YVS122 Die 4 Ashramas, Lebensalter

Welche spirituellen Praktiken kann man in welchem Lebensalter üben? Ändert sich die spirituelle Praxis im Lauf der Jahrzehnte?

Varnashrama Dharma ist ein wichtiges Konzept im Hinduismus. „Varna“ heißt Farbe, „Ashrama“ steht für Lebensalter. Das Grundprinzip ist, dass Menschen in unterschiedlichem Lebensalter Yoga und Spiritualität anders leben. Das Konzept von Varana ist, dass unterschiedliche Motivationen der Menschen bedeuten, Spiritualität unterschiedlich zu leben. Nicht immer ist das, was in alten Schriften steht heute anwendbar. Mindestens die Grundgedanken können für uns von Bedeutung sein.

Ashrama

Ashrama heißt das, was zur spirituellen Praxis hin führt. Shrama heißt spirituelle Praxis und Bemühen. A ist das was hinführt. Im Hindi wird das lange A verkürzt. Man sagt Ashram. In den vier verschiedenen Lebensaltern, vier Ashramas, führt Unterschiedliches zur spirituellen Praxis. Ashrama ist zum einen das Lebensstadium, zum anderem ist es ein Ort, der für Shramana, für spirituelle Praxis, besonders geeignet ist. Das Yoga Vidya Ashram in Bad Meinberg ist ein Ort in dem Menschen dauerhaft wohnen. In dem Ashram können bis zu 800 weitere Menschen kommen, um spirituell gemeinsam zu praktizieren.

Die vier Ashramas, die vier Lebensalter sind:

  • Brahmacharya, in diesem Kontext ist es die Schülerschaft, die typischerweise im Alter von 8 bis 12 Jahre beginnt und bis zum 20. Lebensjahr verläuft.
  • Grihasta beinhaltet, das ein Mensch im Beruf und Familienleben steht. Es beginnt im Alter von 20 bis 25 und geht bis ins Alter von 50 oder 60 Jahren.
  • Dann gibt es Vanaprastha. Das beginnt im Alter 50 bis 60 und geht bis etwa 75. Man könnte sagen, es ist die Zeit des Rentenalters.
  • Schließlich Sannyasa. Dies ist die vollständige Entsagung, etwa ab 75 Jahre.

Brahmacharya

Die ersten acht bis zwölf Jahre kann das Kind bei den Eltern leben und wird erzogen. Es ist wichtig, dass schwangere Frauen sich gesund ernähren. Wenn das Kind später Appetit auf ungesundes Essen bekommt, kann es sein, dass das Kind in einem früheren Leben sich ungesund ernährt hat. Wenn die Mutter dem widerstehen kann, tut sie sich selbst und dem Kind etwas Gutes.

Der Vater hat die Aufgabe, die Mutter dabei zu unterstützen und ihr zu helfen. Es ist gut, schon von Anfang anzuschauen, dass das Kind in einer spirituellen Umgebung aufwächst und sich zu Klängen von Mantras oder in der Meditationsschwingung aufhält. Eltern sollten keine Angst haben, dass das Kind zu sehr geprägt wird, wenn es schon früh anfängt Yoga zu machen, denn ein Kind wird von allem geprägt, was sich um ihn herum befindet. 

Manche Eltern sagen, sie wollen nicht, dass das Kind sich später in eine bestimmte spirituelle Richtung entwickelt, sondern das Kind soll später selber entscheiden können, inwieweit es sich darauf einlassen mag. Wenn man das Kind nicht spirituell erzieht, erzieht man es in einer anderen Richtung, in die Nichtspiritualität. Nachher wird das Kind ebenso fortfahren. Das Kind wird schon genug von den Spielkameraden in eine materialistische Sichtweise hinein gebracht werden. Bis zum Alter von acht bis zwölf wird das Kind schließlich von den Eltern geprägt und es wird das mit machen, was Eltern wollen.

Im Alter von acht bis zwölf Jahren fangen die Kinder und später die Jugendlichen an, selbst nachzudenken. Wenn ein Jugendlicher spirituelle Samskaras hat, wird empfohlen, in diesem Lebensalter besonders zu praktizieren und die Zeit des jugendlichen Enthusiasmus zu nutzen. Es ist eine Zeit in der viele Jugendliche sich fragen: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Woher kommt die Ungerechtigkeit? Was soll ich machen in meinem Leben?

Es ist leider traurig, dass in unserer Zeit Jugendliche dermaßen mit schulischem Stoff voll gestopft werden, dass sie keine Zeit haben, wirklich Wichtigem nachzugehen. Vielleicht sind die Ferien nochmal besonders wichtig. Wenn Kinder und Jugendliche eine gewisse Neigung haben, ist diese Zeit geeignet, wo sie die Philosophie kennen lernen sollten und Asanas üben sollten. In der schulfreien Zeit können sie Rituale kennenlernen. In solchen Perioden sollten sie intensiver praktizieren. Es wäre wünschenswert in dieser Zeit in den Ferien mindestens eine bis vier Wochen intensiver mit spiritueller Praxis zu verbringen. Was in dieser Zeit aufgebaut wird, wird sich das ganze Leben fortsetzen. Heutzutage ist dies sehr unrealistisch vor dem 18ten Lebensjahr umzusetzen, weil Kinder und Jugendliche von der Schule sehr stark geprägt sind. Wenn es möglich ist, wäre es die richtige Zeit von philosophischen Konzepten, für Mantras, Asanas usw. zu lernen. Wenn sie dann 18 bis 25 Jahre alt sind, könnte dieser jugendliche Enthusiasmus besonders genutzt werden. Es ist eine Zeit, in der der Körper leicht flexibler wird. Wenn ein Sechzigjähriger Asanas übt, wird er nicht so schnell Fortschritte machen wie ein Zwanzigjähriger. Für einen Brahmacharya ist es besonders wichtig Asanas, Pranayama, Mantra und Seva im Sinne von uneigennützigem Dienen zu praktizieren. Eine gewisse Meditation ist in dieser Zeit auch wichtig. Oft wird für junge Menschen tiefe und lange Meditation schwierig sein. Es wird empfohlen, in dieser Zeit ein einfaches Leben zu führen. Im klassischen Brahmacharya wird gesagt, es sollen keine sexuellen Beziehungen eingegangen werden, es soll ein einfacher Lebensstil vorliegen, das Essen und die Kleidung sollten einfach sein und die Wohnsituation sollte minimalistisch sein. Das ist vermutlich im heutigen Kontext kaum mehr umsetzbar und vielleicht auch nicht notwendig.

Wenn ein Jugendlicher in dieser Zeit eine gewisse Neigung hat zu einem asketischen Leben, dann sollte man das als Elternteil als ein gutes Zeichen ansehen. Vermutlich ist es sinnlos, Jugendliche in der normalen Gesellschaft versuchen zu vermitteln, dass sie sexuell enthaltsam leben sollen, einfach leben sollen und einfache Kleidung haben sollen. Hier sollte man den Jugendlichen ermöglichen am normalen Leben teil zu nehmen und den normalen Werten der Gesellschaft und zusätzlich Spiritualität näher bringen.

Grihasta

Grihasta ist die Bezeichnung für Jemand der im Berufs und Familienleben ist. Im alten Indien haben Menschen im Alter von zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren geheiratet. Manchmal werden in Indien schon Kinder im Alter von 2 bis 8 Jahre verheiratet. Die klassischen Schriften sprechen davon, dass zwei Menschen sich finden sollten, die vom Charakter her passen, die von ihrer Swarupa her stimmig sind. Typischerweise kommen dafür Astrologen und Gurus zusammen.

In dieser Phase ist es besonders wichtig Karma Yoga und Bhakti Yoga zu üben.

Karma Yoga ist der Yoga des uneigennützigen Dienens, des verhaftungslosen Handelns. Die Partner wachsen auf oder leben zusammen und dienen sich gegenseitig. Sie lieben sich auf allen Ebenen. Sie lernen diese Liebe zu kultivieren. Kinder kommen typischerweise in die Partnerschaft hinein. Das Paar wird den Kindern dienen. Es gilt den Nachbarn in der Umgebung zu dienen und den Gästen zu dienen, die kommen werden. Es gilt sich in der Gemeinschaft oder Dorfgemeinschaft zu engagieren. Da so wenig Zeit für spirituelle Praktiken da ist, gilt es überall das Ganze Gott darzubringen. Dies erfolgt durch Bhakti Yoga. Hinter allem Gott zu sehen und Gott dienen zu wollen steht hier im Vordergrund. Es gilt einen gewissen Sadhana zu üben. Sadhana ist die spirituelle Praxis. Dort gilt es etwa ein bis zwei Stunden am Tag für spirituelles Sadhana mit Asanas, Pranayama und Meditation, zu bewahren. Es gilt sattwig zu sein und ein sattwiges Leben zu führen. Karma Yoga wird als uneigennütziges Dienen betrachtet. Natürlich gilt es, Kontakt zu halten. Es ist wichtig mit einem spirituellen Lehrer oder einer spirituellen Gemeinschaft in Kontakt zu stehen und Satsang zu üben. Aber die Zeit für spirituelle Praktiken ist begrenzt. Es gilt ein ethisches, sattwiges Leben zu führen, zu dienen und alles was zu tun ist, zu spiritualisieren. Man kann seine Wünsche und Emotionen ausleben. Dies ist Karma. Die Sinnesbefriedigung und Artha, der Wunsch nach Erfolg und Anerkennung. Dharma, der Wunsch, seine Talente zu entfalten und der Wunsch etwas zu bewirken in dieser Welt.

Vanaprastha

Vana bedeutet wörtlich das Leben im Wald (Vana heißt Wald). Heute ist das sicherlich nicht mehr möglich, dass man sein Zuhause verlässt und im Wald lebt. Im alten Indien war das in Ausnahmefällen gegeben. Die Eltern haben das Haus verlassen und es den Kindern überlassen. Heute ist es üblich, dass die Kinder das Haus der Eltern verlassen und in eine kleinere Wohnung ziehen. Im Vanaprastha ist es anders herum. Es gibt mehrere Möglichkeiten. Idealerweise ziehen die Eltern in den Ashram. Manche ziehen als Familie in den Ashram.

Die klassische Aufgabe der Vanaprasthas ist die Lehrerrolle zu übernehmen für andere. Die jungen Brahmacharys haben klassischerweise im Alter von 8 bis 12 das Haus der Eltern verlassen. Sie sind daraufhin in ein Haus von Vanaprasthas gezogen. Es ist gerade als Vanaprastha angemessen, Yoga zu unterrichten. In dem Alter machen viele eine Yogalehrerausbildung. Sie stellen fest: es ist die Aufgabe, Yoga weiterzugeben. Was in Vanaprastha wichtig ist, ist zum einen die Zeit für Asana und Pranayama zu erhöhen. Wer schon früh beginnt, wird im späteren Alter mehr Vitalität und Gesundheit erfahren. Hatha Yoga in diesem Alter besonders wichtig. Ebenso wichtig ist das Lehren. Yogapraktiken werden an andere weitergegeben. Für manche mögen es die Enkel sein. Es heißt allerdings: Man soll im Vanaprasthalebensalter nicht seine ganze Zeit mit den Enkeln verschwenden. Vor allem sollte man nicht in die Erziehung der Kinder eingreifen. Es gibt leider viele Konflikte zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter, weil die Schwiegermutter meint, die Schwiegertochter kann nicht richtig erziehen. Großeltern reden ihren Kindern in die Erziehung der Enkel ein. Das solltest du nicht machen. Es ist etwas Menschliches, dass der Vanaprastha lehren will und jungen Menschen etwas beibringen will. Dies sollte jedoch nicht gegen deine Kinder erfolgen. Mache es viel mehr für andere. Wachse in die Lehrerrolle hinein.

In dieser Zeit ist natürlich Meditation wichtig. Gerade hier wird Meditation tiefer wirken. Besonders wichtig ist es, den Kontakt zu einem Ashram zu erhöhen, im Sinne von einer spirituellen Lebensgemeinschaft. Wenn du schon längere Zeit mit diesem Ashram in Verbindung warst, dann biete dort mehr dein uneigennütziges Dienen an. Du kannst dort unterrichten, vielleicht deinen Urlaub dort verbringen oder regelmäßig als Seminarleiter dort sein, in dem du häufiger Kurse nimmst. Hier wird die persönliche Familie langsam etwas weniger wichtig. An Wichtigkeit gewinnt der Stellenwert, sich mit anderen spirituellen Menschen zusammenzufinden. Dies kann das Zusammensein in einem Ashram sein oder eben eine Tätigkeit als Lehrer. Du bist mit anderen spirituellen Menschen in Kontakt, die du selbst inspirierst.

Sannyasa

Sannyasa bedeutet Entsagung. Sannyasa ist klassischerweise die Zeit ab 70, 80 Jahre bis zum Tod. Es würde heißen, du trennst dich von deinem Partner, löst dich von deinen Kindern und Enkeln und gehst ganz in den Wald. Dort widmest du dein Leben ganz der Meditation und dem Studium von Vedanta. Sannyasa bedeutet heutzutage nicht, dass du deine Familie ganz loslässt und dein Partner verlässt. Wenn ein Partner gestorben ist, dann lässt der andere ganz los. Wenn du selbst körperlich nicht mehr in der Lage bist, für andere Gutes zu tun, dann kann man loslassen und akzeptieren, dass man von anderen bedient werden muss, dass man eventuell gepflegt werden muss. Du hast weiter zwei Pflichten. Die eine Pflicht ist zu meditieren. Wenn die Meditation im Sitzen nicht mehr geht, mache es liegend.

Die zweite Aufgabe ist mit Vedanta und Jnana Yoga dich von allem zu lösen und zu erkennen: Sat chid ananda Swarupoham. Dies bedeutet: Meine wahre Natur ist Sein, Wissen und Glückseligkeit.

Man könnte sagen, manchmal kommt Sannyas etwas vorher. Wenn du keine Gelegenheit mehr hast, andere zu unterrichten und zu lehren, dann ist es Zeit für die Meditation. Mehr zu meditieren, spirituelle Bücher zu lesen und dich von allen Verhaftungen zu lösen wird in dieser Zeit empfohlen. Idealerweise wirst du in diesem Stadium die Erleuchtung erlangen. Wenn der Körper stirbt, ist das unwichtig und unbedeutend. Du hast vorher losgelassen und allem entsagt.

In diesem Sinne kannst du dich freuen auf das, was zukünftig auf dich zukommt. Wenn du momentan jugendlich bist, nutze die Zeit intensiv Asanas und Pranayama zu üben. Lerne, über die spirituellen Prinzipien, nutze deinen Enthusiasmus und lasse dich nicht von deinen Eltern in deinem Enthusiasmus behindern. Wenn du in Grihasta bist und merkst, du hast nicht sehr viel Zeit für die Praktiken, dann nehme dir die Zeit, die du brauchst, aber praktiziere mindestens eine Stunde. Diene und denke an Gott. Halte zudem Kontakt in einem Satsang mit anderen spirituellen Menschen. Lebe ein sattwiges Leben. Es ist in Ordnung, deinen Wünschen und Bedürfnissen nachzugehen. Tue etwas für die Gemeinschaft. Wenn es Zeit ist, deine Kinder auf eigenen Beinen stehen können und sie entweder das Haus verlassen oder du das Haus verlässt, lasse los. Wenn ihr beiden zusammen seid, aber nicht mehr voneinander abhängt, dann bist du im Vanaprastha.

Jetzt übe wieder mehr Asanas und Pranayama. Widerstehe den Wunsch nur noch zu meditieren. In diesem Alter musst du an deinem Körper arbeiten. Lebe besonders gesund. Dann komme ins Lehren hinein. Wenn die Meditation tiefer werden kann, verbringe mehr Zeit damit. Intensiviere den Kontakt mit einem Ashram. Dies kann erfolgen, in dem du dort selbst lehrend bist. Du bringst deine Fähigkeiten ein oder in dem du intensiv Seminare machst und vieles nochmals lernst. Irgendwann ist die Zeit gekommen, wo deine äußeren Pflichten weniger werden. Weil deine Meinung nicht mehr gefragt ist, wenn du körperlich nicht mehr in der Lage bist, dann erkenn dies als Übergang zu Sannyasa. Es ist die Zeit, in der weniger äußerliche Dinge mehr bewirken. Vermehrte Meditationen und Reflektionen über die Tiefe des Wesens sind vorherrschend. Allen Verhaftungen entsagen und erfahren Sat chid ananda Swarupoham: Meine wahre Natur ist Sein, Wissen und Glückseligkeit.

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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

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