- Welche Wirkung hat Pranayama?
- Warum sollte man Pranayama praktizieren?
- Was kann man sich erhoffen, wenn man die Atemübungen des Yoga übt?
- Vers
चले वाते चलं चित्तं निश्चले निश्चलं भवेत् ।
योगी स्थाणुत्वमाप्नोति ततो वायुं निरोधयेत् ॥२॥
cale vāte calaṁ cittaṁ niścale niścalaṁ bhavet… yogī sthāṇutvam āpnoti tato vāyuṁ nirodhayet
cale : unstet, beweglich; vāte : (ist der) Atem, Prana („Wind“); calaṁ : unstet, beweglich; cittaṁ : (ist auch der) Geist; niścale : (der Atem) unbeweglich; niścalaṁ : (auch der Geist) unbeweglich; bhavet : ist, wird; yogī : (ein) Yogi; sthāṇu-tvam : Bewegungslosigkeit (das „wie-ein-Pfosten-Sein“); āpnoti : erreicht; tataḥ : daher, deshalb; vāyuṁ : (den) Atem, Prana („Wind“); nirodhayet : man soll anhalten („einsperren“, ni + rudh)
Solange sich der Atem bewegt, so lange ist auch alles wandelbare des Menschen (Chitta) unstet. Ruht das eine, kommt auch das andere zur Ruhe | und der Yogi findet innere Harmonie. Daher soll der Yogi den Atem anhalten.
Anmerkung: Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 32 behandelt.
Svatmarama schreibt:
Wenn der Atem wandert und unregelmäßig ist, ist auch der Geist unruhig. Aber wenn der Atem ruhig ist, so ist es auch der Geist und der Yogi lebt lange. Daher sollte man den Atem beherrschen.
Erläuterung
Das Wort Vata hat mehrere Bedeutungen. Es heißt Wind, Atem und Prana. Wenn der Atem unruhig ist (Chala), dann ist auch Chitta unruhig (der Geist). Wenn der Atem aber Nishchala ist (ruhig), dann ist auch der Geist Nishchala. Daher ist es wichtig, dass man die Bewegungslosigkeit erreicht (Sthanutva apnoti). Es gilt, zuerst das Prana ganz zur Ruhe zu bringen. Dies führt dazu, dass man zu einer großen Ruhe des Geistes kommt. Der Yogi findet innere Harmonie und Ruhe (manchmal wird dies übersetzt mit „lebt lange“), wenn er den Atem zur Ruhe bringt.
- Welche Wirkung hat Pranayama?
Der 2. Vers ist ein Grundvers zum Pranayama, der beschreibt, dass Atem und Geist eng zusammen hängen.
Feststellen lässt sich dies z.B. an folgenden Situationen:
- Wenn du aufgeregt bist, wird dein Atem unruhig.
- Wenn du verärgert bist, wird der Atem vielleicht tiefer und unruhig.
- Wenn du deprimiert bist, ist dein Atem kaum bemerkbar.
- Wenn du ängstlich bist, ist der Bauch verspannt und du atmest nur im oberen Brustbereich.
- Wenn es dir gut geht und du dich in Harmonie und frei fühlst, atmest du tief im Bauch ein und aus.
Somit kannst du über den Bauch und die Bauchatmung großen Einfluss auf den Atem nehmen.
Es gibt z.B. den Lampenfieber-Transformationsatem, den Ärger-Transformationsatem und verschiedene einfache Aufladeübungen. Mit einfachen Atemübungen beeinflusst du dein Prana, deine Lebensenergie. Indem du die Lebensenergien beeinflusst, wird dein Geist und damit das Denken beeinflusst.
- Pranayama und Samadhi
Svatmarama geht in diesem Vers noch weiter darüber hinaus. Es geht nicht nur darum, über Atemübungen eine positive Wirkung auf den Geist auszuüben. Das Ziel ist, über die vollständige Kontrolle des Atems und des Pranas, den Geist zu kontrollieren und damit ins Überbewusstsein, in Samadhi, zu gelangen. Eine der besten Methoden, den Geist zur Konzentration zu führen und besser meditieren zu können, ist Pranayama.
Jeder, der seinen Geist besser meditieren lassen möchte, ihn in tiefe Meditation führen will und zu höheren Bewusstseinsebenen kommen möchte, der sollte viel Pranayama üben. Mit dem Praktizieren von Pranayama kann das Ziel schneller erreicht werden. Ich habe eigene Erfahrungen mit 18 Jahren erleben dürfen, wie mir Pranayama zu tiefer Meditation und Ruhe des Geistes verholfen hat.
- Vers
यावद्वायुः स्थितो देहे तावज्जीवनमुच्यते ।
मरणं तस्य निष्क्रान्तिस्ततो वायुं निरोधयेत् ॥३॥
yāvad vāyuḥ sthito dehe tāvaj jīvanam ucyate… maraṇaṁ tasya niṣkrāntis tato vāyuṁ nirodhayet
yāvat : solange wie; vāyuḥ : (der Lebens-)Atem, Prana (“Wind”); sthitaḥ : sich befindet; dehe : im Körper; tāvat : solange; jīvanam* : Leben; ucyate : (das) wird genannt; maraṇaṁ : Sterben, Tod; tasya : dieses (Lebensatems); niṣkrāntiḥ : (das) Hinausgehen, Weichen, Verschwinden; tataḥ : daher, deshalb; vāyuṁ : (den) Atem („Wind“); nirodhayet : man soll anhalten (“einsperren”, ni + rudh)
So lange der Atem im Körper bleibt, so lange wird es Leben genannt | Tod ist das Verlassen von diesem. Daher soll der Atem angehalten werden.
*Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda definiert das „Leben“ (Jivana) als die Verbindung (Samyoga) von Körper (Deha) und Lebensatem (Prana): deha-prāṇa-saṃyogasya. Das Hinausgehen (Nishkranti) von Prana aus dem Körper, also die Trennung (Viyoga) dieser beiden, wird „Sterben“ (Marana) genannt (ucyate): tasya prāṇasya niṣkrāntir dehād viyogo maraṇam ucyate.
Man sagt von einem Menschen, dass er nur so lange lebt, als er Atem in seinem Körper hat. Wenn der Atem ausgeht, sagt man, dass er tot ist. Daher sollte man Pranayama praktizieren.
Warum sollte man Pranayama praktizieren?
Mein Lehrer hat ausgehend von dieser Fragestellung einen Witz gemacht: „Ich garantiere euch, solange ihr atmet, werdet ihr leben. Hört auf zu atmen, dann werdet ihr nicht mehr leben, deshalb atmet weiter“, war seine Aussage. Es gibt keinen Menschen, der tot ist und weiter atmet. Moderne Beatmungsgeräte bilden eine Ausnahme.
Solange der Atem im Körper ist, nennt sich das Leben. Hier wird der Begriff Vayu benutzt, der auch Wind bedeutet, aber insbesondere ist das Prana gemeint. Solange Prana, Lebensenergie, im Körper ist, atmet man und solange befindet sich Jivan, ein Leben, im Menschen. Beim Verlassen dieses Lebensatems vom Körper, entsteht Marana, Sterben. Der Tod (Marata) tritt darauf ein. Daher bedeutet tata (von daher, an der Stelle, darauf) in der Übersetzung. Daher (Tata) sollte man den Atem anhalten bzw. kontrollieren (nirodhayet).
Pranayama, Gesundheit und ein langes Leben
Diesen Vers kann man auf verschiedene Weisen deuten. Eine Aussage ist:
Übe viel Pranayama, dann lebst du länger.
Wenn du viel Prana hast, ist der Körper gesund und hat langfristig mehr Energie, um gesund zu bleiben.
Von manchen Yogis, die viel Pranayama geübt haben, ist bekannt, dass sie sehr alt geworden sind. Es gibt die Aussage, dass manche indischen Hathayogis mehrere hundert Jahre alt geworden sein sollten. Da sie die ganze Zeit im Wald leben, ist es mit dem Geburtszertifikat schwierig. Sie sagen, sie haben mit Leuten von vor 200 oder 300 Jahren gesprochen. Wir wissen nicht, ob es stimmt oder nicht. In unserer modernen Zeit sind einige großen Hathayogis bekannt, die über 100 Jahre alt geworden sind. Bis kurz vor ihrem Tod verfügten sie noch über eine sehr starke Energie.
Die Kernaussage dieses Verses ist: Pranayamaübungen helfen, das Prana zu erhöhen. Dies ist förderlich für die Gesundheit des Körpers.
Pranayama und Lebendigkeit
Was kann man sich erhoffen, wenn man die Atemübungen des Yoga übt?
Von Wichtigkeit zu wissen ist, dass Jivana nicht nur Leben heißt. Mit Jivana ist auch die Lebendigkeit gemeint. „Es ist nicht nur wichtig, wie alt jemand ist, sondern wie viel Leben in einem Menschen ist.“
Es gibt einige weitere große Meister, die zu bewundern sind. Mein Lehrer strahlte mit über 90 Jahren noch extrem viel Lebensenergie aus. Swami Chidananda und Swami Nithyananda waren ebenfalls voller Lebensenergie bis ins hohe Alter hin. In ihrer Gegenwart zu sein, war Inspiration. Ohne über ihre plötzliche Anwesenheit bei einer Meditation Bescheid zu wissen, spürte man sie. Dadurch kam man ganz von selbst in eine höhere Meditationsebene. Wenn man später die Augen öffnete, saß der Swami da, gebrechlich, aber strahlend, leuchtend und voll mit Prana angefüllt.
Um mehr Lebendigkeit, mehr Leben und Prana zu haben, übe Pranayama.
Pranayama in jedem Lebensalter
Pranayama ist hilfreich, wenn du jung bist und genauso förderlich, wenn du älter bist. Es gibt die Aussage, dass wer in seinen 50er Jahren viel Pranayama übt, sich auf seine 60er, 70er und 80er Jahre freuen kann. Meist fällt es den Menschen leichter, viel Pranayama zu üben, wenn sie in ihren 20er Jahren sind. Der Enthusiasmus der Jugend macht es leichter. Das lange Sitzen im Meditationssitz, im Kniesitz oder in einer anderen Sitzhaltung wird im fortgeschrittenem Alter nicht gerade einfacher in der Ausführung. Es kann belastend für die Knie, die Hüften und den Rücken sein. In jungen Jahren sind diese Beschwerden leichter zu ertragen. Hilfsmittel können in diesem Fall zum Einsatz kommen. Kissen, einem Meditationshocker, einem Stuhl oder weitere erleichternde Maßnahmen können Abhilfe verschaffen, um Pranayama im späteren Alter leichter zu üben.
Die Tradition sagt, gerade Menschen in ihren 50ern und 60ern sollten besonders regelmäßig Pranayama üben. Es rentiert sich und zur Überwindung ist diesen Menschen zu raten. Man sollte jeden Tag mindestens 45 Minuten üben. Eine halbe Stunde ist auch schon gut. Dazu sollte man 1 bis 2 Mal im Jahr 3 Wochen intensiv Pranayama üben. Befolgt man diese Ratschläge, kann man sich auf die 60er, 70er und 80er Jahre freuen, da diese Zeiten sein werden, mit viel Prana. Menschen, die sich jetzt schon in den 70er Jahren befinden, können durch Pranayamaübungen natürlich ihr Prana deutlich erhöhen.
Wenn du inspiriert bist, übe 3 Runden Kapalabhati und 20 Minuten Wechselatmung und erhöhe dadurch dein Prana.
Bei Yoga Vidya gibt es Kundalini-Yoga-Seminare, die vor allem auf Pranayama ausgerichtet sind.
______
Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.
Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.
Kommentare