YVS102 Raja Yoga – Konzentration im Alltag

Wie lauten die acht Stufen des Raja Yoga? Wie kannst du dich im Alltag konzentrieren? Warum ist es gut sich zu konzentrieren? Warum ist Konzentration einer der Schlüsselbegriffe im Raja Yoga?

Folgend geht es um die acht Ashtangas und ganz praktisch um die Frage: Wie kannst du Raja Yoga mit Konzentration im Alltag leben?

Zunächst folgt eine kurze Wiederholung. Raja Yoga wird oft als „königlicher Yoga“ übersetzt. Raja Yoga ist letztlich der Yoga der Selbstbeherrschung. „Raja“ heißt Herrscher, und Raja ist derjenige, der eine Führungspersönlichkeit ist. Raja Yoga heißt, dass du nicht einfach Sklave deiner Emotionen und Gefühle bist. Du lässt dich nicht einfach von dem, was kommt, treiben. Du entwickelst Selbstwirksamkeit, Verantwortung und Selbstverantwortung. Zudem übernimmst du Selbstverantwortung für das, was in deinem Geist vorgeht.

Im Raja Yoga gibt es die Ashtangas. „Ashta“ heißt „acht“, „Anga“ heißt „Teile“. Ashtangas sind die acht Teile. Im Deutschen meist übersetzt als die acht Stufen. Anga heißt eigentlich nicht Stufe, sondern Teil oder Glied. Du hast vier Körperglieder, die Arme und Beine; sie werden auch als Angas bezeichnet. Auf ähnliche Weise hat Raja Yoga acht Angas: Yama, Niyama, Asana, Pranayama, Pratyahara, Dharana, Dhyana und Samadhi.

Es gibt viele Interpretationen dieser Ashtangas. Man kann sie alle unter das Thema der Konzentration zusammen bringen.

Yama gibt dir eine bestimmte Klarheit im Geist. Yamas sind der Umgang mit anderen Menschen. Yamas sind auch Einschränkungen. Yama heißt tatsächlich Einschränkung. In einer gewissen Weise heißt Yama, du schränkst dich in deinem Verhalten ein.

Du überlegst nicht, ob du lügen oder die Wahrheit sagen sollst, ob du jemandem eins auswischen oder freundlich sein sollst, um etwas zu erreichen. Du bist freundlich. Du tust das Unethische nicht, sondern sagst die Wahrheit. Das ist Ahimsa.

Auf Fragen wie etwa, ob man untreu werden soll, weil es jetzt neue Möglichkeiten sexueller Erfahrung gibt, obgleich man in einer festen Beziehung lebt, antwortet Raja Yoga mit „nein“. Halte dich an die Treue. Soll man, um schneller voranzukommen, jemand anderen bestechen? Auch hier sagt Raja Yoga „nein“; Unbestechlichkeit sollte vermieden werden.

Die Ethik im Raja Yoga soll dir helfen, Klarheit des Geistes zu erhalten. Beim Lügen musst du nachher überlegen: Wie kann ich das Lügengeflecht aufrechterhalten? Beim Herausfinden der Wahrheit, stellt sich darauf die Frage: Wie gehst du damit um? Der eine weiß die Wahrheit, der andere weiß die Wahrheit nicht? Dein Leben wird kompliziert und voller Sorgen. Bleibe wahrhaftig. Dies bedeutet, dich so zu verhalten, dass dein Leben offen sein kann.

Natürlich müssen nicht alle Menschen alles von dir wissen. Du musst nicht deine Schwächen herum posaunen. Im Grunde genommen verhalte dich so, dass, wenn Verschiedenes über dich herauskommt, es dich nicht in Probleme führt. Sei wahrhaftig oder schweige. In jedem Fall gilt, nicht zu lügen.

Das Aufrechterhalten von Lügen führt zu ständigen Sorgen. Wenn du irgendwelche Dinge gemacht hast, die nicht gut sind, wirst du immer unter der Angst stehen, dass es irgendwann mal hochkommt. Im Zweifelsfall kann es klüger sein, offen zu deinen Fehlern zu stehen. Es mag da viele einzelne Gesichtspunkte geben. Das Folgende soll kein Ratschlag für jede ethische Situation sein. Yama heißt eine gewisse Klarheit. Das hilft dir bei der Konzentration und letztlich hilft es, zum Glück zu kommen.

Niyama läuft ebenfalls darauf hinaus, einen konzentrierten Geisteszustand zu erlangen. Niyama beinhaltet Shaucha – Reinheit, Santosha – Zufriedenheit, Tapas – Askese, Svadhyaya – Selbststudium und Ishvara Pranidhana – Hingabe an Gott. Das ist hilfreich für die Konzentration des Geistes.

Wenn du in einer Umgebung lebst, die unaufgeräumt und verdreckt ist, und in der du nichts findest, ist keine Klarheit des Geistes da. Deshalb ist es wichtig, seine Umgebung entsprechend klar zu gestalten – Shaucha.

Santosha ist ebenso wichtig: Entwickle Zufriedenheit, anstatt zu überlegen, was du noch alles brauchst und was du noch unbedingt machen musst. Das führt zu Shanti, zu Frieden.

Tapas heißt u. a. weitermachen. Auch wenn es schwerfällt, dich nicht gleich wieder in Frage zu stellen, sollte weiter gemacht werden. Du hast etwas beschlossen, und du willst etwas tun. Die Umsetzung kann schwer werden. Tapas heißt auch, seinen Geist zu disziplinieren. Bewusst Dinge tun, die der Geist nicht mag. Erziehe deinen Geist, auch solche Dinge zu tun. Noch besser ist es, deinen Geist dazu zu bewegen, Dinge zu mögen, die er bisher nicht mochte.

 

Du weißt, im Grunde genommen kannst du glücklich sein, was auch immer du tust. So viele Sorgen verschwinden. Wenn du nachher Ishwara Pranidhana übst, alles Gott darbringst, dann brauchst du dir noch weniger Gedanken zu machen. Du könntest dir sagen, dass Gott sogar durch deine Fehler wirkt und Gott alles darbringen.

Dann folgt Asana. In der „Hatha Yoga Pradipika“ heißt es, Asana und Pranayama helfen der Konzentration des Geistes. Übe die Hatha-Yoga-Techniken. Damit wirst du konzentrierter werden. Da gibt es inzwischen einige empirische Studien. Menschen, die mit der Hatha-Yoga-Praxis beginnen, steigern ihre Konzentrationsfähigkeit und ihr Merkvermögen. Sogar der IQ steigt, wenn du Asanas und Pranayama übst. Wenn du deine geistigen Fähigkeiten entwickeln willst, übe Asana und Pranayama.

Asana heißt auch Haltung. Man kann sagen, eine Grundhaltung, im Hier und Jetzt konzentriert sein zu wollen. Es ist das bewusste Einnehmen einer Haltung im Alltag. Du kannst natürlich „eingesunken“ sein, aber du kannst auch aufgerichtet sein.

Habe die Haltung der Aufrichtigkeit, der Klarheit und der Konzentration. Übe mit dem Atem die tiefe Bauchatmung. Steuere dein Prana und richte es aus. Du kannst sagen, ich freue mich darauf, dieses und jenes zu tun. Da geht dein Geist hin, aber auch deine Energie.

Pratyahara heißt letztlich, den Geist zurückziehen auf das, was getan werden muss. Pratyahara ist immer wieder der Entschluss, den Geist nicht abdriften zu lassen.

Dharana hat etwas mit Festhalten zu tun. Es gibt eine Definition von Dharana im 3. Kapitel des „Yoga Sutra“, die besagt, den Geist in einem bestimmten Feld zu halten. Es ist ein gewisses „Bandha“, ein Festhalten. Dharana ist der Entschluss: Ich halte meinen Geist dort. Das ist auch eine gewisse Einstellung.

Diese Einstellung führt irgendwann zu Dhyana, d. h. dem vollkommenen Absorbiertsein, und schließlich zu Samadhi, dem Überbewusstsein.

Raja Yoga ist zuerst einmal der Entschluss, sich nicht von allen möglichen Stimmungen und von dem, was ständig kommt und geht, beeinflussen zu lassen. Statt mir ständig Sorgen zu machen, konzentriere ich mich auf das, was ansteht. Ein Entschluss wird gesetzt. Daraufhin gilt es, diesen in Handlung umzusetzen.

Wenn du morgens aufstehst, kannst du sagen: „Atha Dhyanam“,Jetzt Meditation“. Während der Meditation wird dein Geist dir den Vorschlag machen, über das nachzudenken, was du den Tag hindurch alles zu tun hast: „Denk mal darüber nach, wie deine Beziehung ist, was dein Chef von dir hält, was die Kunden von dir wollen; denk mal über deine Kollegen nach“ usw. Dann antworte deinem Geist: „Danke für den Vorschlag, darüber nachzudenken, aber nein, danke. Jetzt Meditation.“

Genauso verhält es sich, wenn du deine Asanas und Pranayama machst. Wenn du dich zum Essen hinsetzt, iss bewusst. Wenn du dich beim Essen mit deinem Partner/deiner Partnerin unterhältst, dann machst du zwei Sachen, du isst und du sprichst. Sprich dann zumindest konzentriert. Denk nicht über den Tag nach während du sprichst, isst oder die neusten WhatsApp-Nachrichten auf deinem Handy liest.

Konzentration ist Raja Yoga. Wenn du dich mit jemandem unterhältst, schaffe eine Herz-zu-Herz-Verbindung und höre dem anderen bewusst zu. Wenn du sprichst, sprich bewusst. Sei konzentriert.

Am Tag baue immer wieder Momente der Konzentration ein, z. B. bei deiner Arbeit. Stelle sicher, dass du während dieser Zeit nicht von irrelevanten E-Mails, Facebook-, WhatsApp o. ä. Nachrichten gestört wirst.

Wenn du etwas tust, konzentriere dich darauf. Sorge immer dafür, dass du 20 Minuten am Stück auf etwas konzentriert bleibst. Wenn du plötzlich hörst, dein Kollege unterhält sich mit jemand anderem, mische dich nicht ein. Wenn du mitbekommst, draußen im Flur unterhalten sich zwei Leute, renne nicht gleich raus. Sei konzentriert bei dem, was du tust.

Zwischendurch sind kleine Achtsamkeitsübungen hilfreich. Wenn du z. B. von einem Büro zum anderen gehst, gehe bewusst. Wenn du zur U-Bahn gehst, gehe bewusst dorthin. Wenn du staubsaugst, dann staubsauge bewusst. Wenn du Hemden bügelst, sei konzentriert dabei.

Es gibt zwei Formen von Konzentration, die aktive und die passive. Aktive Konzentration heißt, du leitest deine Gedanken bewusst auf etwas, z. B. auf die Erledigung einer Aufgabe. Passive Konzentration liegt vor, wenn du das, was sowieso abläuft, bewusst wahrnimmst. Du gehst beispielsweise von hier nach da und du beobachtest dies. Oder du hörst einfach einem anderen Menschen zu und spürst ihn. Aktiv wäre, zu überlegen, was du dem anderen sagen und wie du es sagen willst. Welche Erwartungen hast du? Was erhoffst du von deinem Gegenüber? Dann bist du ganz konzentriert, überlegst und sprichst es dann auch aus.

Es braucht aktive und passive Momente der Konzentration, die als Achtsamkeit bezeichnet werden.

Zudem braucht es Momente, wo du deinem Geist mal freien Lauf lassen musst und wo der Geist über Dinge nachdenken und reflektieren kann.

Die höheren Stufen des Bewusstseins, Dhyana und Samadhi, kommen dann, wenn du Dharana kultivierst, wenn du dich bewusst auf bestimmte Dinge konzentrierst. So wie Patanjali im 3. Kapitel Dharana definiert: „Desha Bandha Dharana“. Konzentration heißt, den Geist auf einen bestimmten Ort zu beschränken. Die Probleme kommen immer, wenn du kein Desha Bandha hast.

Du möchtest dich eigentlich mit einem Menschen unterhalten. Desha, der Ort, ist Unterhaltung und Gemeinsamkeit. Wenn du während der Unterhaltung ständig überlegst, was dein Chef noch denkt und was du heute Abend noch machen musst, entsteht keine Verbindung. Wenn du aber Desha Bandha schaffst, einen Ort des Gesprächs, dort den Geist hältst, wird es ein gutes Gespräch werden.

Wenn du vor einer Entscheidung stehst, gilt immer wieder zu überlegen, was ist jetzt Desha? Wo befindet sich der Raum der Konzentration? Wo soll mein Bewusstsein hingehen? Desha Bandha – du beschränkst deinen Geist auf diese Entscheidung. 

Schaffe dort Desha Bandha, die Grenzen, innerhalb derer der Geist ist. Daraus entsteht dann Dharana, Konzentration. Aus Konzentration entsteht Energie, Freude, Intuition, Wissen und Meisterschaft. Das baut Patanjali im 3. Kapitel des Yoga Sutra weiter aus.

 

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Gekürzter Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

 

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