1. Vers

अथ सिंहासनम्
गुल्फौ वृषणस्याधः सीवन्याः पार्श्वयोः क्षिपेत्
दक्षिणे सव्यगुल्फं तु दक्षगुल्फं तु सव्यके ॥५२॥

atha siṁhāsanam-
gulphau ca vṛṣaṇasyādhaḥ sīvanyāḥ pārśvayoḥ kṣipet… dakṣiṇe savya-gulphaṁ tu dakṣa-gulphaṁ tu savyak

atha : nun (folgt); siṁha-āsanam : (die) Löwenstellung; gulphau : beide Knöchel; ca : und, aber; vṛṣaṇasya : (des) Hodensack(s); adhaḥ : unterhalb; sīvanyāḥ : des Dammes (Perineums); pārśvayoḥ : zu beiden Seiten; kṣipet : man lege; dakṣiṇe : auf die rechte (Seite); savya : (den) linken; gulphaṁ : Knöchel; tu : aber; dakṣa : (den) rechten; gulphaṁ : Knöchel; tu : jedoch; savyake : auf die linke (Seite)

Nun die Löwen-Position (Simhasana): [Der Yogi] platziert die Knöchel unterhalb des Scrotums auf beiden Seiten des Beckenbodens, der linke Knöchel auf der rechten Seite, der rechte natürlich auf der linken Seite.

 

Simhasana

Svatmarama schreibt in diesem Vers der Hatha Yoga Pradipika: „Nun wird Simhasana beschrieben. Bringe die Knöchel auf den Körperteil zwischen Anus und Hodensack, den rechten Knöchel auf dessen linke Seite, den linken Knöchel auf die rechte. Bringe die Handflächen auf die Knie, strecke die Finger aus und lenke die Augen zur Spitze der Nase mit geöffnetem Mund und konzentriertem Geist.“

Das ist die Beschreibung der Löwenstellung.

 

Die Bedeutung des Löwen

Simha, der Löwe, steht für Mut, Enthusiasmus, Majestät. Er ist das Symbol für Sonne und ein Tierkreiszeichen. Sivananda schreibt: „Brülle OM wie der Löwe von Vedanta. Höre auf zu blöken wie ein Schaf.“

Dazu passt die Geschichte vom Löwen, der von einer Schafmutter adoptiert wurde und glaubte, er sei ein Schaf. Er wuchs verängstigt und verschüchtert auf und blökte wie ein Schaf. Erst als ein anderer Löwe ihm gezeigt hat, dass er ein Löwe ist, fing er an zu brüllen wie ein Löwe und hatte niemals mehr Angst.

In diesem Sinne bist du das unsterbliche Selbst. Du hast alle Kraft und alles in dir, indem du diese, deine wahre Natur, zum Ausdruck bringst. Du weißt: „sat-chid-ananda swarupo ham - meine wahre Natur ist Sein, Wissen und Glückseligkeit“.

Wenn du weißt, dass Kundalini-Energie in dir ist, unendliche Energie, dann kannst du brüllen wie ein Löwe. Du kannst mutig sein und brauchst vor nichts Angst zu haben.

 

  1. Vers

हस्तौ तु जान्वोः संस्थाप्य स्वाङ्गुलीः सम्प्रसार्य
व्यात्तवक्त्रो निरीक्षेत नासाग्रं सुसमाहितः ॥५३॥

hastau tu jānvoḥ saṁsthāpya svāṅgulīḥ samprasārya ca… vyātta-vaktro nirīkṣeta nāsāgraṁ su-samāhitaḥ

hastau : beide Hände; tu : aber, jedoch; jānvoḥ : auf beide Knie; saṁsthāpya : legend, stützend; sva-aṅgulīḥ : seine Finger; samprasārya : spreizend, ausstreckend; ca : und; vyātta* : geöffnet; vaktraḥ* : (den) Mund; nirīkṣeta : man schaue; nāsā : (der) Nase; agraṁ : (auf die) Spitze; su-samāhitaḥ : völlig konzentriert

Die Hände werden auf den Knien platziert, die Finger weit gespreizt und der Mund geöffnet, es soll konzentriert auf die Nasenspitze geblickt werden.

 

*Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass bei Simhasana aus dem geöffneten Mund (Mukha) die „züngelnde Zunge“ (lalaj-Jihva herausgestreckt (samprasārita) wird: samprasārita-lalaj-jihva-mukhaḥ.

 

Aufbau der Asana

Simhasana kennst du eventuell etwas anders. Meist kniet man in der Löwenstellung, setzt sich dann auf die Fersen, gibt die Hände auf die Knie und dann hebt man den Kopf leicht nach oben, streckt die Zunge heraus, schaut zum Punkt zwischen den Augenbrauen und fängt an zu brüllen wie ein Löwe.

Svatmarama beschreibt es etwas anders. Er sagt, dass man nicht einfach in der normalen knienden Stellung ist, sondern man nimmt eine Art kreuzbeinige Stellung ein, in der die Fersen über Kreuz gegeben werden und man darauf sitzt.

Das ist nicht unbedingt eine angenehme Haltung. Manche sagen, die Zehen müssen auf den Boden gegeben werden. In der sanfteren Version können die Zehen abgelegt werden. Danach werden die Hände aufgespreizt, die Zunge wird herausgestreckt und der Blick ist zum Punkt zwischen den Augenbrauen gerichtet. Laut Hatha Yoga Pradipika ist kein Brüllen dabei, sondern nur das Halten der Stellung mit der Konzentration auf das Dritte Auge.

Wirkung auf den Geist und die Hauptenergiekanäle

Wenn du diese Variation eine Weile übst, führt es tatsächlich zu einer Ruhe des Geistes. Diese Übung kann man z.B. zu Beginn der Meditation machen. Zum einen sind links und rechts neben dem sogenannten Skrotum, dem Bereich zwischen Geschlechtsorganen und Anus oder links und rechts neben der Scheide, psychoaktive Zonen. Diese hängen mit Ida und Pingala zusammen, den Hauptenergiekanälen. Indem du die Fersen darauf richtest, hat es eine direkte Wirkung auf sie. Das Prana kann durch die Sushumna nach oben aufsteigen.

Die Spreizung der Finger hat ebenfalls eine stimulierende Wirkung. Die Öffnung des Mundes wirkt aktivierend. Wenn du auf den Punkt zwischen den Augenbrauen schaust, fließt das Prana nach oben.

Vielleicht magst du diese Haltung bei deiner nächsten Meditation ausprobieren oder jetzt einen Moment innehalten und dich so hinsetzen.

Gebe die Füße übereinander, die Fersen rechts und links neben dem Skrotum oder der Scheide an der Innenseite der Sitzhöcker, spreize die Finger, öffne den Mund, schaue auf den Punkt zwischen den Augenbrauen und gehe ein paar Minuten in die Stille. Vielleicht wirst du feststellen, dass die Meditation eine ganz andere Qualität bekommt.

 

Doppelbedeutung der Nasenspitze

Svatmarama sagt, die Hände werden auf den Knien platziert, die Finger gespreizt, der Mund geöffnet und die Konzentration ist zur Nasenspitze gelenkt. Der Ausdruck, der hier für Nasenspitze steht, heißt Nasagra. Nasa bedeutet Nase und Gra hat etwas zu tun mit einer Spitze.

Boris Sacharow sagt dazu, dass die Nase eigentlich zwei Spitzen hat. Einmal die untere vordere und dann die obere, der Punkt zwischen den Augenbrauen. Es könnte, wann immer Nasagra in den Texten steht, einmal die Nasenspitze, wie wir sie im Deutschen verstehen, gemeint sein oder der Punkt zwischen den Augenbrauen. Die Doppelbedeutung von Nasagra ist so zu interpretieren.

Das Schauen nach oben hat allgemein eine erhebende und aktivierende Wirkung. Du könntest auf den Punkt der unteren Nasenspitze schauen. Dies hat eher eine zentrierende Wirkung.

Probiere die unterschiedliche Wirkung aus. Beim Üben dieser Asana bis zu einer Minute, kannst du dabei die Luft anhalten. Wenn du die Stellung länger hältst, kannst du normal atmen oder Plavini Kumbhaka praktizieren.

 

  1. Vers

सिंहासनं भवेद् एतत् पूजितं योगिपुङ्गवैः
बन्धत्रितयसन्धानं कुरुते चासनोत्तमम् ॥५४॥

siṁhāsanaṁ bhaved etat pūjitaṁ yogi-puṅgavaiḥ… bandha-tritaya-sandhānaṁ kurute cāsanottamam

siṁha-āsanaṁ : (die) Löwenstellung; bhavet : ist („sei“); etad : das, diese (Stellung); pūjitaṁ : geehrt, geschätzt; yogi : (der) Yogi(s); puṅgavaiḥ : von den Besten („Stieren“); bandha : Verschlüsse; tritaya : (der) drei („Dreiheit“); sandhānaṁ : (die) Vereinigung, Verbindung; kurute : sie bewirkt; ca : und; āsana : (der) Sitzhaltungen; uttamam : (als) beste

Diese Position ist Simhasana. Sie wird von den besten Yogis verehrt. Sie bewirkt die Einheit der drei Bandhas und ist die Beste der Asanas.

 

Wirkung von Simhasana durch Einsatz der 3 Bandhas

Über die Wirkung von Simhasana sagt Svatmarama: „Das ist Simhasana, von den Yogis in höchstem Wert gehalten. Diese ganz vortreffliche Asana fördert die Bandhas.“

Nach einer anderen Übersetzung heißt es: „Sie bewirkt die Einheit der 3 Bandhas und ist die beste der Asanas.“

Svatmarama hat ein paar Verse zuvor gesagt, dass Siddhasana die beste Asana ist. Auch Pashchimottanasana, Matsyendrasana und Mayurasana hat er in den höchsten Tönen gelobt. Nun kommt Simhasana dazu.

Es fördert die Dreiheit (Tritaya) der Bandhas und auch die Vereinigung der Verbindung der 3 Bandhas. Das Üben der drei Bandhas zusammen wird Mahabhanda genannt. Eigentlich sind die 3 Bandhas Mula Bandha (Beckenbodenverschluss), Uddhiyana Bandha (der Bauch ist eingezogen) und Jalandhara Bandha (Kinn gesenkt, Kinnverschluss).

Auf eine gewisse Weise macht man in Simhasana etwas anderes. Anstatt das Kinn zu senken, ist typischerweise der Kopf gehoben. Daher könnte man sagen, es ist die Gegenübung der 3 Bandhas. Es gibt die Variation, in der man alle 3 Bandhas bei Simhasana setzt.

In diesem Vers erläutert Svatmarama die Verbindung der 3 Bandhas zum ersten Mal.

Dazu setzt du dich auf die überkreuzten Fersen, Hände liegen auf den Knien. Du atmest tief und vollständig ein, senkst das Kinn auf die Brust, der Mund ist offen und die Zunge wird herausgestreckt. Dein Blick ist auf den Punkt zwischen den Augenbrauen gerichtet. Gleichzeitig setzt du Mula Bandha und Uddhiyana Bandha.

Als Variation kann die Zunge nicht herausstrecken werden, sondern nur das Kinn auf den Brustkorb geben werden. Der Mund ist dabei weit geöffnet. Das ist eine fortgeschrittene Form von Simhasana.

Du kannst diese Asana üben als Vorbereitung auf die Meditation oder zwischen Kapalabhati und Anuloma Viloma. Nach der Vorwärtsbeuge, die einen meditativen Charakter hat, könntest du über Simhasana den Geist nochmal vollständig konzentrieren, um danach vielleicht ein paar Minuten in Meditation zu gehen. Nach dem Drehsitz geht diese Asana auch gut.

Simhasana, ist eine Yogastellung, die von Yogis in hoher Wertschätzung gehalten wird und zudem hilfreich ist, die drei Bandhas zu üben.

In der Ausgabe, wie sie mein Lehrer in seiner Hatha Yoga Pradipika verwendet, waren das die Verse 50 bis 52. Im ersten Kapitel ist in anderen Übersetzungen die Verszählung manchmal anders. Dort sind es die Verse 54 bis 56. Dies erwähnte ich bereits an vorheriger Stelle.

 

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

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