücke die linke Ferse gegen den Beckenboden, also gegen Yoni, gegen den Damm, gegen das Perineum und strecke das rechte Bein aus. Fasse mit beiden Händen den Fuß.
Bedeutung der Sanskrit Worte:
Atha (jetzt) Maha Mudra (die großartige Mudra). Padamulena (mit der Ferse) Vamina (der linken) Sampidia (drückst du) gegen Yoni (als Frau zum hinteren Teil der Scheide, als Mann gegen den Damm also zwischen Hodensack und Anus). Dakshina (das rechte Bein drückst du, streckst du aus) und prasaritam (du haltest fest) padam (den Fuß) Karabhyam (mit den beiden Händen) dharayet (du hältst den rechten Fuß) Dhritam (fest).
Vers 11: „Praktiziere den Halsverschluss und dann halte den Atem an und lenke die Energie nach oben. Das erweckt die Kundalini, die sich wie eine Schlange aufrichtet, wenn man sie mit einem Stock berührt.“
Du machst dort also Jalandhara Bandha. Wie sieht nun die gesamte Übung aus, die Svatmarama beschreibt: Du gibst die linke Ferse unter Yoni, das Perineum. Es gibt verschiedene Möglichkeiten dafür. Du kannst das linke Knie nach außen geben, in die Nähe des rechten Knies oder mit einem Kissen das Gesäß stützen. Dazu gibt es mehrere Videos von mir, in denen ich Mahamudra genauer beschreibe. Du streckst das rechte Bein aus und fasst mit beiden Händen an den Fuß, typischerweise an die Zehen und mindestens einen oder beide Daumen auf den großen Zeh. Du atmest ein und gibst das Kinn zur Brust.
Das führt dazu, dass die Kundalini erwacht. So ähnlich wie eine Schlange, die eingerollt ist und wenn man sie mit einem Stock berührt, dann richtet sie sich auch auf. Was sollte man noch machen: den Atem anhalten und die Energie (Vayu) nach oben lenken. Man setze Kantha Bandha (den Verschluss der Kehle), man halte den Atem an und richte Vayu (den Lebenshauch) Urdhvadas (nach oben) z.B. indem man Mulabandha und Uddhyana Bandha übt.
Dann sagt er: „So richtet sich sofort die Kundalini Kraft auf und dann entsteht der Zustand der Leblosigkeit.“
Rijvi Bhuta (gerade) tata (so) bhavet (wird aktiv) Kundalini Shakti. Und so entsteht auch Avastha (ein Zustand jenseits des Todes). Oder hier wird auch gesagt: dann werden die beiden feinstofflichen Energiekanäle Dvidbhuta werden wie tot. Was heißen soll, dass das Prana nicht mehr in Ida und Pingala geht.
Mahamudra führt also dazu, dass das Prana in die Sushumna geht und nach oben geht, die Kundalini erwacht und die restlichen Nadis werden wie tot d.h. das Prana tritt aus ihnen heraus.
Vers 13: „Dann soll der Yogi sehr langsam und nicht schnell ausatmen. Mahamudra wird auf diese Weise von den höchst Weisen beschrieben.“ Erst folgt also der physische Körper, danach übst du mit deinem Bewusstsein, dann merkst du etwas, das mit Kundalini geschieht, irgendwann kommt der physische Körper wieder und du musst ausatmen. Wenn du langsam ausatmest, schickst du deine Energie nach oben. Du bist dir bewusst: Dieses Mahamudra wurde von den Maha Siddhas gelehrt, die die großen Lehrer des Hatha Yoga sind. Deren Energie ist auch dahinter.
Vers 14: „Dieses Mahamudra wurde wahrlich von den großen Siddhas aufgezeigt. (Dies hat er schon in den vorigen Versen gesagt). Es zerstört die großen Kleshas und überwindet die Unausgeglichenheit der Doshas, den Tod und noch vieles mehr. Und aus diesem Grunde nennen es die besten der vollkommenen Meister wahrlich das großartige Siegel – Mahamudra.
Bedeutung der Sanskrit Worte
Die Vibuddha (die Weisen) die Uttama (die besten der Weisen) Vadanti (nennen es) Mahamudra (das große Siegel). Warum? Weil es hilft, über die Maha Kleshas (die 5 großen Leiden) hinauszuwachsen. Vielleicht erinnerst du dich an das 2. Kapitel des Yoga Sutra, wo Patanjali von den Kleshas spricht: Avidya (Unwissenheit), Asmita (Identifikation) Raga (Mögen) Dvesha (Nichtmögen) Abhinivesha (Furcht vor dem Vergehen). Diese kannst du alle durch Mahamudra überwinden. Ist die Kundalini erwacht und der Geist zur Ruhe in einer anderen Bewusstseinsebene, ist Leid verschwunden. Auch alle Ungleichheiten der Doshas und auch Marana (der Tod) spielen keine Rolle mehr. Ist dein Bewusstsein in einer anderen Ebene, dann ist alles andere überwunden. Und dies geschieht auch mit Mahamudra, das deshalb großartig genannt wird.
Vers 15: „Nachdem auf der linken Seite geübt wurde, soll der Yogi auf der rechten Seite üben. Sobald die Anzahl der Runden auf beiden Seiten gleich wird, soll der Yogi das Mudra lösen.“ Hier gibt es 2 Möglichkeiten: Du kannst entweder abwechseln – erst Mahamudra mit dem linken Bein, dann mit dem rechten oder du kannst 5 Runden linkes Bein und 5 Runden rechtes Bein machen. Eine Runde ist dabei immer Einatmen, Anhalten und Ausatmen.
Vers 16: „Da für einen Yogi nichts gesund oder ungesund ist, verzehrt er alles mit viel Geschmack oder ohne Geschmack. Er wird sogar ein schreckliches, verzehrtes Gift wie Nektar verdauen.“ Dieser Vers soll beschreiben, wenn du erst einmal dein Prana beherrscht, dann spielt der physische Körper nicht mehr die große Rolle. Im 1. und 2. Kapitel der Hatha Yoga Pradipika hat Svatmarama großen Wert daraufgelegt, dass du dich sehr sattvig ernährst. Hier sagt er dann, wenn du erst einmal dein Prana beherrscht, dann ist dies nicht mehr ganz so wichtig. Natürlich kann man diesen Vers auch anders interpretieren.
Denn es geht ja auch um Freiheit. Essen heißt nicht nur physisches Essen, sondern was hier letztlich auch steht ist Bhukta, das etwas mit Bhoga (Genuss) zu tun hat. Man könnte so sagen: letztlich kannst du, wenn du dein Prana auf eine andere Ebene bringst, alles genießen. Da gibt es manches, das ist Pathya (heilsam) und anderes, das Apathya (unheilbar) ist. Manchmal geschehen schöne Dinge, manchmal unschöne. Manchmal sind Menschen freundlich, manchmal unfreundlich. Sie loben dich, manchmal kritisieren sie dich. Manchmal hat das Leben verschiedenste Geschmacksrichtungen, dann scheint es fade zu sein.
Für einen Yogi spielt das alles keine Rolle. Ihm ist es nicht mehr wichtig, ob Menschen nett oder nicht nett sind, ob Karma leicht oder schwer ist, ob das, was du tust, faszinierend ist oder nicht. Hast du erst einmal Herrschaft über den Geist und das Prana brauchst du dich nicht mehr über äußere Dinge zu beschweren. Für dich wird alles verdaut und damit alles integriert. Du lernst von allem, egal ob es ein Visham Ghoram (schreckliches Gift) ist oder Piyusha (Nektar). All das ist auch ein Zeichen, dass du im Hatha Yoga voranschreitest.
Zu Anfang musst du sehr aufpassen und alles muss sehr sattvig sein. Aus Mitgefühl zu anderen Wesen wirst du natürlich auch weiter auf Fleisch usw. verzichten und du wirst die schlimmsten Dinge nicht essen: kein Fleisch, Fisch, Alkohol, Tabak und Bewusstseins-vernebelnde Drogen wirst du natürlich nie mehr zu dir nehmen. Aber bei anderen Dingen wird es irgendwann nicht mehr ganz so wichtig, darauf zu achten. Lerne dein Prana zu beherrschen, dann geht manches leichter. Zu Anfang deiner intensiven Hatha Yoga Praxis musst du auf deine Umgebung achten und wie und mit wem du sprichst. Nach einer Weile wird alles gehen. Du wirst Gift zu Nektar transformieren.
Vers 17: „Übst du Mahamudra dann werden Krankheiten verschwinden wie Schwindsucht, Lepra, Verstopfung, Bauch und Unterleibskrankheiten, Verdauungsstörungen usw.“ Da lobt er jetzt noch Mahamudra als ein wirksames Mittel gegen alle Arten von Erkrankungen.
Vers 18: „Man sagt, dieses Mahamudra erzeugt großartige Kräfte (Siddhi) im Menschen. Deshalb sollte es sorgfältig geheim gehalten und darf nicht an jeden weitergegeben werden.“ Svatmarama spricht Mahamudra erwecke die Kundalini, führt zum Verstummen der verschiedensten körperlichen Erkrankungen, führt zur Ruhe des Geistes, zu Samadhi. Es ist etwas, dass dir alle Siddhis gibt (übernatürlichen Kräfte). All das durch eine einfache Mudra, wo du einfach das linke Bein ausstreckst und das linke zwischen Geschlechtsorgan und Anus gibst. Es scheint als eine großartige Behauptung. Aber vergiss nicht, er erwähnt auch noch ein paar andere Sachen: Du ziehst das Prana nach oben. Das Mahamudra ist eben nicht perfektioniert, wenn du deinen Körper perfektioniert hast. Letztlich damit Mahamudra funktioniert musst du dein Prana schon so unter Kontrolle haben, dass du es tatsächlich hochziehen kannst. Du machst die körperliche Bewegung und dann ziehst du das Prana durch die Sushumna nach oben. Dann erwacht die Kundalini und dann hast du all diese großartigen Wirkungen. Probier es aus.
Mehr Informationen über Mahamudra und wie du es genau ausführen kannst, findest du auf unseren Internetseiten www.yoga-vidya.de. Du lernst genaueres über Mahamudra und seine Variationen, wenn du zu unseren Kundalini Intensivseminaren kommst oder die Yoga Vidya Yogalehrer Ausbildung besuchst.
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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.
Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.
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