YVS409 Wie wird man ein Siddha? - HYP I 58-59

  1. Vers

आसनं कुम्भकं चित्रं मुद्राख्यं करणं तथा
अथ नादानुसन्धानम् अभ्यासानुक्रमो हठे ॥५८॥

āsanaṁ kumbhakaṁ citraṁ mudrākhyaṁ karaṇaṁ tathā… atha nādānusandhānam abhyāsānukramo haṭhe

āsanaṁ : Körperstellung(en); kumbhakaṁ : Atemverhaltung(en); citraṁ : (die) verschieden(en); mudrā : Mudra  („Siegel“); ākhyaṁ : genannt, mit Namen; karaṇaṁ : (die) Stellung(en); tathā : und, ebenso, desgleichen; atha : und, auch; nāda : (auf den inneren, „unangeschlagenen“) Klang, Ton; anusandhānam : (das) Richten der Aufmerksamkeit, Konzentration; abhyāsa : (der) Übung(en), Praxis; anukramaḥ : (so lautet die) Reihenfolge, Abfolge; haṭhe : im Hatha(-Yoga)

Asana, Variationen von Kumbhaka [und] Übung von Mudra [heißen] diese Techniken. | Dann kommt Konzentration auf den Klang. Das [ist] die Abfolge der Praxis im Hatha-Yoga.

 

  1. Vers

ब्रह्मचारी मिताहारी त्यागी योगपरायणः
अब्दादूर्ध्वं भवेत्सिद्धो नात्र कार्या विचारणा ॥५९॥

brahmachari mitahari tyagi yoga parayanah… abdad urdhvam bhavet siddho natra karya vicharana

brahma-cārī : (einer, der) Enthaltsamkeit pflegt („im Brahman wandelt“); mita-āhārī : (wer) maßvoll isst (“wessen Nahrung maßvoll ist”); tyāgī* : (der) Entsagung, Verzicht (übt), freigebig ist; yoga : (der) Yoga (ist); para-ayaṇaḥ : (dessen) höchstes Ziel, Hauptzweck; abdāt : (einem) Jahr; ūrdhvaṁ : nach; bhavet : er wird, ist; siddhaḥ : (ein) Vollkommener; na : nicht; atra : hierüber; kāryā : ist angebracht („ist zu tun“); vicāraṇā : (ein) Zweifeln („Bedenken“)

Jemand der im Bewusstsein des Absoluten wandelt (Brahma-Chari), sich nach dem rechten Maß ernährt (Mitahari), zurückgezogen lebt (Tyagi) und sich dem Yoga ganz hingegeben hat, | der wird nach einem Jahr ein erleuchtetes Wesen (Siddhi). [Darüber gibt es] keinen Grund für Zweifel.

 

*Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda gibt die folgenden beiden Bedeutungen von Tyagin an: ein „Entsagender“ (tyāgī) ist einer, der freigebig ist – „dessen Gewohnheit (Shila) das Geben (Dana) ist“ – oder (vā) einer, der (die Anhaftung an alle) Sinnesobjekte (Vishaya) aufgegeben hat (tyāgī dāna-śīlo viṣaya-parityāgī vā).

Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 73 behandelt.

 

Wie sollte man Asanas üben und wie lange sollte die Asanapraxis andauern?

Svatmarama schreibt: Der Yogi sollte unermüdlich diese Asanas praktizieren, bis er keine Schmerzen und keine Erschöpfung mehr fühlt.

Darauf gibt er folgende Antworten: Der Yogi sollte üben, bis keine Schmerzen und keine Erschöpfung mehr zu spüren sind.

Eine andere Übersetzung dieses Verses ist: Auf diese Weise sollten die Besten der Yogis ihre Müdigkeit durch die Praxis von Asanas und Bandha besänftigen.

 

Wozu dienen die Asanas laut Svatmarama?

Mit Asanas können wir zum einen Krankheiten und Schmerzen überwinden und zum anderen Müdigkeit entgegenwirken. Tatsächlich üben die meisten Menschen auf der Welt Asanas aus eigentlich drei Gründen.

  1. Um körperliche Probleme zu beseitigen üben Menschen Asanas. Es gibt zahlreiche empirische Studien, die zeigen, Hatha Yoga hilft gegen Bluthochdruck, Rückenprobleme, Gelenkprobleme, Schmerzempfindlichkeit und viele weitere Erkrankungen.

Auf unseren Internetseiten kannst du weitere Informationen unter diesem Gesichtspunkt finden, wenn du  bei „wissenschaftlichen Studien und Yoga“ nachschaust. Da sind hunderte von Studien, die zeigen, dass Yoga sehr gut gegen körperliche Beschwerden ist. Yoga hilft gegen alle Arten von körperlichen Beschwerden.

  1. Ein weitere Grund, weshalb Menschen Hatha Yoga üben ist, um mehr Energie zu spüren. Wenn du nicht genügend Energie hast, übe die Asanas. Die Asanas geben neue Energie. Somit entsteht eine neue Positivität des Geistes.
  2. Menschen üben Asanas um eine Gelassenheit des Geistes zu erfahren und zur Konzentration. Auf diesen Aspekt geht Svatmarama an einer anderen Stelle ein.

Man sollte Asanas üben, um weniger Krankheiten, weniger Schmerzen und mehr Energie zu haben. Asanas können eine große Hilfestellung dabei sein.

Dann sagt er: Der Yogi sollte seine Nadis mit der Durchführung von Pranayama reinigen. Zudem sollten Mudras und Kumbhakas verschiedenster Art praktizieren werden.

Hier beschreibt Svatmarama das Vorgehen, wenn wir Hatha Yoga als Hauptübungsweg nehmen. Zunächst spielen die Asanas eine Rolle, um körperliche Beschwerden zu beseitigen. Weiterhin wird Müdigkeit aufgehoben und Tamas wird überwunden.

Shrama steht in diesem Vers für Müdigkeit. Shrama hat verschiedene Bedeutungen. In diesem Fall heißt es hier: Ermüdung und Erschöpfung.

Im weiteren Sinn kann man sagen: alles Tamassige, Träge und auch die Depressivität kann überwunden werden mit Asanas.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der darauf folgen muss ist das Voranschreiten. Es ist wichtig weiter zu gehen. Im Hatha Yoga geht es nicht nur um Asanas. Ein ständiges Vorwärtsgehen gehört auch dazu.

Svatmarama geht darauf direkt nach den Asanas ein. Er will mit dieser Aussage nicht bis zum zweiten Kapitel warten, wo die Pranayamas ausführlicher beschrieben werden, um zu vermeiden, dass Menschen sich nur auf Asanas beschränken.

Er sagt, wir sollten im Anschluss Pranayama üben, Atemübungen machen.

Pranayama bedeutet insbesondere das Üben von Kumbhaka. Kumbhaka heißt wörtlich „Luft anhalten“. Für die Pranayamas ist das Luft anhalten von besonderer Wichtigkeit.

Dann gibt es die Mudras, die helfen, um Prana zu lenken. Das dritte Kapitel beschäftigt sich hauptsächlich  mit dem Thema der Mudras.

Im Grunde genommen kann man sagen, diese Verse beschreiben, welchen Inhalt der Leser in den folgenden Kapitel erwartet. Es wird die Fortsetzung beschrieben, wie es weiter geht in den nächsten Kapiteln.

Das zweite Kapitel beschreibt Pranayama, das dritte die Mudras. Als Nächstes folgt in einem Lehrgang des Yoga die Konzentration auf Nada, die Klänge. Wenn man Hatha Yoga übt, werden erst Asanas geübt, dann kommt Pranayama und es folgt die Meditation.

Er schreibt hier: Jetzt geht es um die verschiedenen Konzentrationsformen. Er sagt, man soll sich auf „nādānusandhāna“ konzentrieren. Es ist die Konzentration auf den inneren Klang. Man könnte davon ausgehen, dass die Meditationstechniken nun in der Folge zum Tragen kommen. Diese werden aber im vierten Kapitel beschrieben.

Svatmarama schreibt weiter: „Der Brahmachari, der im Führen eines keuchen Lebens und Einhalten der maßvollen Ernährung, diesen Yoga praktiziert und die Früchte seiner Taten zurückweist, wird in wenig mehr als einem Jahr ein Siddha, ein Vollkommener. Darüber gibt es keinen Zweifel.“

Zunächst hat er erst über Asana, Pranayama und Meditation geschrieben. Nun kommt der Brahmachari hinzu. Brahmachari kann mehrere Bedeutungen haben:

  1. Brahmachari heißt zum einen wörtlich, derjenige der wandelt (achari), in Brahman. Brahmachari, derjenige der in Brahman wandelt oder derjenige, der sein ganzes Leben der Erfahrung des Göttlichen widmet.
  2. Brahmachari wird auch übersetzt als der Enthaltsame. Manchmal wird der sexuell Enthaltsame darin verstanden.

Nach Brahmachari kommt Mitahari. Das ist derjenige, dessen Nahrung gemäßigt ist. Zum Hatha Yoga gehören besondere Ernährungsregeln.

Als nächstes folgt der Tyagi.  Tyagi: „der die Früchte seiner Handlungen zurückweist“. Hier könnte man sagen, dass man ein entsagtes Leben führt. Dies könnte ebenfalls die Aussage von Svatmarama sein.

Wenn du Vollkommenheit erreichen willst , sei regelmäßig im Üben von Asanas, Pranayama und Meditation. Richte dein Leben auf Brahman aus, folge einer yogischen Ernährung und löse dich von allen Wünschen, übe Vairagya (Verhaftungslosigkeit). 

Dann sagt er: „Yoga parayana“. Mache Yoga zu deinem höchsten Ziel. Widme dich hingebend deinem Ziel mit ganzem Eifer. Du musst Yoga zu deinem höchsten Ziel machen, wenn du die Erleuchtung erlangen willst. Es reicht nicht aus sein Hauptziel auf Familie, Partnerschaft und vielleicht Erfolg im Beruf, einen schönen Garten und gute Rente zu beschränken. 

Dein Hauptziel sollte darin bestehen Yoga zu praktizieren und damit die Einheit.

Manchmal wird dies nur übersetzt: „Der, der dem Yoga ganz hingegeben ist oder der, der Yoga praktiziert.“ Dann sagt er, dann wird man nach einem Jahr oder wenig mehr als einem Jahr zu einem Siddha, zu einem Vollkommenen. Damit ist die Vollkommenheit zu erreichen. 

Weil dieser Ausdruck gebraucht wird, bestehen Zweifel. Er sagt dazu: „natra karya vicharana“: darüber gibt es überhaupt keinen Zweifel und kein Bedenken. Die Kernaussage ist, dein Leben mit Asanas, Pranayama und Meditation zu beinhalten. Richte dein Leben auf Brahman aus, achte auf deine Ernährung, löse dich von allen Verhaftungen, übe Entsagung und du wirst zum Vollkommenen.

 

______

Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

E-Mail an mich, wenn Personen einen Kommentar hinterlassen –

Sie müssen Mitglied von Yoga Vidya Community - Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda sein, um Kommentare hinzuzufügen.

Bei Yoga Vidya Community - Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda dabei sein