1. Vers

मलाकलासु नाडीषु मारुतो नैव मध्यगः
कथं स्याद् उन्मनीभावः कार्यसिद्धिः कथं भवेत् ॥४॥

malākulāsu nāḍīṣu māruto naiva madhya-gaḥ… kathaṁ syād unmanī-bhāvaḥ kārya-siddhiḥ kathaṁ bhavet

mala : (mit) Verunreinigungen; ākulāsu : angefüllt sind; nāḍīṣu : (wenn die feinstofflichen Energie-)Kanäle; mārutaḥ : (der Lebens-)Atem, Prana (“Wind”); na : nicht; eva : gewiss; madhya-gaḥ* : geht (durch den) mittleren (Kanal); kathaṁ : wie; syāt : sollte (dann möglich) sein; unmanī-bhāvaḥ : (der) Zustand; jenseits des Geistes; kārya : (der) Absicht, (des) Zwecks; siddhiḥ** : (der) Erfolg, (das) Gelingen, Erreichen; kathaṁ : wie ; bhavet : sollte (dann möglich) sein (bhū)

Wenn die Energiekanäle verunreinigt sind kann die Lebensenergie (Prana) nicht durch den Haupt-Kanal (Sushumna) strömen. | Wie wird der Zustand der Erleuchtung (Unmani) sich einstellen, und wie stellen sich übernatürliche Kräfte (Siddhi) ein?

 

*Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass Prana „durch die Mitte geht“ (Madhya-ga), wenn er durch den Sushumna genannten Kanal („Weg“, Marga) fließt (vāhī): prāṇo madhya-gaḥ suṣumnā-mārga-vāhī.

**Anmerkung: Der letzte Zweck (Karya) des Hatha Yoga besteht laut Brahmananda „in Form“ (Rupa) der absoluten Freiheit (Kaivalya), dessen Erfolg (Siddhi) besteht in deren Vervollkommnung (Nishpatti): karyasya kaivalya-rūpasya siddhir niṣpattiḥ.

 

Svatmarama schreibt im 4. Vers des 2. Kapitels der Hatha Yoga Pradipika:

Wenn die Nadis, die Energiekanäle, voll von Verunreinigungen sind, dann geht das Prana nicht in die mittlere Nadi, die Sushumna. Dann gibt es kein Erlangen des Ziels des Lebens und kein Erreichen von Unmaniarvasta. Normalerweise sind die Nadis der Menschen verunreinigt, und zwar aus mehreren Gründen: Zum einen hat der Mensch mehr als 72.000 Nadis als Potenzial mitbekommen. Die meisten allerdings, haben sich noch nicht geöffnet. Der Mensch ist ein Wesen in Entwicklung. Es braucht letztlich einige Inkarnationen um die Nadis zu öffnen.

 

Nadis als Energieleitungen

Ich kann mich erinnern als wir unseren ersten Ashram bei Yoga Vidya errichtet haben. Die Elektrizität in einem Yogaraum musste gelegt werden. Ich was der Ansicht, dass wir dort nicht so viele Leitungen brauchen. Doch die Elektriker wollten die Leitungen erst einmal legen, auch wenn man sie nicht unter Strom stellt. Man könnte auf diese bereits gelegten Leitungen einmal zurückgreifen, war ihre Aussage.  Dies war eine kluge Entscheidung, auf den Rat der Elektriker zu hören. Wir brauchten die Leitungen dann doch im Laufe der Jahre.

Ähnlich ist es mit unseren Energiekanälen. Der Mensch hat 72.000 Energieleitungen im Körper gelegt. Die meisten braucht er noch nicht, aber sie sind da. Es gilt diese schrittweise zu reinigen. Das ist die Aufgabe der Atemübungen. Das Pranayama dient zur Reinigung der Nadis, der Energiekanäle im menschlichen Körper.

 

Gründe zur Verunreinigung der Nadis

Selbst wenn die Nadis einmal gereinigt sind, verunreinigt der Mensch sie manchmal wieder. Zum einen beeinflusst die Nadis, was der Mensch stofflich zu sich nimmt. Zum anderen sind es energetische Einflüsse, sowie die eigenen Gedanken und Emotionen, welche zur Verunreinigung führen können.

  1. Es ist wichtig, was du zu dir nimmst. Eine sattwige Ernährung ist von Vorteil. Fleisch, Fisch, Tabak, Alkohol und auch bewusstseinsverändernde Substanzen haben alle gemeinsam, dass sie die Nadis verunreinigen. Das sollte man nicht unterschätzen. Manche Menschen denken, ein Glas Rotwein zu trinken, kann nicht schädlich sein. Physisch gesehen ist es vielleicht nicht so schlimm. Eine Verunreinigung der Nadis tritt auf jeden Fall ein. Dies kann langfristig wirken. Deshalb verzichte auf diese Dinge. Sie sind es nicht wert. Mit deinem Energiesystem geschieht etwas, was eine viel größere Wirkung hat. Deshalb verzichte vollständig darauf. Lasse alle tamassigen und rajassigen Nahrungselemente weg. Somit verunreinigst du die Nadis nicht.
  2. Der energetische Einfluss von bestimmten Atmosphären hat Einfluss auf die Nadis. Wenn du dich im Supermarkt in der Nähe einer Fleischtheke befindest oder dich sogar in einer Schlachterei aufhältst, hat dies Einfluss auf deine Nadis. Vermeide lieber solche Situationen.

Es gilt vorsichtig zu sein, wenn du in einer Umgebung bist, wo Einfluss auf deine Energiekanäle genommen wird. Danach sorge dafür, dass du dich zügig wieder reinigst. Manche Menschen berichten, dass Elektrosmog und Funkstrahlen Einfluss auf ihren Energiekörper haben. In diesem Fall sollten Maßnahmen ergriffen werden, die zu einer Änderung beitragen. Es gilt alles daran zu setzen, dass man so wenig diesem ausgesetzt ist. Eine Verunreinigung der Nadis sollte entgegen gestrebt werden.

Es gibt einige Punkte auf die man energiemäßig aufpassen sollte. In der Umgebung, wo man Pranayama macht, sollte sich nichts dergleichen in der Nähe befinden. An dieser Stelle ist es angebracht Mantras zu wiederholen, Arati oder Verehrungsrituale auszuführen. Das Mantrasingen und die Rituale sorgen für eine positive Energie und erhöhen das Prana.

Besonders stark wirken auch die Emotionen. Ein Wutanfall führt zur Verunreinigung der Nadis. Das selbe trifft auf traumatische Erfahrungen aus der Kindheit oder Jugend zu. Vergangene schlechte Geschehnisse können sich als Unreinheiten auf die Nadis setzen. Genauso wirken innere Blockaden. Glaubenssätze wie „Ich kann das nicht“ oder „Das geht nicht“, „Alles was ich anfange geht schief“ oder „Keiner mag mich“, können die Nadis ebenfalls verunreinigen.

Zu Anfang deiner Pranayamapraxis können Reinigungserfahrungen in Erscheinung treten. Es kann sich dabei um Erfahrungen handeln, die nicht nur angenehm sind. Wenn die Nadis gereinigt werden, kommen manche Emotionen nach oben. Es kann sein, dass du plötzlich wieder dieses Gefühl der unendlichen Einsamkeit spürst, dass du vielleicht in deiner Kindheit hattest, als du von deinen Eltern einige Stunden allein gelassen wurdest und du nicht wusstest, ob sie wieder zurückkommen. Vielleicht wurdest du in deiner Kindheit operiert. Beim Aufwachen aus der Narkose im Krankenhaus hast du vielleicht die Erfahrung gemacht, dass niemand von deinen anvertrauten Menschen anwesend war. Solche Erlebnisse können manchmal zu traumatischen Erfahrungen führen. Missbrauch oder Misshandlung können sich als Blockaden manifestieren. All diese negativen Erfahrungen können durch Pranayama aufgelöst werden. Du brauchst keine Angst zu verspüren, dass dies schlimm werden kann. Das Gegenteil ist eher der Fall. Pranayama ist eine der einfachsten Weisen, um diese Blockaden zu lösen.

 

Warum Nadis gereinigt werden müssen

Es gilt die Nadis zu reinigen. Das Ziel besteht in der Öffnung des Hauptkanals. Die Sushumna soll geöffnet werden. Besteht eine Öffnung, kann Unmaniavasta, der Zustand der Erleuchtung eintreten. Unmani ist der Zustand jenseits des Geistes.

Die Hatha Yoga Pradipika hat viele verschiedene Formulierungen für Überbewusstsein. Sie spricht an manchen Stellen über Samadhi, an anderen von Unmaniavasta. Zudem wird der Ausdruck Unmanibhava verwendet. All diese Begrifflichkeiten beziehen sich auf den Zustand jenseits des Geistes zum überbewussten Zustand.

 

  1. Vers

शुद्धिमेति यदा सर्वं नाडीचक्रं मलाकुलम्
तदैव जायते योगी प्राणसङ्ग्रहणे क्षमः ॥५॥

śuddhim eti yadā sarvaṁ nāḍī-cakraṁ malākulam… tadaiva jāyate yogī prāṇa-saṅgrahaṇe kṣama

śuddhim : Reinheit, Reinigung; eti : erreicht („geht“); yadā : wenn; sarvaṁ : (die) ganze, vollständige; nāḍī : (der feinstofflichen Energie-)Kanäle; cakraṁ* : Menge, Gesamtheit („Kreis“); mala : (mit) Verunreinigungen; ākulam : (die) angefüllt ist; tadā : dann; eva : erst, nur; jāyate : wird; yogī : (der) Yogi; prāṇa : (der) Lebensenergie, (des); saṅgrahaṇe : zum Ansammeln, Beisichhalten, Lenken; kṣamaḥ : befähigt, geeignet

Wenn Reinigung der verschmutzten Energie-Kanäle (Nadi) und -Zentren (Chakra) erreicht ist, | erst dann erringt der Yogi die Fähigkeit die Lebensenergie (Prana) zu bewahren.

 

*Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass Chakra („Kreis“) hier die Gesamtheit (Samuha) der Nadis meint: nāḍīnāṃ cakraṃ samūhaḥ.

Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 86 behandelt.

 

Svatmarama schreibt im 5. Vers des 2. Kapitels der Hatha Yoga Pradipika:

Es gilt die Nadis, die von Unreinheiten, Malas, angefüllt sind, zu öffnen. Dann kann Maruta, der Lebensatem, Prana, der Wind, durch Matyaga, gehen: durch den mittleren Kanal, Sushumna. 

Anschließend kommt Siddhi, der Erfolg von Karya und des Zwecks von allen Yogaübungen, nämlich Unmanibhava. Nur wenn alle Nadis von Unreinheiten befreit sind kann der Yogi erfolgreich Pranayama ausführen.

Es gilt Shuddi zu erreichen. Dies sollte vollständig, sarava sein. Nadis und Chakras müssen von allen Verunreinigungen befreit werden. Sie sind mit einer Menge von Verunreinigungen angefüllt. Diese Unreinheiten gilt es zu reinigen. Tadda, erst dann kann der Yogi Yayate, den Sieg über Prana bekommen.

 

Was kann der Yogi mit den Energien machen?

Sangrhane bedeutet: Er kann diese ansammeln und lenken. Mit anderen Worten, du musst die Nadis reinigen, dann kannst du gut Pranayama üben, Prana ansammeln, ausstrahlen und lenken. Reinige deine Nadis und reinige deine Energiekanäle. Eine Reinigung erfolgt dadurch, dass du nichts machst, was sie wieder verunreinigt. Vermeide Nahrungsmittel und Emotionen, die deine Nadis verunreinigen.

Zum Zweiten sollten Dinge gemacht werden, die deine Nadis reinigen. Dazu können Asanas, Pranayama und Mantras zum Einsatz kommen. Puja, Homa und Arati, Kirtansingen und verschiedene Meditationstechniken gehören weiterhin dazu. Die Wechselatmung reinigt die Nadis in besonderem Maße. Die Wechselatmung heißt Anuloma Viloma. Zugleich wird sie mit Nadi Shodana definiert, als eine Reinigungsübung für die Nadis.

Du kannst dir folgende Fragen stellen:

Hast du ein sattwiges Leben?

Ist dein Leben so ausgerichtet, dass du deine Nadis reinigst?

Überprüfe das immer wieder und sei nicht nachlässig. Das ist ein Ratschlag, den ich gerne gebe. Aspiranten sind oft zu nachlässig und sagen man sollte es nicht so eng sehen. Gerade diese Einstellung verfehlt ein Voranschreiten. Sei klar in dem Ausrichten deines Lebens auf sattwa und bewusst in deinen spirituellen Praktiken. Schrittweise reinigst du damit die Nadis. Dies erfordert ein tägliches Üben. Es ist wichtig, bei einer sattwigen Ernährung und einem sattwigen Lebensstil zu bleiben, mit Asana, Pranayama und Meditation. So machst du gute Fortschritte.

 

 

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

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