Kommentar zum 2. Kapitel der Bhagavad Gita.
Jetzt möchte ich die Verse 10 bis 30 des 2. Kapitels der Bhagavad Gita kommentieren.
Die Bhagavad Gita, der „Gesang des Erhabenen“ oder "die von Gott gesungene", ist ein wunderbares Werk, um zu verstehen, wer du wirklich bist. Das 2. Kapitel ist vielleicht das wichtigste Kapitel. Es schreibt praktisch über alles, was das spirituelle Leben ausmacht.
Vers 10
Die Seele ist unsterblich. Nichts kann der Seele passieren. Der physische Tod berührt die Seele nicht.
Sanjaya (der Erzähler) sprach: Nachdem Arjuna zu Hrishikesha (Krishna) gesprochen hatte, sagte er: „Oh Krishna, ich will nicht kämpfen!“ und verstummte. „Bitte sage mir, was zu tun ist. Ich will aber nicht kämpfen!“
Manchmal wenden sich Schüler an einen Lehrer: „Bitte sage mir, was ich tun soll" und dann beantworten sie paradoxerweise mit „aber, ich weiß schon, was ich nicht will!"
Zu dem Verzweifelten, der zwischen den beiden Armeen stand, sprach Krishna beinahe lächelnd folgenden Worte: „Arjuna ist verzweifelt, er weiß nicht, was er tun soll. Er rauft sich das Haar, hat die Waffen weggeworfen“. Krishna lächelt weise.
Der Schüler ist verzweifelt, der Lehrer ist liebevoll, aber lächelt. Es ist Mitgefühl da, zerfließt aber nicht in Mitleid. Er geht nicht ganz in diesen Sumpf hinein und behält die übergeordnete Perspektive.
Krishna holt Arjuna aus seiner Froschperspektive heraus. Arjuna ist gefangen. Er weiß nicht, was er tun soll. Egal was er tut, es wird immer falsch sein.
Krishna sagt ihm: „Du erzählst weisen Worte, aber du bist unsterblich. Alle sind unsterblich. In Wahrheit wird nichts passieren. Du magst jetzt denken, du tötest und andere werden getötet. Aber in Wahrheit passiert nichts. Die Weisen sorgen sich weder um die Lebenden, noch um die Toten. Es gab nie eine Zeit, in der ich nicht war oder auch du oder dieser Herrscher. In Wahrheit werden wir in Zukunft niemals aufhören zu sein.“
Wenn du verzweifelt bist, mache dir bewusst, dass du unsterblich bist, dass dir nichts passieren kann. Ob du Liebeskummer hast, einen Konflikt mit dem Partner, dem Chef, eine unheilbare Krankheit hast oder jemand schlecht über dich spricht, was auch immer geschieht, du bist unsterblich und unberührt von allem.
Krishna relativiert plötzlich den Konflikt, in dem Arjuna sich befindet und sagt ihm, das spiele keine große Rolle.
Vers 13
So wie in diesem Körper das Verkörperte durch Kindheit, Jugend und Alter geht, so geht es auch in einen anderen Körper. Der unerschütterliche Mensch sorgt sich nicht darum.
Du, als Bewusstsein bist schon in diesem Körper durch verschiedene Stadien gegangen. Wenn du alte Fotos hast, siehst du dich als Baby, als Schüler, Jugendlicher. Du bist in diesem Körper durch verschiedene Stadien hindurchgegangen, aber du als das Ich, hast dich nicht verändert. Irgendwann stirbt dieser Körper, aber du bleibst bestehen.
Oh Arjuna, die Kontakte der Sinne mit den Objekten, die Hitze und Kälte, Vergnügen und Schmerz hervorrufen, haben ein Anfang und ein Ende. Sie sind nicht dauerhaft. (Titikshasva). Ertrage sie tapfer, oh Arjuna. Schönes geschieht, weniger schönes geschieht, Menschen sind freundlich, mal weniger freundlich, du hast mal Erfolge, dann wieder Misserfolge. Halte es aus, lerne es, dich nicht davon berühren zu lassen. Es spielt keine Rolle.
Dieser unerschütterliche Mensch, den all dies nicht berührt, dem Vergnügen und Schmerz gleichbedeutend sind, der ist geeignet, Unsterblichkeit zu verwirklichen. Er sagt, du bist das Unsterbliche selbst. Du bist der Atman. Um diesen zu verwirklichen, bewahre Gleichmut in den Wechselfällen des Lebens.
Vers 16
Das Unwirkliche hat kein Sein, es gibt kein Nichtsein des Wirklichen. Wer die Wahrheit kennt, hat erkannt, was an beidem wahr ist. Diese relative Welt ist nicht wirklich real. Es ist eine Illusion, Maya. Das Absolute wird niemals zur relativen Welt und die relative Welt existiert nicht wirklich. Erkenne das und lächle in dieser relativen Welt.
Vers 17
Erkenne das als unzerstörbar, welches all' das durchdringt. Niemand kann die Zerstörung des Unvergänglichen bewirken. Es heißt, diese Körper, die das ewige, unzerstörbare und unermessliche Selbst umgeben, hätten ein Ende.
„Kämpfe, oh Arjuna. Körper haben ein Ende“.
Kämpfe kann man so interpretieren: höre auf, dich zu identifizieren. Du bist nicht der Körper. Du bist nicht die Psyche. Bemühe dich, das zu verwirklichen.
Vers 19
Weder derjenige, der das Selbst für den Tötenden hält, noch derjenige, der denkt, es, das Selbst, werde getötet, erkennt, dass das Selbst weder tötet noch getötet werden kann.
Nichts kann dir passieren, nichts kann deinen Angehörigen passieren. Wenn dein Vater oder deine Mutter stirbt oder dein Kind gestorben ist oder du erfährst, dass du eine unheilbare Krankheit hast, dann mache dir bewusst, dass nicht du, dein Vater, deine Mutter oder dein Kind gestorben ist, sondern der Körper. Das Selbst ist unsterblich, mache dir das bewusst.
Vers 20
Es, das Selbst, wurde nicht geboren und stirbt auch niemals. Nachdem es diese materielle Welt verlässt, hört es dennoch nicht auf zu sein.
Als ungeborenes, ewiges, unveränderliches und uraltes Selbst kann es nicht getötet werden. Selbst dann nicht, wenn der Körper getötet wird. Wenn ein Mensch jedoch erkennt, dass das Selbst unzerstörbar, ewig ungeboren und unerschöpflich ist, wie kann der Mensch dann töten oder Tod verursachen?
So wie abgetragene Kleider abgelegt und neu angelegt werden, wirft das verkörperte Selbst abgetragene Körper ab und betritt andere und neue. Wie du verschiedene Kleider anziehst und nachher wieder ausziehst, wirst du Körper anziehen und wieder ausziehen. Die Kleidung wechselst du. Deinen Körper wechselst du. Bist du jemand anderes, wenn der Körper stirbt? Nein. Auf gewisse Weise machst du das jeden Tag. Nachts verlässt du diesen Körper, schaffst dir deine Traumwelt, verlässt die Traumwelt, gehst in den Tiefschlaf. Am nächsten Morgen betrittst du wieder deinen Körper. Nachts legst du wieder das Körperbewusstsein ab. Der Körper muss gewaschen und gereinigt werden. Der Körper braucht Asanas, Pranayama und gute Ernährung. Immer wieder von Neuem. Irgendwann geht dieser Körper kaputt.
Ich erlebe es leider immer wieder bei Yoga-Aspiranten, dass dies in der Theorie zwar gut klingt, wenn jemand nahe Angehörige wie Mutter, Vater oder der Partner stirbt oder man eine gefährliche Krankheit hat, dann ist man vollkommen verzweifelt. Das ist menschlich nachvollziehbar. Aber du solltest im Hinterkopf behalten, dass die Seele unsterblich ist. Der Seele passiert nichts.
Bei wichtigen Entscheidungen, z. B. bei Krebs, ob Chemotherapie erfolgen soll oder nicht, ob Biologika eingenommen werden sollten oder nicht, Operationen angebracht sind oder Bestrahlung angemessen ist. Es ist nicht erheblich. Tue das, was du denkst und was am besten helfen kann, dass der Körper weiter lebt.
Du bist das unsterbliche Selbst. Nicht so viel hängt von deiner Entscheidung ab. Nur, ob du dieses Körperkleid noch etwas länger oder kürzer hast. Es ist nicht so wichtig.
Vers 23
„Waffen schneiden es nicht“, „Feuer verbrennt es nicht“, „Wasser befeuchtet es nicht“, „Wind trocknet es nicht“.
Das kann man deuten als die vier Elemente. Waffen stehen für die Erde und alles, was damit zusammenhängt, Feuer steht für das Feuer und alles, was passieren kann, Verletzungen und Kränkungen, Ärger usw. „Wasser befeuchtet es nicht“ - Wasser könnte für Emotionen und Gefühle usw. stehen. „Wind trocknet es nicht aus“. Wind steht für Gedanken usw. Es ist egal, was geschieht, das Selbst ist unberührt.
Vers 24
Das Selbst kann nicht zerschnitten, verbrannt, befeuchtet oder getrocknet werden. Es ist ewig, all-durchdringend, fest, unverrückbar und ohne Anfang und ohne Ende. Von ihm, dem Selbst heißt es, es sei nicht sichtbar, gedanklich nicht fassbar und unveränderlich. Da du weißt, dass es so ist, sorge dich nicht.
Vers 27
Denjenigen, die geboren wurden, ist der Tod gewiss, sowie die Geburt für diejenigen, die gestorben sind. Sei nicht besorgt über das Unvermeidliche.
Zu Beginn sind Wesen unsichtbar, in ihrer Mitte sichtbar, oh Arjuna, und am Ende sind sie wieder unsichtbar. Warum sollte man sich also sorgen? Der eine sieht dies, das Selbst als Wunder an, der andere spricht darüber wie von einem Wunder, ein anderer hört davon wie von einem Wunder und obwohl sie davon gehört haben, versteht das Selbst doch keiner. Dies, das im Körper jedes Menschen wohnende, ist stets unzerstörbar, oh Arjuna, deshalb: sorge dich nicht.
Das sind wunderbare Verse, mit denen Arjuna die Unsterblichkeit der Seele beschreibt. Spüre das, lasse diese Worte auf dich wirken. Lies die Bhagavad Gita, 2. Kapitel 10 ff immer wieder. Gerade auch, wenn du einmal in einer schwierigen Situation bist.
In einer verzweifelten Situation gilt es erst einmal, herauszukommen aus der bisherigen. Wenn alle um dich herum verzweifelt sind und lamentieren, schau dir den übergeordneten Standpunkt an. Du bist unsterblich! Der Körper vergeht. Alles auf dieser Welt hat ein Anfang und ein Ende.
Die Bhagavad Gita hört hier nicht auf. Es geht 16 1/2 Kapitel weiter. Es reicht nicht aus, um die ethisch korrekte Antwort zu geben auf ethische Dilemma.
Man könnte sagen, das sind alles Kapitel, in denen Krishna Arjuna erst einmal Grundeinstellungen vermittelt. Damit kann er noch nichts entscheiden.
1) Jnana-Yoga, Vedanta.
Darin erzählt er ihm über die Unsterblichkeit der Seele.
Er erzählt Arjuna, dass die Seele unsterblich ist und sagt ihm, dass er sich nicht so viele Gedanken machen und die Emotionalität verlassen soll. Seine Verzweiflung sei überflüssig. Er sagt: „Egal, wie du dich entscheidest, die Seele ist unsterblich. Es hängt nicht davon ab, was du denkst.“
2) Karma Yoga.
„Tue, was zu tun ist, ohne verhaftet zu sein, gib alles Gott dar“.
Krishna erzählt Arjuna, mit welcher Einstellung du so handeln solltest, dass du dich nicht bindest? Identifiziere dich nicht. Sei gleichmütig in Erfolg und Misserfolg, hänge nicht an den Früchten der Handlung und fühle dich als Instrument. Gib alles Gott dar. Dabei spielt es auch keine Rolle, was du tust.
3) Bhakti-Yoga
„Bringe alles Gott dar, erkenne Gott, fühle Gott, entwickle Gottesliebe“.
Krishna sagt Arjuna, bringe alles Gott dar. Verehre Gott, sieh in allem Gott, verneige dich vor Gott und bitte Gott um Hilfe.
4) Raja-Yoga, Yoga des Geistes
„Lerne, deinen Geist zur Ruhe zu bringen. Entwickle Gelassenheit in Erfolg und Misserfolg, in Lob und Tadel, in Hitze und Kälte, wenn es schön und weniger schön ist. Lerne zu meditieren, mache deinen Geist ruhig.“
Nachdem Arjuna all das verstanden hat, erst danach ab dem 13./14. Kapitel, gibt Krishna Arjuna konkrete Kriterien an die Hand, derer Arjuna entscheiden kann.
Er erzählt ihm von Sattva, Rajas und Tamas und rät ihm, tue das Sattwige. Er spricht zu ihm über Sura und Asura (oder Daiva und Asura). Es ist das Lichtvolle, das ist das Ungute oder das Ethische und das Unethische. Tue das Ethische. Dann spricht er zu ihm über Dharma, Verantwortung. Er gibt ihm Kriterien, worin er erkennt, was seine Verantwortung und Pflicht ist. Er spricht über Swarupa und sagt ihm, höre auf dein Herz und spüre, was du tief im Inneren für richtig hältst.
Dann sagt er ihm, nachdem du all das abgewogen hast, bringe alles Gott dar. Lass los, triff eine Entscheidung und dann wird dir nichts Schlimmes passieren.
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Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.
Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.
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