Es folgen die ersten 10 Verse der Hatha Yoga Pradipika. Zunächst möchte ich diese ersten 10 Verse der Hatha Yoga Pradipika auf Sanskrit rezitieren. Es folgt jeweils eine Übersetzung ins Deutsche und im Anschluss werden Kommentare zu den jeweiligen Versen zu lesen sein.

Die Hatha Yoga Pradipika ist eine der wichtigsten Grundlagentexte des Hatha Yoga.

 Kapitel der Hatha Yoga Pradipika

  1. Vers

श्रीआदिनाथाय नमोऽस्तु तस्मै येनोपदिष्टा हठयोगविद्या
विभ्राजते प्रोन्नतराजयोगमारोढुमिच्छोरधिरोहिणीव ॥१॥

śrī-ādi-nāthāya namo’stu tasmai   yenopadiṣṭā haha-yoga-vidyā
vibhrājate pronnata-rāja-yogam   āroḍhum icchor adhirohiṇīva

śrī : dem verehrungswürdigen ; ādi-nāthāya : uranfänglichen Herrn, Beschützer, Gebieter; namas : Verneigung, Verehrung; astu : sei; tasmai : diesem ; yena : durch den; upadiṣṭā : gelehrt wurde; haṭha-yoga : (des) Hatha Yoga; vidyā : (die) Wissenschaft; vibhrājate : die erstrahlt; pronnata : (den) äußerst erhabenen; rāja-yogam* : königlichen Yoga; āroḍhum : zu erklimmen; icchoḥ : für den, der wünscht; adhirohiṇī : (eine) Leiter; iva : wie

Verneigung vor dem verehrungswürdigen Shiva, von dem die Wissenschaft des Hatha-Yoga gelehrt wurde. Es beleuchtet den überlegenen Zustand des Raja-Yoga, für den, der wie auf einer Treppe dorthin aufsteigen will.

 

Hier beginnt Svatmarama damit, sich vor Shiva zu verneigen.

Man kann sagen: Viele der indischen Schriften sind so geschrieben. Es wird zunächst der Gott verehrt. Dann wird der Meister verehrt. Im Folgenden wird gesagt, wozu diese Schrift überhaupt dient und was die Eigenschaften des Schülers sind.

Die meisten indischen Schriften beginnen mit diesen folgenden vier Dingen:

  1. Ehrerbietung vor Gott
  2. Ehrerbietung vor dem Meister
  3. Worum geht es?
  4. Was sind die Eigenschaften des Schülers, der davon Nutzen ziehen kann?

In diesem 1. Vers spricht er die Ehrerbietung von Shiva an. Hier wird gesagt: Shiva selbst hat Hatha Yoga gelehrt.

Wozu dient diese Schrift?

Diese Schrift dient dazu, um zum Raja Yoga zu kommen und um zur Herrschaft des Geistes zu kommen. Die Gottverwirklichung wird angestrebt.

Für wen ist die Hatha Yoga Pradipika gedacht?

Diese Schrift ist für Menschen, die zur Gottverwirklichung kommen wollen, gedacht.

In einem der späteren Verse geht er in der Beschreibung noch etwas intensiver darauf ein, welche Eigenschaften ein Schülers haben sollte.

 

  1. Vers

प्रणम्य श्रीगुरुं नाथं स्वात्मारामेण योगिना
केवलं राजयोगाय हठविद्योपदिश्यते ॥२॥

praṇamya śrī-guruṁ nāthaṁ svātmārāmeṇa yoginā… kevalaṁ rāja-yogāya haṭha-vidyopadiśyate

praṇamya : nach dem er sich verneigt hat; śrī : (vor dem) verehrungswürdigen; guruṁ : (eigenen) Lehrer, Meister; nāthaṁ : dem Schutzherrn; svātmārāmeṇa : Svatmarama; yoginā : durch den Yogi; kevalaṁ* : einzig, ausschließlich; rāja-yogāya : zum (Zwecke des) königlichen Yoga; haṭha : des (Hatha-Yoga); vidyā : (die) Wissenschaft; upadiśyate : wird gelehrt

Nach der Verneigung vor dem geachteten Lehrer, wird von Yogi Svatmarama | die Wissenschaft des Hatha-Yoga unterrichtet, ausschließlich für den Zweck, den Zustand des Raja-Yoga zu erreichen.

 

*Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda erläutert das Wort „einzig“ (Kevala) dahingehend, dass das wichtigste (Mukhya) Ergebnis (Phala) der Wissenschaft des Hatha Yoga allein (eva) der (Zustand des) RajaYoga ist, und nicht (na) die übernatürlichen Fähigkeiten (Siddhi): rāja-yoga eva mukhyaṃ phalaṃ na siddhayaḥ.

 

Er sagt, nach der Verneigung vor dem geachteten Lehrer wird von Yogi Svatmarama die Wissenschaft des Hatha Yoga unterrichtet.

Ausschließlich für den Zweck, den Zustand des Raja Yoga zu erreichen.

Er verneigt sich vor dem Lehrer:

pranamya shri gurum natham

Es ist eine Ehrerbietung: Pranamya

Vor dem großen Meister Natham, der der große Guru ist und Svatmarama Yogi unterrichtet dann die Wissenschaft des Hatha Yoga – Hatha Vidya. Also die Wissenschaft des Hatha Yoga.

Warum macht er das?

Kevalam: es ist ausschließlich für Raja Yoga.

Er macht es, damit Menschen zu Herrschaft über den Geist kommen. Man könnte sagen: Wenn Du mit deiner Yoga Praxis beginnst, dann vergegenwärtige dir zu Anfang Gott. Verneige dich vor Gott. Vergegenwärtige dir deinen Meister oder die Meister der großen Yogatraditionen. Verneige dich vor ihnen.

Dann mache dir den Sinn und Zweck von dem was du praktizierst bewusst.

Warum übst du das überhaupt? Bitte darum, dass du eine würdige Schülerin, ein würdiger Schüler sein wirst. Wenn Du mit dieser Einstellung übst wird deine Praxis sehr viel effektiver sein.

 

  1. Vers

भ्रान्त्या बहुमतध्वान्ते राजयोगम् अजानताम्
हठप्रदीपिकां धत्ते स्वात्मारामः कृपाकरः ॥३॥

bhrāntyā bahu-mata-dhvānte rāja-yogam ajānatām… haṭha-pradīpikāṁ dhatte svātmārāmaḥ kṛpākaraḥ

bhrāntyā : durch das Umherirren, durch Verwirrung; bahu : vieler; mata : (Lehr-)Meinungen; dhvānte : in der Dunkelheit; rāja-yogam : (den) königlichen Yoga; ajānatām : (denjenigen, die) nicht erkennen; haṭha-pradīpikāṁ : die Leuchte des; dhatte : gibt, schenkt; svātmārāmaḥ : Svatmarama; kṛpā : (des) Mitgefühls; ākaraḥ : (eine) Quelle

Verneigung vor dem verehrungswürdigen Shiva, von dem die Wissenschaft des Hatha-Yoga gelehrt wurde. Es beleuchtet den überlegenen Zustand des Raja-Yoga, für den, der wie auf einer Treppe dorthin aufsteigen will.

 

An die Menschen, die den Zustand des Raja Yoga nicht kennen, auf Grund von fehlerhaften Vorstellungen und vieler Wirren in der Dunkelheit, gibt Svatmarama, voller Mitgefühl, die Leuchte des Hatha Yoga weiter.

In einer anderen Übersetzung: Jenen, die sich in der Dunkelheit streitender Weltanschauungen fortbewegen, unfähig Raja Yoga zu erlangen, bietet der mitleidvolle Svatmarama Yogi, das Licht von Hatha Vidya an.

Mit diesem Vers will Svatmarama sagen: Hatha Yoga ist weltanschauungsübergreifend. Im alten Indien gab es viele Darshanas, viele verschiedene Weltanschauungen und unterschiedliche Mathas, verschiedene Lehrmeinungen, welche zu Verwirrung führen können. Diese Verwirrungen werden Branthi genannt. 

Wenn du dich mit Yoga umfangreicher beschäftigt hast, dann weißt Du, es gibt verschiedene Anschauungen. Es gibt dualistische, monotheistische, theistische, pantheistische, und monistische Weltanschauungen und noch weitere.

Im alten Indien gab es zur  Zeit von Svatmarama auch verschiedene Religionen. Es gab die Buddhisten und Jians, die Hindus, die Parsis und innerhalb des Hinduismus gab es die Sheivas, die Veishnavas, die Shaktas und die Vedantins. Innerhalb von Vedanta gab es wieder weitere verschiedene Richtungen.

Svatmarama sagt: Verschiedene Menschen folgen unterschiedlichen Weltanschauungen, aber sie sind nicht in der Lage, Raja Yoga zu erlangen.

Raja Yoga bedeutet, den Geist zur Ruhe zu bringen. Er sagt: Übe Hatha Yoga. Beim Praktizieren von Hatha Yoga, bringst du deinen Geist unter Kontrolle. Du erfährst die höheren Ebenen des Bewusstseins. Weltanschauungen treten dann in den Hintergrund.

Mit diesem Vers sagt uns Svatmarama letztlich: Hatha Yoga ist weltanschauungsneutral oder weltanschauungsübergreifend. Hatha Yoga wurde tatsächlich schon im Mittelalter geübt von den Änhängern verschiedener Richtungen. In den späteren Jahren wurde Yoga von den Jains und von den Buddhisten geübt. Der tibetische Buddhismus enthält viele Hatha Yoga Übungen. Die Fünf Tibeter gehören dazu, welche letztlich auch Hatha Yoga Übungen aus Tibet sind.

Krishnamacharya, einer der großen Hatha Yogis des 20. Jahrhunderts, hatte einen seiner Hatha Yoga Lehrer in Tibet. Weiterhin gibt es das Tao Yoga. Dieser Yogastil ist ein taoistisches Yoga von Mantak Chia, ein Autor der traditionellen, daoistischen und esoterischen chinesischen Meditationstechniken, Kampfsportarten und Medizinkonzepten.

Kundalini Yoga nach Yogi Bhajan, das ist letztlich Hatha Yoga in der Sikh Tradition. Zudem gab es Hatha Yoga unter den Jains. Bei Yoga Vidya haben wir einen Yogalehrer, der behauptet, dass Buddha selbst ein Hatha Yoga Lehrer war.

Es gibt verschiedene Weltanschauungen und Religionen. Zur Zeit von Svatmarama gab es viele Religionen. Es gab die Moslems, die Christen und Juden. Manche Sufi Meister im alten Indien, moslemische Mystiker, haben auch Hatha Yoga Atemübungen gelernt und andere Hatha Yoga Techniken.

Svatmarama will sagen: Egal, welche Weltanschauung du hast, übe Hatha Yoga, Das Üben von Hatha Yoga hilft dir zur Ruhe des Geistes zu kommen.

Hatha Yoga, heute im Westen praktiziert, erweist sich als weltanschauungsneutral und weltanschauungsübergreifend. Dies macht Hatha Yoga aus.

Es gibt Christen, die Hatha Yoga nutzen. Sie üben Yoga aus zwei Gründen: Zum einen, um gesünder zu sein und zum anderen, um letztlich Gott zu verehren über die Yoga Übungen.

Es gibt Moslems, die Hatha Yoga üben. Sie wollen ihre körperliche Gesundheit stärken und eine Ruhe des Geistes hervorrufen. Es gibt Atheisten, die Yoga üben, weil sie eben sagen: Die Wirkung des Hatha Yoga ist wissenschaftlich nachweisbar.

In dem Buch: „Yoga für Skeptiker“ von Ulrich Ott, sagt der Autor: Man muss an nichts glauben, um Hatha Yoga zu üben. Man kann sich die Studien über Yoga anschauen. Darin erfährt man, wie gesund Hatha Yoga für den Körper und für die Psyche ist. Es werden in diesen Studien beschrieben, welche Auswirkungen Hatha Yoga auch auf das Gehirn hat. Ulrich Ott ist ein deutscher Psychologe und Meditationsforscher.

Hatha Yoga kann als Hilfe für Raja Yoga genommen werden. Im Raja Yoga ist das Ziel die Gottverwirklichung zu erreichen.

Es gibt inzwischen viele buddhistische Traditionen, wo Hatha Yoga Teil der buddhistischen Retreats ist. Einige Vipassana Traditionen beinhalten Hatha Yoga. In der Zen Traditionen wird Hatha Yoga heutzutage oft integriert.

In einem Vortrag eines jesuitischen Religionswissenschaftlers, berichtete der Vortraggebende über seine Erfahrungen in seiner Novizenzeit in einem jesuitischen Kloster. Dort wurde jeden Morgen um 6:00 Uhr Hatha Yoga geübt. Das gehörte zur Novizenausbildung dazu.

Hatha Yoga ist ein wichtiges Element. Es ist egal welcher Weltanschauung dein Eigen ist.

Svatmarama sagte dieses schon im 14. Jahrhundert: Hatha Yoga ist religions- und weltanschauungsübergreifend. Es stellt eine Hilfe dar, um den Geist zur Ruhe zu bringen.

 

  1. Vers

हठविद्यां हि मत्स्येन्द्रगोरक्षाद्या विजानते
स्वात्मारामोऽथवा योगी जानीते तत्प्रसादतः ॥४॥

haṭha-vidyāṁ hi matsyendra-gorakṣādyā vijānate… svātmārāmo’thavā yogī jānīte tat-prasādataḥ

haṭha : (des) Hatha; vidyāṁ : (die) Wissenschaft; hi : gewiss, zweifellos; matsyendra : Matsyendra; gorakṣa : Goraksha; ādyāḥ : und andere; vijānate : kennen; svātmārāmaḥ : Svatmarama; atha vā : und; yogī : (der) Yogi; jānīte : kennt; tad : dieser ; prasādataḥ : durch die Gunst

Die Wissenschaft des Hatha-Yoga ist unzweifelhaft dem Matsyendra, Gorakshsa und anderen bekannt. | Durch deren Gunst kennt Yogi Svatmarama sie.

Matsyendra und Goraksha und sowie anderen Yogameistern war Hatha Vidya wohl bekannt. Der Yogi Svatmarama lernte es durch ihre Gunst. Der mythologische erste menschliche Hatha Yoga Lehrer soll Matsyendra gewesen sein. Sein Schüler war Goraksha, der nach den weiteren Versen zu  urteilen, einer der nächsten Gurus war.

 

Svatmarama sagt: Goraksha hat Hatha Yoga gelernt durch seine Lehrer und er erweist seinen Lehrern Ehrerbietung.

Svatmarama will mit diesem und den nächsten Versen sagen: Hatha Yoga ist nicht nur Technik. Wenn du willst, dass Hatha Yoga tief wirkt, dann habe auch eine demütige Einstellung.

Habe eine demütige Einstellung gegenüber dem Göttlichen und ehre deinen Meister.

Es wird gesagt, dass Hatha Yoga durch die Guru Parampara Shakti weitergegeben wird.

Mein Meister, Swami Vishnudevananda hat gerne gesagt: Um Yogalehrer oder Yogalehrerin zu werden musst du das in einer Guru Parampara Tradition, einer so genannten Sampradaya machen.

Der Schüler muss vom Meister berührt werden und vom Meister erweckt werden. Wenn er diese Erweckung hat durch den Meister erlangt hat, dann kann er mit diesem Feuer Yoga weitergeben.

Mein Meister hat auch gerne beschrieben, wie er Hatha Yoga gelernt hat. Er hat die Bücher von Swami Sivananda gelesen und damit praktiziert. Dann fing er an im Ashram zu praktizieren. Natürlich gab es dort Menschen, die über vermehrtes Wissen im Hatha Yoga verfügten. Sein Meister, Swami Sivananda, machte ihn schliesslich zum Hatha Yoga Professor.

Swami Sivananda entwickelte die so genannte Yoga Vedanta Forrest University und ernannte seine Schüler zu Professoren. Später wurde die Vedanta Forrest University umbenannt in Yoga Academy.  Mein Lehrer war noch gar nicht so lange im Ashram, als er zum Professort ernannt wurde. Er fragt sich selbst: Wie kann ich jetzt schon Professor werden, ein Leiter der Hatha Yoga Abteilung? Ich bin doch gerade erst kurz da?

Swami Sivananda berührte die Stirn von Swami und im nächsten Moment hatte er eine überbewusste Erfahrung. Er konnte sich an seine früheren Leben erinnern und das ganze Wissen über Hatha Yoga aus früheren Leben öffnete sich in ihm.

Swami las die ganzen weiteren Verse. Ich habe ihm viele Fragen gestellt. Aus meiner Fragestellung heraus, bin ich der Annahme, dass er letztlich die Haupt Hatha Yoga Schriften auswendig kannte. Er konnte sie rezitieren und wusste, in welchem Vers was steht. Er hat auch später mit zwei anderen großen Hatha Yoga Meistern intensiver gelernt.

Er selbst sagte: Obgleich er viel gelernt hatte, die Schriften und die Kommentare studiert hatte und bei mehreren Hatha Yoga Meistern gelernt hatte, das Wichtigste kam durch Swami Sivananda.

Swami Sivananda erweckte etwas in ihm. Es entstand diese Shakti, die Kraft in ihm. Es ist demnach wichtig, dass wir diese Ehrerbietung haben. Wir müssen uns bewusst machen, um Hatha Yoga zu lernen, gilt es Respekt zu haben. Letztlich gilt es auch uneigennützig zu dienen.

Guru Seva, dienen am Werk des Meisters hilft, dass der Meister besser durch einen hindurch wirken kann. In den Yoga Vidya Ashram und in den Stadtzentren ist dieses Prinzip ebenfalls von Wichtigkeit. Menschen, die lernen wollen, helfen auch mit. Je mehr sie mithelfen, umso mehr wirken die Praktiken. Je mehr diese eine Haltung des Demuts ist und je mehr dieser innere Wunsch zu dienen vorhanden ist, umso besser kann diese Verbindung hergestellt werden zwischen Guru und Schüler. Die eigentlichen Übungen wirken unter diesen Voraussetzungen umso stärker.

Die nachfolgenden Verse, von Vers 5 bis Vers 9, sind Aufzählungen von Gurus des Hatha Yoga. Diese möchte ich einfach vortragen:

 

  1. Vers

श्रीआदिनाथमत्स्येन्द्रशावरानन्दभैरवाः
चौरङ्गीमीनगोरक्षविरूपाक्षबिलेशयाः ॥५॥

śrī-ādinātha-matsyendra-śābarānanda-bhairavāḥ… cauraṅgī-mīna-gorakṣa-virūpākṣa-bileśayāḥ

śrī : der erhabene; ādi-nātha : uranfängliche Herr, Beschützer, Gebieter; matsya-indra : „Herr der Fische“; śābara : Shabara; ānanda-bhairavāḥ : „der Schreckliche, der Glückseligkeit bringt“; cauraṅgī : Chaurangin; mīna : „Fisch“; go-rakṣa : „Kuhhirt“; virūpa-akṣa : „der unförmige Augen hat“; bile-śayāḥ : „Schlange, Maus“

Adinatha (Shiva), Matsyendra, Shabara, Anandabhairava, Chaurangin, Mina, Goraksha, Virupaksha, Bileshaya; …

 

  1. Vers

मन्थानो भैरवो योगी सिद्धिर्बुद्धश्च कन्थडिः
कोरंटकः सुरानन्दः सिद्धपादश्च चर्पटिः ॥६॥

manthāno bhairavo yogī siddhir buddhaś ca kanthaḍiḥ… koraṇṭakaḥ surānandaḥ siddhapādaś ca carpaṭiḥ

manthānaḥ : „der Schüttler“;  bhairavaḥ : „der Furchtbare“; yogī : (der) Yogi; siddhiḥ : „Erfolg“; buddhaḥ : „der Erwachte“; ca : und; kanthaḍiḥ : Kanthadi; koraṇṭakaḥ : Korantaka; sura-ānandaḥ : „dessen Glückseligkeit Gott ist“; siddha-pādaḥ : „erhabener Siddha“; ca : und; carpaṭiḥ : Charpati

Manthano, Bhairava, Siddhi, Buddha und Kanthadi, Korantaka, Surananda, Siddhapada und Charpati; …

 

  1. Vers

कानेरी पूज्यपादश्च नित्यनाथो निरञ्जनः
कपाली बिन्दुनाथश्च काकचण्डीश्वराह्वयः ॥७॥

kānerī pūjya-pādaś ca nitya-nātho nirañjanaḥ… kapālī bindu-nāthaś ca kāka-caṇḍīśvarāhvayaḥ

kānerī : Kanerin; pūjya-pādaḥ : „dessen Füße zu verehren sind“; ca : und; nitya-nāthaḥ : „ewiger Beschützer, ewiger Herr“; nirañjanaḥ :„der ohne Schminke, der Reine“kapālī : „der eine Hirnschale als Bettelschale trägt“; bindu-nāthaḥ : „Herr des Tropfens, Herr des Samens“; ca : und; kāka-caṇḍī-īśvara : „Herr der Chandi in Form einer Krähe“; āhvayaḥ : mit Namen

Kanerin, Pujyapada und Nityanatha, Niranjana, Kapalin, Bindunatha und der als Kakachandishvara bekannt ist; …

 

  1. Vers

अल्लामः प्रभुदेवश्च घोडा चोली टिंटिणिः
भानुकी नारदेवश्च खण्डः कापालिकस्तथा ॥८॥

allāmaḥ prabhu-devaś ca ghoḍācolī ca ṭiṇṭiṇiḥ… bhānukī nāra-devaś ca khaṇḍaḥ kāpālikas tathā

allāmaḥ : Allama; prabhu-devaḥ : Prabhudeva; ca : und; ghoḍācolī : Ghodacholin; ca : und; ṭiṇṭiṇiḥ : Tintini; bhānukī : Bhanukin; nāra-devaḥ : „Fürst“; ca : und; khaṇḍaḥ : Khanda; kāpālikaḥ : „Hirnschalenträger“; tathā : ebenso

Allama, Prabhudeva und Ghodacholin und Tintini, Bhanukin, Naradeva und Khanda, und ebenso Kapalika; …

Das sind Namen der großen Meister. An einer folgenden Stelle werde ich auf die Bedeutung dieser Hatha Yoga Pradipika Guru Parampara näher eingehen. Vor Beginn deiner Hatha Yoga Praxis kann es helfen, diese Verse der Hatha Yoga Pradipika, einzeln zu rezitieren.

 

  1. Vers

इत्यादयो महासिद्धा हठयोगप्रभावतः
खण्डयित्वा कालदण्डं ब्रह्माण्डे विचरन्ति ते ॥९॥

ity-ādayo mahā-siddhā haṭha-yoga-prabhāvataḥ… khaṇḍayitvā kāla-daṇḍaṁ brahmāṇḍe vicaranti te

ity-ādayaḥ : diese und andere (die „so beginnenden“) mahā-siddhāḥ : große Siddhas („vollendete Wesen, Meister“); haṭha-yoga : (des) Hatha Yoga; prabhāvataḥ : durch die Macht, Kraft; khaṇḍayitvā : nachdem sie zerbrochen haben; kāla : (der) Zeit, (des) Todes; daṇḍaṁ : (den) Stab; brahma-aṇḍe : im Universum, in der Welt; vicaranti : wandeln umher; te : diese

Diese und weitere vollendete Meister, die durch die Macht des Hatha-Yoga den Stab der Zeit zerbrochen haben, wandeln in der Welt umher.

 

Svatmarama will uns sagen: Diese und weitere großartigen Siddhas, die mit Hilfe der Macht von Hatha Yoga die Zeit überwunden haben, durchwandern die Welt.

Die ganz großen Hatha Yoga Meister sind zu Siddhas geworden. Siddhas sind diejenigen, die das Ziel erreicht haben.

Siddha beschreibt eine besondere Klasse von Meistern. In einer der Traditionen sind Siddhas diejenigen, die zwar die Gottverwirklichung erreicht haben, aber nicht vollständig verschmolzen und auf Dauer mit dem Absoluten sind.

Die Siddhas bestehen in ihrem Feinstoffkörper fort. Sie können sich jederzeit einem Aspiranten zeigen und ihm helfen.

Babaji  in der Kriya Yoga Tradition von Paramahansa Yogananda, ist ein typisches Beispiel eines Siddhas. Einer, der zwar zum einen die Vollkommenheit erlangt hat, aber weiter in seinem Astralkörper lebt und jederzeit diesen auch verstöfflichen kann.

Svatmarama sagt: Es gibt einige dieser Siddhas und sie leben auf subtile Weise. Wann immer Du Hilfe brauchst, werden diese dir helfen. Wenn du dich zu Beginn und zum Abschluss deiner Hatha Yoga Praxis an die großen Meister wendest, dann werden diese dich lenken, dich leiten in dir und durch dich hindurch wirken.

In diesem Sinne habe Ehrerbietung zu den großen Meistern sie werden dir helfen und dich unterstützen. Wenn du mal eine ganz intensive Hatha Yoga Praxis hattest und irgendwann zu eigenartigen Erfahrungen kommst, richte dich an die großen Meister und du wirst plötzlich merken, dort kommt eine Hilfe für dich.

 

  1. Vers

 

अशेषतापतप्तानां समाश्रयमठो हठः
अशेषयोगयुक्तानाम् आधारकमठो हठः ॥१०॥

aśeṣa-tāpa-taptānāṁ samāśraya-maṭho haṭhaḥ… aśeṣa-yoga-yuktānām ādhāra-kamaṭho haṭhaḥ

aśeṣa : (von) allen, sämtlichen; tāpa : Leiden, Qualen; taptānāṁ : für diejenigen, die gepeinigt werden; samāśraya : (die) Zuflucht (gewährt,); maṭhaḥ : (eine) Hütte, Einsiedelei; haṭhaḥ : (ist) Hatha; aśeṣa : vollkommen, vollständig, sämtliche; yoga : (im) Yoga, (in der) Yogapraxis; oder: in (sämtlichen) Yogapraktiken; yuktānām : für diejenigen, die beschäftigt sind („konzentriert sind“), ādhāra : (die eine) Stütze, feste Grundlage; kamaṭhaḥ : (wie eine) Schildkröte; haṭhaḥ : (ist) Hatha

Für die, die durch Leiden geplagt werden, ist das Hatha-Yoga die Herberge, die Zuflucht gibt. | Für die, die im Zustand des Yoga verweilen, ist Hatha-Yoga die unterstützende Schildkröte.

 

Hatha Yoga ist eine beschützende Zuflucht für diejenigen, die von den drei Arten von Leiden heimgesucht werden. Für Menschen, die sich mit der Yogapraxis beschäftigen, ist Hatha Yoga wie die Schildkröte, die die Welt trägt.

Es ist ein ganz wunderbarer Vers, der beschreibt, worum es im Hatha Yoga geht. Er sagt hier, dass Hatha Yoga eine beschützende Zuflucht für all diejenigen ist, die von den drei Arten von Tapa heimgesucht sind. Er führt weiter aus: Hatha Yoga ist wie die Schildkröte, die die Welt trägt für all diejenigen, die sich mit der Hatha Yoga Praxis beschäftigen.

Wir könnten sagen: Mit diesem 10. Vers schließt die Einleitung der Hatha Yoga Pradipika. Svatmarama sagt, welche Eigenschaften der Schüler braucht. Am Anfang dieser Niederschrift bin ich darauf eingegangen, dass die Ehrerbietung an Gott, die Ehrerbietung an den Meister zu Beginn vieler indischer Schriften erfolgt.

Es ist der Sinn und Zweck dieses Buches und der Praktiken, die dort beschrieben werden. Hier beschreibt er die Eigenschaften eines Schülers. Er geht dabei genauer auf das Leiden eines Schülers ein, welches zu seinen Eigenschaften gehört. Tapa, bedeutet ein Leiden zu haben.

Man kann diese Arten von Leiden auf verschiedene Weisen interpretieren. In einer Weise könnte man sagen: Es gibt körperliche Leiden, es gibt psychische Leiden und es gibt spirituelle Leiden.

Körperliches Leiden können Gesundheitsprobleme sein. Psychisches Leiden können Partnerschaftskonflikte sein, Konflikte bei der Arbeit, Ärger, Ängstlichkeiten, Depressivität und so weiter sein. Als drittes gibt es spirituelles Leiden. Einem Menschen kann es gut gehen. Er hat materiell was er braucht, er hat eine relativ gute Gesundheit und verfügt über einen klaren Geist. Es besteht keinen Grund für psychische Konflikte.

Dennoch kommt die Frage auf :

Was soll das Ganze?

Was ist der Sinn meines Lebens?

Woher komme ich?

Wo gehe ich hin?

Was ist der Sinn von allem?

Was ist die Welt?

Was ist Gott?

Svatmarama sagt: Egal, worunter du leidest, Hatha Yoga kann dir helfen.

Wenn du Gesundheitsprobleme hast, Hatha Yoga hilft dir. Es bestehen materielle Probleme: Hatha Yoga kann dir helfen. Hatha Yoga kann dir helfen, mehr Energie zu bekommen, damit du dich darum kümmern kannst.

Wenn du emotionale und psychische Probleme hast, Hatha Yoga hilft dir. Wenn du tiefe spirituelle Sehnsucht hast, Hatha Yoga hilft dir. Die Hürde ist sehr gering, wenn du Hatha Yoga üben willst.

Welche Eigenschaft brauchst du um Hatha Yoga zu üben?

Irgendeinen Mangel verspüren ist hilfreich. Allerdings ist es notwedig, dass du selbst üben musst. . Das sit der kleine Clou, der sich dahinter verbirgt.

Hatha Yoga ist für Menschen gedacht, die wirklich Hatha Yoga üben wollen. Die den Wunsch danach haben, Hatha Yoga wirklich zu üben. Hatha Yoga ist nicht für Menschen gedacht, die einfach eine Pille schlucken wollen. Der Wunsch zum Üben sollte gegeben sein.

Darin besteht der Unterschied zu einem Ayurveda Vaidya oder zu manchen Tantrikern. In Indien ist es weit verbreitet, dass man sich von anderen Menschen Hilfe erhofft.

Man geht z.B. zu einem Ayurveda Vaidya, einem Ayurveda Arzt. Dieser soll einem das richtige Medikament geben. Es werden verschiedene Kräuter, Tees, Gewürze zur Empfehlung genannt. Weiterhin werden ausgefeilte Medikamente, die man über einen bestimmten Zeitraum und zu bestimmten Zeiten am Tag einnehmen sollte, vorgeschlagen.

Dieses Konzept ist ähnlich, mit einem Besuch bei einem westlichen Arzt zu vergleichen. Hier sucht man einen Mediziner in seiner Praxis auf und der Arzt verschreibt ein entsprechendes Medikament. Diese Medikamente werden nach einem bestimmten Verordnung und für eine gewisse Dauer eingenommen. ES kann sein, dass eine Injektion erfolgt, eine Operation und weitere therapeutische invasive oder nichtinvasive Maßnahmen können erfolgen. Der Patient erduldet es oft passiv.

Im Ayurveda erfolgt dieses in einer gewissen Ähnlichkeit. Im Yoga ist es anders. Nicht jemand anders macht etwas für dich, sondern du musst selbst praktizieren. Du bist der Akteur deiner Handlungen. Nicht eine andere Person.

Genauso gab es auch in Indien Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten. Der Schüler ging zu ihnen in der Hoffnung, dass diese ihm zu Hilfe kommen. Im besten Fall wird man auf mystisch magische Weise seine psychischen Probleme loswerden.

Der Schüler geht zu einem Meister, der ein paar Mantras rezietiert . Im Nachhinein wird man reich oder bekommt die Frau seiner Träume. Eventuell spielt Geld auch eine Rolle. 

Das sind alles Dinge, die wir im Yoga nicht machen. Man kann natürlich zusätzlich zum Arzt gehen. Der Besuch eines Ayurveda Arztes, eines Schulmediziners oder eine Vorstellung beim Homöopathen kann erfolgen. Zudem kann man kann homöopathische Mittel und Medikamente einnehmen. Dies wären Kügelchen, Tinkturen oder andere Formen aus der Homöopathie.

Ayurveda Kräuterzusammenstellungen und allopathische Medikamente können zum Einsatz kommen. Man kann auch zum Physiotherapeuten oder zum Ayurveda Masseur gehen. Es werden Massagen oder Einölungen sowie weitere Maßnahmen aus diesem Bereich vorgenommen.

Yoga unterscheidet von diesen gesamten Dingen: Du übst selbst etwas.

Yoga heißt: Du übst, du praktizierst, du machst es selbst in eigener Selbstverantwortung. Das ist das, was Hatha Yoga auszeichnet.

Wenn man diesen 10. Vers für sich nehmen will, würde man sagen, dass du als Schüler zwei Bereitschaften brauchst:

Du musst irgendeinen Mangel verspüren, den es zu überwinden gilt. Du hast den Wunsch und den Willen diesen Mangel nicht mehr dein Eigen nennen zu lassen. Viele Menschen haben ja Schwierigkeiten. Es bestehen körperliche, psychische und spirituelle Probleme, welche fortbestehen, weil der Wille nicht vorhanden ist, diese zu beseitigen.

Menschen haben einen Krankheitsgewinn, den so genannten Sekundärgewinn. Wenn man eine Krankheit hat, bekommt man Aufmerksamkeit. Man Ausreden dafür für bestimmte Pflichten und Handlungen. Einige Menschen, die vielleicht als Kind nur dann Aufmerksamkeit bekommen haben, wenn sie krank waren, haben gelernt: Wenn man Aufmerksamkeit von den Eltern haben will und später vom Partner/Partnerin oder Kollegen, muss man krank sein.

Wenn einem die Schule zu anstrengend wurde musste, man krank sein. Wenn man jetzt nicht zu viel machen möchte, flüchtet man in eine Krankheit.

Natürlich heißt das nicht, dass alle Menschen die krank sind, deren Krankheit auf psychischen Gründen beruhen. Es soll darstellen, dass nicht alle Menschen, die ein Problem haben, dieses angehen und beseitigen wollen. Selbst, wenn sie es sagen.

Drei Eigenschaften des Schülers sind nötig, um Schwierigkeiten anzugehen:

  1. Irgendeinen Mangel verspüren
  2. Der Wunsch und der Wille sollte vorhanden sein, diesen Mangel zu beseitigen.
  3. Er sollte bereit sein, selbst etwas zu tun.

Wenn Du diese drei Eigenschaften hast, dann bist du bereit für den Hatha Yoga Weg. Darüber hinaus gibt Svatmarama keine weiteren Eigenschaften, die du brauchst, um Hatha Yoga zu üben. Du musst weder besonders klug, noch besonders gelehrt sein. Du musst weder besonders gesund, flexibel, fit oder stark sein. Du musst kein besonderes Alter haben. Diese ganzen Eigenschaften sind irrelevant. Du musst auch keine besondere Weltanschauung haben. Es geht im Wesentlichen darum, Mangel verspüren. Diesen Mangel gilt es, loswerden zu wollen. Es sollte die Bereitschaft gegeben sein, selbst etwas zu tun. Dann bist Du bereit zur Hatha Yoga Praxis.

 

Zusammenfassung der ersten 10 Verse der Hatha Yoga Pradipika:

Zu Beginn Deiner Yoga Praxis verneige dich vor dem Göttlichen. Am Anfang deiner Hatha Yoga Praxis, erweise den großen Meistern und Meisterinnen Ehrerbietung.

Sei dir bewusst: Im Hatha Yoga geht es darum, deinen Geist unter Kontrolle zu bringen und höhere Bewusstseinsebenen zu erlangen. Hatha Yoga ist weltanschauungsneutral, weltanschauungs- und religionsübergreifend. Als Aspirant sei bereit, selbst etwas zu tun. Sei bereit, selbst Übungen zu machen.

 

 

 

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

 

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