Vision der kosmischen Gestalt, das 11. Kapitel ist eines der Schlüsselkapitel der Bhagavad Gita, in dem die Bhagavad Gita sich wendet.
In den ersten zehn Kapiteln der Bhagavad Gita erklärt Krishna dem Arjuna alles Mögliche. Arjuna hat immer neue Zweifel, Krishna erklärt es ihm immer wieder von Neuem. Im 11. Kapitel gibt Krishna dem Arjuna eine Vision des Göttlichen. Arjuna erfährt das Göttliche, er erfährt Savikalpa Samadhi, das Überbewusstsein. Er erfährt, dass alles letztlich der Körper Gottes ist, dass hinter allem der Wille Gottes ist. Nachdem Arjuna dies im 11. Kapitel erfahren hat, wird er in den nächsten Kapiteln weniger Zweifel haben. Er wird mehr fragen, wie kann ich aus diesem Geist heraus leben. Ab dem 12./13. Kapitel gibt Krishna dem Arjuna sehr konkrete ethische Handlungsanweisungen oder auch Kriterien wie er selbst seine Entscheidungen treffen kann. Man könnte sagen, die Bhagavad Gita ist ein Zwiegespräch zwischen Arjuna und Krishna. Arjuna stellt dem Krishna eine Frage wie er sich entscheiden soll. Krishna antwortet zunächst nicht direkt auf die Frage, sondern gibt ihm verschiedene Tipps wie er zu einer spirituellen Sichtweise kommen soll. Er hilft ihm, aus dem Alltagsdenken, einem weltlichen Denken herauszukommen. Er gibt ihm Tipps für eine spirituelle Sichtweise. Krishna verhilft Arjuna im 11. Kapitel zum Überbewusstsein. Jetzt wo Arjuna im Überbewusstsein ist, gibt ihm Krishna weitere genaue ethische Kriterien wie er selbst entscheiden kann.
- Kapitel
11-01 arjuna uvaca mad-anugrahaya paramam guhyam adhyatma-samjnitam yat tvayoktam vacas tena moho ’yam vigato mama
Arjuna sprach: Durch Dein Wort vom höchsten Geheimnis des Selbst, das Du zu meinem Segen gesprochen hast, ist meine Täuschung verschwunden.
11-02 bhavapyayau hi bhutanam srutau vistaraso maya tvattah kamala-patraksha mahatmyam api cavyayam
Über Ursprung und Zerstörung der Wesen habe ich wahrlich genau von Dir gehört, Oh Krishna, und auch über Deine unerschöpfliche Gnade.
11-03 evam etad yathattha tvam atmanam paramesvara drastum icchami te rupam aishvaram purushottama
Oh erhabener Herr, da Du Dich so beschrieben hast, O höchstes Wesen, ist es mein Wunsch, deine göttliche Form zu sehen.
11-04 manyase yadi tac chakyam maya drastum iti prabho yogeshvara tato me tvam darsayatmanam avyayam
Wenn Du, Oh Herr, der Ansicht bist, dass es für mich möglich ist, Dich zu sehen, zeige mir, Oh Herr der Yogis, Dein unvergängliches Selbst.
Arjuna sagt Krishna: „Ich habe verstanden, was du mir sagen wolltest. Intellektuell habe ich es verstanden, es ist mir klar. Aber ich möchte es erfahren“.
Das ist vielleicht auch deine Sehnsucht. Auch du hast dich sicherlich schon eine Weile mit Yoga beschäftigt. Vielleicht hast du auch schon kleinere Erfahrungen gemacht, vielleicht auch schon mittelgroße oder größere Erfahrungen.
Diese Sehnsucht, die Arjuna hat, Oh, Gott ich möchte Dich erfahren! Ich möchte Gott verwirklichen. Ich möchte die Erleuchtung erlangen, die Mumukshutva, die Sehnsucht nach Erlösung, nach Erleuchtung, nach Erwachen, Aufwachen, nach Selbstverwirklichung. Die gilt es immer wieder zu spüren und immer wieder auch Gott gegenüber auszudrücken. So macht es Arjuna und Krishna antwortet jetzt im 5. und den folgenden Versen.
11-05 sri-bhagavan uvaca pasya me partha rupani sataso ’tha sahasrasah nana-vidhani divyani nana-varnakritini ca
Krishna sprach, Oh Arjuna, siehe! Hunderte und Tausende Meiner Formen, von unterschiedlicher Art, göttlich und mannigfaltig in Farbe und Gestalt.
11-06 pasyadityan vasun rudran asvinau marutas tatha bahuny adrsta-purvani pasyascaryani bharata
Siehe die Adityas, Vasus, Rudras, die beiden Ashvins und auch die Maruts; siehe viele nie zuvor gesehene Wunder.
Krishna sagt dem Arjuna, jetzt werde ich dir, meine unendliche Natur, mannigfaltige Formen zeigen. Krishna will Arjuna gleich das ganze Universum zeigen. Er wird über Zeit und Raum hinausgehen und zeigen, dass das ganze Universum der Körper Gottes ist. Er wird auch die feinstofflichen Wesen sehen, die Engelswesen, die Lichtwesen, die Naturwesen. All diese wird Krishna dem Arjuna auch zeigen.
11-07 ihaika-stham jagat krtsnam pasyadya sa-caracaram mama dehe gudakesha yac canyad drastum icchasi
Nun sieh, Oh Arjuna, in meinem Körper ist das gesamte Universum zu einem einzigen zusammen gefasst , einschließlich des Bewegten und des Unbewegten und alles, was du außerdem noch zu sehen wünschst.
Krishna bereitet Arjuna vor. Er sagt, das gesamte Universum ist der Körper Gottes. Man könnte sagen, das physische Universum ist wie der physische Körper Gottes. Das astrale, das feinstoffliche Universum mit allen Licht- und Engelswesen und feinstofflichen Körpern ist wie der Astralkörper Gottes.
Dann gibt es noch den Kausalkörper Gottes, die Ursprünge von allem. Die Seele von jedem Einzelwesen ist eins mit dem kosmischen Bewusstsein. Letztlich ist Gott das Bewusstsein hinter allem.
11-08 Jedoch vermagst du Mich nicht mit deinen physischen Augen wahrzunehmen. Ich gebe dir das göttliche Auge. Siehe Meinen edlen Yoga.
Divya Chakshu, das göttliche Auge, ist oft symbolisiert durch das dritte Auge. In der physischen Welt siehst du die Dualität, was schon dadurch symbolisiert ist, dass du zwei Augen hast. Es geht darum, über die Dualität hinauszuwachsen. Es ist möglich, das innere Auge zu öffnen und in überbewusste Zustände zu kommen. Dort siehst du das Unendliche und das Ewige gleichzeitig.
Sanjaya, der Erzähler der Bhagavad Gita, erzählt diese Verse dem zuhause gebliebenen blinden König Dhritarashtra.
11-09 Sanjaya sprach: Nach diesen Worten, Oh König, zeigt der große Herr des Yoga, Krishna, Arjuna Seine höchste Gestalt als Ishwara, Herr des ganzen Universums.
11-10 und 11-11 Mit Girlanden und Kleidung von göttlicher Art geschmückt, mit göttlichen Salben gesalbt, das höchste strahlende Wesen, ohne Ende und mit Gesichtern nach allen Seiten mit zahlreichen Mündern und Augen, mit zahlreichen wunderbaren Anblicken, mit reichem göttlichem Schmuck, mit zahlreichen erhobenen göttlichen Waffen – diese Gestalt zeigte er.
Jetzt entsteht die Vision der kosmischen Gestalt in mehreren Stufen. Arjuna verliert das Bewusstsein. Zunächst sieht er noch Krishna selbst. Krishna, der ja eigentlich sein Wagenlenker ist, ändert seine Gestalt. Krishna fängt an zu leuchten, er wird größer, er hat mehr Münder und Augen. Krishna wird plötzlich großartig, um ihn sind Girlanden und all das, was man in einer Puja Gott darbringst.
11-12 Wenn der Glanz von tausend Sonnen mit einem Mal am Himmel erstrahlte, käme das dem Glanz dieses mächtigen Wesens gleich.
Plötzlich vergeht auch dies und es ist dort eine Lichtgestalt, unendliches Licht. Es ist nicht mehr Krishna als persönliches Wesen da. Jetzt ist nur noch Licht da, unendliches Licht.
Nachdem Arjuna dieses unendliche Licht gesehen hat, wird es plötzlich wieder konkreter. Man könnte auch sagen, reines Licht, das sind schon die höheren Stufen von Savikalpa Samadhi. Er überspringt hier jetzt einiges. Es ist durchaus wie ich es auch in Meditationserfahrungen erlebte, das Objekt der Meditation verschwindet und unendliches Licht ist da. Dort kann man lange bleiben. Wenn man aus dieser Lichterfahrung herauskommt, wird es nochmal besonders interessant für das Leben danach.
11-13 Und hier im Körper des Gottes der Götter, sah Arjuna das gesamte Universum mit seinen vielen Unterteilungen in Einem.
Jetzt hat auch Arjuna eine Vision. Arjuna sah im Körper des Göttlichen das ganze Universum mit vielen Unterteilungen. Jetzt sieht er das gesamte Universum als einen Körper Gottes. Zum einen ist Gott unendliches Bewusstsein. Zum anderen ist Gott unendliches Licht und als solches können wir Gott sehen.
Wir können auch sehen, diese relative Welt der physischen Ebene ist wie ein Körper Gottes. Angenommen der kleine Finger könnte meditieren und er würde z.B. über den großartigen Kopf oder die Nase meditieren. Plötzlich sieht er Nase und Kopf sind nur Licht und das Licht ist hinter dem ganzen Körper und dieser kleine Finger sieht, dass er selbst Teil dieses großen Körpers ist.
So verliert Arjuna sein individuelles Bewusstsein. Er sieht nur Krishna, den großartigen Krishna, dann sieht er Krishna nur noch als Licht, er sieht Krishna als Alles. Die ganze Welt ist wie der Körper Gottes. Aus dieser Erfahrung kommt Arjuna in große Demut.
11-14 Dann verbeugte sich Arjuna voll Staunen und zu Berge stehenden Haaren vor Gott und sprach mit gefalteten Händen
11-15 Alle Engelswesen sehe ich, Oh Gott, in Deinem Körper – er sieht also jetzt die Feinstoffwelten und die Kausalwelten – sowie die Heerscharen verschiedenster Wesen, Brahma, den Herrn, den Schöpfer, der auf dem Lotus sitzt, alle Weisen und die himmlischen Schlangen, die Urkräfte des Universums.
Hier sieht er die jetzt die Feinstoffwelten in Krishna.
11-16 Ich sehe Dich zu jeder Seite in unbegrenzter Gestalt, mit vielen Armen, Mägen, Mündern und Augen; ich sehe weder Anfang noch Mitte noch Ende, Oh Herr des Universums, Oh kosmische Gestalt.
Er sieht jetzt alles im Universum, das Göttliche.
11-17 Ich sehe Dich mit dem Diadem, der Keule und dem Diskus, eine Fülle von Glanz, die überall leuchtet, und die man nur sehr schwer betrachten kann, die rings herum lodert wie brennendes Feuer oder die Sonne und unermesslich ist.
Inmitten des gesamten Körpers sieht er plötzlich Vishnu mit Diadem, Keule und Diskus. Wieder ändert es sich. Eine Fülle von Glanz, die überall leuchtet, die man nur schwer betrachten kann, die rundherum lodert wie brennendes Feuer oder die Sonne, die unermesslich ist.
Die Vision ändert sich. Jetzt ist wieder reines Licht.
11-18 Du bist das Unvergängliche, das höchste Wesen, das es zu erkennen gilt. Du bist die großartige Schatzkammer dieses Universums; Du bist der unvergängliche Beschützer des ewigen Dharma; Du bist das Urwesen, so glaube ich.
Jetzt geht die Vision wieder zu Brahman hin. Krishna wird Brahman, das Unvergängliche, das Ewige, das Unveränderliche. Es geht wieder ins Relative.
11-19 Ich sehe dich ohne Anfang, Mitte und Ende, unendlich in deiner Macht, mit endlosen Armen, Sonne und Mond sind Deine Augen, das lodernde Feuer Dein Mund, der das ganze Universum mit Deinem Strahlen erwärmt.
11-20 Dieser Raum zwischen Erde und Himmel und alle Bereiche sind allein nur von Dir erfüllt; nachdem sie diese, Deine wunderbare und schreckliche Gestalt gesehen haben, erzittern die drei Welten vor Furcht, Oh Wesen erhabener Seele.
Hier zeigt sich etwas, was viele Menschen ebenfalls erfahren, wenn sie ins Überbewusstsein gehen. Es ist auch schrecklich, erschreckend, wenn man sieht, was dort alles so ist und was dort alles passiert und was dort alles passieren wird. Krishna sieht, dass es auch andere gibt, die Gott so sehen.
Er sieht auch, dass Ehrfurcht entsteht, nicht wirklich eine Angst um den Körper, aber eine Ehrfurcht vor der Großartigkeit des Göttlichen, der Unendlichkeit.
11-21 Wahrlich, in Dich treten diese Heerscharen der Götter oder Engelswesen ein; manche preisen Dich in Furcht mit gefalteten Händen; mit den Worten Svasti „möge es gut sein“, rühmen Dich Gruppen von großen Weisen und Vollkommenen mit vollendeten Hymnen.
So sieht also Arjuna die Großen, die Heiligen, die Engelswesen, die auch diese Erfahrungen haben.
11-23 Nach dem Anblick Deiner unermesslichen Form mit vielen Mündern und Augen, Oh Starkarmiger, mit zahlreichen Armen, Schenkeln und Füßen, mit vielen Mägen und fürchterlich mit vielen Zähnen – sind die Welten erschüttert, und ich bin es ebenfalls.
Jetzt kippt diese Vision ins Relative. Wenn Gott alles ist, ist er nicht nur das Schöne, sondern auch Vergänglichkeit, das Schreckliche und das, was verschwindet. Genau das sieht er.
11-25 Nachdem ich Deine Münder gesehen habe, fürchterlich mit Zähnen, die wie das Feuer der kosmischen Auflösung funkeln, kenne ich die vier Himmelsrichtungen nicht und finde auch keinen Frieden. Sei gnädig, oh Herr der Götter, Oh Wohnstatt des Universums.
Arjuna sieht etwas ganz Konkretes. Wenn Gott alles ist, ist er auch die Auflösung, die Vernichtung. Wenn auch die Zeit verschwindet, jetzt sieht er nicht nur alles als Körper Gottes, er sieht auch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Alles geschieht im Körper Gottes.
11-26 Alle Söhne Dhritarashtras mit den Scharen der Könige der Erde, Bhishma, Drona und Karna mit dem Ersten unserer Krieger,
11-27 Manche verschwinden rasch in Deinen Mündern mit ihren schrecklich anzusehenden fürchterlichen Zähnen. Manche stecken in den Spalten zwischen den Zähnen und ihre Köpfe werden zu Staub zermalmt.
Wenn Gott alles ist, ist er auch die Zerstörung. Und auch das sieht Arjuna. Er sieht, alles was jetzt auf der Erde ist, verschwindet und symbolisch sieht er es in den Zähnen Gottes.
11-28 Wahrlich, so wie viele Flussläufe dem Ozean zufließen, betreten diese Helden der Welt Deine flammenden Münder.
11-29 Wie Motten eilends auf das lodernde Feuer und somit ihrem Untergang entgegen fliegen, so eilen auch diese Geschöpfe voller Hast Deinen Mündern, ihrem Untergang, entgegen.
11-30 Du züngelst hoch und verschlingst zu allen Seiten alle Welten mit Deinen flammenden Mündern. Dein unbändiges Strahlen, das die Welt mit Glanz erfüllt, versengt und verbrennt auch alles.
11-31 Sage mir, wer Du bist, dessen Gestalt so grimmig ist. Ich verbeuge mich vor Dir, Oh erhabener Gott: habe Mitleid. Ich habe den Wunsch, Dein Urwesen zu kennen. Wahrlich, Dein Leben verstehe ich nicht.
Arjuna sieht in dieser Vision das großartige Licht, erhaben und wunderbar. Er sieht und erfährt das unendliche Bewusstsein jenseits von allem. Er erfährt, dass die ganzen Astral- und Kausalwelten im Geist Gottes sind. Er erfährt, dass das ganze physische Universum Körper Gottes ist. Dann erfährt er auch die Zukunft und dass in der Zukunft alles, was jetzt da ist, verschwindet. Gott ist auch die Zerstörung. Es ist oft die Frage der Gottesrechtfertigung. Vor dem Hintergrund des Leidens, kann es da einen Gott geben? Vor dem Hintergrund des Schlimmen, der Ungerechtigkeit, des Hungers, des Elends, der Gewalt – kann es einen liebenden Gott geben? Arjuna sieht genau das.
Vom Yoga-Standpunkt aus sagen wir, wir Menschen haben viele Leben. Wir wachsen und lernen im Lauf der vielen Leben. Letztlich kommen wir zur Erfahrung Gottes, indem wir in vielen Leben wachsen. Und so ist das Leiden in einem Leben nichts weiter Tragisches.
Gott ist das Unendliche und das Ewige. Gott manifestiert sich in einzelnen Körperteilen, er manifestiert sich in einzelnen Zellen. Jede einzelne Zelle verschwindet, Bewusstsein bleibt gleich.
Arjuna hat hier Zweifel. So antwortet Krishna im 32. Vers.
11-32 Krishna sprach: Ich bin die mächtige, weltzerstörende Zeit, die dabei ist, die Welten zu vernichten. Auch ohne Dein Zutun wird keiner der in den feindlichen Armeen aufgestellten Krieger überleben.
Das ist etwas, was wir uns vergegenwärtigen müssen: Niemand wird überleben. Langfristig geht alles kaputt, alles vergeht.
Ja, aus Mitgefühl helfen wir anderen. Wir wollen Gutes tun. Wir wollen voller Liebe sein. So wie Krishna ja dem Arjuna schon vorher wie auch in künftigen Versen sagt. Es gilt auch, sich bewusst zu machen. Alles, was einen Anfang hat, hat ein Ende.
Im 33. Vers sagt Krishna dem Arjuna:
11-33 Deshalb erhebe dich und erlange Ehre. Besiege die Feinde und genieße das unumstrittene Königreich. Sie sind wahrhaftig bereits durch Mich getötet worden; sei du nur Werkzeug, Oh Arjuna.
In diesem und den nächsten Versen beschreibt Krishna dem Arjuna, letztlich geschieht alles durch den Willen Gottes. Du selbst bist nur ein Instrument. Das können wir uns vor Augen führen. Auf einer Ebene müssen wir uns entscheiden und wir wollen uns für das Gute entscheiden. Aber auf einer tieferen Ebene wirkt Gott, egal, was wir tun. Letztlich sind wir nur Instrument in den Händen des Göttlichen.
Zwar müssen wir uns, um uns zu entwickeln, scheinbar mit Freiheit für das Gute entscheiden. Krishna sagt dem Arjuna gegen Ende der Bhagavad Gita: Jetzt entscheide dich und tue das, was du für das Richtige hältst. Aber auch die Entscheidung selbst ist nur scheinbar da.
Wir können das Instrument und die individuelle Entscheidung zusammen bringen, indem wir sagen, das Göttliche Universum ist vieldimensional und es gibt verschiedenste Dinge, die parallel passieren. So kannst du dich entscheiden, welche der Möglichkeiten du erfahren wirst. Aber letztlich macht Gott alles. So sagt auch Swami Sivananda: „Halte die Last auf deinen Schultern gering, fühle dich als Instrument. Handle mit bestem Wissen und Gewissen und dann lasse los. Dann geschieht der Wille Gottes“.
Wenn du nachher gelobt wirst, kannst du das Lob annehmen und Danke sagen. Und innerlich gibst du das Danke weiter. Wenn du z.B. ein Yoga-Zentrum aufbaust und Menschen dir sagen, ach wie großartig du das gemacht hast, wie toll du dieses Yoga-Zentrum führst, nicke und danke. Innerlich weißt du, nicht ich habe dieses Yoga-Zentrum gemacht – Gott hat es gemacht – ich habe es durch mich wirken lassen.
Wenn du ein Arzt oder Heilpraktiker bist und Menschen sagen, oh, du hast mir so viel Gutes getan, danke dafür und innerlich gib es an Gott weiter.
Wenn du mal einen Vortrag gegeben hast und es lief schlimm und Menschen schimpfen mit dir, gib auch das an Gott weiter und sage oh Gott, Du hast so durch mich gewirkt. Dann kannst du loslassen und musst dir nicht so viele Sorgen machen. Gott wirkt auch durch deine Fehler.
11-35 Sanjaya sprach: Nachdem Arjuna diese Worte von Sri Krishna vernommen hatte, faltete er die Hände, zitternd, verneigte er sich und wandte sich unter Verbeugungen und von Furcht überwältigt mit erstickter Stimme wieder an Krishna.
11-36 Oh Krishna, zurecht, jubelt die Welt in Deinem Lobpreis und ist hocherfreut; Dämonen fliehen aus Angst in alle Himmelsrichtungen und die Heerscharen der Siddhas, der vollkommenen Meister, verneigen sich vor Dir.
11-37 Und wie, Oh große Seele, sollten sie sich nicht vor Dir verneigen, Der Du größer bist als alles andere, sogar der Urgrund des Schöpfers Brahma, Unendliches Wesen, Oh Herr der Götter, Oh Wohnstatt des Universums; Du bist das Unvergängliche, das Sein, das Nichtsein und das Höchste jenseits von Sein und Nichtsein.
11-38 Du bist der Urgott Adi-deva, der Purusha, die Seele des Universums, ohne Anfang und Ende, die höchste Zuflucht dieses Universums, der Wissende, das zu Wissende, die höchste Wohnstatt. Du erfüllst das Universum, Oh Wesen mit unendlich vielen Gestalten.
11-40 Gruß dir, vorne und hinten! Ich verneige mich vor dir zu jeder Seite! Oh Alles! Du bist grenzenlos in Deiner Macht und Kühnheit und erfüllst alles; deshalb bist du alles.
Und jetzt kippt die Vision wieder. Nachdem er diese Großartigkeit gesehen hat, geht Arjuna ins Relative hinein. Er identifiziert sich wieder. Er überlegt, habe ich was falsch gemacht.
11-41 All die anmaßenden Dinge, die ich gedankenlos oder auch aus Liebe gesagt habe, wenn ich Dich genannt habe Oh Krishna, Oh Yadava, Oh Freund; wo ich Dich nur als Freund sah, weil mir Deine Größe nicht bewusst war; wie auch immer ich Dich beleidigt haben mag, Oh Krishna, im Scherz, im Spiel, wen wir Ruten ??? aßen, wenn wir allein oder in Gesellschaft waren, das bitte ich Dich, Oh Unermesslicher, mir zu vergeben.
Jetzt kommt Arjuna zurück in sein körperliches Bewusstsein und erkennt, ich habe so viele Fehler gemacht in meinem Leben. Bitte vergib mir. Und natürlich – Gott vergibt ihm.
11-44 Deshalb verneige ich mich, werfe mich vor Dir nieder und erflehe Deine Vergebung, Oh anbetungswürdiger Gott. Wie ein Vater seinem Sohn vergibt, ein Freund seinem lieben Freund, ein Liebhaber seiner Geliebten, so vergib auch Du mir, Oh Gott.
Jetzt kippt die Vision weiter. Arjuna identifiziert sich noch mehr.
11-45 Es erfüllt mich mit Freude, dass ich gesehen habe, was nie zuvor ein Mensch erblickte; und jetzt ist in meinem Geist verzweifelte Furcht. Zeig mir nur die (frühere) Gestalt, Oh Gott; habe Mitleid, Oh Gott der Götter, Oh Wohnstatt des Universums
Das ist natürlich schräg, denn er hat ja gerade gesehen, dass alle Siddhas, alle Vollkommenen, die große Welt gesehen haben. Da kommt ein bisschen Ego in Arjuna hinein. Das ist oft das, was einen aus tiefer Meditation heraushält. Man denkt plötzlich, ach, jetzt habe ich es geschafft. Oder oh, was habe ich alles für einen Unsinn gemacht, das ist auch eine Identifikation.
Vorher hat er gesehen, dass Gott alles gemacht hat, also hat man auch keine Fehler gemacht. Kommen kleine Identifikationen, sagt er, ich habe Fehler gemacht.
Man könnte sagen, es ist das tamasige Ego, das sagt, oh ich habe es falsch gemacht. Dann das rajasige Ego, oh ich habe etwas gesehen, was keiner vorher gesehen hat. Jetzt sagt er, habe Mitleid, oh Gott der Götter, oh Wohnstatt des Universums.
Jetzt kommt der 46. Vers, wo er sagt, es war gut, dass ich es gesehen habe, aber bitte, ich halte es nicht weiter aus.
11-46 Mein Wunsch ist es, Dich in der Gestalt des Vierarmigen zu sehen als der mit der Krone auf dem Kopf, mit der Keule, mit dem Diskus, mit dem Muschelhorn in der Hand, Oh Tausendarmiger, Oh kosmische Gestalt.
Arjuna sagt jetzt, ja ich habe Dich jetzt gesehen, das ganze Universum mit allen Schwierigkeiten und allem, was passiert. Zeige Dich mir wieder als Vishnu, lächelnd, beschützend, mit dem Diskus und allem anderen, Krishna als Inkarnation von Vishnu.
Das zeigt auch, wenn wir uns verlieren im Unendlichen, im Ewigen oder vielleicht Angst haben, unsere Individualität zu verlieren, dann können wir uns wieder an Gott in konkreter Gestalt wenden. Du kannst dann, wenn du dieses Großartige gesehen hast, aber nicht vollständig verschmelzen kannst und merkst, es ängstigt dich. Dann kannst du dich an deinen Meister wenden wie z.B. Swami Sivananda.
Du kannst dir eine konkrete Gestalt Gottes vorstellen wie z.B. Vishnu, Krishna oder Jesus. Du könntest ein Mantra sprechen wie es Arjuna macht.
Jetzt wendet sich Krishna an Arjuna:
11-47 Sri Krishna sprach: Oh Arjuna, diese kosmische Form habe ich dir gnadenvoll durch meine Yogakraft gezeigt; voll Glanz, ohne Anfang und ohne Grenzen, so hat nie ein Mensch vor der diese Meine kosmische Gestalt je erblickt.
Krishna geht ein bisschen darauf ein. Er bestätigt Arjuna fest, dass er der erste war. Was natürlich nicht so ist, denn Yashoda hat Krishna schon in dieser Gestalt gesehen. Alle Heiligen und Weisen haben in ihrer spirituellen Entwicklung eine Phase gehabt, wo sie Gott gesehen haben als Seele des ganzen Universums. Und das ganze Universum als Körper Gottes, die Feinstoffwesen und Engel als Teile des Göttlichen und in dem Göttlichen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und darin, die volle Verwirklichung des Universums in Vergangenheit und Zukunft läuft genauso ab wie es Gott will.
Aber Krishna will Arjuna jetzt bestärken. Und so sagt er im 48. Vers:
11-48 Nicht allein durch das Studium der Veden, durch Opfer, Geschenke, Rituale oder Askese kann Ich in dieser Gestalt in dieser Welt von einem Menschen je wahrgenommen werden.
Wir können es weder durch ein Studium der Schriften, durch Rituale oder durch Geschenke, durch Wohltätigkeiten und auch nicht durch Askese je erreichen. Wie können wir es erreichen? Letztlich können wir es erreichen durch Liebe.
So sagt Krishna dem Arjuna, durch Liebe zu Gott erfährst du es. Alles andere, was wir tun ist auch wichtig – wir tun es mit Liebe und dann wird Gott erfahren.
Auch im „Hohen Lied der Liebe“ finden wir es, wo es heißt, wenn man die Liebe nicht hat, ist alles, was man tut, nichts.
Im 49. Vers sagt Krishna dem Arjuna
11-49 Sei weder erschreckt noch erstaunt, wenn du eine so fürchterlichen Gestalt von Mir siehst, wie diese; ohne Furcht und freudigem Herzens sieh nun wieder Meine frühere Gestalt.
11-50 Sanjaya sprach: Nachdem Krishna so zu Arjuna gesprochen hatte, zeigte Er ihm wieder seine Form, seine relative Form, und die große Seele tröstete den Erschrockenen, indem Sie wieder Ihre milde Gestalt annahm.
So sah Arjuna Krishna wieder wie eine Art Mensch, ein schöner Mensch, der Gott ausstrahlt.
11-51 Arjuna sprach: Angesichts Deiner lieblichen menschlichen Gestalt, Oh Krishna, bin ich nun wieder gefasst und habe mich wieder gefangen.
Im 52. Vers fragt Krishna wie können wir diese Erfahrung von Arjuna wiederholen? Wie können wir diese Erfahrung machen?
11-52 Krishna sprach: Es ist wahrlich sehr schwierig, diese Meine Gestalt zu erblicken, die du gesehen hast. Auch die Devas, die Götter und Engelswesen, sehnen sich danach, sie zu erblicken.
Auch Wesen in höheren Bewusstseinsebenen haben vielleicht noch nicht diese großartige volle Gestalt gesehen.
Im 53. Vers sagt Krishna
11-53 Nicht durch das Studium der Schriften, nicht durch Askese, nicht durch Wohltätigkeit, auch nicht durch Rituale kann Ich in der Form gesehen werden, die du gesehen hast.
Immer wieder: Etwas Äußeres tun allein, reicht nicht aus. Einfach nur Schriften lesen und zitieren, ein Bibel-Studium, das Veda-Studium usw. reicht nicht aus. Auch nicht die Askese, also intensive spirituelle Praktiken. Auch nicht das uneigennützige Dienen, auch nicht religiöse Rituale.
Aber wie können wir es erreichen?
11-54 Durch einpünktige Hingabe jedoch kann Ich in dieser Gestalt erkannt und tatsächlich gesehen werden, und durch sie ist es auch möglich, in sie einzugehen, Oh Arjuna
Hier sagt Krishna dem Arjuna, was er noch tun muss.
Der nächste Schritt nach der Vision der Kosmischen Gestalt ist vollkommen einzutauchen, damit zu verschmelzen. Dann gibt es gar keine Furcht mehr.
Arjuna musste wieder raus gehen und jetzt in einer relativen Weise aus dem Bewusstsein der Einheit handeln. Irgendwann wird er den nächsten Schritt gehen müssen, diese Vision wieder zu erleben und vollkommen damit zu verschmelzen. Im Yoga würden wir sagen von Savikalpa Samadhi zu Nirvikalpa Samadhi zu kommen – von der Vision der Kosmischen Gestalt zur Verschmelzung mit Brahman.
Krishna sagt, du kannst dort hinkommen mit Bhakti. Damit kann man sagen, alles was du tust, mache mit Liebe und Hingabe.
Wenn du Schriften liest oder Vorträge hörst, mache es mit der Sehnsucht nach Wahrheit und mit Liebe zum Höchsten.
Wenn du spirituelle Praktiken übst, übe sie mit Liebe zum Höchsten.
Wenn du für andere etwas tust, tue es mit Liebe, mit Nächstenliebe und diene Gott in den Anderen.
Wenn du Rituale machst, mache sie mit Liebe, nicht rein mechanisch.
Und dann wirst du zum Göttlichen kommen.
Das betont Krishna im 55. Vers
11-55 mat-karma-krn mat-paramo mad-bhaktah sanga-varjitah nirvairah sarva-bhutesu yah sa mam eti pandava
Wer alles um Meinetwillen tut, in mir das Höchste sieht, mir ergeben ist, keine Verhaftung kennt und kein Geschöpf des Feindes ist, der kommt zu mir, Oh Arjuna.
Hier beschreibt er wie kommen wir zu diesen Bewusstseinsebenen, wo wir uns als Teil Gottes sehen. Wie kommen wir zur Erfahrung und zur absoluten Gewissheit. Gott macht alles – ich bin ein Instrument.
Oder noch mehr: Wie gehen wir ganz in dieses Wesen ein und erfahren die vollkommene Einheit? Hier sagt er, mache alles, was du tust um Gottes Willen. Sieh in Gott das Höchste. Sei Gott voll ergeben.
Man könnte sagen, mache deine Asanas, Pranayama, Meditation, mache deine Rituale für Gott. Mache auch dein uneigennütziges Dienen, Dana, Geben, Seva, Karma-Yoga für Gott.
Aber sieh auch das Höchste in Gott. Also sage nicht, mein höchstes Ziel ist, mehr Geld zu haben, meine Partnerin, mein Partner ist das Wichtigste, meine Kinder sind mir am wichtigsten, sondern sage, Gott ist mir am wichtigsten.
Sage, ich diene meinen Kindern, meinen Eltern, meinem Partner oder Partnerin als Gott. Was auch immer ich tue, in allem sehe ich Gott als das Höchste. Das könnte zum einen interpretiert werden, was auch immer du tust, sie es als Dienst Gottes. Mit wem auch immer du zu tun hast, siehe in ihm eine Manifestation des Höchsten.
Sei Gott ergeben, d.h. habe Vertrauen. Es geschieht, was Gott will, Schönes wie auch weniger Schönes. Nimm auch die Aufgaben, die Gott dir gibt. Sage nicht, oh Gott, warum lässt Du mich das machen? Schimpfe nicht über die Bösartigkeit der Menschen und die Paradoxien des Schicksals. Sei Gott ergeben und sage, Dein Wille geschehe. Was auch immer Du mir gibst, ich nehme es als Aufgabe an.
Dann sagt er noch, keine Verhaftung: Gott nimmt dir manchmal das, was dir am liebsten ist. Sei verhaftungslos! Lasse los! Sei kein Geschöpf des Feindes! Im Gegenteil, liebe Gott in allen Wesen! Gott ist in allen Wesen. Selbst wenn jemand dir Schlimmes antut, magst du dich dagegen zur Wehr setzen, aber hasse niemanden. In der Tiefe des Wesens ist jeder Gott. Egal was Menschen tun, irgendwo ist das alles in Gott, auch wenn wir das in unserem relativen Bewusstsein nicht verstehen. Auch wenn es vom relativen Bewusstsein unsere Aufgabe ist, ethisch zu handeln, von einem höheren Bewusstsein sehen wir alles geschieht in Gott.
Der Schlussvers den 11. Kapitels
11-Abschluss OM tatsaditi srimad bhagavadgitasupanishatsu brahmavidyayam yogashastre shrikrshnarjunasamvade vishvarupadarshanayoga namaikadasho ´dhyayah
11-Abschluss: So endet in den Upanishaden der glorreichen Bhagavad Gita, der Wissenschaft vom Ewigen, der Schrift über Yoga, des Dialoges zwischen Krishna und Arjuna das elfte Kapitel mit dem Namen Vishvarupadarshana Yoga, der Yoga der Vision der Kosmischen Gestalt, oder abgekürzt Vishvarupadarshana, die Vision der Kosmischen Gestalt.
Lies dieses 11. Kapitel immer wieder. Ich habe in dem Buch „Bhagavad Gita für Menschen von heute“ zum 11. Kapitel umfangreiche Erläuterungen geschrieben.
Swami Sivananda, in seinen Kommentar zur Bhagavad Gita, spricht aus seinen eigenen Erfahrungen. Gerade das 11. Kapitel wird durch Swami Sivananda besonders gut interpretiert.
Bei Yoga Vidya gibt es ein Yoga-Portal zur Bhagavad Gita, wo du die Kommentare von Swami Sivananda und mir hintereinander findest. So kannst du dich mit dem 11. Kapitel noch umfangreicher auseinander setzen.
Aber vor allem sei dir bewusst, das ganze Universum ist der Körper Gottes. Hinter allem steht das Göttliche. Jeder ist wie eine Zelle des Göttlichen. In höheren Bewusstseinsebenen kannst du das erfahren. In der höchsten Bewusstseinsebene bist du eins mit diesem göttlichen Bewusstsein. Um dort hinzukommen, habe Sehnsucht nach der Wahrheit. Widme Alles Gott und tue alles was du tust mit der Liebe Gottes. Nimm alles was kommt an als Aufgabe Gottes an dich. Sei dir bewusst, du bist ein Instrument in den Händen des Göttlichen. Dann wird all das, was Arjuna erfährt wohl noch mehr deine eigene Erfahrung und Verwirklichung.
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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.
Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.
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