Einige Anregungen vom Yoga-Standpunkt aus
Das Wort Emotion heißt: das, was bewegt. Motio ist lateinisch die Bewegung, movere steht für bewegen und emovere bedeutet herausbewegen. Emotion ist etwas, das uns bewegt, motiviert und letztlich auch, was uns Energie gibt.
Es gibt verschiedene Yoga-Konzepte für die Emotionen, teilweise auch in moderner Terminologie, die ich zusammenfassend etwas beschreibe.
Jnana-Yoga
Vom Jnana-Yoga aus haben wir fünf Koshas, die Energiehüllen des Menschen. Emotionen finden auf der Manomaya Kosha (geistig-emotionale Hülle) statt. Wir sind nicht die Emotionen. Sie sind ein Teil unserer Ausstattung, die wir haben, um in dieser Welt zu handeln und Erfahrungen zu machen.
Raja-Yoga
Im Raja-Yoga gibt es das Konzept von Buddhi als die Führungspersönlichkeit. Emotionen sind in den Manas (Absicht oder Wille) als unsere Mitarbeiter*innen zu sehen, die Handlungsempfehlungen und Informationen mit Energie sein können. Der Energieaspekt verweist auf den Kundalini-Standpunkt.
Karma-Yoga
Karma-Yoga deutet Emotionen als ein Zeichen, etwas zu tun.
Ayurveda
Beim Ayurveda könnte man sagen, bestimmte übersteigerte Emotionen sind Hinweise auf eine Dosha-Übersteuerung (Dosha = Vata, Pitta und Kapha).
Jnana-Yoga und Emotionen
Jnana-Yoga ist der Weg des Wissens und der Weisheit. Im Jnana-Yoga würde man sagen: „Du bist das unsterbliche Selbst. Du bist nicht der Körper und nicht die Psyche. Du bist auch nicht die Emotionen.“ Emotionen sind nichts außergewöhnlich Wichtiges, sie sind nichts außergewöhnlich Gutes oder Schlimmes. Sie sind Teil deiner Ausstattung im Sinne von Upadhi, begrenzendes Attribut, Mittel um zu handeln und Erfahrungen zu machen. Aber du bist das unsterbliche Selbst. Dein Körper ist im Prinzip wie eine Art Raumanzug, den du brauchst, um auf diesem Planeten überhaupt leben zu können. Emotionen, Persönlichkeit und Temperament sind praktisch wie eine Rolle, die du spielst. Angenommen du würdest jetzt mit vielen anderen Menschen auf den Mars gehen und dort in ein Schauspiel spielen, dann bräuchtest du einen Raumanzug, das wäre dein Körper, zum anderen hättest du eine Rolle, die bestimmt, welches Temperament und welche Persönlichkeit du hast. Natürlich gehören, wenn du ein Schauspiel aufführst, auch Emotionen dazu. In diesem Sinne bist du hier, um deine Rolle zu spielen. Du bist hier, um Erfahrungen zu machen, zu lernen und etwas zu bewirken im kosmischen Spiel Lila. Dafür hast du Persönlichkeit, Temperament und Emotionen. Aber so wie es verrückt wäre, wenn ein Schauspieler auch nach Ende des Stücks in den Emotionen des Schauspiels hängen bliebe, genauso wäre es verrückt, wenn du in deinen Emotionen stecken bliebest, die vielleicht in einem bestimmten Moment deiner Rolle angemessen waren.
So lerne es, dir bewusst zu werden. Gehe nach dem Prinzip Neti Neti vor, wörtlich nicht (na) so (iti), nicht so. Sage dir: „Ich bin weder mein Ärger, noch meine Traurigkeit, Neid, Eifersucht, Gier und so weiter. Ich bin das unsterbliche Selbst, der Atman, und habe Körper, Prana (Lebensenergie) und Emotionen in der dritten Hülle (Manomaya Kosha), und ich habe auch Buddhi (Intellekt). Ebenso habe ich Ahamkara (Ich-Gefühl, letztlich auch Identifikation, obgleich das alles nicht ich bin, habe ich das Gefühl ich bin es) und Anandamaya Kosha (eine Verbindung in Freude und Liebe zu allen Wesen). In der Tiefe bin ich reines Bewusstsein.
Raja-Yoga und Emotionen
Das Raja-Yoga-Konzept habe ich in einem anderen Kontext in verschiedenen Vorträgen schon einmal vorgestellt. Hier geht es darum, zu lernen, sich selbst als Buddhi (Führungspersönlichkeit) zu etablieren. Du bist letztlich nicht die Emotion, nicht die Gedanken, nicht die Gefühle. Du bist das unsterbliche Selbst, und du hast Buddhi, die Vernunft, das Urteilsvermögen, den freien Willen. Lerne es, dich nicht zu identifizieren mit deinen Emotionen und Gedanken, sondern lerne, was auch immer in deinem Geist vorgeht, ist dazu da, um dir zu helfen. Du bist das unsterbliche Selbst, und du hast ein ganzes Königreich in dir. In diesem Königreich gibt es Minister und einen König. In meinem Buch Der Königsweg zur Gelassenheit stelle ich dieses Konzept vor. Du etablierst dich als Führungspersönlichkeit, vielleicht als König*in, und du lernst, mit deinen einzelnen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, mit deinen Ministern und Ministerinnen zu kommunizieren. So kannst du mit Emotionen umgehen, indem du dir zum Beispiel sagst: „Emotionen sind Informationen mit Energie. Emotionen sind Handlungsempfehlungen mit Energie.“
Wenn du beispielsweise Angst in dir bemerkst, mache dir bewusst, dass in dieser Emotion zunächst einmal eine Information steckt. Angst kann Gefahr oder Bedrohung bedeuten, und dass es etwas gibt, worauf du dich vorbereiten musst. Die Handlungsempfehlung ist dann: „Sei vorsichtig!“ oder „Bereite dich vor!“ Vor einem Vortrag oder Gespräch mit deinem Vorgesetzten oder Mitarbeiter könntest du dir bewusst machen, dass eine innere Aufregung in dir vorhanden ist, die du als Angst interpretieren könntest. Du kannst dir bewusst machen: „Da ist etwas, das ich in meiner Brust, Kehle oder in meinem Bauch spüre und meinen Atem beeinflusst. Da ist eine Energie mit der Information, dass bald etwas Wichtiges passiert, es drauf ankommt, dass ich etwas Gutes sage.“ Zu der Information kommt eine Handlungsempfehlung hinzu: „Bereite dich darauf vor! Überlege, was du sagen willst! Was kann geschehen?“ In diesem Sinne kannst du zu dir selbst sprechen. Du spürst Lampenfieber, Ängstlichkeit und kannst dir sagen: „Danke, lieber Organismus (oder liebe Fürsorge), für die Information. Ich habe es verstanden und werde mich vorbereiten.“ Damit hast du die Emotion gewürdigt und sie anerkannt. Sie wird noch nicht ganz weg sein, aber sie muss dich nicht mehr bedrücken.
Natürlich gibt es auch noch weitere Techniken im Raja-Yoga. Du könntest, nachdem du es anerkannt hast, sagen: „Ich bin mutig.“ oder „Ich freue mich darauf, diesen Vortrag zu geben.“ oder „Ich fühle mich von Gott beschützt.“ Man kann sagen: „OM, lieber Gott, bitte schütze mich.“ Du kannst ein Mantra wiederholen und so weiter.
Emotionen kannst du als Informationen und Handlungsempfehlungen mit Energie verstehen und sie als solche würdigen.
Karma-Yoga und Emotionen
Im Sinne der Handlungsempfehlung mit Energie gilt auch das Karma-Yoga: Emotionen als Zeichen, etwas zu tun. Manchmal, wenn du dich über jemanden ärgerst, kann das zum Beispiel heißen, der andere hat sich nicht an Abmachungen gehalten, und du kannst überlegen, wie du damit umgehst. Das ist ein Zeichen dafür, dass es nicht geht, dass du immer alles machst, und der andere erledigt seine Aufgaben nicht.
Die Handlungsempfehlung soll nicht heißen, dass du jetzt laut losbrüllst. In unserer heutigen Zeit gilt: „Wer schreit, hat Unrecht.“ Wenn du jemanden anschreist, wirst du typischerweise nicht ernst genommen. In den meisten Kontexten sind die Zeiten vorbei, in denen man bekommt, was man will, wenn man nur laut genug schreit. Auch wenn dich das Gekränktsein zum sofortigen Losreden bewegen will. Auch wenn dich eine bösartige, kränkende Facebook- oder WhatsApp-Message oder E-Mail dazu bringen will, bezähme diesen Impuls.
Oft ist es sogar gut, einen Tag zu warten oder eine Nacht darüber zu schlafen. Dennoch ist es ein Zeichen dafür, etwas zu tun, und du kannst überlegen, wie du damit umgehst. Ärger entsteht oft über die Ungerechtigkeit, dass alles auf dich zurückfällt und andere nicht ihren Anteil machen oder Grenzen überschreiten. Dann musst du etwas tun, um die Grenzüberschreitung zu verhindern, aber nicht durch lautes Losschreien, sondern über geschicktes Kommunizieren.
In bestimmten Kontexten mögen Emotionen bis zu einem gewissen Grad auch ausdrückbar sein wie in persönlichen Beziehungen. Da wird man seinen Ärger, seine Gekränktheit etwas klarer zeigen. Respekt vor dem anderen sollte jedoch bleiben, selbst wenn innerlich die Emotionen hochkochen. Auch hier kannst du wieder so vorgehen: Wenn du Ärger in dir aufsteigen spürst, kannst du dir sagen: „Danke, liebes Gerechtigkeitsgefühl, dass du mich darauf aufmerksam machst und für diese Energie. Ich werde jetzt schauen, wie ich mit der Situation umgehe und vielleicht die Energie nutzen, um geschickt etwas zu ändern.“
Ayurveda und Emotionen
Emotionen können Zeichen einer Dosha-Übersteuerung sein. Im Kontext der Yoga-Vidya-Schulung haben wir noch nicht über Ayurveda gesprochen. Es wird noch einen Vortrag geben, in dem es inhaltlich tiefer ins Ayurveda geht. Auf der Yoga-Vidya-Website gibt es viele Informationen über Ayurveda vom Anfänger- bis hin zum Fortgeschrittenen-Level. Wir haben bei Yoga Vidya regelmäßig Yoga-Kongresse, zu denen die Ayurveda-Koryphäen aus Deutschland zusammenkommen und Vorträge über Ayurveda geben. Von vielen gibt es Aufzeichnungen, die über das Internet abrufbar sind.
Im Ayurveda gibt es drei Doshas (Temperamente). Jedes von ihnen kann übersteigert sein.
Pitta ist das feurige Element. Wenn du leicht reizbar bist, dich leicht über Kleinigkeiten ärgerst, könnte es an einer Pitta-Übersteuerung liegen. Du kannst überlegen, wie du das übersteigerte Pitta reduzieren kannst. Eine Möglichkeit ist, zwei bis drei Mal am Tag eine Tiefenentspannung zu machen. Das Singen von Mantras wirkt ebenfalls ausgleichend. Häufig hilft es auch, sich etwas mehr Freizeit zu nehmen und am nächsten freien Tag mal nichts zu planen, sondern einfach nur auszuruhen oder sich im nächsten Urlaub, wirklich mal nur zu erholen, anstatt ständig E-Mails zu checken und Pläne zu machen.
Wenn du merkst, dass Ärger in dir hochkommt, eine Reizbarkeit, die höher ist als angemessen, dann kannst du dir innerlich sagen: „Danke, dass du mir das Zeichen gibst für eine Pitta-Übersteuerung. Gut, dass ich die Pitta-Übersteuerung an Ärger und Reizbarkeit erlebe. Das ist sicherlich besser, als wenn ich eine Autoimmunerkrankung, Magengeschwüre oder sonstige Entzündungen bekomme.“ Und dann leite Pitta reduzierende Maßnahmen ein wie die beschriebenen. Es gibt noch mehr als die eben genannten. Man kann auch mit verschiedenen Methoden des Pranayama (Atemübungen), konkreten Asanas (Körperhaltungen), bestimmter Ernährung und dem Trinken von Wasser einiges tun, um Pitta zu reduzieren.
Die zweite der Emotionen ist Vata. Vata ist Luftelement und steht für Kommunikation, Gesellschaft mit anderen, viele Ideen, Kreativität und manchmal auch Feinfühligkeit. Vata-Übersteuerung bedeutet Angst, Nervosität und im Extremfall Panik. Wenn du merkst, dass du nicht mehr richtig schlafen kannst, schnell nervös wirst, im Übermaß ängstlich bist, dann könnte es eine Vata-Übersteuerung sein. Auch übermäßiges Lampenfieber, Angst vor der Meinung anderer und Überbetonung von einzelnen Worten in Aussagen anderer sind alles Zeichen für Vata-Übersteuerung.
Dann überlege, wie du Vata reduzieren kannst. Das geht zum Beispiel durch eine regelmäßige Yoga-Praxis, regelmäßige Mahlzeiten zu festen Zeiten, durch das Trinken von warmem Wasser und das Essen von wärmender Nahrung. Außerdem kannst du auch viel bewirken über Meditation und Tiefenentspannung. Es gibt im Ayurweda weitere Techniken, um Vata zu beruhigen.
Die dritte Emotion ist Kapha. Kapha ist Erd-Wasser-Element. Depressivität und Traurigkeit, die auch in Antriebslosigkeit münden können, sind eventuell Ausdruck einer Kapha-Übersteuerung. Wenn du in die Antriebslosigkeit kommst - in die Unfähigkeit, dich zu bewegen - und dies mit Depressivität verbunden ist, könnte Kapha-Übersteuerung ein Grund dafür sein. Dann solltest du überlegen, wie du Kapha wieder reduzieren kannst. Es gibt aus dem Ayurveda Tipps für die Ernährung. Mit Agni Sara (Bauch-Mudra, Reinigungsübung), Kapalabhati (Schnellatmung) und aktivierenden Yoga-Übungen zu arbeiten oder auch mit anderen etwas zu unternehmen, kann dir wieder neue Energie geben.
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Stark Gekürzter Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.
Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.
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